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29.01.2014

Steuerte der Verfassungsschutz die Vernehmung des Zeugen Temme?

Nach der Vernehmung des Arztes des schwer verletzten Polizeibeamten Arnold begann die heutige Hauptverhandlung mit Stellungnahmen und Anträgen.

Erwartungsgemäß erklärte die Verteidigung Wohlleben zum Zeugen Liebau, dieser habe weder bei der Polizei noch in der Hauptverhandlung erklärt, dass der Angeklagte Wohlleben bei ihm nach Waffen gefragt habe. Direkt hieran schloss sich ein Antrag der Nebenklage an, festzustellen, dass Liebau in seiner Zeugenaussage eine uneidliche Falschaussage begangen hat.

Nach weiteren Stellungnahmen beantragte die Nebenklage der Familie Yozgat die Vernehmung des ehemaligen Direktors des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen Irrgang, und zwar vor Fortsetzung der Zeugenvernehmung des Verfassungsschutzmitarbeiters Temme: In den Akten der Bundesanwaltschaft, die nicht Teil der Gerichtsakte sind, findet sich ein Protokoll von einem Telefongespräch Temmes mit einem Kollegen. Der Kollege spricht darin Temme auf ein Gespräch mit Irrgang an, in dem sich Temme nicht „so restriktiv wie bei der Polizei“ geäußert habe.

Die Bundesanwaltschaft übergab daraufhin immerhin innerhalb einer halben Stunde dieses Protokoll an alle Beteiligten. Es ist klar, dass sowohl Irrgang als auch der Gesprächspartner Temmes als Zeugen gehört werden müssen. Die Bundesanwaltschaft hat immer größere Schwierigkeiten zu begründen, warum die Akte des Verfahrens gegen Temme nicht den Prozessbeteiligten zur Verfügung gestellt wird. Der Verdacht, dass hier Informationen zurückgehalten werden sollen, verdichtet sich.

Das Gericht setzte anschließend trotzdem die Vernehmung Temmes fort. Dieser blieb bei der dubiosen Behauptung, er könne sich im Wesentlichen an nichts erinnern. Die Vernehmung konnte erneut nicht abgeschlossen werden, kurz nach 17 Uhr wurde festgestellt, dass Temme erneut anreisen muss. Wann die Vernehmung fortgesetzt wird, ist noch unklar.

22.01.2014

Geglättete Ermittlungen

Wie eine Beweisaufnahme aussieht, wenn vom BKA bis zum Gericht alle staatlichen Beteiligten versuchen, Widersprüche unter den Tisch zu kehren, zeigt der heutige Verhandlungstag zum Mord in Heilbronn. Die Beweisaufnahme, die wohl aus Sicht des Gerichts die wesentlichen Fragen klären sollte, hinterlässt mehr Fragen als Antworten. Umso mehr bemühen sich alle Beteiligten, so zu tun, als sei nun Klarheit geschaffen. Völlig unbeteiligt zeigt sich die Verteidigung Zschäpe, die nur noch teilnimmt, wenn es gilt, Fragen der Nebenklage abzublocken. Dabei müsste doch gerade Zschäpe ein Interesse daran haben, Zweifel daran herauszuarbeiten, dass sie mit Böhnhardt und Mundlos die Tat begangen hat.

Ein medizinischer Sachverständiger legte seine Untersuchungen zur Todesursache, Tatsituation und Tatablauf dar. Er hatte anscheinend mit allerlei moderner Technik gearbeitet – dennoch blieben wesentliche Fragen offen. Insbesondere bleibt unklar wer geschossen hat und ob mehr als zwei Beteiligte vor Ort waren. Klar ist lediglich: die Jogginghose, die eindeutig Mundlos zugeordnet werden kann, wies Blutstropfen von Kiesewetter auf, die direkt angeschleudert wurden. Mundlos hat diese Hose also bei der Tat getragen. Und: die Tat erfolgte wie eine Hinrichtung, insoweit ähnlich wie die anderen NSU-Morde.

Danach folgte ein Polizeibeamter, der nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos die Waffen aus dem Wohnmobil sicherte. Er bestätigte eingangs, dass die beiden Dienstpistolen von Arnold und Kiesewetter schnell identifiziert wurden.

Zu den beiden gefundenen Pumpguns gab der Zeuge, ein Schusswaffenexperte, an, beide hätten dasselbe Kaliber gehabt. Die erste sei durch die Hitze völlig verformt gewesen, es habe sich eine Hülse oder Patrone in der Waffe befunden. Die andere Waffe, eine Winchester Defender – die, mit der aller Wahrscheinlichkeit nach Böhnhardt und Mundlos den Tod fanden – sei mit offenem Verschluss geborgen worden. Ihr Zustand sei der nach einer Schussabgabe gewesen, eine leere Hülse habe sich noch im Lauf gefunden. Auf dem Boden des Wohnmobils haben sich zwei leere Hülsen gefunden, die von beiden Flinten stammen könnten. Damit könnte zwar die verbreitete These, nur ein Dritter könne die beiden Uwes erschossen haben, als widerlegt gelten – dafür tut sich aber ein neuer Widerspruch auf, denn bislang war nie von drei Schüssen die Rede. Gericht, Bundesanwaltschaft und Verteidigung sahen dennoch keinen Fragebedarf, nur die Nebenklage fragte nach.

