Plädoyer der Bundesanwaltschaft 6. Tag: vollständige Mitschrift
Nach kurzem Wiedereintritt in die Beweisaufnahme wird diese geschlossen.
OStA Weingarten: Sehr geehrter Herr Vorsitzender, hoher Senat,
[Rufe aus dem Publikum: „wir klagen an die Bundesanwaltschaft, Herbert Diemer, Annette Greger, Jochen Weingärtner [sic], wegen der Missachtung der Betroffenen, wegen der Fortführung des institutionellen Rassismus“
– wird mehrmals wiederholt von verschiedenen Personen]
Vorsitzender: Seien Sie ruhig. Wir unterbrechen mal kurz.
[Das Gericht verlässt den Saal. Von oben ist ein Wachtmeister zu hören: „Aufstehen!“ Es fliegen Schnipsel-Flugblätter in den Saal mit den Namen der Angeklagten des NSU-Tribunals.]
Unterbrechung ca. 9:55 bis 10:03 Uhr.
Vorsitzender: Also, zuerst der Hinweis an die Zuhörer, dass solche Zwischenrufe und Zurufe nicht hingenommen werden. Wer durch Beifalls- oder Missfallensbekundungen oder auf andere Weise die Hauptverhandlung stört, wird unverzüglich aus dem Sitzungssaal geführt, bei ungebührlichem Verhalten ist es auch möglich, dass Ordnungsmittel verhängt werden. Die störenden Zuhörer haben von sich aus den Saal verlassen, wurde mir mitgeteilt, so dass wir fortsetzen können. Ich würde Sie bitten, zu ihrem Schlussvortrag zu kommen.
OStA Weingarten:
Vielen Dank Herr Vorsitzender,
nach dem zwischenzeitlichen Wiedereintritt in die Beweisaufnahme rufe ich zunächst die Darstellung vor der Sommerpause in Erinnerung und wiederhole diese, indem ich auf sie Bezug nehme. Wir hatten uns bereits umfassend geäußert zur Angeklagten Zschäpe, mit Ausnahme der angeklagten Banküberfälle, das folgt noch, im Tatsächlichen, sowie zu den Angeklagten Wohlleben und Schultze.
Ich werde mich jetzt zunächst dem Angeklagten Eminger zuwenden.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist auch der Angeklagte Eminger vollumfänglich der angeklagten Taten überführt. Dabei ist auch nach Auffassung der Bundesanwaltschaft folgender Sachverhalt erwiesen:
Der Angeklagte Eminger mietete am 16.11.2000 ein Wohnmobil des Typs Fiat Ducato Kristall H590 mit dem amtlichen Kennzeichen C – HU 676 auf seinen Namen zunächst für den Zeitraum vom 30.11. bis zum 1.12.2000 an und stellte dieses, nachdem er das Fahrzeug bereits am 29.11.2000 abgeholt und die Mietzeit um einen Tag auf den 2.12.2000 verlängert hatte, sodann Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und der Angeklagten Zschäpe zur Verfügung. Dieses Wohnmobil benutzten die NSU-Mitglieder Böhnhardt und Mundlos zur Begehung des Raubüberfalls am 30.11.2000 auf die Postfiliale Johann-Dick-Straße in Chemnitz, indem sie das Wohnmobil zur An- und Abreise nutzten.
Am 19.12.2000 mietete der Angeklagte Eminger wiederum im Auftrag des NSU ein weiteres Wohnmobil des Typs Fiat Ducato Kristall H590 mit dem amtlichen Kennzeichen C – HU 676 bei der Firma Horn in Chemnitz bis zum 21.12.2000 auf seinen Namen an. Auch dieses Fahrzeug stellte er erneut den Mitgliedern des NSU zur Verfügung. Böhnhardt und Mundlos reisten damit nach Köln und legten damit am 19., 20. oder 21.12.2000 den Sprengsatz im Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse 44-46 ab, der am 19.1.2001 detonierte und M. M. schwer verletzte.
Spätestens am 22.09.2003 mietete der Angeklagte Eminger erneut im Auftrag des NSU ein Wohnmobil diesmal des Typs Chausson Welcome 70 70 mit dem amtlichen Kennzeichen C – JA 420 für den Zeitraum vom 22. bis 26.9.2003 unter seinem Namen bei der Firma Horn in Chemnitz an. Anschließend übergab er auch dieses Wohnmobil an die Mitglieder des NSU. Böhnhardt und Mundlos fuhren damit in der Folgezeit nach Chemnitz, um am 23.09.2003 den Überfall auf die Sparkassen-Filiale in der Paul-Bertz-Straße in Chemnitz zu verüben.
Alle drei Wohnmobile mietete der Angeklagte Eminger in dem Wissen an, dass die Angeklagte Zschäpe sowie Böhnhardt und Mundlos sich dauerhaft zu dem Zweck zusammengeschlossen hatten, aus einer rechtsextremistischen Einstellung heraus in Deutschland lebende Menschen mit Einwanderungshindergrund auch unter Verwendung von Sprengstoff zu töten, wobei die drei, wie der Angeklagte Eminger wusste, die Begehung dieser Aktivitäten wie auch ihren gewöhnlichen Lebensunterhalt durch die Begehung von Raubüberfällen finanzierten. Er rechnete daher damit, dass diese drei Wohnmobile zur Vorbereitung derartiger Verbrechen Verwendung finden würden.
Am 7.12.2006 kam es zu einem Wasserschaden in der Polenzstr 2 in Zwickau, und zwar zunächst in der über der Wohnung der Angeklagten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos gelegenen Wohnung. Von dem Wasserschaden war auch das Bad der im Erdgeschoss gelegenen Wohnung der drei NSU-Mitglieder betroffen. Da gegen den Zeugen P. K. ein Verdacht wegen vorsätzlicher Begehung [dieser Tat sowie Diebstahls bestand], erstattete der Zeuge M. F. noch am selben Tag Strafanzeige. In der Folge kam es zu polizeilichen Ermittlungen, die auch vor Ort in der Polenzstraße 2 geführt wurden. Hieraus entstand für die Angeklagte Zschäpe und Mundlos und Böhnhardt eine äußerst riskante Situation. Es bestand das Risiko, dass durch Zeugenvernehmungen die Diskrepanz zwischen den offiziellen und tatsächlichen Mietverhältnissen zu Tage treten konnte, und es lag ebenfalls auf der Hand, dass jedenfalls die Legendierung der Angeklagten Zschäpe auch nur einer oberflächlichen Überprüfung nicht standhalten würde. Allerspätestens nach der persönlichen Vorsprache des Zeugen KHK Rautenberg an der Wohnungstür am 9.1.2007 war der Angeklagten Zschäpe klargeworden, dass sie sich einer Zeugenvernehmung würde stellen müssen, bei der es unvermeidlich sein würde, sich auszuweisen, was sie aber nicht konnte, weil sie nicht über Tarnpapiere verfügte.
Hochproblematisch war in diesem Zusammenhang darüber hinaus, dass die Angeklagte Zschäpe vom Zeugen Rautenberg am 9.1.2007 in einer Wohnung angetroffen worden war, für die der gesondert verfolgte Dienelt den tatsächlichen Wohnverhältnissen zuwider amtlich gemeldet und die mit dem Namensschild Dienelt gekennzeichnet war. Hinzu kam, dass die Angeklagte Zschäpe im Haus Polenzstraße 2 mit dem Namen Liese oder Lisa bekannt war und von Mitbewohnern auch gegenüber der Polizei als Lisa Dienelt bezeichnet worden war. Gegenüber dem Zeugen Rautenberg hatte die Angeklagte Zschäpe am 9.1.2007 bei dessen Hausbesuch – wie zuvor mit dem Angeklagten Eminger für den Fall besprochen – angegeben, ihr Name sei Eminger, ihr Spitzname sei aber Lise. Weil am Klingelschild Dienelt steht, würden die Hausbewohner denken, sie heiße Liesa Dienel. Um in dieser vertrackten Situation die Gefahr einer Identifikation zu vereiteln, bedurfte es neben einer schlüssigen Erklärung des Antreffens in der Wohnung vor allem einer der Namensgeberin Susan Eminger entsprechenden Legendierung. Dies konnte nur mit Hilfe des Angeklagten Eminger gelingen, denn in Betracht für eine scheinbar legitimierte Identifikation kam für die Angeklagte Zschäpe lediglich der Personalausweise der gesondert verfolgten Susan Eminger.
Nachdem der Angeklagte Eminger von der Angeklagten Zschäpe über die Ladung informiert worden war, versprach er, wie bereits zuvor für den Fall der Fälle vereinbart, der Angeklagten Zschäpe, den Personalausweis seiner Ehefrau zu der Vernehmung mitzubringen. Den Angeklagten Eminger und Zschäpe war klar, dass dies alleine zur Bereinigung der Situation nicht genügen würde, denn vor allem die Anwesenheit der Angeklagten Zschäpe im Wohngebäude Polenzstraße 2, darüber hinaus ihr ersichtlich besorgt-kümmerndes Verhalten und ferner ihre für die Polizei ohne Weiteres ersichtliche gute Bekanntschaft zu den anderen Bewohnern der Polenzstraße 2 bedurfte angesichts der offiziellen Wohnverhältnisse, mit deren polizeilicher Erhebung alle Beteiligten rechneten, und den davon abweichenden Bekundungen der Mitbewohner ebenfalls einer überzeugenden Erklärung.
Um insoweit Zweifel der Polizei an der Integrität ihrer beabsichtigten und erforderlichen Erklärung zu der Frage, was sie eigentlich überhaupt in der Wohnung des Dienelt zu tun hatte, was es mit den dort regelmäßig verkehrenden Männern auf sich hatte, aus welchem Grunde sie mit den Bewohnern der Polenzstraße 2 gut bekannt war und insbesondere aus welchem Grund sie von diesen für eine Lisa Dienelt gehalten wurde, um derartige Zweifel im Keim zu ersticken, war das Zutun des Angeklagten Eminger ebenfalls notwendig. Daher vereinbarten die Angeklagten Zschäpe und Eminger, gemeinsam zur bereits terminierten Zeugenvernehmung zu erscheinen und eine inhaltlich übereinstimmende Aussage abzugeben. Ohne selbst geladen worden zu sein, begleitete der Angeklagte Eminger die Angeklagte Zschäpe zu der für den 11.01.2007 terminierten polizeilichen Zeugenvernehmung. Es war seine Absicht, die Angaben der Angeklagten Zschäpe durch unwahre Angaben zu bestätigen.
Hierzu ging er wie folgt vor: Nachdem er der Angeklagten Zschäpe vor der Zeugenvernehmung den Personalausweis seiner Ehefrau Susan Eminger übergeben hatte, womit diese sich dann auch auswies, täuschte der Angeklagte Eminger die Polizeibeamten sowohl durch schlüssiges Verhalten als auch durch Angaben über die Angeklagte Zschäpe, die er wahrheitswidrig als seine Ehefrau Susan Eminger bezeichnete. Ferner bekundete der Angeklagte Eminger in seiner Vernehmung bewusst wahrheitswidrig, dass der gesondert Verfolgte Matthias Dienelt in der vom Wasserschaden betroffenen Wohnung tatsächlich wohnhaft sei. Dieser sei aber als Fernfahrer viel unterwegs, deshalb halte er sich mit seiner Ehefrau häufig in der Wohnung auf. Tatsächlich würden er und seine ihn begleitende Ehefrau in der Dortmunder Str. 12 in Zwickau leben; dort befand sich der tatsächliche Wohnsitz der Eheleute Eminger.
Mit all dem verschwieg der Angeklagte Eminger nicht nur die wahre Identität der Angeklagten Zschäpe und bezeichnete sie als seine Ehefrau Susan Eminger, sondern er belog darüber hinaus den Zeugen Rautenberg über die tatsächlichen Wohnverhältnisse. Damit bemühte er sich in kollusiven Zusammenwirken mit der Angeklagten Zschäpe erfolgreich, der Angeklagten Zschäpe zu einer Legendierung zu verhelfen und den Strafverfolgungsbehörden die Anwesenheit der Angeklagten Zschäpe in der Polenzstraße am 7.12.2006 und 9.1.2007 als plausibel und unverdächtig erscheinen zu lassen. Damit kam es ihm mit voller Absicht darauf an, die Anwesenheit aller Mitglieder des NSU in der als konspirative Wohnung genutzten Erdgeschosswohnung in der Polenzstraße 2 nicht nur für die Vergangenheit zu verschleiern, sondern auch für die Zukunft abzusichern.
All dies tat er zu dem Zweck, dass die Angeklagte Zschäpe sowie Böhnhardt und Mundlos als terroristische Vereinigung aktiv sein und weiter Morde und bewaffnete Raubüberfälle begehen konnten.
Am 8.5.2009 beantragte der Angeklagte Eminger in Absprache mit der Angeklagten Zschäpe sowie Böhnhardt und Mundlos zwei Ermäßigungskarten der Deutschen Bahn AG, sogenannte Partnercards, auf seine eigenen und seiner Ehefrau Personalien. Beigefügt waren aber je ein Lichtbilde der Angeklagten Zschäpe und des Uwe Böhnhardt. Auf diesen Antrag hin stellte die Deutsche Bahn AG zwei Ermäßigungskarten unter Verwendung der eingereichten Lichtbilder, zunächst vom 25.6.2009 bis zum 24.6.2010 aus. Die auf den Namen des Angeklagten Eminger ausgestellte Bahncard mit der Nr.7081411032127504 trug ein Lichtbild des Uwe Böhnhardt, die auf den Namen der Susan Eminger mit der Nr. 708141110316665215 ein solches der Angeklagten Zschäpe.
Die an den Angeklagten Eminger übersandten Karten übergab dieser absprachegemäß an Böhnhardt und die Angeklagte Zschäpe. Immer nach Ablauf des jeweils einjährigen Gültigkeitszeitraums wurden beide Bahncards in der Weise verlängert, dass die Deutsche Bahn neue Bahncards an den Angeklagten Eminger versandte. Die letzte Verlängerung führte zur Gültigkeit beider Karten bis zum 24.7.2012. Auch die Verlängerungskarten übergab der Angeklagte Eminger jeweils an Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe. Den Kartenpreis in Höhe von 57 € ließ der Angeklagte Eminger bei den Verlängerungen jeweils von seinem Konto einziehen. Wie der Angeklagte Eminger wusste, dienten die Bahncards dazu, der Angeklagten Zschäpe und Böhnhardt – Mundlos war bereits in Besitz einer auf den Aliasnamen Burkhardt ausgestellten Bahncard – auch vereinigungsbedingte Reisebewegungen möglichst unauffällig und preisgünstig zu ermöglichen. Ferner wusste der Angeklagte Eminger, dass die Angeklagte Zschäpe, die zu ihrer Legendierung nicht über Personalpapiere verfügte, die auf Susan Eminger ausgestellte Bahncard jedenfalls als Behelfsidentifikationsnachweis verwenden wollte, um eingehendere Identifizierungsmaßnahmen umgehen zu können.
Der Beweggrund des Angeklagten Eminger für all die geschilderten Hilfeleistungen waren seine eigene rechtsextremistische Überzeugung, die mit einem tief empfundenen Hass gegen Menschen nichtdeutscher Herkunft einhergeht.
Dies steht nach Ergebnis der Beweisaufnahme fest. Insoweit nehme ich zunächst zu den objektiven Tatumständen Stellung, um mich im Anschluss der geschlossenen Vorstellungs- und Willensbildung des Angeklagten Eminger zuzuwenden.
Ich komme zunächst zu den Wohnmobil-Anmietungen: Die genannten Anmietungen bei der Firma Horn als solche und die Übereinstimmungen der Anmietezeiträume mit den Raubüberfällen vom 31.11.2000 und 23.9.2003 sowie die Übereinstimmung mit dem Zeitpunkt des Mordanschlages auf das Lebensmittelgeschäft des irakischen – Entschuldigung iranischen – Staatsangehörigen D. M. zwischen dem 19. und 21.12.2000 in der Kölner Probsteigasse sind ohne Weiteres erwiesen aufgrund der im Selbstleseverfahren eingeführten Mietverträge und der Angaben der BKA-Beamten Mollnau, Voss sowie der Zeugen Queda, A.H., I. H..
Es bestehen auch keine vernünftigen Zweifel daran, dass der Angeklagte Eminger die angemieteten Wohnmobile dem NSU für die Begehung der beiden Raubüberfälle am 30.11.2000 und 23.9.2003 sowie des Mordanschlags vom 19.01.2001 zur Verfügung gestellt hat und die NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos diese Fahrzeuge zur Vorbereitung der jeweiligen Taten und zur Vorbereitung der jeweiligen Taten, also zur Flucht und/oder Abreise, verwendet haben. Dies ergibt sich zum einen bereits aus der augenfälligen Koinzidenz der Anmietezeiträume zwischen den drei genannten Straftaten und den jeweiligen Anmietedaten der Wohnmobile.
Darüber hinaus ergibt sich die Übergabe an die Mitglieder des NSU unmittelbar aus dem in der Frühlingstraße sichergestellten Notizzettel, auf dessen Vorderseite neben der Adresse der Firma Caravan H. die Person und die Mobilfunknummer des Angeklagten Eminger und auf dessen Rückseite der exakte Zeitraum der dritten Anmietung aus dem Jahre 2003 notiert waren. Das Vorhandensein dieses Notizzettels im Besitz der NSU-Mitglieder ist plausibel nur damit zu erklären, dass die damaligen Nutzer Böhnhardt und Mundlos die wirklichen Daten des Anmieters benötigten, um im Falle eines Falles mit diesem Kontakt aufnehmen zu können, etwa, damit der Angeklagte Eminger als Berechtigter direkt mit der Firma sprechen kann oder um etwa gegenüber der Polizei nachweisen zu können, dass man das Wohnmobil mit Zustimmung des eigentlichen Mieters, des Angeklagten Eminger, nutzt. Eine sinnvolle Erklärung für Notizzettel ohne die eigenhändige Nutzung durch Mitglieder des NSU ist nicht ersichtlich.
Dass der NSU angemietete Wohnmobile überhaupt zur Tatbegehung genutzt hat, ergibt sich zwanglos aus den Ermittlungen zum Mordanschlag in Heilbronn – kurz nach dessen Begehung fiel in der Ringalarmfahndung das auf den Namen Holger Gerlach bei der Firma Horn angemietete Wohnmobil mit dem Kennzeichen C – PB – 758 auf – und den Ereignissen am 4.11.2011 in Eisenach, wo Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zur Vor- und Nachbereitung des Überfalls auf die Sparkassen Filiale in Eisenach das Wohnmobil mit dem amtlichen Kennzeichen V – NK 1021verwendet hatten.
Eine nicht unwesentliche Frage ist, ob die Beweislage den sicheren Schluss zulässt, dass der Angeklagte Eminger die Anmietung der Wohnmobile persönlich vollzogen hat, oder ob er nur die Personalpapiere an Mundlos oder Böhnhardt ausgeliehen hat und einer dieser beiden die Wohnmobile selbst anmietete. Diese Frage lässt sich in Hinblick auf zwei Gesichtspunkte beantworten:
Der gesondert verfolgte Zeuge Max-Florian Burkhardt, mit dessen Identität sich über den gesamten Zeitraum des Untertauchens hinweg Uwe Mundlos eine Legendierung verschafft hatte, hat im Ermittlungsverfahren gegenüber seinem im Verfahren einvernommenen Vernehmungsbeamten, dem Zeugen Bengner, angegeben, es sei im Jahr 1998 in seiner Wohnung zu Diskussionen darüber gekommen, wessen Personalpapiere als Tarnpapiere für Böhnhardt und Mundlos verwendet werden können. An dieser Diskussion teilgenommen hätten die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt, Mundlos, der Zeuge Burkhardt selbst und der Angeklagte Eminger. Es sei allgemeine Meinung gewesen – so der damalige Beschuldigte Burkhardt im Ermittlungsverfahren –, dass der Angeklagte Eminger keinesfalls in Betracht gekommen sei, seine eigenen Papiere für den Zweck der Legendierung von Böhnhardt oder Mundlos zur Verfügung zu stellen. Der Zeuge Burkhardt konnte sich zwar in seiner Vernehmung, die der Zeuge Bengner detailliert wiedergegeben hat, nicht mehr erinnern, aus welchem genauen Grund der Angeklagte Eminger als Legendengeber ausgeschieden worden sei, aber Burkhardt war sich ganz sicher, dass es so war.
Und der Grund liegt für uns auf der Hand: Der Angeklagte Eminger schied aus unserer Sicht aus, weil er in Physiognomie und Statur keine Ähnlichkeit mit den deutlich größer gewachsenen Böhnhardt und Mundlos aufwies. Böhnhardt hatte nach den Feststellungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen Heiderstädt eine Größe von 1,83 m und Mundlos war mit 1,78 m immer noch 10 cm größer als der 1,68 m große Angeklagte Eminger. Das Gesicht des zudem deutlich jüngeren Angeklagten Eminger weist keine Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten mit den durch zahlreiche Fotos in Augenschein genommen Gesichtern der Mundlos und Böhnhardt auf.
