Geglättete Ermittlungen
Wie eine Beweisaufnahme aussieht, wenn vom BKA bis zum Gericht alle staatlichen Beteiligten versuchen, Widersprüche unter den Tisch zu kehren, zeigt der heutige Verhandlungstag zum Mord in Heilbronn. Die Beweisaufnahme, die wohl aus Sicht des Gerichts die wesentlichen Fragen klären sollte, hinterlässt mehr Fragen als Antworten. Umso mehr bemühen sich alle Beteiligten, so zu tun, als sei nun Klarheit geschaffen. Völlig unbeteiligt zeigt sich die Verteidigung Zschäpe, die nur noch teilnimmt, wenn es gilt, Fragen der Nebenklage abzublocken. Dabei müsste doch gerade Zschäpe ein Interesse daran haben, Zweifel daran herauszuarbeiten, dass sie mit Böhnhardt und Mundlos die Tat begangen hat.
Ein medizinischer Sachverständiger legte seine Untersuchungen zur Todesursache, Tatsituation und Tatablauf dar. Er hatte anscheinend mit allerlei moderner Technik gearbeitet – dennoch blieben wesentliche Fragen offen. Insbesondere bleibt unklar wer geschossen hat und ob mehr als zwei Beteiligte vor Ort waren. Klar ist lediglich: die Jogginghose, die eindeutig Mundlos zugeordnet werden kann, wies Blutstropfen von Kiesewetter auf, die direkt angeschleudert wurden. Mundlos hat diese Hose also bei der Tat getragen. Und: die Tat erfolgte wie eine Hinrichtung, insoweit ähnlich wie die anderen NSU-Morde.
Danach folgte ein Polizeibeamter, der nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos die Waffen aus dem Wohnmobil sicherte. Er bestätigte eingangs, dass die beiden Dienstpistolen von Arnold und Kiesewetter schnell identifiziert wurden.
Zu den beiden gefundenen Pumpguns gab der Zeuge, ein Schusswaffenexperte, an, beide hätten dasselbe Kaliber gehabt. Die erste sei durch die Hitze völlig verformt gewesen, es habe sich eine Hülse oder Patrone in der Waffe befunden. Die andere Waffe, eine Winchester Defender – die, mit der aller Wahrscheinlichkeit nach Böhnhardt und Mundlos den Tod fanden – sei mit offenem Verschluss geborgen worden. Ihr Zustand sei der nach einer Schussabgabe gewesen, eine leere Hülse habe sich noch im Lauf gefunden. Auf dem Boden des Wohnmobils haben sich zwei leere Hülsen gefunden, die von beiden Flinten stammen könnten. Damit könnte zwar die verbreitete These, nur ein Dritter könne die beiden Uwes erschossen haben, als widerlegt gelten – dafür tut sich aber ein neuer Widerspruch auf, denn bislang war nie von drei Schüssen die Rede. Gericht, Bundesanwaltschaft und Verteidigung sahen dennoch keinen Fragebedarf, nur die Nebenklage fragte nach.
Andere Zeugen bestätigten Details der Anklage.
Als letzter Zeuge war der Hauptermittler des BKA für Heilbronn, KOK Giedke, geladen – seine Befragung konnte natürlich nicht abgeschlossen werden und geht nächste Woche weiter. Der Zeuge hatte im Juli und Oktober 2012 die abschließenden Ermittlungsberichte geschrieben, die der Anklage zu Grunde liegen. Er glätte im ersten Durchgang alle Widersprüche und Zweifel. So etwa zum Vorgesetzten von Kiesewetter und Arnold, der Mitglied des „KuKluxKlan“ war – im Bericht heißt es, er sei natürlich nur Mitläufer gewesen, 2002 ausgestiegen und habe auch „glaubhaft“ versichert, keinen Kontakt zum NSU oder dem Trio gehabt zu haben. Giedke bestätigte Aufenthalte von Böhnhardt und Mundlos in Stuttgart, vermutlich um Tatobjekte auszuspähen – behauptet aber gleichzeitig, es hätten sich keine Ansatzpunkt für Ermittlungen, beispielsweise zu Kontakten in die südwestdeutsche Naziszene ergeben.
Die Meldung des Magazins Stern, ein amerikanischer Geheimdienst habe bei anderer Gelegenheit Beobachtungen zu einer Schießerei zwischen „Naziagenten“, Polizei und Verfassungsschutz gegeben habe, sei untersucht worden und hätte sich als falsch herausgestellt. Sowohl die amerikanische Botschaft als auch deutsche Geheimdienststellen hätten bestätigt, dass es keine solchen Aktivitäten vor Ort gegeben habe.
Auf die Aussage von Kiesewetters Onkel, einem Staatsschutzpolizisten in Thüringen, der von sich aus und vor dem Auffliegen des NSU eine Verbindung zwischen dem Mord an seiner Nichte und den „Türkenmorden“ hergestellt hatte, wollte sich Giedke zunächst nur rudimentär erinnern. Erst auf späteren Vorhalt der Nebenklage bestätigte er, dass es diese Aussage gab.
Erst nachdem Gericht und Bundesanwaltschaft keine Fragen mehr hatten, wurde auf Nachfragen der Nebenklage deutlich, dass Giedke nicht selbst ermittelt, sondern nur die Zusammenfassungen der einzelnen Ermittlungsführer erneut zusammengefasst und dabei geglättet hatte. Auf präzise Nachfragen der Nebenklage zu falschen Angaben in seinem Bericht über Einsätze Kiesewetters auf Nazidemonstrationen musste er schließlich zugeben, er habe das eben „so übernommen“ und sich wohl nicht alle Unterlagen selbst angeschaut.
Erneut wird deutlich, dass Gericht und Bundesanwaltschaft lediglich die Anklage abarbeiten und nicht wirklich aufklären wollen. Im Februar 2012 hatte die Bundeskanzlerin den Angehörigen der Ermordeten versprochen, es werde größtmögliche Aufklärung erfolgen. Im Gegensatz dazu handelt aber etwa die Bundesanwaltschaft, die letzte Woche ein vertiefendes Pressegespräch durchführte: JournalistInnen sollten sich durch die Thesen der Nebenklage nicht verrückt machen lassen, sondern den Ermittlungen vertrauen: man habe das alles untersucht, an den Theorien sei nichts dran. Für die NebenklägerInnen, die zusätzlich zum Naziterror noch Opfer rassistischer Ermittlungen wurden und die nun tatsächliche Aufklärung fordern, ist eine solche Aufforderung zum „Vertrauen“ blanker Hohn.