20.12.2017

Plädoyers zu den Morden in Rostock und Nürnberg

Das erste Plädoyer des Tages konnte leider erst mit einer Stunde Verspätung beginnen. Vorher beanstandete zunächst die Verteidigung Wohlleben das Verhalten des Vorsitzenden Richters bei den vorhergehenden Plädoyers: Rechtsanwälte Schön und Reinecke hätten in ihrem Plädoyer auch Ausführungen zur Strafzumessung bei den Angeklagten gemacht und Anträge zur Strafhöhe gestellt, das sei unzulässig und der Vorsitzende habe einschreiten müssen. Die Bundesanwaltschaft bat um eine Unterbrechung von etwa 4 Stunden, um ausführlich Stellung nehmen zu können. Das führte bei Rechtsanwalt Heer zu einem peinlichen Gefühlsausbruch: das sei eine eklatante Parteinahme für die Bundesanwaltschaft, so viel Zeit würde die Verteidigung nie bekommen, normalerweise würde er dafür das Gericht ablehnen usw.– wohlgemerkt alles, bevor das Gericht über den Unterbrechungsantrag überhaupt entschieden hatten. Tatsächlich kam es gar nicht zu der Unterbrechung, denn Rechtsanwalt Langer hatte angekündigt, in seinem Plädoyer keine Anträge zu Strafen zu stellen, so dass die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft auf morgen verschoben werden konnte.

So konnte Hardy Langer mit seinem Plädoyer beginnen – er vertritt Angehörige des in Rostock ermordeten Mehmet Turgut.

Langer beschrieb zunächst die Lage des Tatortes in der Stadt Rostock, die es schwer vorstellbar mache, dass Personen ohne eigene Ortskenntnis, diesen ausgewählt haben könnten.

„Hier gibt es offensichtlich einen anderen Bezug, das persönliche Wissen um den Tatort aus früherer Zeit von mindestens einer der drei untergetauchten Personen, die das NSU-Trio bildeten. Eine(r) oder mehrere der Drei hat/haben den Dönerimbiss von früher her persönlich wahrgenommen und die dortige Gegend aus eigener Wahrnehmung gekannt.“

Hierfür spreche, dass Uwe Böhnhardt Verwandte in genau diesem Rostocker Stadtteil hatte. Außerdem hätte von 1994 bis Ende der 1990er Jahre eine Person im unmittelbarem Umfeld des späteren Tatortes gewohnt, die auf der sog. Garagenliste von Uwe Mundlos notiert war.

Die Polizei ist allerdings diesen Hinweisen nicht effektiv nachgegangen. Nicht als Spur angesehen wurde auch der Umstand, dass der damalige Eigentümer des Imbisses einmal angegriffen wurde und der Imbiss unter ungeklärten Umständen ausbrannte.

„Bei den Ermittlungen hätte jedoch beachtet werden sollen, dass der Imbisskiosk am 17.09.1998 ausgebrannt ist und ein Mitarbeiter der Feuerwehr Brandstiftung vermutete. Circa 3 Monate zuvor gab es am 13.06.1998 direkt vor dem Imbisscontainer eine Prügelattacke auf den Inhaber von vier konkret festgestellten Personen, gegen die auch aktenkundig ermittelt wurde. Diese Attacke hätte durchaus Ihren Ausgangspunkt in einer fremdenfeindlichen Motivation gehabt haben können.“

Aus den Spuren am Tatort schließt Langer, dass Turgut, anders als die anderen Opfer der Tat, gezwungen wurde, sich hinzulegen, und dann auf das liegende Opfer geschossen wurde. Dennoch verfehlte einer der Schüsse das Ziel. Langer hält es daher sogar für möglich, dass Beate Zschäpe an der Ermordung teilgenommen hat.

„Denkbar wäre aber auch, dass eine dritte Person, diese zierlicher und kleiner als die anderen beiden, mit zugegen war und die anderen beiden Mehmet Turgut mit Waffengewalt aufforderten, sich hinzulegen, damit diese dritte Person, sichtlich ungeübt im Umgang mit dem Gegenstand in der Plastetüte, Schüsse abgeben konnte. Der erste Schuss verfehlte dasOpfer, der zweite traf in den Nacken. Schnell riss einer der ersten beiden der dritten Person die Plastiktüte mit dem Gegenstand aus der Hand, wobei eine Hülse aus dem Plastikbeutel herausfiel und unter dem Kühlschrank landete. Dann gab er selbst noch zwei geübte Schüsse auf Mehmet Turgut ab, die ihn in den Kopf und in den Hals trafen.“