Wenn Böhnhardt oder Mundlos die Wohnmobile selbst unter Verwendung des Personalausweises des Angeklagten Emingers angemietet hätten, dann würden sie sich bei Verwendung dieser Personalpapiere – die sie ja selbst für ungeeignet hielten – unkalkulierbaren Gefahren der Enttarnung ausgesetzt haben. Nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme sind Böhnhardt und Mundlos aber sehr sorgsam und sehr bedacht bei der Erstellung der Tarnpapiere vorgegangen. Mundlos hatte für sich einen auf Max-Florian Burkhardt lautenden Reisepass ausstellen lassen, der aber mit seinem Lichtbild versehen war. Im Falle Böhnhardt hatte sich nicht zuletzt die Angeklagte Zschäpe darum gekümmert, dass das äußere Erscheinungsbild des Angeklagten Gerlach dem des Uwe Böhnhardt angeglichen wurde. Zusätzlich kontrollierten Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe stets die Lebensverhältnisse ihrer Legendengeber, um immer auf dem neusten Stand zu sein und deren Verwendbarkeit zu prüfen und um die adäquate, also plausible und widerspruchsfreie Verwendung im Einzelfall sicherstellen zu können. Es ist angesichts dieser Akribie im Umgang mit Tarnpapieren und Legendierungen ausgeschlossen, dass einer der beiden Männer Personalpapiere des gänzlich anders aussehenden Angeklagten Eminger verwendet hätte, nachdem schon 1998 allen Beteiligten klar war, dass der Angeklagte Eminger als Legendengeber wegen seines Aussehens nicht in Betracht kam.
Die Schlussfolgerung, dass der Angeklagte Eminger demnach die Wohnmobile im Auftrag des NSU selbst angemietet und die Kraftfahrzeuge erst danach den Mitgliedern des NSU übergegeben hat, wird entscheidend durch weitere Beweismittel gestützt: das daktyloskopische Gutachten vom 24.9.2012 in Verbindung mit dem Spurensicherungsbericht vom 13.9.2012. So befinden sich auf der in der Frühlingsstraße sichergestellten Auftragsbestätigung der Anmietung [vom 22.09.2003] zwei Fingerspuren; diese sind dem Gutachten zufolge eindeutig dem Angeklagten Eminger zuzuordnen.
Es bleiben demnach keine Zweifel daran, dass der Angeklagte Eminger in allen drei Anmietungsfällen die Wohnmobile selbst angemietet und danach an Mitglieder des NSU übergeben hat. Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Zeugen Alexander und Ingeborg Horn den Angeklagten Eminger weder auf Lichtbildvorlagen wiedererkannt noch eine Erinnerung mit dem Namen Eminger verbunden haben. Denn weder das eine noch das andere war unter den Bedingungen eines beruflichen Alltagserlebens nach dem Ablauf von gut acht Jahren zwischen letzter Anmietung und erster Vernehmung der beiden zu erwarten gewesen.
Der Wasserschaden:
Hinsichtlich der Zeugenaussage vom 11.01.2007 gilt zum äußeren Sachverhalt Folgendes: Dass der Angeklagte Eminger an der polizeilichen Vernehmung am 11.1.2007 überhaupt teilgenommen hat, ist bewiesen, weil sich auf dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll eine Fingerspur des rechten Daumens des Angeklagten Eminger befindet, wie sich aus dem verlesenen Behördengutachten vom 24.9.2012 in Verbindung mit der Verlesung des bereits genannten Spurensicherungsberichts mit den daktyloskopischen Gutachten ergibt.
Darüber hinaus konnte auf dem Vernehmungsprotokoll laut Gutachten des Sachverständigen Dr. Proff ein DNA-Vollmuster des Angeklagten Eminger festgestellt werden. Über die Inhalte der bei der Vernehmung getätigten unwahren Angaben des Angeklagten Eminger zur Angeklagten Zschäpe und zu den Wohnverhältnissen in der Polenzstraße hat in der Hauptverhandlung der Zeuge Rautenberg umfassend ausgesagt. Der Zeuge Rautenberg, der damals als polizeilicher Sachbearbeiter mit der Aufarbeitung des Wasserschadens in der Polenzstraße und mit der Strafanzeige des Zeugen M. F. befasst war, hatte eine konkrete Erinnerung an die Vorfälle und konnte sich insbesondere daran erinnern, dass er genau die Frau am 11.1.2007 auf der Polizeiwache vernommen hat, die er zwei Tage zuvor an der Wohnungstür in der Polenzstraße angetroffen hatte, die sich selbst den Spitznamen Liesl zugeordnet hatte und die ihm von Mitbewohnern in der Polenzstraße als Lisa Dienelt namhaft gemacht worden war. Er hat also zweifelsohne tatsächlich die Angeklagte Zschäpe und den Angeklagten Eminger vernommen. An die bereits wiedergegebenen Kernangaben des Angeklagten Eminger, der an der Befragung der Angeklagten Zschäpe teilgenommen hatte, konnte sich der Zeuge Rautenberg ebenfalls noch erinnern.
Zur Abrundung sei erwähnt, dass auch die Angeklagte Zschäpe in ihrer schriftlichen Einlassung vom 16.03.2013 bestätigt hat, persönlich und in Begleitung des Angeklagten Eminger an der Vernehmung teilgenommen und den Personalausweis der Susan Eminger unmittelbar zuvor von dem Angeklagten Eminger erhalten zu haben. Die Beschaffung der Bahncards ist nachgewiesen aufgrund der Angaben der Angeklagten Zschäpe, der Bekundungen der mit der Auswertung beim BKA befassten Zeugen Langrock, Notze, Reimers, Bolte und Blobau [phon] sofern ferner durch Inaugenscheinnahme der Lichtbilder der Bahncards und deren Verlesung in der Hauptverhandlung heute.
Die Art und Weise der Beschaffung und die Verlängerung der Bahncards wird belegt durch den Zeugen Langrock, der bereits bei der Durchsuchung der Wohnung der Eheleute Eminger Briefe der Deutschen Bahn gefunden hatte, sowie der Angaben der Zeugen Notze Reimers und Lohbau, die allesamt die bahncardbezogenen Ermittlungen bei der Deutschen Bahn AG und die Finanzermittlungen durchgeführt hatten und deren in der Hauptverhandlung dargestellten Ermittlungen der Überzeugungsbildung zugrunde gelegt werden können.
Auch geht aus den Angaben der PHK Notze und KOK Weller hervor, dass der Deutschen Bahn AG die ab dem 1.3.2011 gültige neue Adresse der Eheleute Eminger in der Adam-Riese-Straße in Zwickau schon am 3.3.2011 mitgeteilt worden war.
Dieser ganze Sachverhalt wird im Wesentlichen auch durch die schriftliche Aussage der Angeklagten Zschäpe erwiesen. Diese hat angegeben, es sei der Angeklagte Eminger gewesen, der die Bahncards besorgt habe. Auch habe sie die Bahncards von ihm persönlich erhalten. Die Angeklagte Zschäpe hat ferner mitgeteilt, sie selbst habe die Bahncard zu Bahnreisen genutzt. Die Karte hätte aber auch dazu diesen sollen, sich selbst ausweisen zu können für den Fall, dass sie in eine Kontrolle gerate, wobei sie gedacht habe, dass dann bei Vorzeigen der Bahncard auf die Vorlage des Personalausweises verzichtet werden könnte.
Angesichts der beschriebenen Umstände ist auch erwiesen, dass der Angeklagte Eminger in die Beschaffung und Übergabe der Bahncards eingebunden war, denn er gab nicht nur die an seine Anschrift übersandten Bahncards an die NSU-Mitglieder, sondern wickelte die für die Verlängerungen der Bahncards fälligen Geldzahlungen über sein Konto ab. Für die akribische Behandlung durch ihn spricht auch, dass der Deutschen Bahn AG unverzüglich der Umzug der vermeintlichen Karteninhaber in die Adam-Riese-Straße zum 01.03.2011 mitgeteilt worden war.
Nun, hoher Senat, sehr geehrte Verfahrensbeteiligte,
die Frage, ob die dem Angeklagten zur Last gelegten Teilnahmedelikte und Taten in objektiver Hinsicht nachgewiesen sind, ist, ich denke für alle, einigermaßen überschaubar. Die Verantwortlichkeit für äußere Tatgeschehen ist auch durch objektive Beweismittel, zahlreiche Zeugen und die Angaben der Angeklagten Zschäpe deutlich dokumentiert und liegt auf der Hand und würde vermutlich selbst von dem Angeklagten Eminger nicht bestritten werden, wenn er sich denn äußern würde.
Die im Überzeugungsbildungsprozess komplexere Fragestellung ist die nach der Vorsätzlichkeit seines Handelns, also ob nach der Beweisaufnahme zur sicheren Überzeugung feststeht, dass er bei diesen Taten mit Absicht oder mit positiven Wissen oder jedenfalls mit bedingtem Vorsatz handelte, indem er in jedem Einzelfall zumindest mit der naheliegenden Möglichkeit bzw. zumindest ernsthaft mit dem Eintritt des Haupterfolges gerechnet und diese Unwerterfolge auch billigend in Kauf genommen hat – oder ob man zu seinen Gunsten davon ausgehen muss, dass er einen strafrechtlich relevanten Sinngehalt nicht erkannt hat oder aus seiner Sicht berechtigterweise mindestens darauf vertraut hat, dass seine Handlungen die Straftaten des NSU nicht fördern würden. Die Frage der Vorsätzlichkeit des Handels des Angeklagten Eminger – also die Frage nach seinen Vorstellungen vom beabsichtigen Tun von Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe – lässt sich nur auf Grundlage einer Bewertung der Gesamtschau der in Hauptverhandlung erhobenen Erkenntnisse zu den persönlichen Näheverhältnissen des Angeklagten Eminger zu Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe, zu den politisch-ideologischen Einstellungen des Angeklagten Eminger und zu seinem Verhalten am und nach dem 04.11.2011 beantworten.
Anders als hinsichtlich der objektiven Tat- und Teilnahmehandlungen des Angeklagten Eminger fehlen insoweit aussagekräftige Beweismittel etwa für einen Wissenstransfer; also dafür, dass der Angeklagte Eminger von den dreien über Absichten und Taten bereits vor dem ersten Delikt in Kenntnis gesetzt worden ist. Daran vermag isoliert betrachtet auch die Einlassung der Angeklagten Zschäpe vom 16.03.2016 kaum etwas zu ändern. Direkte Beweise, die für sich genommen geeignet wären, zu belegen, dass der Angeklagte Eminger die Taten zumindest billigend in Kauf genommen hat und durch die anklagegegenständlichen Handlungen Beihilfe zu dem versuchten Mord an Frau M. sowie den Raubüberfällen geleistet sowie vorsätzlich eine terroristische Vereinigung unterstützt hat, liegen auch unter Zugrundlegung dieser Einlassung nicht vor. Obschon der Angeklagte Eminger sich zu den Tatwürfen und damit auch zu seinen subjektiven Vorstellung nicht eingelassen hat, führt die Gesamtschau der in der Beweisaufnahme festgestellten Tatsachen aus Sicht der Bundesanwaltschaft aber gleichwohl zu der sicheren Überzeugung, dass der Angeklagte Eminger nicht nur genau wusste, wem er hilft und wen er unterstützt und was deren verbrecherische Absichten sind, sondern sie führt darüber hinaus zu der sicheren Überzeugung, dass er in jedem Einzelfall damit rechnete, welche Folgen sein Handeln haben würde, und mit dem Eintritt dieser Folgen in allen Einzelfällen nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen rechtsextremen Einstellung einverstanden war.
Wenden wir uns der Angeklagten Zschäpe zu, soweit sie sich mit dem Mitangeklagten André Eminger befasst. Die Angeklagte Zschäpe hat mitgeteilt, dass sie den Angeklagten Eminger über Max-Florian Burkhardt oder Mandy Struck kennengelernt habe. Diese hätten ihn zu Besuchen in die Wohnung Limbacher Straße mitgebracht. Zum Wissenstand des Angeklagten Eminger hat die Angeklagte Zschäpe in ihrer Einlassung vom 16.03.2016 mitgeteilt, auf die ich an dieser Stelle zunächst eingehen will, man habe dem Angeklagten Eminger zwischen Februar und Spätsommer 1998 bei Besuchen in der Limbacher Straße in Chemnitz als Gründe für das Untertauchen nicht nur offenbart, dass Böhnhardt ansonsten eine Haftstrafe anzutreten hätte, sondern insbesondere auch, dass in der von ihr, der Angeklagten Zschäpe, angemieteten Garage in Jena Sprengstoff sichergestellt worden war. Zum anderen hätten Böhnhardt, Mundlos und sie selbst dem Angeklagten Eminger allerdings erst nach dem in Folge des Wasserschadens gemeinsam absolvierten Vernehmungstermin von den zurückliegenden Banküberfällen berichtet. Von den Tötungsdelikten und Sprengstoffanschlägen hingegen habe der Angeklagte Eminger nichts erfahren. Anlass für die Mitteilung von den Raubüberfällen sei gewesen, dass der Angeklagte Eminger sich nach der Zeugenvernehmung zum Wasserschaden am 11.01.2007 erkundigt habe, aus welchen Grund die drei nicht wieder ins bürgerliche Leben zurückgefunden hätten, denn, so soll der Angeklagte Eminger nach der Einlassung zu bedenken gegeben haben, die Sache mit dem Sprengstoff in der Garage sei doch zwischenzeitlich verjährt.
Die Mitteilung der Angeklagten Zschäpe, wonach der Angeklagte Eminger frühzeitig vom Sprengstoff in der Garage und der drohenden Festnahme des Uwe Böhnhardt unterrichtet wurde, ist für sich genommen glaubhaft, weil sie mit anderen Erkenntnissen korrespondiert. Vergegenwärtigt man sich, dass etwa Uwe Böhnhardt in der Phase vor dem Untertauchen auch anderen gegenüber von Sprengstoffdelikte berichtet hatte – was man den Bekundungen der Zeugen H. und H. entnehmen kann und wozu ich im Zusammenhang mit dem Angeklagten Schultze ausgeführt habe; vergegenwärtigt man sich weiter, dass der Sprengstoff Gegenstand breiter medialer Berichterstattung war, wie etwa aus der Inaugenscheinnahme des MDR-Berichts Kripo Live am 33. Hauptverhandlungstag folgt; vergegenwärtigt man sich weiter, dass diese Berichterstattung dem ersten Wohnungsgeber zu Folge, dem Zeugen Thomas Rothe, auch in Chemnitz zur Kenntnis genommen worden war und der Angeklagte Schultze und der Zeuge St. ebenfalls berichtet hatten, unmittelbar nach dem Untertauchen erfahren zu haben, dass in der Garage echter Sprengstoff verwahrt worden war, und vergegenwärtigt man sich darüber hinaus, dass die Zeugin Mandy Struck sogar eingestanden hat, Kenntnis von der Puppentorsotat gehabt zu haben, und angegeben hat, Böhnhardt und Mundlos hätten angegeben, dass sie die Garage in die Luft gejagt hätten; vergegenwärtigt man sich schließlich die allgemeine Lebenserfahrung, dass das Erbitten zivil- wie strafrechtlich riskanter Unterstützungsleistungen notwendigerweise auch im Freundeskreis einer vernünftigen Erklärung bedarf, war auch ohne die Einlassung der Angeklagten Zschäpe klar, dass der Angeklagte Eminger Kenntnis davon hatte, welchen politischen und kriminalbiografischen Hintergrund Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe im Einzelnen hatten.
Aber die Einlassung der Angeklagten Zschäpe ist an diesem Punkt eben auch sehr fragmentarisch und stellt eine nur rudimentäre Skizzierung der Wahrnehmungen des Angeklagten Eminger dar. Aus anderen Quellen wissen wir nämlich, dass der Angeklagte Eminger nicht nur bereits im Frühjahr 1998 genau wusste, mit welchen Personen er es in der Wohnung des gesondert Verfolgten Max-Florian Burkhardt in der Limbacher Straße zu tun hatte, sondern auch, dass er von vornherein einen engen und vertrauensvollen Kontakt zu den Dreien unterhalten hat. So hatte der Angeklagte Eminger Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe schon in deren Unterschlupf in der Wohnung Limbacher Straße mehrfach aufgesucht; dies steht nicht zuletzt fest aufgrund der Angaben des gesondert verfolgten Burkhardt, über dessen Angaben im Ermittlungsverfahren der Zeuge Vitt, der Burkhardt u.a. am 25.11.2011 vernommen hat, hier in der Hauptverhandlung Angaben gemacht hat. In der Wohnung des Burkhardt in der Limbacher Straße 96 lebten Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe von Mitte Februar 1998 bis zum Umzug in die Altchemnitzer Straße Ende August 1998.
Ich komme gleich zu einer Unterbrechung, Herr Vorsitzender.
Es steht weiter fest, dass der Angeklagte Eminger auch aus Sicht des gesondert Verfolgten Burkhardt zum Kreis des Vertrauens zählte. In seiner Vernehmung vom 29.11.2011, über die der Zeuge Bengner als Vernehmungsbeamter berichtet hatte, bekannte der gesondert Verfolgte Burkhardt, er habe nach seiner sicheren Erinnerung mit dem Angeklagten Eminger darüber gesprochen, dass die drei Personen, die in seiner Wohnung lebten, untergetaucht seien. Ebenso hat die damalige Freundin des Angeklagten Eminger, die Zeugin Anja Springthorpe, in der Hauptverhandlung bekundet, dass der Angeklagte Eminger die drei Untergetauchten alleine in ihrem Beisein drei- bis sechsmal besucht habe und dies – wie sich auch aus einer Wohnungsbegehung mit dem Zeugen […] ergeben hat – auch in der Wohnung in der Altchemnitzer Straße, in der die drei von August 1998 bis zum Frühjahr 1999 lebten.
Herr Vorsitzender, wenn wir dieselbe Zeitregelung wie beim letzten Mal haben, würde ich jetzt…
Vorsitzender: Ja, wir machen Pause bis 11:05 Uhr.
[Unterbrechung 10:51 bis 11:05 Uhr. Weiter 11:10 Uhr]
Vorsitzender: Wir setzen fort, Herr OStA Weingarten
OStA Weingarten: Vielen Dank, Herr Vorsitzender.
Ich hatte über die regelmäßigen Besuche bereits in der Frühphase des Untertauchens berichtet und danach entwickelte sich zwischen Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe einerseits und dem Angeklagten Eminger andererseits bereits unmittelbar nach deren Umzug nach Chemnitz eine Freundschaft, die über fortan Bestand hatte und sich über die Jahre immer weiter intensivierte. der Angeklagte Eminger gehörte auch zu denjenigen, die die Klarnamen der Untergetauchten kannten. Dies folgt nicht zuletzt aus dem Umstand, dass Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe in der ersten Frühphase des Untertauchens noch nicht unter Tarnnamen auftraten.
So lernte etwa der gesondert Verfolgte Burkhardt ausweislich der Aussage des Zeugen Bengner zur Vernehmung am 29.11.2011die Angeklagte Zschäpe noch als Beate kennen. Auch der angeblich nicht eingeweihte Zeuge C. R. gab an, ihm seien die drei als Beate, Uwe und Uwe bekannt geworden, und angesichts der durch Offenheit geprägten Beziehung zu Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe wundert es nicht, dass der Angeklagte Eminger bereits frühzeitig in die Frage der operativen Planung der Legendierung der drei eingeweiht war.
Die Problematik einer erfolgversprechenden und nachhaltigen Legendierung ist in Anwesenheit des Angeklagten Eminger auch sehr detailliert und konkret erörtert worden. So wurde insbesondere erörtert, wessen Identität als Tarnidentität nutzbar gemacht werden könnte und wessen nicht. Der Zeuge Burkhardt konnte sich nämlich erinnern, dass der Angeklagte Eminger einvernehmlich ausgeschieden worden war. An dieser Stelle ist nur der Befund entscheidend, dass der Angeklagte Eminger von vornherein informiert war, dass Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe überhaupt untergetaucht waren, und dass er in die Erörterung und die Planung sogar existenziell wichtiger Punkte eingebunden war, die den konspirativen Bestand der untergetauchten Dreiergruppe unmittelbar berührten, nämlich die Frage der Legendierung.
Daraus folgt, dass dem Angeklagten Eminger von Seiten Böhnhardts, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe von vornherein besonders exklusives Vertrauen zugekommen ist. Dies ist deswegen besonders wichtig, weil gleichzeitig der Angeklagte Wohlleben in Jena ein System der Abschottung etabliert hatte und schon der Aufenthalt der drei in Chemnitz als schützenswertes Geheimnis angesehen worden war.
Sehr bemerkenswert ist ferner, dass ersichtlich auch der Angeklagte Eminger an einem engeren Kontakt zu Böhnhardt und der Angeklagten Zschäpe interessiert war und diesen ausbaute. Der Hintergrund besteht sicher in der uneingeschränkten ideologischen Kompatibilität der vier und in einer gewissen Bewunderung, die der Angeklagte Eminger der Kompromisslosigkeit und Handlungsfähigkeit der Untergetauchten entgegenbrachte. Der Frage der ideologischen Kompatibilität werde ich mich später noch ausführlicher zuwenden.
Dem Angeklagten Eminger war jedenfalls schon damals – also unmittelbar nach dem Kennenlernen im Frühjahr 1998 – klar, welches Gefährlichkeitspotential Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe aufwiesen. Es war ihm aufgrund insbesondere des Sprengstofffundes in der Garage klar, dass man den dreien massive Gewalttaten zutrauen musste. Der Besitz von etwa 1,4 kg TNT-Sprengstoff-Gemisch spricht insoweit eine für jedermann verständliche Sprache – allzumal, wenn sich der Sprengstoff, wie der Angeklagte Eminger ja live und in Farbe erlebte, in der Hand politisch ideologischer Extremisten befindet, die in der Lage sind, überhaupt Sprengstoff in dieser Menge zu beschaffen, die bereits aus der Legalität heraus erhebliche politische Fanaltaten begangen hatten, die zudem, wie der Angeklagte Eminger wusste, nicht nur willens waren, für die Verwirklichung ihrer hochradikalen politischen Ziele ihre bürgerliche Existenz aufs Spiel zu setzen, sondern die darüber hinaus auch noch über die lebenspraktischen und intellektuellen Fähigkeiten verfügten, ein Leben im Untergrund zu realisieren.
