21.12.2017

Berührende Plädoyers der Nebenklage, und ein Fragezeichen

Das heutige Plädoyer von Rechtsanwalt Prof. Behnke, der einen Bruder des in Rostock ermordeten Mehmet Turgut vertritt, lässt uns als über den Prozess Berichtende etwas ratlos zurück: was soll man zu einem Plädoyer schreiben, das eine Rückbesinnung auf die Strafprozessordnung fordert – aber praktisch kein strafprozessuales Argument bringt? Was soll man auf einen Anwalt antworten, der sagt, institutionellen Rassismus gebe es nicht in deutschen Behörden, diese Behauptung sei das eigentliche Problem – dabei erkennbar nicht verstanden hat, worum es eigentlich geht, und so etwa beständig vom „strukturellen Rassismus“ spricht und meint, der Begriff sei im Prozess ausgedacht worden (hierzu s. wikipedia)?

Zu den Plädoyers von Wierig und Behnke und zur Frage des institutionellen Rassismus verweisen wir gerne auch auf den Artikel vom Kollegen Eberhard Reinecke.

Wieviel muss man zu einem solchen Plädoyer schreiben, wenn es eingerahmt wird von einer Reihe sehr berührender Plädoyers, die das Leid beschreiben, das eben dieser institutionelle Rassismus, das die bei allen rassistischen NSU-Taten gegen die Opfer gerichteten Ermittlungen der Polizei ausgelöst haben? Wir denken, man kann dieses Plädoyer getrost rechts liegen lassen und sich den zahlreichen eindringlichen und berührenden Plädoyers des Tages zuwenden. Diese Plädoyers zeigen im Übrigen – nur so viel zu Zeitungsberichten, die solche vereinzelten Stimmen allzu begierig aufgreifen – gerade auch, dass die Nebenklage eben nicht gespalten ist, sondern natürlich zu bestimmten Fragen unterschiedlicher Meinung ist, aber an sehr entscheidenden Punkten sehr einig, gerade jetzt zum Abschluss des Prozesses.

Rechtsanwalt Ferhat Tikbaş, der die Tochter von Abdurrahim Özüdoğru vertritt, lobte die schnell auf die Beine gestellte Anklage der GBA und äußerte sich zuversichtlich, dass die Angeklagten verurteilt werden. Auch er gehe davon aus, „dass hier ortskundige Personen/ Helfer im Vorfeld Ziele nach bestimmten Vorgaben ausgesucht und diese weitergeleitet haben. Namen kann ich nicht liefern. Ich bin aber überzeugt, dass es Mittäter/ Helfer gab.“ An die Angeklagte Zschäpe gerichtet teilte er mit:

„Aber eins kann ich Ihnen sagen, Frau Zschäpe, Sie und alle um Sie herum sind gescheitert. Und zwar nicht nur, weil sie hier auf der Anklagebank sitzen, sondern weil keiner das Land verlassen hat.“

Er verlas dann eine Erklärung seiner Mandantin, aus der wir die Beschreibung ihres geliebten Vaters und ihre Ansage an die Angeklagten wiedergeben wollen:

„Mein Vater lebte bereits schon 29 Jahre in Deutschland, als diese Tat passierte. Ein junger Mann, der aufgrund seiner guten schulischen Leistungen ein Stipendium für ein Studium in Deutschland erhielt und so 1972 an der Universität Erlangen das Studieren begann. Ein Mann, der seine gesamte Jugend hier in Deutschland verbracht und viele deutsche Freunde hatte, ein Mann, der mit der deutschen Kultur und ihren Menschen zusammengeschmolzen war. Dieser Mann, mein geliebter Vater, wurde in einem Erste-Welt-Land, in dem ökonomisch und technisch hochentwickelten modernen Deutschland […] ermordet. […] Mein Vater wurde Opfer von Hass und Gewalt, Opfer von Verharmlosung rechter Gewalt.“