„Auch dazu könnte Beate Zschäpe mit Sicherheit genaue Details benennen, aber sie war bislang nicht bereit, dazu mehr zu sagen, weder von sich aus, noch auf Fragen hierzu. Möglicherweise aus gutem Grund!“

Anschließend setzte sich Langer noch mit dem Beweisergebnis zu der Verantwortlichkeit der Angeklagten Carsten Schultze, Holger Gerlach und André Eminger auseinander. Insbesondere legte er dar, dass die Argumentation der Bundesanwaltschaft nicht überzeugen kann wonach Schultze und Wohlleben für den Mord an Mehmet Turgut wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen seien, für Holger Gerlach hingegen nur eine Verurteilung wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in Betracht käme.

„Während Wohlleben/Schultze aber die Waffe im Frühjahr 2000 noch weit im Vorfeld des ersten Mordes beschafften und ein Tatentschluss seitens Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht vorlag, es auch keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sich damals schon über die Art der ‚zu bekämpfenden‘ Gruppe klar waren, stand dies im Januar/Februar 2004 zum Zeitpunkt der (Ersatz-) Führerscheinbeschaffung durch Holger Gerlach alles bereits fest. Die konkretisiert gegen türkischstämmige Menschen gerichtete rassistische Mordserie hatte bereits vier Opfer gefordert und sollte nun fortgesetzt werden. Auch war Gerlach klar, dass der Führerschein für die Beschaffung von – wie sagte es OStA Weingarten selbst – ‚Fahrzeuge[n] zur An- und Abreise von und zu einigen vereinigungsbezogenen Betätigungshandlungen genutzt werden würde.‘ Natürlich hielt es Gerlach auch für möglich, das ist nun wirklich nicht besonders fernliegend, daß solche ‚vereinigungsbedingten Betätigungshandlungen‘ Morde sein können, anders wäre das auch nicht mit dem Zitat aus der Anklageschrift vereinbar, wonach Gerlach ja klar war, dass durch die terroristische ‚Vereinigung dieser Kampf nunmehr im Untergrund auch mittels tödlicher Folgen für die Opfer fortgesetzt wird‘“.

Für Langer wäre daher Gerlach ebenfalls wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen.

Den Abschluss des Tages bildete das Plädoyer von Rechtsanwalt Aziz Sariyar, der die Geschwister und Mutter des in Nürnberg ermordeten Ismail Yaşar vertritt. Er schilderte zunächst den Lebensweg des Ermordeten und den Ablauf der Tat.

Er bezog sich dann auf die Ausführungen anderer Nebenklagevertreter_innen zu den Ermittlungen gegen die Familien und deren Folgen und zum Netzwerk des NSU und fügte hinzu: auch seine in der Türkei wohnenden Mandant_innen wurden von der Polizei aufgesucht, auch sie sprachen die Polizei auf die Möglichkeit einer ausländerfeindlichen Tat an, auch von ihnen wollte die Polizei nur Hinweise auf angebliche Verstrickungen des Opfers in kriminelle Geschäfte oder eine Verbindung zur PKK hören. Solche Ermittlungen zu den Familien seien grundsätzlich nicht zu beanstanden, aber dann schon, wenn sie einseitig und vorverurteilend geführt werden. Dazu, ob die Frage nach rassistischen Vorurteilten in der Polizei im Prozess zu klären sei, könne man unterschiedliche Meinungen haben. Einigkeit bestehe aber darin, dass über Jahre hinweg Fehler begangen wurden und es nicht sein darf, dass dieses Thema von Justiz und Sicherheitsbehörden ignoriert und unter den Teppich gekehrt wird.

Nach Ausführungen dazu, dass auch nach Ansicht der Nebenklage Yaşar das Netzwerk des NSU deutlich größer gewesen sein muss, als dies die GBA vertritt, verlas Rechtsanwalt Sariyar eine kurze Erklärung seiner Mandantschaft an das Gericht:

„[…] Wir sind froh, dass die Täter und Unterstützer dieser unmenschlichen Taten gefasst und vor Gericht gestellt wurden. Unsere Hoffnung zu erfahren, warum unser Ismail ausgesucht wurde und sterben musste, hat dieser Prozess nicht erfüllt. Aufklärung wird es nicht geben. Es geht jetzt nur noch darum, dass die Täter ihre Strafe kriegen […] Es ist wichtig, dass der Name unseres Sohnes und Bruders reingewaschen wurde. Wir haben nie an ihm gezweifelt, auch wenn Beamte uns einreden wollten, unser Ismail sei in finstere Geschäfte verwickelt. […]“