Dafür bedurfte es auch keines vertieften Studiums der europäischen Terrorismusgeschichte. Diese Umstände begründen für jeden Laien, der von ihnen weiß, ohne Weiteres die Erkenntnis, dass bei solchen Personen das naheliegende Risiko der Gründung einer terroristischen Vereinigung, der Begehung von Sprengstoffanschlägen und der erforderlichen Logistikstraftaten besteht.
Dies gilt insbesondere angesichts des Umstandes, dass dem Angeklagten Eminger spätestens mit der Anmietung der Wohnung Wolgograder Allee zur Kenntnis gelangt war, dass die drei Untergetauchten sich entschlossen hatten, wahrhaft und auf Dauer ihr Leben unter konspirativen Umständen fortzuführen. Die im Selbstleseverfahren eingeführten Urkunden zum Mietvertrag in der Wolgograder Allee – von der Bewerbungsphase bis zur Kündigung – waren sämtlich auf den Namen André Eminger ausgestellt. Ebensolches gilt für das in der Hauptverhandlung verlesene Kündigungsschreiben [vom 12.03.1999] unter dem Namen André Eminger. Und [zu berücksichtigen sind auch] die Angaben der Angeklagten Zschäpe vom 16.03.2016, dass es der Angeklagte Eminger war, der die Wohnung in der Wolgograder Allee 76 in Chemnitz für die drei angemietet hatte. Durch die von ihm vorgenommene bewusste Verschleierung der tatsächlichen Nutzung der Wohnung war er sich auch bewusst, dass er an der Legendierung der drei durch die Anmietung einer konspirativ genutzten Wohnung mitgewirkt hatte. Natürlich war ihm damit auch klar, dass Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe sich nunmehr aufgrund der Nutzung von Fremdpersonalien und durch absichtsvoll verschleierte Miet- und Wohnverhältnisse zu einem auf Dauer angelegten Leben im Untergrund entschlossen hatten.
Dem Angeklagten Eminger war spätestens zu diesem Zeitpunkt auch klargeworden, dass er mit der Wohnungsanmietung ein wesentliches logistisches Fundament für die Drei eingerichtet hatte, dass eine eigene Wohnstatt die Voraussetzung der Gründung einer auf Dauer angelegten terroristischen Vereinigung war, und damit auch nach seinem Vorstellungsbild ein weiteres gefahrerhöhendes Moment bildete.
Die Erkenntnis der Brisanz seiner eigenen Verstrickung und damit der Brisanz der Personenkonstellation Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe wird nicht zuletzt dadurch offenbar, dass der Angeklagte Eminger seine Beteiligung an der Wohnungsbeschaffung nicht nur vor anderen, sondern auch vor seiner Frau Mutter zu verbergen versuchte. Der Angeklagte Eminger bat den ihm aus der Weißen Bruderschaft Erzgebirge bekannten Zeugen Schenke, für ihn als Empfangsbote für die Wohnung Wolgograder Allee zu fungieren. Nach den Bekundungen des Zeugen Schenke wollte er durch seine Einschaltung verhindern, dass seine Mutter, mit der er damals noch in Johanngeorgenstadt wohnte, von der konspirativen Unterbringung Dritter in einer von ihrem Sohn ersichtlich heimlich angemieteten Wohnung erfuhr.
Die Bundesanwaltschaft ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme überzeugt, dass der Angeklagte Eminger nicht nur die Umstände kannte, aus denen abzuleiten war, dass Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe eine terroristische Vereinigung gebildet hatten und zumindest rechtsextremistisch motivierte Sprengstoffanschläge und Banküberfälle begehen wollten, sondern dass er darüber hinaus positiv davon wusste, dass sich die drei zu derartigen Zwecken auf Dauer verbunden hatten. Das unterscheidet ihn von den Angeklagten Wohlleben, Schultze und Gerlach. Zwar stehen auch diese Angeklagten, insbesondere der Angeklagte Wohlleben, an der Grenze zwischen direktem und bedingtem Vorsatz – aber nur beim Angeklagten Eminger sind wir davon überzeugt, dass ihm klipp und klar von den drei NSU-Mitgliedern mitgeteilt worden war, was die drei bezweckten und wie sie diese Zwecke umsetzen wollen. Nur hier können wir den Wissenstransfer belegen.
Wir gehen davon aus, dass dem Angeklagten Eminger klar kommuniziert worden ist: Wir sind entschlossen, Ausländer, insbesondere Menschen türkischer Abstammung, zu ermorden, und wir wollen diese Taten und unseren Lebensunterhalt durch Banküberfälle finanzieren. Die drei hatten mit dem Angeklagten Eminger den Modus Operandi besprochen und auch besprochen, wie man mit einem Scheitern umzugehen gedenke. Das heißt aber nicht, dass nachzuweisen wären, dass der Angeklagte Eminger in konkrete Tatplanungen involviert worden wäre oder man ihm jedes einzelne Delikt im Vornherein avisiert hätte. Auch wenn man sehr deutlich die Frage stellten kann, ob vielleicht die vierte Paulchen Panther Figur im Video für Sie, Herr Eminger, steht.
Die Bundesanwaltschaft folgt also nicht der Aussage der Angeklagten Zschäpe, soweit diese am 16.03.2016 hat verlesen lassen, der Angeklagte Eminger habe erst nach seiner Zeugenaussage im Jahr 2007 davon erfahren, dass die drei Untergetauchten ihren Lebensunterhalt durch Banküberfälle finanziert hätte; er sei in die Begehung von Morden und Sprengstoffanschläge nicht eingeweiht gewesen. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft ist also die Einlassung der Angeklagten Zschäpe auch in Bezug darauf, wann was dem Angeklagten Eminger mitgeteilt wurde, nicht glaubhaft, weder in zeitlicher noch in inhaltlicher Hinsicht. Bemerkenswert ist allerdings, dass sich die Angeklagte Zschäpe immerhin überhaupt dazu [verhalten] hat, ein einweihendes Gespräch mit dem Angeklagte Eminger geführt zu haben. Damit offenbart sie, dass der Angeklagte Eminger höchstes Vertrauen genoss und vor allem, dass auch aus ihrer Sicht die Vorstellung, man habe den Angeklagten Eminger über 13 Jahre hinweg im gänzlich Unklaren gelassen, angesichts der Umstände abwegig ist, und zwar derart abwegig, dass ihr eine derartige Behauptung trotz ihres offensichtlichen Schutzinteresses zu Gunsten des Angeklagten Eminger ersichtlich als überhaupt nicht präsentabel, weil offensichtlich unglaubhaft erschien.
Ihr Interesse am Schutz des Angeklagten Eminger hat sie gleichwohl daran gehindert, umfassend und wahrhaftig über die Erkenntnislage des Angeklagten Eminger zu berichten. In der Sache nicht stimmig ist bereit die Behauptung der Angeklagten Zschäpe, der Angeklagte Eminger habe sich erst nach der Vernehmung vom 11.1.2007 erkundigt, aus welchem Grund die Drei eigentlich immer noch im Untergrund leben würden und nicht längst in die Legalität zurückgekehrt seien. Jetzt mal im Ernst: Man kann es nicht glauben und man ist daher bei strafprozessualer Würdigung auch nicht berechtigt zu glauben, dass der Angeklagte Eminger von 1998 bis 2007 über neun Jahre hinweg neben Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe hertrottet, sich regelmäßig mit ihnen trifft, sie mit anderen Namen anspricht als früher, deren Tarnlegenden kennt und spricht, sie aber andererseits bei der Aufrechterhaltung eines auskömmlichen Lebensstils wahrnimmt und deren teils kostspielige Geschenke annimmt, aber nie fragt, „wieso lebt Ihr im Untergrund und wovon lebt Ihr eigentlich den ganzen Tag?“, keine Ahnung hat, was die Drei den ganzen Tag, den ganzen Monat, all die ganzen Jahre so treiben, und auch nicht fragt, das alles neun Jahre lang kommentar- und fraglos hinnimmt, dann aber, nach neun Jahren, platzt es aus ihm heraus, „wieso lebt Ihr eigentlich noch im Untergrund? Und: Wovon lebt Ihr eigentlich?“ Nach neun Jahren einer engen freundschaftlichen Beziehung platzt es aus ihm heraus; das kann und muss man nicht glauben.
[Leises Lachen im Saal]
Allein schon die atmosphärische Dürre der Einlassung spricht Bände, aber selbst wenn man einmal unterstellte, der Angeklagte Eminger habe sich das Treiben neun Jahre lang fraglos angesehen, dann aber hätte es bei lebensnaher Betrachtung nahe gelegen, dass er sich spätestens im Vorfeld der Vernehmung informiert, aus welchem Grund eine Täuschung über die Angeklagte Zschäpe und über die tatsächlichen Wohn- und Lebensverhältnisse eigentlich noch erforderlich sein sollte. Für den Angeklagten Eminger und auch seine Frau war die Täuschung der Polizei bei der Wasserschadensvernehmung nicht ohne Risiko. Dieses Risiko geht niemand ohne nachvollziehbaren Grund ein.
Also unterstellt, ein höchst naiver Angeklagte Eminger hätte tatsächlich nicht gewusst, warum die drei noch im Januar 2007 im Untergrund sind, dann hätte er sich jedenfalls nicht nach, sondern vor der polizeilichen Vernehmung nach den Gründen erkundigt, die das ihm abverlangte Tarnen, Tricksen und Täuschen eigentlich noch erforderlich machen. Dies gilt umso mehr angesichts des Umstandes, dass sich die Angeklagte Zschäpe bereits am 9.1.2007 gegenüber KHK Rautenberg ganz selbstverständlich als Susan Eminger ausgegeben hatte. Dieses Verhalten legt doch aber nahe, dass sie sich bereits vorher gegenüber dem Angeklagten Eminger über die Verwendung des Namens seiner Ehefrau verständigt hatte. Spätestens bei dieser Gelegenheit wäre eine Nachfrage des Angeklagten Eminger zum Sinn zu erwarten gewesen. Insofern ist die Einlassung der Angeklagten Zschäpe, der Angeklagte Eminger habe sich erst nach der Vernehmung erkundigt, von dem Interesse geleitet, eine Bestrafung des Angeklagten Eminger für ein Verhalten am 11.01.2007 und für den Zeitraum davor zu vermeiden.
Die Lebensumstände der Angeklagten Zschäpe und der verstorbenen Böhnhardt und Mundlos einerseits und die enge Bindung zum Angeklagten Eminger andererseits führen stattdessen zu einer gänzlich anderen Bewertung, nämlich der, dass der Angeklagte Eminger frühzeitig vor der ersten von ihm vollzogenen Wohnmobilanmietung davon unterrichtet worden war, dass die Angeklagte Zschäpe und Böhnhardt und Mundlos sich in der Absicht verbunden hatten, dauerhaft nicht nur ihren Lebensunterhalt durch Raubüberfälle zu begehen, sondern insbesondere auch ideologisch motivierte, auf einer nationalsozialistischen Gesinnung beruhende Taten auch in Form von Sprengstoffanschlägen zu begehen. Dabei ist dem Angeklagten Eminger, ich sagte es schon, nicht nachzuweisen, dass er vor der jeder Wohnmobilanmietung im Einzelnen über die aktuell ins Auge gefasste Tat informiert worden ist und diese durch die Anmietung fördern wollte. Wohl aber rechnet er damit, dass durch die Anmietung der drei Wohnmobile entweder ein Sprengstoffanschlag oder ein Banküberfall begangen werden sollte.
Die Überzeugung, dass der Angeklagte Eminger über die prinzipiell in Aussicht genommenen Straftaten in Kenntnis gewesen ist, ergibt sich aus folgenden Umständen: Ein deutliches Indiz für die Kenntnis des Angeklagten Eminger ist das einzigartige Näheverhältnis, dass sich in der Folge des Jahres 1998 zwischen ihm und später auch seiner Ehefrau zu Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe entwickelt hat und das von Seiten des Angeklagten Eminger bis zur Auflösung der Vereinigung über einen Zeitraum von mehr als 13 Jahren Bestand hatte. Selbst nach der von Selbst- und Fremdentlastungstendenz getragenen Einlassung der Angeklagten Zschäpe, der nur gefolgt werden kann, soweit sie durch andere Beweismittel bestätigt wird, entwickelte sich zwischen dem Angeklagten Eminger, ihr selbst sowie Böhnhardt und Mundlos ein enges Vertrauensverhältnis. Nachdem der Angeklagte Eminger ihnen die Wohnung in der Wolgograder Alle verschafft habe, so die Aussage der Angeklagten Zschäpe, habe der Kontakt abgenommen; nach der Geburt seines ersten Kindes, also im Sommer 2002, sei der Kontakt nur noch sporadisch gewesen. Ab dem Jahr 2006 habe sich das Verhältnis aber wieder intensiviert. Sie – die Angeklagte Zschäpe – habe mit Susan Eminger Freundschaft geschlossen und man habe sich etwa einmal wöchentlich getroffen.
Diese Erklärung der Angeklagten Zschäpe mag nicht grundsätzlich falsch sein, aber sie lässt das Wesentliche außer Acht. Gerade auch in der Frühzeit bis ins Jahr 2003 war die Einbindung des Angeklagten Eminger in die operative Gestaltung intensiver, als von der Angeklagten Zschäpe dargelegt. Sie erwähnte weder die Legendierungsdiskussion mit dem Angeklagten Eminger noch die Anmietung der Wohnmobile. Es besteht kein Zweifel daran, dass die gute und vor allem vertrauensvolle Freundschaft zum Angeklagten Eminger – mag auch die Treffhäufigkeit in bestimmten Jahren geringer gewesen sein als in den letzten Jahren – durchgehend bestand. Dies folgt schon daraus, dass die Angeklagte Zschäpe selbst angegeben hat, man habe dem Angeklagten Eminger nach der Wasserschadenvernehmung nur wegen des unbedingten Vertrauens in seine Integrität einweihen können. Das Vertrauen habe sich auf der Grundlage der in den vergangenen Jahren erbrachten Hilfeleistungen gebildet, wobei die Angeklagte Zschäpe von der Wohnungsanmietung im Jahr 1999 über die Unterstützung beim Ankauf von Lebensmitteln bis hin zur Vernehmung im Januar 2007 einen Bogen des ununterbrochenen Kontakts schlug. Auch hatte der Angeklagte Eminger der Einlassung der Angeklagten Zschäpe zufolge Böhnhardt und Mundlos gelegentlich seine Krankenkassenkarte für eine missbräuchliche Verwendung bei Arztbesuchen zur Verfügung gestellt, was nicht zuletzt durch die soeben verlesene Rechnung, die in der Frühlingsstraße gefunden wurde und von den dreien bezahlt wurde, zum Ausdruck kommt.
Nicht unerwähnt bleiben kann, dass die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos sich gegenüber der Familie Eminger auch finanziell erkenntlich gezeigt haben, was wiederum Ausdruck für die ganz besondere enge Beziehung ist. Es entspricht nicht den gesellschaftlichen Regeln eines freundschaftlichen Verhältnisses, dass etwa – hierzu hat die Zeugin Queda bekundet – die Angeklagte Zschäpe alias Lisa Pohl die vierköpfige Familie Eminger zu einem viertägigen Ausflug ins Disneyland Paris einlud. Der Angeklagte Eminger duldete es zudem über Jahre hinweg, dass Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe auf den Namen seiner Ehefrau Campingplatzaufenthalte auf dem Campingplatz Wülfener Hals auf Fehmarn gebucht haben. Davon wusste er natürlich auch, denn er selbst war es, der am 21.11.2011 umständehalber den für den Sommer 2012 gebuchten Wohnwagenstandplatz storniert hat, wie sich insgesamt aus der Zeugensauge der mit den Ermittlungen dazu beauftragten Zeugin Alpert ergeben hat.
Der jahrelange Kontakt folgt auch aus der Angaben des Zeugen Burkhardt, deren Inhalt durch den Vernehmungsbeamten Vitt in Hauptverhandlung eingeführt worden sind. Danach haben Böhnhardt und Mundlos bei einem Treffen in Dresden in den Jahren 2009 oder 2010 erklärt, dass sie dem Angeklagten Eminger für seinen Beistand sehr dankbar seien, was in diesem Zusammenhang schon eine erhebliche auch emotionale Verbindung zum Ausdruck bringt. Diesen Bekundungen des Zeugen Vitt zufolge verfügte der Angeklagte Eminger auch über Informationen zu Burkhardt, was ebenfalls für einen späteren, gemeinsamen, engen und vertrauensvollen Austausch zwischen dem Angeklagte Eminger und den Dreien spricht, denn Burkhardt war schließlich der Legendengeber von Uwe Mundlos.
Uwe Mundlos berichtete dem gesondert Verfolgten auch über die „Die Jew Die“-Bauchtätowierung des Angeklagten Eminger. Mundlos kannte also diese Tätowierung. Dies wiederum belegt, dass der Angeklagte Eminger dieses antisemitische Bekenntnis bewusst zur Darlegung seines ideologischen Bekenntnisses gezeigt hat oder aber Mundlos mit dem Angeklagten Eminger gemeinsamen Freizeitaktivitäten nachgegangen ist, bei denen der Oberkörper entkleidet wird. In beiden Fällen belegt dieser Umstand nicht nur einen engen, sondern auch einen politisch unbefangenen, um nicht zu sagen, einen politisch-ideologisch hemmungslosen Umgang miteinander.
Ein ganz wesentliches weiteres Indiz für die intensive persönliche Beziehung stellt die durch die Einvernahme der Zeugin Haubold eingeführte Weitergabe von Daten von einer der beiden beim Angeklagten Eminger sichergestellten Festplatten auf die in der Frühlingsstraße aufgefundene externe Festplatte von Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe dar. Der Datentransfer enthielt neben politischen Inhalten, etwa der Einladung zu Veranstaltungen, insbesondere auch private Fotos der Familie Eminger, etwa solche seiner schwangeren Ehefrau und solche eines Säuglings. Die jeweiligen Bezeichnungen der Verzeichnisse der Bilder auf den Festplatten des Angeklagten Eminger und des Verzeichnisses “Bilder X” auf der Festplatte aus der Frühlingsstraße sind inhaltlich und von den Strukturen her nahezu identisch. Dies belegt, dass der Angeklagte Eminger, aus welchen Gründen auch immer, den Dreien vollständigen Zugriff auf den entsprechenden Datenträger gewährt hat, was wiederum nur mit einer sehr engen persönlichen Beziehung zu erklären ist.
Das enge, nachgerade ein Art Wahlverwandtschaft darstellende Verhältnis wird auch dadurch deutlich, dass die Angeklagte Zschäpe die Kinder des Angeklagten Eminger als Ersatz empfunden und behandelt hat, weil sie selbst keine Kinder bekommen konnte.
Im Hinblick auf die kommunikative offene Beziehung zwischen dem Angeklagten Eminger und Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe doppelt aussagekräftig ist die Aussage des Zeugen Sch., der der Familie Eminger Ende des Jahres 2010 die Wohnung in der Adam-Ries-Straße in Zwickau vermittelt hatte. Zum einen war bei der Wohnungsbesichtigung im Herbst zuvor die Angeklagte Zschäpe als Freundin der Familie zugegen; zum anderen waren am Einzugstag der Beschreibung des Zeugen und seiner Identifizierung zufolge entweder Uwe Mundlos – vom Zeugen stets „Endlos“ genannt – oder Uwe Böhnhardt in der Wohnung zugegen. Einer dieser beiden – bei der exakten Beschreibung zeigte der Zeuge mit Fug und Recht Unsicherheiten –, einer der beiden hielt sich ständig in unmittelbarer Nähe des Zeugen Sch. auf. Der Zeuge, der am Umzugstag die Steckdosen auswechselte, fühlte sich derart intensiv kontrolliert und beobachtet, dass er den Gedanken hatte, sein Beobachter habe verhindern wollen, dass von ihm Überwachungstechnik in die Steckdosen verbaut wird. Und in der Tat, das vom Zeugen beschriebene Verhalten von Böhnhardt oder Mundlos ist abseits dessen nicht erklärlich und die höchstvorsorgliche Kontrolle des Vermieters beim Einbau der Steckdosen entspricht der Sicherheitsvorsorge des NSU, die er bei Absicherung der eigenen Terrorzentrale in der Frühlingsstraße betrieben hat. Dort konnte – wie die Kollegin Greger schon ausgeführt hat – niemand die Wohnung unbeobachtet betreten. Durch die mannigfaltigen Kameras wollte man sich nicht nur vor Zugriffen schützen; die Innenkamera hatte man ersichtlich gegen verdeckte Durchsuchung eingebaut, die nach deutschem Recht gar nicht zulässig sind. Insofern ergibt es ohne weiteres Sinn, dass Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe aus Gründen ihrer eigenen äußersten Vorsorge auch den verdeckten Einbau akustischer Überwachung in der Wohnung Eminger verhindern wollten. Dies wiederum ergibt aber nur einen Sinn, wenn Gespräche in der Wohnung Eminger potentiell den NSU enttarnende Inhalte haben konnten, und diese Sorge wiederum setzt zwingend voraus, dass der Angeklagte Eminger in die Geheimnisse des NSU eingeweiht war.
Ebenso belegen die Ergebnisse vom 25.10.2011 die enge Anbindung der Familie Eminger an Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe – unbeschadet der Vorsatzfrage bei Susan Eminger –, deren Einbindung in die operative Unterstützung der drei. Ausweislich der von den Zeugen Jasenzisch, Hoffmann und Koch durchgeführten Ermittlungen versandte die gesondert Verfolgte Ehefrau des Angeklagten Eminger, Susan Eminger, am 25.10.2011 gegen 11:26 Uhr aus einer Funkzelle zwischen Zwickau und Schreiersgrün eine SMS an ihren Ehemann. Diese SMS hatten folgenden Inhalt: Sie, Susann, fahre soeben Liesl und Gerry – also die Angeklagte Zschäpe und Uwe Böhnhardt – wohin und könne daher während der Fahrt keine SMS schreiben. Der Inhalt der SMS, der Zeitpunkt der Absendung sowie die Lokalisation des Mobiltelefons belegen, dass Susan Eminger die Angeklagte Zschäpe und Uwe Böhnhardt an diesem Tag zur Wohnmobilvermietung Knust in Schreiersgrün gefahren hat. Dort übernahmen die beiden tatsächlich am selben Tag das bereits am 14.10.2011 vertraglich für den Banküberfall am 4.11.2011 in Eisenach gemietete Wohnmobil mit dem amtlichen Kennzeichen V – MK 1121.
