11.02.2015

Zur Gefährlichkeit der Nagelbombe in der Keupstraße und dem bislang dreistesten Nazi-Zeugen.

Heute war zunächst Bernd Tödter geladen, Führer des „Sturm 18“ aus Kassel und gerade vor wenigen Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen, nachdem er wegen Gewaltdelikten zu 2 1/2 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Tödter erschien im klassischen Nazi-Skinhead-Outfit der 90er mit Glatze, Bomberjacke und „Sturm 18“-Shirt.

Er hatte bei einer seiner vorherigen Haftstrafen der Polizei gesagt, er könne Angaben machen zu einem Treffen mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Jahr 2006, kurz vor dem Mord an Halit Yozgat in Kassel. Heute wollte Tödter hiervon nichts mehr wissen – und schaffte es, so dreist wie kein Zeuge vor ihm, Aussageverweigerung und Falschaussage miteinander zu verbinden: Zunächst meinte er, er wolle keine Angaben machen, um sich selbst nicht der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen. Nachdem ihn der Vorsitzende Richter Götzl darauf hinwies, dass ihm kein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht, meinte er „Dann kann ich mich an nichts erinnern.“ Der Vorsitzende versuchte geduldig, den Zeugen zu den Inhalten seiner Gespräche mit der Polizei zu befragen, aber der blieb bei seiner Blockade.

Die Vernehmung wurde unterbrochen und wird morgen festgesetzt – es bleibt abzuwarten, ob gegen den Zeugen dann Ordnungsmittel wegen Aussageverweigerung verhängt werden oder ob „nur“ ein Falschaussage-Verfahren folgen wird.

Am Nachmittag erstatteten die beiden Sachverständigen ihre Gutachten zur Wirkung der Nagelbombe in der Keupstraße. Sie machten erneut deutlich, dass es ein riesiges Glück war, dass in der Keupstraße niemand zu Tode gekommen ist: Noch in Entfernungen von weit über 25 Metern, so der Bombenexperte Dr. Mölle, hatten danach Nägel eine Geschwindigkeit, die bei Treffern im Kopf- oder Rumpfbereich sehr wahrscheinlich zu tödlichen Verletzungen führt. Ganz zu schweigen von den Splittern der Gasflasche selbst – der größte Splitter, so der Rechtsmediziner Dr. Peschel, lag von der kinetischen Energie her irgendwo zwischen einem Jagdgewehr aus der Elefantenjagd und einem Maschinengewehr. Aber auch in Entfernungen bis zu 100 Metern habe mit akuten Verletzungen im Kopf- und Rumpfbereich gerechnet werden müssen.

Erschreckendwar auch noch einmal die Aufzählung der diversen Verletzungen durch die Explosion durch Dr. Peschel, von Augenverletzungen über Schnittwunden, Knochenbrüche und Verbrennungen bis hin zu lebensgefährlichen Verletzungen durch Verschlucken von Mageninhalt. Hinzu kommen die psychischen Folgen, von denen viele Verletzte berichtet hatten und zu denen sich der medizinische Sachverständige Dr. Peschel ausdrücklich nicht näher äußern konnte – so auch hinsichtlich der Nebenklägerin, die von Rechtsanwalt Hoffmann vertreten wird. Immerhin wies der Sachverständige ausdrücklich darauf hin, dass Angststörungen typische Bestandteile von posttraumatischen Belastungsstörungen sind, die oftmals über Jahre chronisch werden. Ein Gerichtssaal sei allerdings kein geeigneter Ort, eine solche Diagnose zu überprüfen. Typisch für die Verteidigung Zschäpe war, dass diese versuchte, den Sachverständigen bei diesen Ausführungen zu unterbrechen und zurechtzuweisen.

Klar wurde insgesamt erneut: alle Personen aus der Keupstraße, die hier als Zeuginnen und Zeugen ausgesagt haben, befanden sich in einem Bereich, in dem mit tödlichen Verletzungen zu rechnen war. Auf ausdrückliche Nachfrage von Rechtsanwalt Hoffmann zur Wohnung seiner Mandantin bestätigte der Bombenexperte, in den vorderen Zimmern sei mit tödlichen Verletzungen zu rechnen gewesen. Damit bestätigt sich erneut, was Hoffmann gestern ausgeführt hatte: der Antrag der Verteidigung Zschäpe, die Nebenklageberechtigung seiner Mandantin zu widerrufen, hat rechtlich keinerlei Aussicht auf Erfolg, er steht im Verdacht, ein reiner Propaganda-Antrag zu sein. Die Vielzahl der NebenklägerInnen ergibt sich, das wurde heute nochmals deutlich, aus der besonderen Gefährlichkeit der hier verwendeten Nagelbombe, die mit dem Ziel der Vernichtung und Vertreibung einer größtmöglichen Anzahl von BewohnerInnen der Keupstraße gezündet wurde.