„Das Ziel, die Gesellschaft auseinander zu dividieren, das haben Sie allerdings deutlich verfehlt. Und Sie haben es auch nicht geschafft, Menschen wie mich aus diesem Land heraus zu ekeln. Im Gegenteil jetzt sind wir alle, sowohl Deutsche als auch ausländische Mitbürger, die in diesem Land ihre Lebenszeit verbringen, sensibilisierter denn je. Es ist mein Heimatland. Ich bin eine deutsche junge Frau mit ausländischen Wurzeln, die in diesem Land geboren ist, und fremd fühlt sich hier schon längst niemand mehr.“

Es folgte Rechtsanwältin Hilka Link, Vertreterin des Sohnes von Ismail Yaşar: Sie teilte mit, dass ihr Mandant beim Plädoyer im Saal sein und den Angeklagten in die Augen schauen wollte, dass dies ihm aber durch das destruktive Verhalten der Verteidigung unmöglich gemacht wurde. Sie schilderte kurz das Leben Ismail Yaşars und den Tatablauf und wies auf ein perfides Detail dieses Mordes hin: Der Tatort lag schräg gegenüber der Schule, die ihr Mandant zu jener Zeit besuchte, er ging oft nach der Schule in den Imbiss und verbrachte Zeit mit seinem Vater. Das heißt, so Rechtsanwältin Link: „Um ein Haar wäre es Augenzeuge des Mordes an seinem eigenen Vater geworden oder selbst Opfer.“

Auch sie schilderte die Auswirkungen der Tat, der gegen die Familie gerichteten Ermittlungen und des Rätselns um die Motive. Die Familie war mit ihrem Leid allein gelassen, angesichts der Verdächtigungen durch die Polizei leider auch von der weiteren Familie, musste selbst die Kosten für den Notarzteinsatz und die Tatortreinigung selbst tragen.

Auch sie berichtete aber auch vom Scheitern des NSU: Ihr Mandant, der von Freunden als kluger und besonnener Mensch charakterisiert wird, hat es geschafft, die Schule und zwei Ausbildungen abzuschließen, ist heute in seinem Beruf tätig „und ein nützliches Mitglied der Gesellschaft – was man von den Tätern und ihren Unterstützern weiß Gott nicht sagen kann.“

Und Hilka Link schilderte anschaulich, warum sie von Unterstützern und Tippgebern des NSU in Nürnberg ausgeht, fragte sich, ob es vielleicht gar Kunden waren, die „im Imbiss aßen, ihm in das schnauzbärtige freundliche Gesicht schauten?“ Und sie thematisierte die Aussage einer Augenzeugin, die angab, Beate Zschäpe ganz in der Nähe des Tatortes gesehen zu haben. Die Rolle des Verfassungsschutzes könne die Hauptverhandlung nicht vollständig aufklären, die Frage dürfe aber auch nicht unerwähnt bleiben. Rechtsanwältin Link wandte sich dann den Einlassungen Zschäpes zu und stellte dar, warum sie diese für völlig unglaubhaft hält.

Nach der Mittagspause sprach zunächst Rechtsanwältin Dr. Monika Müller-Laschet, sie vertritt drei Geschädigte des Nagelbombenanschlags in der Keupstraße. Die Frage nach dem Warum, so ihre Einleitung, zog sich wie einer roter Faden durch den Prozess, auch für ihre Mandant_innen. Die Hoffnung, diese Frage beantwortet zu bekommen, habe sich nicht bewahrheitet.