In eben diesem Wohnmobil wurde ein Parkschein sichergestellt, der nach den Bekundungen des Zeugen Koch, der die entsprechenden Ermittlungen durchgeführt hat, in Leipzig am Parkautomaten Liebigstraße am 25.11.2011 gelöst worden war. Eine Inaugenscheinnahme dieses Parkscheinautomaten durch den Zeugen Koch, des seitens der Stadt Leipzig seit 2011 örtlich unveränderte Parkscheinautomat mit der Nr. 320, ergab, dass dieser Automat sich unmittelbar am Gelände der Uniklinik Leipzig befindet. Angesichts des Umstandes, dass sich der Angeklagte Eminger wegen eines Arbeitsunfalls vom 17.10. bis 27.10.2011 stationär in diesem Uniklinikum aufgehalten hat, ist sicher davon auszugehen, dass Uwe Böhnhardt als Fahrzeugführer des NSU mit diesem Wohnmobil dem Angeklagten Eminger einen Krankenbesuch abgestattet hat. Dabei waren neben der Angeklagten Zschäpe auch Susan Eminger und eines ihrer Kinder, wie sich aus der Einlassung der Angeklagten Zschäpe ergibt und was zwanglos das im Wohnmobil am 04.11.2011 gefundene Kinderspielzeug erklärt. Bemerkenswert ist schließlich in dem Zusammenhang, dass auch die Ehefrau des Angeklagten Eminger in ihrer SMS vom Vormittag des 25.10.2011 die Regeln der Konspiration einhält: Weil eine Telekommunikationsüberwachung nie ausgeschlossen werden kann, hat auch sie die Klarnamen der Angeklagten Zschäpe und von Uwe Böhnhardt nicht genannt; vielmehr spricht sie von Liesl und Gerry. Und das Ziel der Fahrt – der Wohnmobilvermieter K. aus Schreiersgrün – wird bewusst nicht genannt, sondern stattdessen durch das nichtsagende, vage “wohin“ ersetzt.
Aber die Singularität der Beziehung zwischen dem Angeklagte Eminger und seiner Ehefrau zu Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe ergibt sich nicht nur aus der Dauer, Treffhäufigkeit, aus teuren Geschenken, Krankenbesuchen und Krankenkassenkartenüberlassungen, sondern vor allem aus dem qualitativen Näheverhältnis der Beteiligten. Dieses qualifizierte Näheverhältnis wird insbesondere belegt durch die Abläufe des 4.11.2011, des letzten Tages des NSU. Auffällig ist auch hier die lückenhaften Schutzangaben der Angeklagten Zschäpe. Sie behauptet, sie habe erst nach der Inbrandsetzung des Hauses den Angeklagten Eminger angerufen und ihn um ein Treffen gebeten. Als Treffpunkt habe man eine von ihr aus in 10-15 Minuten fußläufig erreichbare Straßenkreuzung vereinbart. Erst dort, so versuchte die Angeklagte Zschäpe glauben zu machen, habe sie dem Angeklagten Eminger erzählt, dass sie die Wohnung angezündet habe, wegen der Benzingeruchs neue Kleidung benötige, und erst auf Rückfrage habe sie erläutert, dass die beiden Uwes tot seien und und sie mit der Brandlegung deren letzten Willen erfüllt habe. Sodann sei man in die Wohnung der Eheleute Eminger gefahren, wo ihr der Angeklagte Eminger in Abwesenheit seiner Ehefrau Kleidung der Ehefrau überlassen habe. Selbst nach dieser Einlassung, der allerdings in entscheidenden Punkten nicht gefolgt werden kann, sind diese Abläufe ein Beleg für das enge Vertrauensverhältnis und für die enge Anbindung des Angeklagten Eminger an den NSU.
Hierzu kommt, dass diese Sachverhaltsschilderung unvollständig und unglaubhaft ist, und sie zeichnet ein nur fragmentarisches Bild der Beziehung zwischen dem Angeklagten Eminger und der Angeklagten Zschäpe. Sie soll allein und erneut dem Schutz des schweigenden Angeklagten Eminger dienen, dem sich die Angeklagte Zschäpe ersichtlich immer noch verpflichtet führt. Es ist bereits gänzlich unplausibel, dass der Angeklagte Eminger erst bei dem Treffen im Auto, erst nach dem Telefonat erfahren hat, worum es der Angeklagten Zschäpe bei ihrem Wunsch nach einem Treffen eigentlich ging. Diese würde voraussetzen, dass der Angeklagte Eminger bei dem vorhergehenden Telefonat, bei dem die Angeklagte Zschäpe ihn nach der Explosion der Wohnung zu einem Treffen einbestellte, bereit gewesen wäre, ohne Nachfrage vorbehaltlos gleichsam stante pede, die Angeklagte Zschäpe abzuholen. Der Angeklagte Eminger war aber ja nun nicht der Dienstbote der Angeklagten Zschäpe.
[Betonung und Pause nach dem Satz für Lachen – tatsächlich leises Lachen im Saal],
Es ist auch unter Freunden nicht üblich, dass der Angeklagte Eminger auf die lapidare Aufforderung „André, fahr schon mal den Wagen vor“ alles stehen und liegen lässt, ohne dass ihm die Dringlichkeit der Lage klar sein konnte. Insofern ist es sicher nicht so gewesen, dass der Angeklagte Eminger erst später mit den einschneidenden Ereignissen des Tages konfrontiert worden ist. Vielmehr steht nach der Beweisaufnahme fest, dass der Angeklagte Eminger als enger Freund und eingeweihte Vertrauensperson bei der Entgegennahme des Telefonats am Nachmittag des 4.11.2011 zweierlei bereits wusste: Erstens, dass Böhnhardt und Mundlos für diesen Tag einen Banküberfall geplant hatten, und zweitens, was im Falle eines gescheiterten Raubüberfalls folgen würde, nämlich deren Selbsttötung und die Sprengung der Terrorzentrale Frühlingsstraße 26.
Beides ergibt sich schon aus der Kürze des von der Angeklagten Zschäpe erwähnten einzelnen Telefonats. Nach den Angaben des Zeugen Scholand bestand zwischen dem von der Angeklagten Zschäpe genutzten Mobiltelefon mit der Nummer 0162-7000587 und dem vom Angeklagten Eminger genutzten Mobiltelefon am 4.11.2011 zwischen 15:19 Uhr und 15:34 Uhr insgesamt vier vom Telefon der Angeklagten Zschäpe ausgehende Telefonverbindungen – wobei angesichts der jeweiligen Verbindungsdauer von 43 Sekunden um 15:19 Uhr, 28 Sekunden um 15:24 Uhr, 1 Minute und 27 Sekunden um 15:27 Uhr und noch einmal 38 Sekunden um 15:34 Uhr davon ausgehen ist, dass es sich bei den drei Telefonaten mit weniger als einer Minute Länge nur um Anrufversuche gehandelt hat. Nach Lage der Dinge handelte es sich bei der Verbindung mit der Dauer von 1 Minute 27 Sekunden um das Telefonat, bei dem der Angeklagte Eminger aufgefordert worden ist, die Angeklagte Zschäpe bei dem bei dieser Gelegenheit erst vereinbarten Treffpunkt abzuholen. Die Bereitschaft des Angeklagten Eminger, die Angeklagte Zschäpe unverzüglich mit seinem PKW abzuholen, ist angesichts der Kürze des Telefonats, wo nur Zeit war, Treffpunkt und Treffzeit zu vereinbaren und vielleicht noch stichwortartig den Anlass zu umschreiben, nur damit zu erklären, dass der Angeklagte Eminger die Situation der Angeklagten Zschäpe auch ohne nähere Erklärungen sofort einzuordnen wusste. In der Kürze des Telefonats hat die Angeklagte Zschäpe zusätzlich zum Treffort und Treffzeit dem Angeklagten Eminger höchstens noch zum Hintergrund inhaltlich nur ein kurzes, vielleicht kodiertes, jedenfalls aber unmissverständliches Signal dazu geben können, was eigentlich passiert ist. Dies aber setzt denknotwendig voraus, dass der Angeklagte Eminger von vornherein im Bilde war, unter welchen Voraussetzungen die Angeklagte Zschäpe die Inbrandsetzung ihrer Wohnung vornehmen würde, nämlich für den Fall des Scheiterns eines Raubüberfalls mit anschließender Selbsttötung von Böhnhardt und Mundlos.
Dass der Angeklagte Eminger entgegen der Einlassung der Angeklagten Zschäpe gleich wusste, was passiert war, ergibt sich aber nicht nur aus dieser Plausibilitäts-Überlegung. Und das „Nicht nur“ würde ich anregen, nach der Pause zu machen.
[Unterbrechung 11:54 bis 13:00 Uhr. Weiter 13:05 Uhr]
OStA Weingarten:
Sehr geehrter Herr Vorsitzender, hoher Senat, sehr geehrte Verfahrensbeteiligte,
vor der Pause hatte ich dargelegt, dass aus Sicht der Bundesanwaltschaft die Schilderung der Angeklagten Zschäpe angesichts der erweislichen Mobilverbindungsdaten nicht plausibel ist. Die umfassende Information ergibt sich allerdings nicht nur aus diesen Plausibilitätserwägungen. Der Angeklagte Eminger setzte – wie aus der Bekundung des Zeugen H. folgt – unmittelbar nach dem Telefonat mit der Angeklagten Zschäpe nämlich um 15:30 Uhr seinerseits eine SMS an seine Ehefrau Susan ab. Der Inhalt dieser SMS ist nicht bekannt, denn ausgerechnet dieser Inhalt wurde sowohl auf dem Mobiltelefon des Angeklagten Eminger als auch bei Susan Eminger gelöscht. Das ist aber unschädlich, denn es ist eindeutig, dass der Inhalt aus Sicht des Angeklagten Eminger geeignet war, ihn zu belasten und über den Grad der Einweihung des Angeklagten Eminger in die Pläne und Absichten des NSU einen Beweis zu geben. Ansonsten hätten nicht beide Kommunikationspartner ziemlich exklusiv dieses SMS gelöscht, während andere tatsächlich oder vermeintlich unverfängliche SMS-Inhalte noch vorhanden sind, wie sich etwa aus den Bekundungen des Zeugen Hoffmann ergibt.
Die Bundesanwaltschaft geht daher sicher davon aus, dass der Angeklagte Eminger in aller Eile – denn er musste die Angeklagte Zschäpe ja sofort abholen – seine Frau mit einem kurzen Signalbegriff von den Ereignissen unterrichtete. Die routinierte Professionalität, mit der die Angeklagte Zschäpe und der Angeklagte Eminger nach der Brandlegung vorgegangen sind, und die Kürze der vorhergehenden Kommunikation kann angesichts der Bedeutung der Selbsttötung Böhnhardts und Mundlos für die Angeklagte Zschäpe und auch des Angeklagten Eminger nur damit in Einklang gebracht werden, dass er in vollem Umfang von dem Raubüberfall und von den Konsequenzen wusste, die für den Fall des Scheiterns zwischen den beiden Männern und der Angeklagten Zschäpe vereinbart worden waren.
Diese Überzeugung, dass der Angeklagte Eminger am 4.11.2011 eingeweiht war und wusste, dass Böhnhardt und Mundlos an diesem Tag einen Banküberfall in Eisenach beabsichtigten, fügt sich auch ohne weiteres in die weiteren Mobilfunkverbindungsdaten des Angeklagten Eminger vom 4.11.2011 ein; über die Ermittlungen hierzu berichtete der Zeuge Schneider. Nach dessen Feststellungen war der Angeklagte Eminger schon am Morgen des 4.11.2011 von 9:41 Uhr bis 10:37 Uhr mit seinem Mobiltelefon mit der Nummer 0172-9862752 in zwei Funkzellen eingeloggt, die jeweils die Frühlingsstraße 26 funktechnisch versorgt haben. In diesem Zeitraum bestand durchgehend in einer der beiden Funkzellen eine funktechnische aktive Verbindung zwischen dem Telefon des Angeklagten Eminger und dem Internet. Obschon die Inhalte der Internetverbindung nicht mehr feststellbar waren, spricht alles dafür, dass der Angeklagte Eminger sich bereits in diesem Zeitraum bei der Angeklagten Zschäpe aufgehalten und dort gemeinsam mit ihr im Internet nach dem Verbleib von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos geforscht hat. Beide haben also insbesondere nach polizeilichen Meldungen nach dem Raubüberfall in Eisenach gesucht, um dessen Erfolg oder Scheitern zu eruieren.
Dies ergibt sich daraus, dass die beiden Funkzellen, von denen aus der Angeklagte Eminger im Internet war, zwischen 5 und 5,5 km von seinem damaligen Wohnort entfernt waren und andere Gründe für einen knapp einstündigen Aufenthalt in unmittelbarer Nähe der Frühlingsstraße nicht ersichtlich sind. Dies gilt insbesondere, weil sich der Angeklagte Eminger stabil, also stationär vor Ort aufgehalten hat und dieses ausweislich der Kommunikationsverbindungsdaten ausschließlich zum Zwecke der Aufrechterhaltung einer Internetverbindung getan hat. Der Angeklagte Eminger nutzte im Zeitraum von 9:41 Uhr bis 10:37 Uhr nämlich durchgängig insgesamt zehn Internetverbindungen mit Verbindungszeiträumen zwischen 74 und 1420 Sekunden. In diesem Zeitraum hat er das Mobiltelefon – nachdem er zuvor um 9:39 Uhr noch eine SMS an seine Ehefrau gesandt hatte – ausschließlich für Internetrecherchen genutzt, nicht aber für andere Telekommunikationsverbindungen. Nun ist aber überhaupt kein sinnvoller Grund zu erkennen, warum der Angeklagte Eminger sich ausgerechnet am 4.11.2011 einfach so in die die Frühlingsstraße 26 versorgenden, sage und schreibe 5 km von seiner Wohnung entfernten Funkzellen begeben haben sollte, nur um einfach mal so im Internet zu recherchieren. Einfach mal so hätte er nämlich ebenso gut auch zu Hause dasselbe erledigen können. Es liegt damit auf der Hand, dass er eigens und gerade zu dem Zwecke einer ganz besonderen Internetrecherche in die Frühlingsstraße gereist ist. Daraus aber folgt die sichere Überzeugung, dass er sich gemeinsam mit der Angeklagten Zschäpe in der Wohnung aufhielt und mit seinem Internet zu besonderen Vorkommnissen in Eisenach forschte. All das wiederum belegt, dass er ganz dicht dran war am NSU und dem, was der tat. Es setzt nämlich denknotwendig voraus, dass er jedenfalls in die Begehung dieses Raubüberfalls von vornherein eingeweiht war.
Demnach stellen sich die Ereignisse des 04.11.2011 aus Sicht des Angeklagten Eminger nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft so dar: Entsprechend der von der Kollegin Greger vorgenommenen Beweiswürdigung war die Angeklagte Zschäpe am Morgen des 4.11.2011 noch nicht voller Sorge über das Ausbleiben von Mundlos und Böhnhardt, sondern sie wusste ganz genau, dass gerade an diesem Vormittag der Überfall auf die Sparkassenfiliale in Eisenach verübt werden sollte. Der Angeklagte Eminger traf sich mit der Angeklagten Zschäpe in deren Wohnung, um über Internetrecherchen zu eruieren, ob der von Böhnhardt und Mundlos durchzuführende Banküberfall erfolgreich durchgeführt worden ist oder über Anhaltspunkte für Probleme, wie etwa Geiselnahmen, Festnahmen oder ähnliches berichtet wird. Es ist auch nachvollziehbar, aus welchem Grunde diese potentiell verfängliche Recherche über das Mobiltelefon des Angeklagten Eminger durchgeführt werden musste, denn bei seinem Handy handelte es sich um ein unverdächtiges Telefon, das bei Rechercheabfragen zu Banküberfällen aus Sicht der Angeklagten Zschäpe unverfänglicher genutzt werden konnte als die stationäre Internetverbindung, die ihr zur Verfügung stand.
Nachdem bis 10:41 Uhr keine Meldungen über Geiselnahme, Festnahme, Schusswechsel oder ähnliches in Eisenach festgestellt werden konnten, gingen dann offenbar beide Angeklagte davon aus, dass der Überfall von Böhnhardt und Mundlos erfolgreich abgeschlossen werden konnte, und der Angeklagte Eminger fuhr wieder nach Hause. Der Angeklagte Eminger erfuhr dann von der Angeklagten Zschäpe also erst durch das Telefonat um 15:27 Uhr, dass sich Böhnhardt und Mundlos umgebracht hatten, nachdem sie in ihrem Versteck von der Polizei entdeckt worden war, und er erfuhr, dass die Angeklagte Zschäpe – wie mit Böhnhardt und Mundlos vereinbart – die gemeinsame und als Zentralquartier des NSU genutzte Wohnung in der Frühlingsstraße in Brand gesetzt hatte. Hierzu bedurfte es, wie aufgezeigt, nicht mehr vieler Worte, da der Angeklagte Eminger von dem für diesen Tag beabsichtigten Raubüberfall wusste und offensichtlich über die Konsequenzen eines Scheiterns und die Exitstrategie des NSU informiert war.
Die hingegen von der Angeklagten Zschäpe nahegelegte Deutung, der zu Folge der auf telefonische und nicht näher erklärte Einbestellung am Treffpunkt erschienene und völlig arglose Angeklagte Eminger von den erst im Fluchtauto geschilderten Konsequenzen des [missglückten Raubüberfalls] durch die Angeklagte Zschäpe völlig überrumpelt worden ist, der sich aber am Morgen rein zufällig ausgerechnet in der Funkzelle der Frühlingsstraße für eine Stunde aufgehalten hatte, kann demgegenüber nur als absurd bezeichnet werden. Nein, daran besteht kein Zweifel, so wie die Angeklagte Zschäpe es nahelegen will, ist es nicht gelaufen. Die Ereignisse des 4.11. zeigen in aller Deutlichkeit, wie nahe der Angeklagte Eminger wirklich dran war am NSU, dass er nicht ein weitgehend undoloser Kumpel war, dem man irgendwann augenzwinkernd zugeraunt hat, dass man von Raubüberfällen lebt. Nein, der Angeklagte Eminger war der zuarbeitende Hilfswillige des NSU, er war in einer Vertrauensstellung, er war immer in Stellung, er war immer zur Stelle, wenn es etwas zu regeln oder organisieren gab, immer hilfreich, wenn ein legales Standbein von Nöten war, und das als helfende Hand von der ersten Stunde im Februar 1998 über den gesamten Zeitraum der Existenz des NSU hinweg bis zu seiner letzten Stunde am 4.11.2011.
Und in dieser Rolle, als legaler Arm des NSU, war er hervorragend informiert, was die Vereinigungsmitglieder dachten und und prinzipiell zu tun beabsichtigten. Genau dafür streitet auch das Nachtatverhalten des Angeklagten Eminger. So sprechen insbesondere die von ihm vorgenommenen Datenlöschungen für eine vollständige Kenntnis von den Taten des NSU. Der Angeklagte Eminger hat nach dem 04.11.2011 nicht nur die bereits angesprochene, offenbar verräterische SMS an seine Frau gelöscht, sondern eine ganze Reihe weitere Löschungen von Daten vorgenommen. Und zwar hat er genau solche Daten gelöscht, denen er selbst eine gewisse, kompromittierende Beweisbedeutung in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren beigemessen hat.
So löschte er nach Auskunft der Polizeizeugin Pflug am 17.11.2011 – als erkennbar wurde, dass die Ermittlungsbehörden ihm näherkommen – von den bei ihm sichergestellten Festplatten mit den Asservatennummern 22.1.3.3.5 und 22.1.3.3.6.1 insbesondere das Verzeichnis „Bilder“ mit dem Unterordner „Bilder-Mix“. Es handelte sich um die Daten, die sich in Kopie ebenfalls auf der in der Frühlingsstraße sichergestellten EDV 11 fanden und damit in besondere Weise geeignet waren, den Austausch höchstpersönlicher Daten mit Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe zu belegen. Unter den gelöschten Daten befand sich u.a. auch eine Bilddatei mit der das Paulchen Panther-Motiv des NSU aufgreifenden Aufschrift „Es ist nicht alle Tage, wir kommen wieder, keine Frage“. Aus welchem Grunde der Angeklagte diese Bilddatei – die im Übrigen nicht von „ich, Paulchen Panther, komme wieder“, sondern von „wir, der NSU, kommen wieder“ spricht – aus welchem Grunde der Angeklagte diese Bilddatei als löschenswert erachtet hat, bedarf eigentlich keinerlei Erläuterung. Denn nur derjenige, der dieses Paulchen Panther-Motiv als Leitmotiv des Videos kennt, hält es für verbergenswert und damit löschungspflichtig.