Andere Zeugen bestätigten Details der Anklage.

Als letzter Zeuge war der Hauptermittler des BKA für Heilbronn, KOK Giedke, geladen – seine Befragung konnte natürlich nicht abgeschlossen werden und geht nächste Woche weiter. Der Zeuge hatte im Juli und Oktober 2012 die abschließenden Ermittlungsberichte geschrieben, die der Anklage zu Grunde liegen. Er glätte im ersten Durchgang alle Widersprüche und Zweifel. So etwa zum Vorgesetzten von Kiesewetter und Arnold, der Mitglied des „KuKluxKlan“ war – im Bericht heißt es, er sei natürlich nur Mitläufer gewesen, 2002 ausgestiegen und habe auch „glaubhaft“ versichert, keinen Kontakt zum NSU oder dem Trio gehabt zu haben. Giedke bestätigte Aufenthalte von Böhnhardt und Mundlos in Stuttgart, vermutlich um Tatobjekte auszuspähen – behauptet aber gleichzeitig, es hätten sich keine Ansatzpunkt für Ermittlungen, beispielsweise zu Kontakten in die südwestdeutsche Naziszene ergeben.

Die Meldung des Magazins Stern, ein amerikanischer Geheimdienst habe bei anderer Gelegenheit Beobachtungen zu einer Schießerei zwischen „Naziagenten“, Polizei und Verfassungsschutz gegeben habe, sei untersucht worden und hätte sich als falsch herausgestellt. Sowohl die amerikanische Botschaft als auch deutsche Geheimdienststellen hätten bestätigt, dass es keine solchen Aktivitäten vor Ort gegeben habe.

Auf die Aussage von Kiesewetters Onkel, einem Staatsschutzpolizisten in Thüringen, der von sich aus und vor dem Auffliegen des NSU eine Verbindung zwischen dem Mord an seiner Nichte und den „Türkenmorden“ hergestellt hatte, wollte sich Giedke zunächst nur rudimentär erinnern. Erst auf späteren Vorhalt der Nebenklage bestätigte er, dass es diese Aussage gab.

Erst nachdem Gericht und Bundesanwaltschaft keine Fragen mehr hatten, wurde auf Nachfragen der Nebenklage deutlich, dass Giedke nicht selbst ermittelt, sondern nur die Zusammenfassungen der einzelnen Ermittlungsführer erneut zusammengefasst und dabei geglättet hatte. Auf präzise Nachfragen der Nebenklage zu falschen Angaben in seinem Bericht über Einsätze Kiesewetters auf Nazidemonstrationen musste er schließlich zugeben, er habe das eben „so übernommen“ und sich wohl nicht alle Unterlagen selbst angeschaut.

Erneut wird deutlich, dass Gericht und Bundesanwaltschaft lediglich die Anklage abarbeiten und nicht wirklich aufklären wollen. Im Februar 2012 hatte die Bundeskanzlerin den Angehörigen der Ermordeten versprochen, es werde größtmögliche Aufklärung erfolgen. Im Gegensatz dazu handelt aber etwa die Bundesanwaltschaft, die letzte Woche ein vertiefendes Pressegespräch durchführte: JournalistInnen sollten sich durch die Thesen der Nebenklage nicht verrückt machen lassen, sondern den Ermittlungen vertrauen: man habe das alles untersucht, an den Theorien sei nichts dran. Für die NebenklägerInnen, die zusätzlich zum Naziterror noch Opfer rassistischer Ermittlungen wurden und die nun tatsächliche Aufklärung fordern, ist eine solche Aufforderung zum „Vertrauen“ blanker Hohn.

21.01.2014

Beweisaufnahme mit wenigen Höhepunkten

Die Beweisaufnahme am heutigen Tag verlief insgesamt erwartet unergiebig. Susan Eminger, die Ehefrau des Angeklagten Eminger und Freundin der Angeklagten Zschäpe, die selbst im Verdacht steht den NSU mindestens unterstützt zu haben, verweigerte erwartungsgemäß die Aussage.