Ihre Mandant_innen warteten seit dem Tattag, auf das Heilen der Wunden, auf das Finden der wirklichen Täter und ihre Rehabilitierung, dann auf den Prozessbeginn, auf die Antwort auf die Frage nach dem Warum, und schließlich darauf, „dass das hier endlich vorbei ist.“

Nun sei klar, dass vom Prozess und von den Angeklagten keine Antworten zu erwarten waren. Ihre beiden Mandanten hätten daraus den Schluss gezogen, mit ihrem Leben weiterzumachen und so die Pläne und die Ideologie des NSU Lügen zu strafen. Ein gutes Leben zu haben, integriert zu sein, eingebunden in einen Freundeskreis, das sei schon ein Sieg über den NSU. Und sie haben ein solches gutes Leben, im Gegensatz zu den Tätern: „Sie sind arm. Ihr Leben ist leer und von Hass bestimmt, Hass, der nicht nur andere getötet hat, sondern auch sie selbst getötet hat. Ihre Seele ist leer, daher sind sie arm.“

Ihre Mandantin dagegen leide noch heute massiv unter den Folgen der Tat. Sie, die ihrer Persönlichkeit nach keinem Menschen etwas Böses wünscht, könne die Tat nicht verstehen – „für so einen Menschen sind die Taten der Angeklagten buchstäblich von einer anderen Welt.“

In jedem Fall seien ihre drei Mandant_innen, wie auch die anderen Geschädigten, nicht „zur falschen Zeit am falschen Ort“ gewesen, im Gegenteil:

„sie waren genau dort, wo sie hingehört haben, auf einer Straße in Köln, in Deutschland, wo sie ihren Angelegenheiten nachgegangen sind in unserer Mitte. Wer nie da hingehört hat, waren die Nagelbomber und ihre Helfer. Die Leute auf der Keupstraße sind nicht nur exotische Insel […], sondern ein Teil unserer Gesellschaft, den wir dringend brauchen, weil er uns bereichert und weil die Menschen aus der Keupstraße mit ihrem Zusammenrücken nach dem Anschlag für uns Vorbilder sind. Das hat der NSU nicht verstanden.“

Es folgte Rechtsanwalt Marcel Matt, auch er vertritt einen Geschädigten des Keupstraßen-Anschlags. Auch sein Mandant hoffe, so Matt einleitend, dass irgendwann alle Fragen der Hinterbliebenen beantwortet werden könnten. Es dürfe nicht vergessen werden, „dass vor dem Auffliegen des sog. NSU leider die Falschen – die Betroffenen – weit mehr im Fokus der Ermittlungen standen, als die eigentlichen Täter“, möglicherweise habe der NSU diese Folge seiner Taten als „Fehler im System“ vorausgesehen und eingeplant.

Rechtsanwalt Matt stellte dann die zahlreichen Beweismittel und Indizien dar, die zeigen, dass die Angeklagte Zschäpe von dem Bombenanschlag in der Keupstraße sehr wohl vorher wusste, dass sie diesen als Teil des Systems NSU mitgeplant hatte und auf Grund eigener Überzeugung wollte, wie sie auch noch nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt durch das Versenden der Bekenner-DVDs zeigte. Die für Bau, Transport und Zündung der Bombe erforderliche Logistik spreche im Übrigen deutlich dafür, dass der NSU weitere Mitglieder oder Unterstützer gehabt habe.

Am Ende verlas Marcel Matt, selbst erkennbar um Fassung kämpfend, einen Appell seines Mandanten: Der vertraue darauf, dass das Gericht

„für die hier Angeklagten und für all die Traumata, die Verletzungen, die Angst und den Schrecken, dafür, dass Schwestern und Brüder plötzlich ohne Ihre geliebten Geschwister waren, dafür, dass Väter und Mütter plötzlich ohne Ihre geliebten Kinder leben mussten, dafür, dass geliebte Kinder plötzlich ohne ihre geliebten Väter aufwachsen mussten, für die große Trauer, das fast unendliche Leiden, das unermessliches Leid der vom sog. NSU und seiner Unterstützer Betroffenen, […] jeweils angemessenen Strafen für die Angeklagten finden“ werde.”

Mit diesem tief berührenden Moment fand das NSU-Verfahren für dieses Jahr seinen Abschluss. Es wird am Dienstag, 9. Januar 2018 fortgesetzt werden. Bleiben weitere Störmanöver der Verteidigung aus, werden die Plädoyers der Nebenklage voraussichtlich in dieser Woche beendet werden.