Ebenso begann der Angeklagte Eminger in den Nachtstunden des 16.11.2011 mit der verräterischen Löschung der sogenannten Turner-Tagebücher, die er elektronisch gespeichert hat. Allein der Umstand, dass ein bekennender Rechtsextremist wie der Angeklagte Eminger eine elektronische Kopie dieser Tagebücher besitzt, weist für sich genommen keine sonderliche Brisanz auf und weist für sich genommen auch keine strafprozessuale Aussagekraft auf. Insbesondere hätte auch für sich genommen für den Angeklagten Eminger überhaupt kein Anlass bestanden, die Turner-Tagebücher wie andere rechtsextremistisch konnotierte Daten durch Löschung dem erwarteten Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen. Angesichts der augenfälligen Tätowierungen des Angeklagten Eminger war ohnehin ein, sagen wir mal, fragloses Ermittlungsergebnis zu seinen Einstellungen zu erzielen, wie er selbst sicher prognostiziert hat. Eine hohe Brisanz ergibt sich deshalb allerdings dann, wenn die Turner-Tagebücher von einer Kontaktperson des NSU kurz nach der Enttarnung des NSU gelöscht werden und damit der vormalige Besitz dieses Machwerks eben gerade verborgen werden soll. Denn die vom Angeklagten Eminger veranlasste Löschung der Turner-Tagebücher von seinem Rechner belegt dreierlei:
1. Dem Angeklagten Eminger muss der Inhalt des Machwerks der Turner-Tagebücher bekannt gewesen sein, sonst hätte zur Löschung kein Anlass bestanden.
2. Der Angeklagte Eminger hatte die Parallelitäten des fiktiven Stoffes der Turner-Tagebücher zum realen NSU erkannt. Nur derjenige, der die frappierend signifikanten Übereinstimmungen zwischen der abscheulichen Fiktion der Turner-Tagebücher und der ebenso abscheulichen Realität des NSU kennt, kommt auf die Idee, dass der Besitz der Turner-Tagebücher kompromittierend und überführend sein könnte; und nur weil der Angeklagte Eminger diese Übereinstimmungen kannte, sah er auch die Notwendigkeit, die Turner-Tagebücher zu löschen. Und daraus folgt:
3. die Kenntnis von der Übereinstimmung der Turner-Tagebücher und der Strategie des NSU. Diese setzt wiederum denknotwendig voraus, dass der Angeklagte Eminger über die vereinigungsbezogenen Aktivitäten und Absichten des NSU mindestens im Grundsatz unterrichtet war. Aus Sicht des Angeklagten Eminger waren die Turner-Tagebücher viel mehr als bloß rassistische Erbauungsliteratur für Rechtsextremisten, die überall den vermeintlichen volkszersetzenden Einfluss der sogenannten zionistisch besetzten Regierung wähnten. Für den Kenner – aber nur für den Kenner – des NSU erschienen die Turner-Tagebücher schon im November 2011 als die Blaupause des NSU. Jedenfalls aber wusste der Angeklagte Eminger, dass man dieses Machwerk genauso verstehen kann.
Wir alle kennen den Inhalt der im Selbstleseverfahren eingeführten Turner-Tagebücher. Die dort beschriebenen ideologischen Fundamente und insbesondere die beschriebenen operativen taktischen Grundlagen des Vorgehens einer rassistisch motivierten und terroristisch aktiven Kleinstgruppe korrespondieren in geradezu erstaunlicher Weise mit dem Vorgehen des NSU. Die Turner-Tagebücher bilden ausgehend von der zum revolutionären Kampf führenden Phantasie eines von Juden und Ausländern beherrschten Systemkonglomerats, das mit Hilfe von Polizei, Justiz und Medien die weiße Rasse unterdrücken will, bis hin zu den Einzelheiten eine fiktionale Vorlage für Theorie und Praxis des sogenannten NSU. Von der konspirativen Anmietung von Wohnungen, der technischen Absicherung von Wohnungen und der Schallisolierung, über die planmäßige Verwendung von Fahrrädern bei Vorbereitung und Tatausübung der in den Tagebüchern brutal-naturalistisch geschilderten offen aggressiven tödlichen Überfällen auf nicht-weiße Kleingewerbetreibende und Polizisten als Handlanger des Systems und der Ausführung brutaler Morde gegen Politiker, über den Verzicht propagandistischer Tatbekennung – eine ganz besondere Spezialität des NSU, die sein Überleben lange sicherte – über den planmäßigen Selbstmord für Fall der drohenden Verhaftung bis hin zu der Zerstörung der als Basis dienenden Wohnung der Terroristen enthalten die Turner Tagebücher eine sehr lange Reihe verblüffender Übereinstimmungen zur Ideologie und Taten des NSU. Die Turner-Tagebücher enthalten mit Ausnahme der Ceska-Komponente sämtliche – sämtliche – prägnanten Wiedererkennungsmerkmale des NSU.
Wir wissen letztendlich nicht, ob die Turner-Tagebücher den NSU-Mitgliedern tatsächlich als Handlungsanweisung gedient haben. Darauf kommt es aber in diesem Zusammenhang auch überhaupt nicht an. Entscheidend ist, dass wegen der sonst nicht sinnvoll erklärlichen Löschung der Tagebücher von der Festplatte des Angeklagten Eminger gefolgert werden muss, dass jedenfalls der Angeklagte Eminger die Möglichkeit einer solchen Deutung gesehen hat, dass jedenfalls dem Angeklagten Eminger klar war, dass die Turner-Tagebücher als ideologischer Verstärker und operativer Ratgeber des NSU verstanden werden können und er sich als engste Kontaktperson von Böhnhardt und Mundlos und der Angeklagten Zschäpe nicht dem Verdacht aussetzen wollte, irgendetwas über diese Absichten und Vorgehensweise des NSU zu wissen. Deshalb die Löschung der Turner-Tagebücher.
Aber diese Löschung hat sich für den Angeklagten Eminger nicht ausgezahlt, denn gerade die Löschung belegt, dass er die Bedeutung der Turner-Tagebücher als Blaupause des NSU erkannt hat. Und damit belegt die Löschung der Turner-Tagebücher, dass der Angeklagte Eminger genau wusste, mit wem er über ein Jahrzehnt gut Freund war und wen er über ein Jahrzehnt gleichsam als legaler Arm unterstützt hat. Spricht dies schon alles für eine umfassende Kenntnis des Angeklagten Eminger über die Zwecke des NSU, macht es vor allem die exakte Kompatibilität des NSU-Motive einerseits und des Angeklagten Eminger andererseits neben allem auch mehr als plausibel, dass Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe den Angeklagten Eminger sehr frühzeitig nach Gründung der terroristischen Vereinigung über deren Zwecke und deren Vorgehensweise unterrichtet haben. Nachdem der Angeklagte Eminger seine grundsätzliche Bereitschaft zu schweigen sei Februar 1998 bewiesen hat, indem er ihren Aufenthaltsort nicht verraten hat, gab es für die Mitglieder des NSU angesichts der passgenauen ideologischen Übereinstimmungen keine Veranlassung, dem Angeklagten Eminger irgendetwas zu verheimlichen. Im Gegenteil, die ideologische Ausrichtung des Angeklagten Eminger gab gerade Anlass, sich seiner Unterstützung durch eine Offenlegung der terroristischen Aktivitäten frühzeitig zu versichern.
Der Angeklagte Eminger ist ein ausgewiesener Rechtsextremist mit explizit nationalsozialistischer Weltanschauung. Wie seine Tätowierungen, die wir durch Lichtbilder in Augenschein genommen haben, zeigen, verheimlichte auch der Angeklagte Eminger seine Weltanschauung nicht. Er musste sie gegenüber den ebenfalls in der Idee des Nationalsozialismus verwurzelten Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe auch nicht verheimlichen. Denn er teilte seine Überzeugungen mit ihnen. Bereits die gleichsam zum Lebensmotto erhobene Tätowierung „Die, Jew, Die“ – Gerichtssprache ist deutsch: „Stirb, Jude, Stirb“ – sowie die weiteren, Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen darstellenden Tätowierungen offenbaren die zutiefst antisemitische, zur Fortsetzung des Völkermordes aufrufende Kernprogrammatik des Angeklagten Eminger. Er befand sich damit ideologisch in völligem Gleichklang mit Mundlos und Böhnhardt, die in SA-Uniformen im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald auftraten, und er befand sich in völliger Übereinstimmung mit der Angeklagten Zschäpe, die an der Herstellung des ideologisch ebenfalls unmissverständlichen Pogromly-Spiels beteiligt war, mit dem Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe die paraindustrielle Vernichtung der europäischen Juden zur Zeit des Dritten Reichs zu verherrlichen suchten. Die Bauchtätowierung “Stirb, Jude, Stirb” ist ein hochrelevanter Gesichtspunkt: weil diese das eintätowierte Bekenntnis zum Völkermord an den europäischen Juden ist und weil sich dieses Bekenntnis als absolutes politische Extremum darstellt, offenbart allein der offenherzige Umgang des Angeklagten Eminger mit diesem Bekenntnis zweierlei: Neben dem vollständigen politisch-ideologischen Gleichklang zwischen ihm und den NSU-Mitgliedern offenbart es auch den operativen Handlungsanspruch des Angeklagten Eminger. „Die, Jew, die“ ist ja nicht nur der unfromme Wunsch eines Antisemiten, die Juden mögen an irgendeiner Seuche dahinsterben, sondern es ist zugleich auch Programm, es ist auch der deutliche Hinweis, dass der Träger solcher Buchstabenhetze bereit ist, sich an der Realisierung dieses Todeswunsches aktiv zu beteiligen.
Dass die Angeklagte Zschäpe und Böhnhardt und Mundlos zumindest davon ausgehen konnten, dass der Angeklagte Eminger den bewaffneten Kampf gegen die verhasste Gesellschaft und die Tötung von Nichtariern und Staatsbediensteten nicht nur hinnahm, sondern geradezu heroisierte, ergibt sich darüber hinaus aus den Vernehmungen der Zeugen S., K. und H. und der Verlesung der Ausgaben Nr. 1 und 2 des Fanzines „The Aryan Law and Order“. Durch die Einvernahme von S., K. und H. ist erwiesen, dass der Angeklagte Eminger gemeinsam mit seinem Bruder Maik Eminger die Organisation mit der unmissverständlichen, programmatischen Bezeichnung „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“ gegründet und verantwortlich geleitet hat. Alle drei Zeugen haben als ehemalige Mitglieder angegeben, sie seien die Chefs, die Vorsitzenden, die Ansprechpartner innerhalb der Bruderschaft und Herausgeber des Fanzines „The Aryan Law und Order“ gewesen. Der Zeuge H. bekundete, dass für dieses Heft jedes Mitglied hätte Artikel beisteuern können; aber nach dem Zeugen K. waren alleine die Brüder Eminger Ansprechpartner für das Fanzine. Diese hätten auch den Druck des Heftes verantwortet. Den Aussagen Himmels zu Folge konnte man die Verfasser an Namenskürzeln erkennen. Der Zeuge K. behauptet zwar, nicht zu wissen, welcher Verfasser sich hinter „A“ verbarg, erklärte aber andererseits, dass sich hinter dem Kürzel „M“ die Gründer, also einer beiden Brüder Eminger verberge. Nachdem derselbe Zeuge K. ja auch noch gewusst hatte, dass beide Brüder Eminger die Verantwortung getragen haben, fällt die die Auslegung der Namenskürzel „A“ und „M“ nicht schwer.
Dies gilt umso mehr angesichts des Umstandes, dass die Vernehmungen der ehemaligen WBE-Mitglieder allesamt zäh verliefen, und des Umstandes, dass die Zeugen nach Kräften um Entlastungsbekundungen zugunsten des Angeklagten Eminger bemüht waren. Das lässt sich an unerklärlichen Erinnerungslücken zeigen wie der des Zeugen K.: Der Zeuge K., der angeblich nur weiß, was das Kürzel „M“, aber nicht was „A“ heißt, obwohl der eine Eminger Bruder A – André, der andere M – Maik heißt, oder daran, dass sich die Zeugen initiativ immer nur an Belanglosigkeiten erinnern wollten und sich nur auf Vorhalt an Wahrnehmungen erinnern konnten, die geeignet waren, die Brüder Eminger belasten. Es ist also offensichtlich, warum diese Zeugen sich nicht entschließen konnten, dem Angeklagten Eminger die Artikel mit dem Kürzel „A“ zuzuordnen. Angesichts dieser Aussagen aber, deren Belastungswert wegen der zu Tage getretenen Entlastungsmotivation hinzugewinnt, steht fest: Die Artikel, die mit „A“ gekennzeichnet waren, hat der Angeklagte Eminger verfasst, und die mit „M“ gekennzeichneten Artikel hat dessen Zwillingsbruder Maik geschrieben. Es steht nach den Aussagen ebenfalls fest, dass auch der Angeklagte Eminger als eines der beiden maßgeblichen Mitglieder der WBE gemeinsam mit seinem Bruder die redaktionelle und damit auch die inhaltliche Verantwortung dieses Sprachrohrs der WBE getragen hat. Daher sind ihm auch sämtliche inhaltlichen Äußerungen in dem Fanzine persönlich voll zuzurechnen. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Programmatik der WBE, wie sie in diesem im Selbstleseverfahren eingeführten Artikeln zum Ausdruck kommt und wie die Zeugen sie beschrieben haben, der ideologischen Haltung des Angeklagten Eminger entsprach. Danach war der Angeklagte Eminger Anhänger einer zutiefst rassistischen Ideologie, die im Kern den Erhalt und die sogenannte Reinerhaltung der weißen Rasse zum Ausgangspunkt aller weiteren Ideologie und politischen Überzeugung hatte.
In der ersten Ausgabe des Fanzines wird einleitend auf den Seiten 5 und 6 die Ideologie der WBE erläutert und in den sogenannten 14 Worten zusammengefasst, die auf Seite 9 wörtlich als heiliger Schlachtruf bezeichnet werden. Dieser Programmatik folgend, stellt das Fanzine in einem Bericht auf Seite 8 über den Ku-Klux-Klan auch gleich klar, dass nach den kruden Vorstellungen des WBE die Zugehörigkeit zur weißen Rasse nicht nur durch weiße Hautfarbe bestimmt werden, sondern offenbar weitere Rassemerkmale des Ariertums hinzuzutreten haben, um dazuzugehören zur weißen Rasse des Angeklagten Eminger. Wie schon die nationalsozialistischen Rassephantasten verbreitet hatten, gehörten auch nach dem Vorstellungsbild der WBE Polen und Russen mit weißer Hautfarbe nicht zur weißen Rasse. Deren Einwanderung in die USA beschreibt die WBE in diesem Artikel als ein großes Leiden, von dem der Ku-Klux-Klan die USA zu befreien versucht habe.
Vor allem aber wird deutlich, dass die WBE und damit namentlich auch der Angeklagte Eminger auch die vom NSU befürwortete Strategie befürwortete, nämlich die Begehung von Sprengstoffanschlägen, von Mordanschlägen und Banküberfällen durch eine sich selbst als elitäre begreifende Gruppe, die aus dem Untergrund heraus den Kampf um die Reinerhaltung der weißen Rasse führt. Dies belegt die Bundesanwaltschaft anhand eines Jubelartikels über die amerikanische Nazi-Organisation „The Order“, der genau diese Vorgehensweise im Kampf um die Erhaltung der arischen Rasse gegen die sogenannte zionistisch besetzte Regierung zugeschrieben wird. Sogar die Verteilung eines Teils der bei Banküberfällen erzielten Beute an Gesinnungsgenossen wird diesem Untergrundorden zugeschrieben, genau wie dies auch der NSU nach den Angaben der Zeugen Petereit und A. getan hat.
Diesen Jubelartikel über „The Order“ veröffentlichten die Gebrüder Eminger in der Erstausgabe ihres Fanzines, dort auf Seite 27. Verfasst wurde der Artikel durch den Bruder des Angeklagten Eminger, den Zeugen Maik Eminger, wie sich dem Kürzel „M“ entnehmen lässt, das unter dem Artikel angebracht ist. Dass aber wie ausgeführt der Angeklagte Eminger die inhaltlichen Äußerungen seines Zwillingsbruders mitverantwortet und teilt, ergibt sich in diesem Fall besonders eindrucksvoll auch aus dem Umstand, dass der Angeklagte Eminger am 151. Hauptverhandlungstag in einem T-Shirt mit der offen sichtbaren Aufschrift „Brüder schweigen“ erschienen ist. Das Tragen dieses T-Shirts ausgerechnet in dieser Hauptverhandlung sagt uns – abgesehen [von einer Präferenz des Angeklagten Eminger für schweigende Zeugen] – zweierlei: Das „Brüder schweigen“-T-Shirt offenbart uns zum einen, dass es keinen inhaltlichen Widerspruch zwischen ihm und Maik Eminger gab, was die Inhalte des Artikels angeht, und es offenbart zum anderen, dass es auch noch während der Hauptverhandlung offenbar keinerlei innerliche Abkehr von Todeskonzept des NSU gegeben hat. Denn Brüder schweigen ist das Synonym für die rassistische Untergrundorganisation „The Order“, die dem NSU so sehr ähnelt und von dem das Fanzine „The White Aryan Law and Order“ so begeistert berichtet hat. Dieser Orden, der auch „Brüder Schweigen“ genannt wird, entsteht 1989.
Auch im persönlichen Austausch der Mitglieder der WBE waren gewaltsame Übergriffe auf Ausländer, wenn auch nicht in Ausgestaltung konkreter Pläne, wohl aber in Ausschmückungen zur Befriedigung ideologischer Bedürfnisse, ein wiederkehrendes Thema. Ja, geistig vom Reden her sei dies ein Thema gewesen, äußerte etwa Zeuge Himmel. Nach der Erinnerung des Zeugen Himmel war es allgemeine Auffassung in der WBE gewesen, dass Türken böse sein und wegmüssten, ebenso wie Juden. Auch der Zeuge K. gab an, man habe erreichen wollen, dass die Türken und Ausländer aus Deutschland verschwinden. Man habe zeigen wollen, dass die weiße Rasse die stärkere sei. Gewaltsame Übergriffe habe es zwar tatsächlich nicht gegeben, aber über einfache Gewalt gegen Ausländer habe man gesprochen, räumt der Zeuge K. ein.
Ebenso vermochte der Zeugen S. zumindest einzuräumen, dass Rassenkampf ein Thema gewesen war, was allerdings schon angesichts der Gruppenbezeichnung, gelinde gesagt, nicht fernlag. Der Angeklagte Eminger war, wie die ehemaligen WBE-Mitglieder bekundet haben, mit seinem Bruder maßgeblicher Protagonist und ideologischer Gestalter der WBE. Er agierte innerhalb der WBE also nicht nur als Zuhörer und Mitläufer, sondern vertrat in diesem Verband offensiv den Rassenhass und bemühte sich nach Kräften, über das von ihm und seinem Bruder erstellte Fanzine den Rassenhass auch in einer breiteren Öffentlichkeit zu befördern.
Dies lässt den sicheren Schluss zu, dass er gegenüber seinen, wie der unvergessliche Zeuge Brehme es ausdrücken würde, „Gesinnungskameraden“ Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg gehalten hat, dass diese drei also genau wussten, welchen Geistes Kind der Angeklagte Eminger war. Es besteht für die Bundesanwaltschaft kein Zweifel daran, dass Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe den ideologisch-kämpferischen Gleichklang, der zwischen ihnen und dem Angeklagte Eminger bestand, kannten und auch als Grundlage für ihre dauerhafte Zusammenarbeit gesehen haben.
Es besteht gleichfalls kein Zweifel, dass der Angeklagte Eminger, der Jubelberichte über die amerikanische „The Order“ verbreitete, großen Gefallen hatte an den gleichwertigen Zwecken und der spätestens ab Ende 1998 beabsichtigten gleichartigen Vorgehensweise des NSU. Kurz gesagt: Der Angeklagte Eminger hat von Anfang 1998 an erwiesen, dass man auf sein brüderliches Schweigen bauen kann.
Das hat der Angeklagte Eminger aus Sicht der drei Untergetauchten mindestens dadurch erwiesen, dass er sie nicht verraten hatte, obwohl er ihre Namen und ihren Aufenthaltsort von Beginn an kannte. Außerdem war den drei NSU-Mitgliedern klar, dass der Angeklagte Eminger sich nicht in einer legalistischen Weinerlichkeit erging wie etwa der Angeklagte Wohlleben, dass er nicht wie der Angeklagte Wohlleben die Machtergreifung mittels eines Marsches durch die Institutionen anstrebte, sondern dass er genau wie sie selbst den ganz radikalen, den mordenden, bestenfalls völkermordenden Weg gehen wollte.
Nachdem also die Angeklagte Zschäpe sowie Böhnhardt und Mundlos sich sowohl auf die Treue des Angeklagten Eminger wie auch auf dessen ideologische Verlässlichkeit verlassen konnten, bestand aus ihrer Sicht daher auch keinerlei Anlass mehr, den Angeklagten Eminger nicht frühzeitig, mithin vor der ersten dem Angeklagten Eminger zur Last gelegten Tat, in deren Absichten, also in die Zwecke der gegründeten terroristische Vereinigung einzuweihen. Welchen Sinn sollte es auch aus Sicht von Mundlos, Böhnhardt und der Angeklagten Zschäpe gemacht haben, bei Unterstützungsbitten an den Angeklagten Eminger, der sich so unmissverständlich für die Begehung rassistischer Morde ausgesprochen hatte, herumzudrucksen, zu legendieren, zu tricksen, zu lügen und zu betrügen? Eben, keinen. Es bestand beim Angeklagten Eminger überhaupt keinen Grund, mit irgendetwas hinter dem Berg zu halten. Er war wahrhaft einer von ihnen, er war wahrhaft kein unsicherer Kantonist.
Herr Vorsitzender, hier würde ich eine Pause machen.