Ein zum Tatzeitpunkt noch jugendlicher Besucher des Internetcafés von Halit Yozgat in Kassel, der während des Mordes anwesend war, beschrieb das Auffinden des Ermordeten. Er hatte nur wenige konkrete Erinnerungen, beschrieb aber den ebenfalls anwesenden Verfassungsschutzmitarbeiter Temme, und zwar als „weiß, groß, eher fett – einfach wie ein Deutscher“ aussehend. Entgegen Temmes Behauptung habe er nicht gesehen, wie dieser mehrfach zur Türe und aus dem Laden hinausgegangen sei. Temme hatte dargestellt, er habe den toten Halit Yozgat nicht gesehen, habe mehrfach vor der Tür des Ladens und drinnen nach ihm gesehen, was ein auffälliges Verhalten gewesen wäre.

Zum Heilbronner Tatgeschehen gab ein Zeuge an, er habe zwei Fahrradfahrer gesehen, die an einer Stelle in direkter Nähe des Tatortes, von der der gesamte Platz gut zu übersehen war, laut diskutiert hätten. Von dort zu einem Parkplatz, an dem auch ein Wohnmobil unauffällig hätte parken können sei es nur eine kleine Strecke gewesen, ebenso zum Tatort. Ein weiterer Passant gab an, an der Stelle des Mordanschlags hätten oft Polizeifahrzeuge gestanden. Diese beiden Aussagen sprechen also eher dafür, dass die Opfer des Heilbronner Anschlags zufällig ausgesucht wurden, weil sie an einem Ort standen, an dem oft Polizisten parkten und von dem aus es gute Fluchtwege gab.

Dem gegenüber steht die Aussage eines Polizeibeamten über den Vorgesetzten von Kiesewetter und Arnold, der Mitglied in der Nazigruppe KuKluxKlan war. Dieser habe als Vorgesetzter Kiesewetter und Arnold Anweisungen für ihre Einsatzorte und Fahrtstrecken gegeben. Jedenfalls dieser Nazi konnte also nicht nur wissen, dass die beiden Polizisten an dem Tag im Einsatz waren, sondern hätte auch die Möglichkeit gehabt, sie an den Tatort zu beordern.

16.01.2014

Erste Zeugen zum Polizistenmord in Heilbronn

Am heutigen Verhandlungstag begann die Beweisaufnahme zu dem NSU-Anschlag in Heilbronn am 25.04.2007, bei dem die Polizistin Michèle Kiesewetter getötet und ihr Kollege Martin Arnold schwer verletzt wurde.

Diese Tat war der letzte bekannte Mordanschlag des NSU und wirft vor allem deshalb viele Fragen auf. Bis heute ist nicht klar nachvollziehbar, warum die Gruppe von ihrem bisherigen Konzept der Ermordung migrantischer Kleingewerbetreibender abwich. Ebenso unklar ist, ob die Tatopfer gezielt ausgewählt wurden oder ob es zufällig genau diese beiden Polizeibeamten traf. Die ermordete Michèle Kiesewetter stammte immerhin aus der Region, aus der auch die jetzt bekannten Mitglieder des NSU kamen, und dürfte diese jedenfalls entfernt gekannt haben. Andererseits erfolgte der Anschlag an einem Ort, an dem die beiden zufällig und relativ unvorhersehbar eine Pause machten. Die Anklage geht daher von einer zufälligen Auswahl aus.

Die bisherige Ladungsliste des Gerichts lässt vermuten, dass nur eine wenig aufwändige Beweisaufnahme zu diesem Fall geplant ist. Für eine Verurteilung nach Anklage ist nämlich – so wohl auch das Kalkül der Anklage – keine Aufklärung der oben genannten Fragen notwendig: der Fund der den beiden Polizeibeamten abgenommenen Pistolen sowie der Handschellen bei den NSU-Mitgliedern, eine Jogginghose von Böhnhardt mit Blutspritzern der Tatopfer, die Anmietung eines Wohnmobiles, das in der Region festgestellt wurde, sowie die Bekennung im NSU-Video – für eine bloße Verurteilung bietet dieser Fall die beste Beweislage. Erneut muss das Gericht zeigen, ob es neben einer Verurteilung auch eine tatsächliche Aufklärung im Auge hat.

Heute ging es im Wesentlichen um den Tatort und die Auffindesituation der beiden Tatopfer. Der damals schwerst verletzte Martin Arnold schilderte die Folgen der Kopfverletzung und den Ablauf des Tages bis kurz vor dem Anschlag. An die Tatsituation habe er keinerlei Erinnerung, eine unter Hypnose durchgeführte Vernehmung habe ihm keine Erinnerung gebracht.

Am Ende der Verhandlung schloss sich noch die Verteidigung des Angeklagten Schulze dem Beweisantrag des Nebenklägeranwalts Hoffmann an, der in dieser Woche zu Auseinandersetzungen mit der Generalbundesanwaltschaft gesorgt hatte. Das Interesse an dem Handel Wohllebens mit Waffen und Zubehör zum Autodiebstahl hat sich damit verstärkt.