[Unterbrechung 13:49 bis 14:05 Uhr. Weiter 14:10 Uhr]
OStA Weingarten:
Ja, die Bundesanwaltschaft war zuletzt zu dem Ergebnis gekommen, dass der Angeklagte Eminger wahrhaft einer von ihnen und wahrhaft kein unsicherer Kantonist war und sich insofern schon kein Sinn und Zweck ergeben hätte, ihm gegenüber auf der Ebene des Wissenstransfers Zurückhaltung zu üben. Und dass zumindest Böhnhardt und Mundlos keinerlei Schwierigkeiten hatten, innerhalb eines sehr eng definierten Kreises verlässlicher Leute auch nach dem Untertauchen recht offen über ihr terroristischen Wirken zu sprechen, wird durch eine Reihe von Umständen belegt – ich hatte dazu schon vor der Sommerpause ausgeführt. Zusammenfassend noch einmal: Zunächst einmal kann man bereits der Bestellung von mindestens zwei Faustfeuerwaffen, den von den Angeklagten Schultze und Gerlach übergegeben Pistolen, entnehmen, dass sie im Verhältnis zum engsten Kreis der Unterstützer, selbst gegenüber dem Angeklagten Gerlach, offen über derartige, im Hinblick auf die Zwecke der Vereinigung unmissverständliche Ausrüstungsbedürfnisse gesprochen haben und damit auch die Zwecksetzung der Vereinigung deutlich ausgedrückt haben.
Böhnhardt und Mundlos gingen aber im Kreise Vertrauenswürdiger über das logisch Notwendige hinaus: So haben beide nach der uneingeschränkt glaubhaften Einlassung des Angeklagten Schultze gegenüber dem Angeklagten Wohlleben bei einem Telefonat mitgeteilt, einen Menschen angeschossen zu haben. Ebenso haben sich die beiden vor der Übergabe der Waffe durch den Angeklagten Schultze in Chemnitz bei einem Gespräch in einem Café mit dem mittels einer Taschenlampe begangenem Sprengstoffanschlag in Nürnberg gebrüstet. Dem Angeklagten Gerlach hatten die beiden voller Stolz nicht nur davon berichtet, dass sie im Besitz einer Pumpgun seien, sondern auch noch, wo sie diese erworben hatten, nämlich im Geschäft Power Games. Sie hatten ihm sogar angeboten, mit dieser Waffe schießen zu dürfen.
Der verstorbene Uwe Mundlos hatte gegenüber engen Freunden und Kontaktpersonen – wie etwa dem Zeugen H. – über die Begehung von Straftaten schon vor dem Untertauchen berichtet. So bekundete der Zeuge H., er habe vor dem Untertauchen von Mundlos selbst erfahren, dass dieser für das Abstellen einer mit einer kleinen Menge Sprengstoff versehenen Kofferbombenattrappe auf dem Theaterplatz in Jena verantwortlich gewesen sei. Der Zeuge berichtete weiter, über derlei Angelegenheiten sei in kleinen Grüppchen offen gesprochen worden. Wenn man weiter nur kursorisch zur Kenntnis nimmt, dass sich der Angeklagte Gerlach nach Aussagen von Vernehmungsbeamten zu der Äußerung veranlasst sah, dass man sich nicht anmaßen könne, zu fünft die Welt zu retten, bedeutet dies zusammengefasst, dass zumindest Böhnhardt und Mundlos gegenüber dem Angeklagten Wohlleben, dem Angeklagten Gerlach und dem Angeklagten Schultze nach Gründung des NSU nicht nur durch die Bestellung von Waffen ihre Absichten mitteilten, sondern gegenüber Wohlleben und Schultze auch ausdrücklich mit ihren versuchten Tötungsdelikten, nämlich Schussabgabe und Taschenlampenbombe prahlten, dem Angeklagten Gerlach voller Stolz von der Pumpgun und deren Herkunft berichteten und damit ihre Absichten dargelegt haben, und dies in einer Weise, die den Angeklagten Gerlach zu einer intervenierenden Bemerkung veranlassten. Daraus folgt im Hinblick auf den Angeklagten Eminger, dass der Senat nach Auffassung der Bundesanwaltschaft wird ausschließen können, dass ausgerechnet der Angeklagte Eminger von jedwedem Wissenstransfer bis 2007 ferngehalten worden sein soll – ausgerechnet Eminger, zu dem Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe in dieser Zeit den engsten Kontakt unterhielten. Die Bundesanwaltschaft ist vielmehr fest davon überzeugt, dass dem so offensichtlich dem historischen Nationalsozialismus verhafteten Angeklagten Eminger noch vor seiner ersten Unterstützungs- und Beihilfehandlung das Wesentliche kommuniziert worden ist, dass und in welcher Weise man den Kampf gegen den verhassten bundesrepublikanischen Staat und seine Gesellschaft zu führen gedenkt – politisch-ideologisch durch die Begehung von Sprengstoffdelikten und Tötungsdelikten und logistisch durch die Begehung von Banküberfällen –, und dass sie darüber hinaus, anders als bei dem zumindest aus Sicht des NSU ideologisch nicht ausreichend gefestigten, glücksspielenden und in der Gewaltfrage zweifelnden Angeklagten Gerlach, den Angeklagten Eminger auch vollumfänglich und ausdrücklich eingeweiht haben in ihre Pläne, an deren Verwirklichung sie sich ab September 2000 begeben haben.
Bestand schon aus ideologischen Gründen kein Grund zum Schweigen gegenüber dem Angeklagten Eminger in Hinblick auf die tödlichen Zwecke des NSU, gilt dies erst recht für die Begehung von Logistikdelikten wie Raubüberfällen auf Banken. Dies galt nicht zuletzt deshalb, weil dem Angeklagten Eminger aus Sicht von Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagte Zschäpe sowieso klar gewesen sein muss, dass sich die erwerbs- und einkommenslosen, aber doch über ausreichende Geldmittel verfügenden Drei nicht durch kleinere Taschendiebstähle oder Einbrüche oder Betrügereien unter den Bedingungen eines Lebens im Untergrund würden finanzieren können. Dies wäre – wie auch er erkannte – wegen der zu geringen Beuteerwartung und im Bereich des Betruges wegen der notwendigen Erhaltung der Konspiration nicht realistisch gewesen. Daher war ihm klar, dass Raubüberfälle die einzige Möglichkeit zur Aufrechthaltung des Lebensunterhalts darstellten.
Über den Anklagevorwurf hinausgehend ist die Bundesanwaltschaft nach der Hauptverhandlung auch davon überzeugt, dass der Angeklagte Eminger angesichts seiner Vorerkenntnisse zu den Sprengstoffdelikten der drei und der Prahlereien von Böhnhardt und Mundlos über Waffenbesitz, versuchte Tötungsdelikte mit Schusswaffen und Taschenlampenbombe und insbesondere angesichts seiner Unterrichtung über die ideologisch-operativen Zwecke des NSU auch wusste, dass sie Raubüberfälle mit Schusswaffen durchführen wollten, zumal schon üblicherweise bei Banküberfällen der Einsatz von Waffen dazu gehört. Ferner ist daran zu erinnern, dass der Angeklagte Eminger von der Angeklagten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos selbst nach der Einlassung der Angeklagte Zschäpe von der Begehung von Raubüberfällen unterrichtet worden ist – wenn auch zu einem anderen, viel später liegenden Zeitpunkt – und überhaupt kein Anhaltspunkt vorliegt, dass man ihm insoweit die Verwendung von Waffen verschwiegen haben könnte.
Dabei geht die Bundesanwaltschaft zu Gunsten des Angeklagten Eminger mangels entsprechender Belege allerdings nicht davon aus, dass der Angeklagte Eminger in die strategische oder operative Entscheidungsfindung des NSU eingebunden war. Daraus folgt auch, dass dem Angeklagten Eminger nicht nachgewiesen werden kann, dass er bei seinen Wohnmobilanmietungen von der Angeklagten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos ins Einzelne gehend über die konkreten, im Zusammenhang mit der Anmietung stehenden Straftaten bereits im Vorhinein konkret unterrichtet worden ist. Jedenfalls gibt es für eine vorherige Instruierung des Angeklagten Eminger über die konkret ins Auge gefassten Taten keine Beweisanzeichen.
Aber angesichts seines Kenntnisstandes liegt es natürlich auf der Hand, dass der Angeklagte Eminger von den Mitgliedern des NSU grundsätzlich in die Absichten und Aktivitäten eingeweiht war und daher sowohl mit der Begehung von Raubüberfällen als auch der Begehung von Tötungsdelikten an nichtdeutschen Mitbürgern gerade auch unter Einsatz von Sprengstoff konkret rechnete und dies angesichts seiner eigenen pointiert rechtsextremistischen Einstellung auch billigte.
Verehrte Verfahrensbeteiligte, wer jetzt noch überzeugt ist – ich sehe, der Angeklagte Eminger lächelt, ich hab Sie heute auch schon zustimmend nicken sehen, wenn sie den Schlussvortrag der Bundesanwaltschaft weiter abnicken, erleichtert das manches –, wer jetzt noch nicht glaubt, dass er die Zwecke des NSU befürwortete, dem sei ein letztes Beweisanzeichnen vorgestellt. Ein Beweisanzeichen, dass in der Gesamtschau zweifellos belegt, dass der Angeklagte Eminger nicht blindlings Wohnmobile angemietet, nicht blindlings Bahncards bestellt und nicht blindlings falsche Angaben zu Wasserschäden gemacht, sondern dies stets klar sehenden Auges getan hat. Denn es gibt ein Geständnis des Angeklagten Eminger, kein Geständnis bei der Bundesanwaltschaft, dem Senat oder – ich sehe Unruhe – auch nicht beim Verfassungsschutz, kein Geständnis vermittels seiner eigenen Worte, ich sehe ein Geständnis durch schlüssiges Verhalten. Eine geständnisgleiche Wohnzimmerwandgestaltung.
Die Zeugin Schalle bekundete zu ihren Wahrnehmungen zu der am 10.4.2013 gegen die gesonderte Verfolgte Susan Eminger gerichtete Durchsuchung in der Wohnung der Familie Eminger in der A.-Str. 25 in Zwickau. Bei dieser Durchsuchung war der Zeugin an prominenter Stelle der Wohnung, im Wohnzimmer oberhalb des Fernsehers und unterhalb von Fotos zweier Söhne der Emingers eine gerahmte Porträtzeichnung zweier Männerköpfe mit einem in altdeutscher Schriftart gehaltenen Wort sowie einem weißen Symbol aufgefallen. Fotos der Auffindesituation sowie der Zeichnung selbst sind in der Hauptverhandlung in Anwesenheit der Zeugin Schalle in Augenschein genommen worden.
Diese Zeichnung, von der wir nicht sicher wissen, wer sie erstellt hat, zeigt ersichtlich für alle Verfahrensbeteiligten erkennbar, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Das weiße Symbol ist eine Rune, die für den Tod steht. Das Wort vermochte die Zeugin als das altdeutsche Wort für „unvergessen“ zu transkribieren. Die Zeugin berichtete ferner, der Angeklagte Eminger habe der Sicherstellung des Bildes sehr heftig widersprochen. Allein der Befund, dass der Angeklagte Eminger an hervorgehobener Stelle oberhalb des Fernsehers und unterhalb von Fotos seiner Kinder dieses Erinnerungsstück an Böhnhardt und Mundlos mit dem Zusatz „unvergessen“ duldete, spricht deutlich dafür, dass er von Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe bei der Begehung der ihm zur Last gelegten Taten nicht als vorsatzloses, vom tatsächlichen Sinn und Zweck seiner Hilfeleistungen getäuschtes oder nur im Unklaren gelassenen Tatwerkzeug, gar als ahnungsloser Mordgehilfe einer terroristischen Vereinigung missbraucht worden ist. Dieser Befund belegt vielmehr, dass der Angeklagte Eminger sich stets im Klaren war, welchen Zwecken seine Handlungen zu dienen bestimmt waren, nämlich der Begehung von Mordanschlägen, Raubüberfällen und der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Anders ist nämlich nicht erklärlich, dass der Angeklagte Eminger, der zum Zeitpunkt der Durchsuchung, bei der das Bild festgestellt worden ist, wegen Unterstützung des NSU bereits sechs Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte und sich vor allem ganz erheblichen, zur Hauptverhandlung bereits zugelassenen Vorwürfen ausgesetzt sah, dass er ausgerechnet in dieser Lage denjenigen in seinem Wohnumfeld eine Gedenkstätte widmet, die ihn gemeinsam mit der Angeklagte Zschäpe in die ihm zur Last gelegten Taten verstrickt haben und ihn damit zugleich auch in die ihm widerfahrenen ganz erheblichen Belastungen durch das gegen ihn geführten Strafverfahren verstrickt haben. Wäre der Angeklagte Eminger zu den ihm zur Last gelegten Hilfeleistungen etwa unter Vorspiegelung wahrheitswidriger Umstände oder auch nur durch das Verschweigen der wahren Absicht im Unklaren gelassen worden, dann würde ja gar kein Anlass für den Angeklagten bestanden haben, Böhnhardt und Mundlos angesichts der für ihn selbst, seine Frau und seine Kinder damit verbundenen Belastungen ein ehrendes Andenken zu bewahren.
Hätte der Angeklagte Eminger von dem von Mundlos, Böhnhardt und der Angeklagten Zschäpe begangenen Tötungsdelikten und Sprengstoffanschlägen wirklich erst nach dem 4.11.2011 durch Medien, Vernehmungen, Haftbefehl, Akteneinsicht und Anklage erfahren, zu was er eigentlich all die dreizehn Jahre beigetragen hat, dann hätte nichts ferner gelegen als eine visuelle Vergötzung von Böhnhardt und Mundlos. Es hätte nichts ferner gelegen, als den Lügnern und Betrügern, die ihn in mediale Ächtung, Haft und die Situation einer drohenden Verhaftung gebracht haben, diesen Götzendienst zu erweisen. Nahegelegen hätte – ungeachtet der politisch-ideologischen Übereinstimmung –, wenn er von den dreien getäuscht, betrogen, hinters Licht geführt und verraten worden wäre, ein Verhalten, wie es der Angeklagte Gerlach gezeigt hat, der in dem Beharren darauf, nichts davon gewusst zu haben, von enttäuschter Freundschaft gesprochen hat. Oder eines wie das des Angeklagten Wohlleben, der geäußert hat, wenn er das alle gewusst hätte, hätte er nicht unterstützt.
Zwar hat sich der Angeklagte Eminger – was sein gutes Recht ist – zur Sache nicht eingelassen. Aber es wäre doch dann nicht zu erwarten gewesen, dass er gleich ein selbst gezeichnetes Portrait von Böhnhardt und Mundlos in seinem Wohnraum duldet und wenn, dann wäre zumindest zu erwarten gewesen, dass ein im Sinne der Anklage Unschuldiger statt „unvergessen“ eher „unverzeihlich”
[leises Lachen im Saal]
darauf hätte schreiben lassen. Stattdessen offenbart die Platzierung der Unvergessen-Zeichnung – noch unmittelbar vor der Hauptverhandlung – eine derart starke emotionale Verbundenheit mit den verstorbenen Böhnhardt und Mundlos in einer Weise, wie sie Familienangehörigen vorbehalten bleibt – oder eben ganz ganz engen Freunden und Vertrauenspersonen. Bei der in der Wohnung des Angeklagten Eminger fotografisch gesicherten Zeichnung von Böhnhardt und Mundlos handelt es sich nicht nur um ein Erinnerungsstück an alte Freunde oder eine postmortale Solidaritätsbekundung – die Aufschrift „unvergessen“ in altdeutscher Schreibweise und die zentrale Platzierung sind vielmehr Ausdruck einer Heldenverehrung. Das ist angesichts der ganz erheblichen strafprozessualen Konsequenzen, die der Angeklagte für seine Hilfeleistung allein bis dahin tragen musste, nur damit zu erklären, dass er sich eben nicht von Böhnhardt und Mundlos getäuscht und als undoloses Werkzeug missbraucht sah, sondern dass er stets wusste, welcher Verwirklichung welcher Absichten sein Mitwirken dienen sollte; und diese Absichten billigte er nicht nur, sondern sie entsprechen auch seinen eigenen Absichten.
Zur rechtlichen Würdigung der festgestellten Tatsachen wird die Bundesanwaltschaft abgesetzt, möglicherweise im Laufe des morgigen Tages kommen.
An dieser Stelle setzte ich [mit dem Tatsächlichen] fort und wende mich dem Angeklagten Holger Gerlach zu:
Auch der Angeklagte Gerlach ist der ihm mit der Anklageschrift des Generalbundesanwaltes zur Last gelegten Taten durch die in der Beweisaufnahme zu Tage getretenen Erkenntnisse in vollem Umfang überführt. Folgende Taten sind in der Hauptverhandlung festgestellt worden:
Der Angeklagte verschaffte der Angeklagten Zschäpe sowie Böhnhardt und Mundlos Dokumente, Berechtigungsscheine und Ausweise, die es den dreien ermöglichen sollten, ihr Leben in der Illegalität durch die Verwendung von Scheinidentitäten zu ermöglichen. Dabei rechnete er zumindest damit, dass sich die drei Mitglieder des NSU im Untergrund organisiert hatten, um ihre drastischen Ziele mit Waffengewalt zu verwirklichen, auch durch tödliche Schusswaffen und Sprengsätze gegen Menschen nichtdeutscher Herkunft. Er wollte dieses durch sein Verhalten erleichtern und fördern.
Im Einzelnen kam es zu folgenden Handlungen:
Wie zuvor mit der Angeklagten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos besprochen, meldete der Angeklagte Gerlach im Februar 2004 wahrheitswidrig den Verlust seines Führerscheins bei der Führerscheinstelle des Landkreises Schaumburg und ließ sich am 4.2.2004 einen neuen Führerschein ausstellen. Diesen übergab er zusammen mit seiner seit April 2001 gültigen ADAC-Mitgliedskarte bei einem Treffen in Hannover an die Angeklagte Zschäpe. Dabei wusste er, dass Böhnhardt, der bereits seit 2001 einen auf Holger Gerlach lautenden Reisepass nutzte, sich Gerry nannte und [aus seiner Sicht dem Angeklagten Gerlach ähnlich sah,] den Führerschein für Fahrzeuganmietungen nutzen wollte. Das Dokument diente dem NSU zur Anmietung von insgesamt 62 Fahrzeugen, darunter waren 11 Fahrzeuge, die zur Begehung von insgesamt 13 Straftaten genutzt wurden.
Vor dem Mai 2006 übernahm der Angeklagte Gerlach die AOK-Krankenversicherungskarte der Zeugin Scheidemantel zum Preis von 300 €. Die Karte sowie Informationen zu den Personalien der Zeugin übergab er der Angeklagten Zschäpe sowie Böhnhardt und Mundlos kurz darauf anlässlich eines Treffens in Hannover. Die Angeklagte Zschäpe verwendete die Karte für Zahnarztbesuche. Am 19. Mai 2011 fertigte der Angeklagte Gerlach auf Geheiß der Vereinigung unter der Anleitung der Angeklagten Zschäpe in Rodenberg acht Passfotos von sich und beantragte bei der dortigen Gemeindeverwaltung unter Vorlage zweier dieser Fotos einen Reisepass sowie eine Meldebescheinigung auf seinen Namen. Die restlichen Fotos und die Meldebescheinigung übergab er in Rodenberg an die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos. Am 16.06.211 holte er den beantragten Reisepass bei der Gemeinde Rodenberg ab und übergab auch diesen wie vereinbart an die allein zu diesem Zwecke angereiste Angeklagte Zschäpe, damit Böhnhardt sich damit weiterhin ausweisen konnte.
Die Beweislage zu der angeklagten Tatsachenlage ist zunächst unproblematisch, denn der Angeklagte Gerlach hat die ihm vorgeworfenen Handlungen in objektiver Hinsicht in vollem Umfang eingeräumt. Im Übrigen ergeben sich sowohl die vom Angeklagten Gerlach zugestandenen wie auch die darüber hinausgehenden Tataschen – etwa zu den praktischen Folgen seines Handelns – ohne nennenswerten Würdigungsaufwand unmittelbar aus der durchgeführten Beweisaufnahme.
Ich wende mich zunächst der Übergabe des Führerscheins und der ADAC Mitgliedskarte zu. In seiner am 6.6.2013 in der Hauptverhandlung verlesenen Erklärung erneuerte der Angeklagte Gerlach sein bereits im Ermittlungsverfahren zu diesem Punkt abgegebenes Geständnis, dass er der Angeklagten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos etwa im Jahre 2005 auf deren Bitte hin seinen Führerschein überlassen habe.
Nach der Einlassung des Angeklagten Gerlach im Ermittlungsverfahren, dessen damalige ausführliche Angaben durch die Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind, waren die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos überraschend bei ihm zu Hause zu einem unangekündigten Besuch erschienen, nachdem man sich zuvor immer im Urlaub getroffen oder der Angeklagte Gerlach die Untergetauchten in deren Wohnung besucht hatte. Er ließ die drei ein und es entwickelte sich ein längeres Gespräch, bis man ihn schließlich um Hilfe bat. Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe erläuterten ihm, dass man für den Fall einer Polizeikontrolle eine legale Fahrerlaubnis brauche. Uwe Böhnhardt – der ja bereits in Folge der Nutzung eines auf den Angeklagten ausgestellten Reisepasses seit 2001 dessen Identität nutzte – forderte den Angeklagte Gerlach auf, ihm seinen Führerschein zu überlassen, und schlug vor, der Angeklagte Gerlach möge seinen Führerschein an ihn herausgeben und einen neuen Führerschein zur eigenen Nutzung beantragen. Der Angeklagte Gerlach meldete nach den Bekundungen des Zeugen Schartenberg, der die Ermittlungen bei der zuständigen Führerscheinstelle vorgenommen hatte, seinen alten Führerschein mit der Nummer I 122003AX51 wahrheitswidrig als verloren und beantragte einen Ersatzführerschein. Die anfallenden Verwaltungskosten übernahmen die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos. Den in der Folgezeit in Folge der Verlustmeldung vom zuständigen Landkreis Schaumberg ausgegebenen Ersatzführerschein mit der Nummer I 122003AX52 übergab der Angeklagte Gerlach bei einem zu diesem Zwecke vereinbarten Folgetreffen an die Drei. Bei dieser Gelegenheit übergab er auch seine ab April des Jahres 2001 geltende ADAC-Mitgliedskarte mit der Nummer 227325933. Sowohl der Ersatzführerschein als auch die ADAC-Mitgliedskarte wurden am 4.11.2011 in dem letzten zur Begehung des Überfalls auf die Sparkasse Eisenach benutzten Wohnmobil sichergestellt. Während die ADAC-Mitgliedskarte bis zum 4.11.2011 nicht verwendet worden war, nutzten die Angeklagte Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt im Folgenden den Führerschein zur eigenständigen Anmietung von Fahrzeugen.
Bis zum Erhalt des Ersatz-Führerscheins konnten die NSU-Mitglieder selbst keine Fahrzeuge anmieten. Zwar wäre Ihnen vielleicht noch die schuldrechtliche Anmietung unter Vorlage des Reisepasses Holger Gerlach, den dieser ja bereits im Jahr 2001 übergeben hatte, gelungen; zur tatsächlichen Übernahme eines Fahrzeuges ist aber stets die Vorlage eines Führerscheins erforderlich, da sich der Vermieter vor der Übergabe des Fahrzeugs der Fahrerlaubnis des Mieters zu versichern hat. Dies erfolgte nach Bekundungen der als Vermieter tätigen Zeugen St., H. und B. stets durch die Vorlage eines gültigen Führerscheins. Aus diesem Grunde waren die NSU-Mitglieder bis zum Erhalt des Führerscheins vom Angeklagten Gerlach auf die Anmietung durch andere Personen und heimliche Übergaben angewiesen. Selbst waren sie ohne Führerschein zu einer Kfz-Anmietung nicht in der Lage gewesen, wie sich an den bereits thematisierten Anmietungen durch den Angeklagten Eminger in den Jahre 2000 bis 2003 erwiesen hat.
Damit hat sich die Aktionsfähigkeit des NSU durch die Übergabe des Ersatzführerscheins in zweierlei Hinsicht erheblich erhöht: Zum einen durch den vereinfachten, ohne die Einschaltung von Mittelsleuten möglichen Zugriff auf Kraftfahrzeuge, zum anderen durch die erhebliche Stärkung, die die Legendierungspotenz des NSU dadurch erhalten hat. Denn erst nach Übergabe des Führerscheins war der als Fahrzeugführer des NSU tätige Böhnhardt in der Lage, bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle oder einem Unfallgeschehen nicht nur über seine Identität zu täuschen, sondern auch durch die Vorlage einer Fahrerlaubnis seine Legitimation zu belegen und damit potentiell riskante polizeiliche Nachforschungen zur Existenz einer Fahrerlaubnis über Dateiabfragen und etwaige Verfahrensweiterungen wegen der Nichtmitführung eine Führerscheins zu vermeiden.
In Folge der im Selbstleseverfahren eingeführten Kfz-Mietverträge und nach den Auswertungen der in der Hauptverhandlung einvernommenen Zeugen Mollnau und Voss erfolgten von den insgesamt 65 bekannten Anmietungen von Wohnmobilen und PKWs drei Anmietungen durch den Angeklagten Eminger im Zweitraum von 2000 bis 2003. Die restlichen 62 bekannten Fahrzeuganmietungen erfolgten hingegen vollständig unmittelbar durch die NSU-Mitglieder unter Verwendung des vom Angeklagten Gerlach zur Verfügung gestellten Führerscheins. Wie sehr der NSU auf diesen Führerschein gewartet hatte und welch schreckliche Folgen die scheinbar
– Herr Gerlach, haben Sie einen Knopf im Ohr?
Gerlach: Ja [zeigt den Ohrstöpsel]
Es geht ja um Sie – wie sehr der NSU auf diesen Führerschein gewartet hatte und welch schreckliche Folgen die scheinbar banale Führerscheinübergabe hatte, zeigt sich schon daran, dass die erste Anmietung eines Fahrzeugs unter Verwendung des vom Angeklagten Gerlach herausgegebenen Führerscheins schon wenige Tage nach der Ausstellung des Ersatzführerscheins erfolgte. Am 23.2.2004 mietete das NSU-Mitglied Uwe Böhnhardt das Wohnmobil mit dem amtlichen Kennzeichen C – JA 420 bei der Firma Horn an, und mit diesem Fahrzeug begaben sich Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos unmittelbar nach Rostock und erschossen dort am 25.2.2004 das fünfte Opfer ihrer Ceska-Serie, den 25 Jahre alt gewordenen Yunus Turgut.
Insgesamt nutzte der NSU die 62 durch Vorlage des Führerscheins des Angeklagten Gerlach realisierten Anmietungen – außer zur Ermordung des Yunus Turgut – zu weiteren vierzehn schweren Straftaten:
Im Zeitraum vom 13. bis zum 18.5.2004 nämlich das angemietete Wohnmobil mit dem amtlichen Kennzeichen C-CW 460 für die Raubüberfälle am 14.5. und 18.5.2004 auf zwei Filialen der Sparkasse Chemnitz,
vom 6. bis zum 10.6.2004 einen VW Touran mit dem amtlichen Kennzeichen Z-EH 70 für den Sprengstoffanschlag in der Kölner Keupstraße am 9.6.2004,
im Zeitraum vom 8.6. bis zum 9.6.2005 einen Skoda Octavia mit dem amtlichen Kennzeichen Z-AL 75 zur Ermordung des 50-jährigen Ismail Yasar am 9.6.2005 in Nürnberg,
das vom 13.6. bis zum 16.6.2005 angemietete Wohnmobil mit dem amtlichen Kennzeichen C-LL 141 zur Ermordung des 41-jährigen Theodoros Boulgarides am 15.6.2005 in München,
das im Zeitraum vom 21. bis zum 24.11.2005 angemietete Wohnmobil mit dem amtlichen Kennzeichen C-DN 212 für den Raubüberfall am 22.11.2005 auf eine Sparkassenfiliale in Chemnitz,
das im Tatzeitraum vom 3. bis zum 7.4.2006 angemietete Wohnmobil mit dem Kennzeichen C-AJ 940 für die Ermordung des 39 Jahre alt gewordenen Mehmet Kubaşık am 4.4.2006 in Dortmund und des 21-jährigen Halit Yozgat am 6.4.2004 in Kassel,
das jeweils in den Zeiträumen ??.11.2006 und ??.1.2007 angemietete Wohnmobil mit dem amtlichen Kennzeichen C-PW 87 für die Raubüberfälle am 17.11.2006 und 18.1.2007 auf eine Sparkassenfiliale in Stralsund,
das im Zeitraum vom 16. bis zum 27.4.2007 angemietete Wohnmobil mit dem amtlichen Kennzeichen C-PW 87 zur Ermordung der 22 Jahre alten Polizeibeamtin Michelle Kiesewetter und zur versuchten Ermordung des zur Tatzeit 24 Jahre alten Martin Arnold in Heilbronn,
das im Zeitraum vom 5. bis zum 10.9.2011 angemietete Wohnmobil mit dem amtlichen Kennzeichen Z-G 7198 für den Raubüberfall am 7.9.2011 auf die Sparkassenfiliale in Arnstadt,
und das im Zeitraum vom 25.10. bis zum 4.11.2011 angemietete Wohnmobil mit dem amtlichen Kennzeichen V-MK 1121 für den Raubüberfall am 4.11.2011 auf eine Sparkassenfiliale in Eisenach.
Zum zweiten Vorwurf:
Hinsichtlich der im Frühjahr 2006 übergegebenen AOK-Krankenversicherungskarte der Zeugin Scheidemantel gilt das Folgende:
Auch insoweit war der Angeklagte Gerlach geständig, er räumte den Sachverhalt bereits im Ermittlungsverfahren gegenüber dem in der Hauptverhandlung einvernommenen Zeugen Schartenberg ein und bestätigte dieses Geständnis in der Hauptverhandlung in der von ihm selbst verlesenen Erklärung. Danach war er seiner Erinnerung zufolge im Jahr 2006 von Böhnhardt oder Mundlos telefonisch gebeten worden, für die Angeklagte Zschäpe eine Krankenkassenkarte von einer Frau vergleichbaren Alters zu beschaffen, denn – so die Behauptung – die Angeklagte Zschäpe leide an Unterleibsschmerzen und müsse dringend zum Arzt. Die Karte sollte den Zusicherungen zu Folge nur einmal zum Einsatz kommen. Entgegen des Vorschlags von Böhnhardt und Mundlos, einfach eine Frau auf offener Straße anzusprechen und ihr für die Hingabe ihrer Krankenkassenkarte 300 Euro anzubieten, fragte er während eines abendlichen Beisammenseins, bei dem Alkohol, seitens des Angeklagten Gerlach auch Amphetamine konsumiert worden waren, die Zeugin Silvia Scheidemantel – die Freundin seines Freundes Alexander Scheidemantel, damals hieß sie noch Roßberg – ob sie bereit sei, ihre Krankenkassenkarte für 300 Euro zu verkaufen. Die Zeugin Scheidemantel war einverstanden und überließ ihm ihre noch bis zum Jahr 2008 gültige AOK-Krankenversicherungskarte.
Diese Einlassung des Angeklagten Gerlach wurde in der Hauptverhandlung von den beiden Zeugen Silvia und Alexander Scheidemantel bestätigt. Die Zeugin Silvia Scheidemantel bekundete auch zur Geltungsdauer der Karte. Diese Karte übergab der Angeklagte Gerlach bei nächster, aber zeitlich nicht konkret bestimmbarer Gelegenheit an die Angeklagte Zschäpe. Die AOK-Karte wurde von der Angeklagten Zschäpe in der Folgezeit bei mindestens zwei Zahnarzt-Besuchen eingesetzt: am 2.5.2006 und nochmals einige Tage später. Das ergaben die Angaben der Zeugin A.. Sämtliche dieser Erkenntnisse korrespondieren mit der Einlassung der Angeklagten Zschäpe. Objektiviert wird dieser Sachverhalt schließlich dadurch, dass die in der Hauptverhandlung in Augenschein genommene AOK-Karte ausweislich des im Selbstleseverfahren eingeführten Asservatenverzeichnisses im Brandschutt Frühlingsstraße aufgefunden wurde, ebenso wie die zahnärztlichen Behandlungsdokumente, die auch von der Zeugin Alper ausgewertet worden waren.
Herr Vorsitzender, jetzt kommt der Komplex Reisepass, die 45 Minuten…
Vorsitzender: Dann machen wir jetzt 20 Min Pause.
[Unterbrechung 14:51 bis 15:10 Uhr. Fortsetzung um 15:15 Uhr.]
OStA Weingarten:
Herr Vorsitzender, hoher Senat, sehr geehrte Verfahrensbeteiligte, ich habe Schwierigkeiten mit der Stimme, wenn es genehm ist, würde ich nach diesem Block gerne schließen, obschon zu erwarten ist, dass ich mit dem Angeklagten Gerlach nicht ganz durchkommen werde.
Auch die zu Lasten des Angeklagten Gerlach angeklagte Übergabe eines für Uwe Böhnhardt bestimmten Reisepasses an die Angeklagte Zschäpe im Jahre 2011 hat sich in der Beweisaufnahme erweisen. Der Angeklagte Gerlach hatte im Sommer 2001 einen für die Legendierung des Böhnhardt bestimmten Reisepasses beantragt und an die Drei übergegeben. Hintergrund war, dass alle Beteiligten wegen der äußeren Ähnlichkeit von Gerlach und Böhnhardt davon ausgehen, dass Gerlach als Identitätsgeber für Böhnhardt geeignet ist. So ließ der Angeklagte Gerlach ein Passfoto fertigen, für das er sein Äußeres an das Gesicht von Uwe Böhnhardt weiter anpasste, indem er sich einen leichten Oberlippenbart wachsen ließe und sich für das Foto eine Brille aufsetzte. Mit dem so erstellten Passbild beantragte der Angeklagte einen Reisepass, der sodann auch von der Stadt Hannover ausgestellt wurde. Diesen Reisepass überließ er nebst AOK-Krankenkassenkarte den dreien in Zwickau am Bahnhof im Sommer 2001. Bei dieser Gelegenheit erstattete ihm die Angeklagte Zschäpe die angefallenen Kosten. Außerdem erhielt er spätestens bei dieser Gelegenheit von der Angeklagten Zschäpe 10.000 DM als Depothalter sowie eine Rückzahlung von 3.000 DM, die er den Dreien im Jahr 1998 als Spende überlassen hatte. Dies ist strafrechtlich verjährt und daher nicht mit angeklagt.
Der Sachverhalt hat sich in der Hauptverhandlung erwiesen durch die Vernehmung des Vernehmungsbeamten des Angeklagten Gerlach, nämlich des Zeugen Schartenberg, der über die entsprechenden Einlassungen des Angeklagten Gerlach berichtet hat. Außerdem hat der Angeklagte Gerlach den Sachverhalt in seiner in der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärung bestätigt. Dem Grunde nach hat auch die Angeklagte Zschäpe bestätigt, dass der Angeklagte ein Depotgeld in Höhe von 10.000 DN erhalten hat, allerdings nicht erst im Jahr 2001, sondern angeblich bereits 1998 oder 1999 und nicht von ihr, sondern von Uwe Böhnhardt.
Nach seiner Einlassung und seinen eingeführten Angaben im Ermittlungsverfahren und den Bekundungen des Zeugen K. hatten sich die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos im Frühjahr 2011 zu einem Besuch beim Angeklagten Gerlach angekündigt. Bei dem Treffen, das am 19.5.2011 stattfand, erinnerten die Drei den Angeklagten Gerlach daran, dass der von ihm im Jahr 2001 übergebene Reisepass abgelaufen sei und sie daher nun einen neuen Reisepass benötigen würden. Nachdem der Angeklagte Gerlach sich nach eigener Einlassung zu Folge zunächst gegen eine erneute Passbeantragung gesperrt hatte, erklärte er sich auf das Drängen der Drei schließlich dazu bereit, an der Passbeschaffung mitzuwirken.
Wie im Jahr 2001 modifizierte er sein Äußeres, um größtmögliche Ähnlichkeit mit Uwe Böhnhardt herzustellen. Dazu ließ er sich noch am selben Tag von Uwe Böhnhardt die Haare kurz scheren und suchte danach mit der Angeklagten Zschäpe einen Fotografen auf, wobei er die Brille des Uwe Böhnhardt aufsetzte. Zwei der beim Fotografen erhaltenen Passfotos benötigte er für die Beantragung des Reisepasses, die weiteren sechs sowie eine bei seiner Heimatgemeinde eingeholte Meldebestätigung übergab er sogleich an die Angeklagte Zschäpe. Sodann begab er sich gemeinsam mit der Angeklagten Zschäpe noch am 19.5.2011 zum Passamt, wo er sich auf Geheiß der Angeklagten Zschäpe augenscheinlich mit eigenhändiger Unterschrift sogleich einen vorläufigen Reisepass ausstellen ließ. Die Ausstellung des vorläufigen Reisepasses war erforderlich geworden, weil er den abgelaufenen Reisepass von Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe erhalten hatte, damit er diesen nach Ausstellung des neuen Passes an die Gemeindeverwaltung zurückgeben konnte. Böhnhardt war daher auf einen vorläufigen Reisepass als Identifikationspapier angewiesen. Den neuen Reisepass mit der Nummer ZC25JCHFH2 holte der Angeklagte Gerlach am 11.7.2011 persönlich ab und übergab ihn, wie die Kollegin Greger bereits ausgeführt hat, am selben Tag an die eigens zu diesem Zwecke mit dem Zug angereiste Angeklagte Zschäpe. Dieser Reisepass wurde am 4.11.2011 im Wohnmobil in Eisenach sichergestellt.
In Ermangelung anderer Erkenntnisse ist zu Gunsten des Angeklagten Gerlach davon auszugehen, dass er auch am 19.5.2011 eine weitere, ihm gehörende AOK-Krankenversicherungskarte an die drei übergeben hat, deren spätere Verwendung durch die NSU-Mitglieder in der Beweisaufnahme allerdings nicht festgestellt werden konnte. Wie sich aus den Aussagen der Zeugen B. und Voss sowie den im Selbstleseverfahren eingeführten Kfz-Mietverträgen ergibt, nutzte Uwe Böhnhardt den neuen Reisepass als Legitimationspapier bei zwei unmittelbar mit der Begehung von Banküberfällen im Zusammenhang stehenden Anmietungen von Wohnmobilen unter dem Namen Holger Gerlach bei der Firma B. im Zeitraum vom 5. bis zum 10.9.2011 wie auch zur Anmietung eines Wohnmobils mit dem amtlichen Kennzeichen VM-KF 21 am 25.10.2011 bei der Firma K. in Scheiersgrün. Das erstgenannte Wohnmobil setzten Böhnhardt und Mundlos beim Überfall am 7.9.2011 auf die Arnstädter Sparkassenfiliale in der Goethestraße ein. Das zweite Wohnmobil verwendeten Böhnhardt und Mundlos am 4.11.2011 beim Überfall auf die Wartburgsparkasse in Eisenach am Nordplatz 13.
Angesichts der klaren geständnisbasierten und objektivierten Beweislage liegt auch beim Angeklagten Gerlach das eigentliche Problem der Beweisführung in der subjektiven Grundierung der objektiven Geschehnisse, also in der Frage, ob er zumindest damit rechnete, dass er durch die Übergabe von AOK- und ADAC-Karten und insbesondere durch die Beschaffung und Hingabe des Ersatzführerscheins und des Reisepasses eine terroristische Vereinigung unterstützt hat, und ob er dies billigend in Kauf genommen hat. Entscheidend ist danach, ob der Angeklagte Gerlach aufgrund der ihm bekannte Umstände mit der naheliegenden Möglichkeit gerechnet hat, dass die Angeklagte Zschäpe sowie Böhnhardt und Mundlos sich zusammengetan hatten, um auf Dauer im Einzelnen noch unbestimmte Tötungsdelikte aus ideologischen Motiven zu begehen.
Der Angeklagte Gerlach hat in diesem Verfahren – und zwar sowohl im Ermittlungsverfahren als auch in seiner Erklärung in der Hauptverhandlung – durchgängig behauptet, zu keinem Zeitpunkt damit gerechnet zu haben, dass Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe Straftaten gegen das Leben anderer begehen könnten. Er sei ihnen freundschaftlich sehr verbunden gewesen und habe sie allein deshalb bei ihrem Leben im Untergrund unterstützt, nachdem die drei wegen der gegen sie gerichteten Ermittlungen in Zusammenhang mit dem Garagenfund untergetaucht waren. Mordanschläge habe er ihnen nicht zugetraut. Er sei von einer, so wörtlich, „Unschuldsvermutung“ zu Gunsten seiner Freunde ausgegangen. Allerdings habe er letztlich schon vermutet, dass die erheblichen finanziellen Mittel der drei auf die Begehung nicht konkretisierter Straftaten zurückgehen könnten.
Diese ihrem Kerngehalt nach zusammenfasste Einlassung ist indes, soweit sie seine Vorstellung vom Leben der Angeklagten Zschäpe und Böhnhardt und Mundlos im Untergrund und die subjektive Reichweite seiner Unterstützungsleistungen betrifft, als widerlegt anzusehen. Entgegen seiner Behauptungen ist sich die Bundesanwaltschaft sicher: Der Angeklagte Gerlach hat von vornherein mit der ernsthaften Möglichkeit gerechnet, dass die drei spätestens mit ihrem Untertauchen eine heimlich agierende Gruppe gebildet hatten und als solche die Begehung tödlicher bewaffneter Aktionen gegen Ausländer und den Staat nicht nur beabsichtigten, sondern auch durchführten, um einer Gesellschaftsordnung im Sinne ihres nationalsozialistischen Gedankenguts den Weg zu bereiten. Dieses Ergebnis der Würdigung ergibt sich aus folgenden, in der Hauptverhandlung erhobenen Indiztatsachen:
Zunächst einmal ist von grundlegender Bedeutung, dass der Angeklagte Gerlach als einer der engsten Weggefährten schon vor deren Untertauchen die radikale und hochextremistische Gesinnung von Böhnhardt und Mundlos, in deren Gefolge sich stets die Angeklagte Zschäpe aufhielt, aus eigener Anschauung kannte. Ich will an dieser Stelle die von der Kollegin Greger und mir bereits dargelegte und am historischen Nationalsozialismus auch in der Dimension des Völkermords an den europäischen Juden orientierte Grundhaltung der Drei wie auch der gesamten rechtsextremistischen Szene Jenas, der der Angeklagte Gerlach angehörte, nicht noch einmal darlegen. Ich rufe dies ebenso in Erinnerung wie die Tatsachen, die diese extremistische Haltung der drei allgemein haben offenbar werden lassen.
Auch der Angeklagte Gerlach selbst hat in seiner Vernehmung vom 13.11.2011 die Jenaer Szene als Neonaziszene beschrieben, deren Angehörige sich bagatellisierend lediglich als Nationalisten bezeichnet hätten. Dies hat der Zeuge Hoffmann so bekundet, der hier als Vernehmungsbeamter des damaligen Beschuldigen Gerlach befragt worden ist. Gleich bei dieser frühen Vernehmung erwähnte der Angeklagte zudem, dass es innerhalb dieser Szene Abstufungen innerhalb der Radikalität gab. So berichtete der Angeklagte Gerlach, dass es innerhalb des Nationalen Widerstandes Jena – dazu zählte er Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, André Kapke, die Angeklagten Zschäpe und Wohlleben sowie sich selbst – immer wiederkehrende Diskussionen über die strategische Ausrichtung und vor allem über die Begehung bewaffneter Aktionen gegeben habe. Er selbst rechnete sich angesichts der Diskussionsverläufe dem gemäßigten Flügel der Jenaer Kameradschaft zu. Was gemäßigt in diesem Zusammenhang bedeuten soll, kann man der Vernehmung durch den Zeugen Schartenberg eingeführten Vernehmung vom 13.3.2012 entnehmen: Dort erläuterte der Angeklagte Gerlach, dass es sich bei dem von Mundlos entwickelten Pogromly-Spiel – über das wir hinlänglich Beweis erhoben und auch schon gesprochen haben – um eine extrem judenfeindliche Abwandlung von zum Monopolyspiel handelte, die alle lustig fanden, auch er selbst, der gemäßigte unter den Neonazis. Heute sei ihm das unangenehm. Wenn der Angeklagte Gerlach als Vertreter des gemäßigten Flügels der Kameradschaft Jena das abgründige Spiel ebenso wie der nach diesen Maßstäben ebenfalls gemäßigte Angeklagte Wohlleben lustig gefunden hat, dann hat man eine Vorstellung davon, wessen Geistes Kind unter diesen Umständen erst die radikalen Mitglieder der Kameradschaft Jena waren. Viel Raum für Friedensfliegerei bleibt da jedenfalls nicht mehr. Über die Richtungsdiskussionen innerhalb der Kameradschaft Jena habe ich am letzten Hauptverhandlungstag vor der Sommerpause bereits gesprochen. Ich werde die Einzelheiten jetzt nicht mehr vollständig wiederholen. Hier ist entscheidend: wenn in einem solchen gesellschaftlichen Klima, in denen man Gesellschaftsspiele über den paraindustriellen Völkermord an den europäischen Juden nichts anderes als lustig findet, wenn in einem solchen gefestigten Klima Richtungsdiskussionen geführt werden über die Frage der Bewaffnung und über das Aktionspotential mit der Zielrichtung, mehr machen zu wollen, dann ist doch bereits im Ansatz klar, dass man auch als selbsternannter Gemäßigter – wie der Angeklagte Gerlach sich selbst bezeichnet – dass man auch als selbsternannter Gemäßigter die praktische Gefährlichkeit der Radikalen innerhalb der Kameradschaft erkennt. Und damit muss auch bereits im Ansatz klar sein, dass der Angeklagte Gerlach bereits zum damaligen Zeitpunkt Mitte der 90er-Jahre zumindest die potentielle Bereitschaft der Angeklagten Zschäpe und Böhnhardt und Mundlos, in den bewaffneten Kampf zu ziehen, erkannt hat.
Er war Augen- und Ohrenzeuge dieser Radikalen, wonach sie den bewaffneten Kampf gegen die Feinde des deutschen Volkes zu führen bereit und gewillt waren. Und dass es in diesen Richtungsdiskussionen genau darum ging, hat der Angeklagte Gerlach in seinen Vernehmungen 2011 bzw. 2012 selbst angegeben. Er erläuterte, es habe in seinem Beisein innerhalb der Kameradschaft Jena zwischen Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe, dem Angeklagten Wohlleben, André Kapke und ihm selbst immer wiederkehrende – wörtlich sagte er: „nie abreißende“ – Diskussionen über die Ausrichtung der Kameradschaft gegeben und dies insbesondere zu der Frage, ob man sich Schusswaffen besorgen sollte, ob man – so wörtlich – „mehr machen“ solle als nur symbolhafte Aktionen. Die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos sind bei diesen Diskussionen als „Hardliner“ aufgetreten und haben eben genau die Auffassung vertreten, dass man mehr machen müsse, und haben sich für eine Bewaffnung mit Schusswaffen ausgesprochen. Während der Zeuge Kapke unentschlossen gewesen sei, hätten der Angeklagte Wohlleben und er sich dagegen ausgesprochen. Das Meinungsbild ergab nach den Angaben des Angeklagten Gerlach bei einer Enthaltung ein Stimmenverhältnis – so wörtlich – von 3:2 gegen die Ausstattung mit Schusswaffen und eine entsprechende Intensivierung der Aktionen im politischen Kampf. Denn darum ging es, und das wusste natürlich auch der Angeklagte Gerlach.
Entgegen seiner Aussage in der Hauptverhandlung waren die immer wiederkehrenden Diskussionen keine widerstandstheoretischen Diskurse – da tagte ja kein Teestubenzirkel gesellschaftskritischer Philosophiestudenten, sondern es ging unter hartgesottenen Rechtsextremisten um die konkrete Ausrichtung einer Kameradschaft. Es ging darum, ob man mehr machen müsse als nur „Propaganda“, als die Verteilung von Flugblättern und die Teilnahme an Demonstrationen, mehr machen als das Versenden von Drohbriefen und das Ablegen von Bombenattrappen. Bei diesen Diskussionen, die jeweils Böhnhardt und Mundlos angestoßen hatten, war stets die Frage, wer an solchen Aktionen teilzunehmen bereit sei. Und „mehr machen“ im Zusammenhang mit der Bewaffnung mit Schusswaffen hat bei dem Angeklagten Gerlach nur einen Überlegung auslösen können, dass nämlich die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos prinzipiell zur Anwendung ideologisch motivierter Gewalt bereit sind, und zwar gerade auch gegen Ausländer. Soweit der Angeklagte in seiner Vernehmung von 2012 meinte, es sei nur über gewalttätige Aktionen gegen den Staat, nicht aber gegen Ausländer diskutiert worden, ist dies unglaubhaft, jedenfalls aber wenig aussagekräftig. Der Zeuge Kapke hat in seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung deutlich gemacht, dass zentrales Thema in der Kameradschaft Jena der Zuzug von Ausländern nach Deutschland gewesen sei. Die Grundstimmung sei gegen Ausländer gerichtet gewesen. Man habe den Zuzug von Ausländern dem Staat, nicht aber den Ausländern zugerechnet, so Kapke. Dass damals möglicherweise noch nicht über die Ermordung einzelner Menschen mit Einwanderungshintergrund gesprochen worden ist – möglicherweise standen damals auch konkrete Gewalttätigkeiten gegen einzelne Ausländer noch nicht im Fokus der Überlegungen –, mag sein. Aber durch diese Formulierung des Zeugen Kapke wird deutlich, dass man innerhalb der Kameradschaft Jena gerade nicht vom Kampf gegen den Zuzug von Ausländern vom Kampf gegen den Staat unterschieden hat. Zudem hat der Zeuge Kapke sich diesbezüglich in schonungsloser und abgründiger Offenheit einer Metaphorik hingegeben, die in der Dimension bei niemandem im Saal unverstanden geblieben ist. Zum Kampf gegen Ausländer sagte der Zeuge Kapke, man bekämpfe Unkraut ja auch nicht dadurch, dass man einzelne Blätter abzupfe, sondern dadurch, dass man es an der Wurzel ausreiße. Alleine diese Wortwahl lässt keinen Zweifel daran zu, welchen Grundwert man Menschen mit ausländischen Wurzeln zubilligt. Dass der Angeklagte Gerlach angesichts der Gesamtstimmungslage den aktionswilligen Kameradschaftsmitglieder Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe deswegen auch durchaus zugetraut hat, dass diese drei sich prinzipiell auch den Blättern zuwenden würden, wenn die Wurzel nicht erreichbar ist, daran kann kein Zweifel bestehen.
Die persönliche Vorstellungswelt des Angeklagten Gerlach im Hinblick auf das ideologisch motivierte Aktionspotential von Mundlos, Böhnhardt und der Angeklagten Zschäpe hat dann spätestens nach deren Untertauchen weitere Aufhellung erfahren. Denn seiner eigenen Einlassung zu Folge erfuhr der Angeklagte Gerlach erst nach dem Untertauchen durch den Zeugen Kapke davon, dass die in Jena begangenen Straftaten, die ihm geläufig waren, von Mitgliedern seiner eigenen Kameradschaft begangen worden waren. Dies schließt insbesondere auch die die Verantwortlichkeit der Drei für den Sprengstoff- und Rohrbombenfund in der Garage am 26.1.1998 ein, die den Anlass zum Untertauchen gab. Der Angeklagte Gerlach räumte dies ein, meinte aber, dass der Angeklagte Wohlleben ihm erklärt habe, dass die in der Garage sichergestellten Rohrbomben nur zur ultimativen Bedrohung gedacht gewesen seien, ähnlich der Kiste auf dem Theaterplatz in Jena. Dort sei der Sprengstoff auch nicht zündfähig gewesen. Auch die Untergetauchten sollen ihm erklärt haben, noch keine konkreten Pläne für die Verwendung der selbstgebauten Rohrbomben gehabt zu haben. Angesichts der Menge Sprengstoff von ca. 1,4 kg und des weit fortgeschrittenen Baus von Rohrbomben dürften aber „ultimative Drohungen“ fernliegen. Schon die Menge des verbauten Sprengstoffs überschreitet das für bloße Drohabsichten nachvollziehbare Maß, sondern war vielmehr ein natürliches Glied einer Eskalationskette, deren „ultimative Drohung“ bereits durch das Abstellen einer Rohrbombenattrappe am 2.9.1997 vor dem Theater in Jena verbraucht wurde. Jedenfalls kann sich auch der Angeklagte nicht erfolgreich der Erkenntnis verstellt haben, dass zumindest die nicht fernliegende Möglichkeit bestanden hatte, dass die drei Untergetauchten die Rohrbomben eigentlich zur Umsetzung bringen wollten. Dies gilt umso mehr, weil die drei Verantwortlichen Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe sich gegenüber dem Angeklagten Gerlach gerade nicht auf reine Drohabsichten berufen haben, sondern ihm gegenüber nach seiner eigenen Einlassung geäußert hätten, sie hätten nur noch keine konkreten Pläne gehabt, was sie mit dem Sprengstoff hätten tun wollen. Diese Erklärung ließ für den Angeklagten Gerlach, und über dessen Einschätzung sprechen wir, erkennbar alle Optionen offen.
Allerspätestens im Nachgang zu der bereits bei meinen Ausführungen zum Angeklagten Wohlleben beschriebenen Übergabe einer scharfen Pistole mit Munition in den Jahren 2001 oder 2002 durch den Angeklagten Gerlach war ihm auch klar, dass die schon seit Mitte der 1990er Jahre mit der Angeklagten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos geführte Richtungsdiskussionen zumindest ab diesen Zeitpunkt deutlich mehr war als eine rein theoretische Überlegung. Das ist ja seine Behauptung, die Richtungsdiskussionen seien rein theoretischer Natur gewesen. Die Vorstellung, der Angeklagte Gerlach könnte sich aber nach dieser Waffenübergabe noch der Einsicht verschlossen haben, dass ein tödlicher Gebrauch von Schusswaffen durch die Drei zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele nahelag, ist abseitig. Die von ihm übergebene Waffe mit scharfer Munition war eben keine graue Theorie mehr, sondern ein Mittel zur Tötung in der Hand untergetauchter Rechtsextremisten. Nach seiner eigenen Einlassung erklärte der als Beschaffer dieser Waffe tätig gewesene Angeklagte Wohlleben ihm, dass die Drei die Waffe wirklich dringend benötigten und dass er, Gerlach, besser nicht wisse, wofür die Waffe von ihnen gebraucht würde. Zu diesem Zeitpunkt ging jedoch der Angeklagte Gerlach bereits davon aus, dass die Untergetauchten zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts fortwährend Raubüberfälle begingen. Das schlussfolgerte der Angeklagte Gerlach zwanglos und zu Recht daraus, dass die Angeklagte Zschäpe ihm zeitlich vor der Übergabe, nämlich bei Übergabe des im Jahr 2001 beschafften Reisepasses, 13.000 DM übergegeben hatte, als Rückzahlung einer 1998 gewährten Barunterstützung von 3.000 DM sowie die 10.000 DM als Depot für die Zwecke der Untergetauchten.
In seiner Vernehmung vom 12.01.2012 führte der Angeklagte Gerlach zu seinen Erklärungen für die Herkunft des Geldes aus: „Als mir die 13.000 DM damals übergeben wurden, sagten mir die drei auf meine Frage hin, woher das Geld stamme, dass sie eine Möglichkeit zum Leben gefunden hätten. Die drei haben nicht ausdrücklich gesagt, woher das Geld stammt, aber ich bin davon ausgegangen, dass es nicht legal ist.“ Und es liegt nicht nahe, dass der Angeklagte Gerlach annahm – ich hatte das bei allen Angeklagten schon ausgeführt –, dass die Geldmittel würden aus Alltagsbetrügereien und kleinen Diebstählen stammen – alles Delikte, die mit dem Leben im Untergrund nicht vereinbar sind, weil sie ein hohes Entdeckungsrisiko bergen und im Übrigen nur unter erheblichen Schwierigkeiten zu Einnahme führen, von denen man ein ganzes Leben bestreiten kann. Daher war dem Angeklagten Gerlach auch klar, mindestens hielt er es aber für möglich, dass die drei Raubüberfälle begehen.
Die Bemerkung des Angeklagten Wohlleben, dass die drei die Waffe dringend benötigen und er lieber nicht nachfragen soll, kann zu diesem Zeitpunkt, mindestens ein Jahr nach der Übergabe von 13.000 DM, sinnvollerweise nur so verstanden werden, dass die drei nunmehr die von ihnen stets propagierten bewaffneten Aktionen würden durchführen wollen. Denn angesichts seiner eigenen Erkenntnisse und des Umstandes, dass er wusste, dass auch der Angeklagte Wohlleben 10.000 DM erhalten hatte, besteht kein Grund anzunehmen, der Angeklagte Wohlleben wollte ihm verschweigen, dass die drei Untergetauchten nunmehr Banküberfälle unter Verwendung von Waffen begehen.
Erweislich ist die Erkenntnis des Angeklagten Gerlach, dass die Waffe nicht etwa nur der Begehung von Raubüberfällen dienen sollte, sondern auch der Ermordung ideologisch verhasster Personen, seien es Ausländer, seien es Repräsentanten des Staates, auch schon deshalb, weil der Angeklagte Gerlach selbst das Risiko rassistisch motivierter Tötungen bereits unmittelbar nach Übergabe der scharfen Waffe selbst benannt hatte. Seiner eigenen Einlassung zufolge hielt er den dreien unmittelbar nach Übergabe der Waffe vor, dass man doch nicht „mit fünf Leuten die Welt retten“ könne. Damit stellt der Angeklagte Gerlach selbst den Zusammenhang zwischen der Waffe und den politisch ideologisch motivierten Taten dar. Denn er hat nicht etwa der Angeklagten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos davon abgeraten, bewaffnete Raubüberfälle zu begehen, sondern er hat sich dagegen ausgesprochen, mit diesen Mitteln – also mit Waffengewalt – die Welt zu retten; also mit Waffengewalt den politisch-ideologischen Kampf um eine Staats- und Gesellschaftsordnung nach deren neonazistischen Vorstellung zu führen. Anders kann diese Bemerkung des Angeklagten Gerlach sinnvollerweise nicht gedeutet werden. Denn die Wendung der Weltenrettung bezieht sich ersichtlich nicht auf eigennütziges Tun – also Banküberfälle –, sondern auf ideologische Überzeugungsdelikte, bei der sich die meist verblendeten Täter einbilden, sie würden die Welt zum Besseren verändern.
Dass er die Brisanz der Waffenübergabe – der er angab sich wegen der Überrumpelung durch den Angeklagten Wohlleben nicht entziehen zu können – und damit die Möglichkeit der Begehung schwerster Straftaten mit dieser Waffe erkannt hatte, folgt schließlich auch aus seiner Empörung, auf diese Weise in die Untergrundaktivitäten der drei eingebunden zu sein. So zerbrach die langjährige Freundschaft zu dem Angeklagten Wohlleben, der den Angeklagten Gerlach zu einem nichtsahnenden Boten gemacht hatte. Auch gegenüber der Angeklagten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos erklärte der Angeklagte Gerlach empört, dass er mit Waffen nichts zu tun haben wolle, er nie wieder eine Waffe für die drei transportieren werde. Dass der Angeklagte Gerlach dieses eine Mal – ungeachtet des Umstandes, dass er die Waffenübergabe letztendlich mit vollem Wissen vollzogen hat –, dieses eine Mal seinen Unwillen deutlich zum Ausdruck gebracht hat und im Hinblick auf Waffen eine Zusammenarbeit für die Zukunft definitiv ausgeschlossen hatte, ist nur damit zu erklären, dass er eben nicht daran glaubte, die drei hätten die Waffe lediglich als Gegenstand persönlicher Ergötzung, aus Sammelleidenschaft oder für schießsportliche Ambitionen haben wollen. Ihm war klar, dass die Waffe angesichts der extremen Ausrichtung der Drei und ihrer schon vorher geforderten Ausweitung hin zu Schusswaffenanschlägen als Ausdruck des politischen Kampfes auch tatsächlich zum Einsatz kommen könnte. Daran wollte er sich nicht beteiligen, das ging ihm – anders als dem Angeklagten Wohlleben – ersichtlich zu weit. Völlig unerheblich ist dabei, das sei am Rande bemerkt, ist, dass die tatsächliche Verwendung der übergebenen Waffe bei einer der Taten des NSU mangels Identifizierung weder nachgewiesen noch ausgeschlossen werden konnte.
Seine Kenntnis vertiefte sich noch weiter, bevor er mit der Übergabe des Ersatzführerscheins 2004 die erste angeklagte Unterstützungshandlung beging. Der Angeklagte räumte ausweislich der Bekundung des Zeugen Schartenberg in seiner Vernehmung vom 12.1.2012 freimütig ein, etwa 2002 oder 2003 von Uwe Mundlos erfahren zu haben, dass er von einem Bekannten mehrere weitere Waffen erhalten habe, darunter auch eine Pumpgun. Hier handelte es sich angesichts der waffentechnischen Übereinstimmung und Wiedererkennung durch den Angeklagten Gerlach um die im Wohnmobil sichergestellte Mosberg Maverick Modell 88. Dem Angeklagten Gerlach war zu diesem Zeitpunkt damit klar, dass seine Freunde sich zwischenzeitlich mit einem ganzen Waffenarsenal versorgt hatten.
Im Hinblick auf das Risikowissen des Angeklagten Gerlach ist aber noch ein weiterer Gesichtspunkt von Belang. In seiner ermittlungsrichterlichen Vernehmung vom 14.11.11, über die der Kollege und Zeuge Dr. Moldenhauer hier berichtet hat, erklärte der Angeklagte Gerlach, in der Zeitung habe gestanden, es gebe gar keinen Haftbefehl mehr gegen die Drei, weil die Anlass zum Untertauchen gebenden Taten verjährt gewesen seien. Er habe daher gedacht, die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos lebten nicht mehr im Untergrund im Sinne einer andauernden Flucht. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens und der Fahndung gegen die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos erfolgte im Jahr 2003 und wurde medial verbreitet, wie sich etwa auch aus den Aussagen der Zeugen Dr. Mundlos und Thomas Rothe ergibt. Daraus folgt, dass der Angeklagte Gerlach noch vor seiner ersten angeklagten Unterstützungshandlung davon ausgegangen, ist, dass den Drei keine Strafverfolgung mehr drohte. Gleichwohl musste er aber zur Kenntnis nehmen, dass die Drei weiterhin und auf Dauer ein Leben im Untergrund unter Verwendung von Tarnpersonalien führen wollten. Begleitet war dieses zudem noch finanziell durchweg aufwendig gestaltete Leben im Untergrund über den gesamten Zeitraum von vierzehn Jahren, in denen der Angeklagte Gerlach die drei unter konspirativen Bedingungen unterstützte; von regelmäßigen „Systemchecks“, mit denen die Drei die fortdauernde Brauchbarkeit der vom Angeklagten Gerlach zur Verfügung gestellten Personalien prüften. Es bestand jedoch für den Angeklagten Gerlach spätestens nach der von ihm zur Kenntnis genommenen Einstellung des zum Untertauchen führenden Ermittlungsverfahren erkennbar überhaupt gar kein weiterer nachvollziehbarer Anlass mehr, über einen längeren Zeitraum die Legendierung des Uwe Böhnhardt zu unterstützen, die Anmietung von Autos und der Angeklagten Zschäpe das Aufsuchen von Ärzten zu ermöglichen, und das alles noch unter Inkaufnahme des Risikos ziviler und strafrechtlicher Haftung, als derjenige Anlass, dass der Angeklagte Gerlach damit rechnete, dass der Aufenthalt im Untergrund einen anderen Zwecke als das bloße Verbergen vor den Strafverfolgungsbehörden verfolgte, wie er mangels sinnvoller Alternativen auch erkannte. Als einziger Zweck verblieb nur die Fortführung des Mitte der 1990er-Jahre begonnenen neonazistischen Kampfes gegen Staat und Gesellschaft auch unter Verwendung von Schusswaffen.
Daraus folgt, zum Zeitpunkt der ersten angeklagten Unterstützungshandlung im Jahr 2004 hatte der Angeklagte Gerlach Kenntnis von vier wesentlichen Aspekten zu der Angeklagten Zschäpe und Böhnhardt und Mundlos:
1. dass sie sich schon immer auf neonazistischer Grundlage für einen bewaffneten Kampf gegen Staat und Gesellschaft eingesetzt und deswegen Straftaten in gravierendem Ausmaß begangen haben,
2. ihren Lebensunterhalt aus seiner Sicht spätestens seit 2001 durch Raubüberfälle finanzierten,
3. dauerhaft im Untergrund leben wollten, obschon wegen der Einstellung des ursprünglichen Ermittlungsverfahrens aus seiner Sicht der Anlass zum Untertauchen entfallen war, und
4. die Drei sich unter anderem mit seiner Hilfe ein ganzes Arsenal scharfer Schusswaffen nebst Munition verschafft hatten.
Jeder einzelne Aspekt für sich genommen mag nicht ausreichen, um auf die Idee zu kommen, dass die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos Morde an Migranten und Repräsentanten des Staates begehen könnten. Das ist aber auch keine relevante Fragestellung, denn dem Angeklagten Gerlach lagen diese Erkenntnisse noch vor seiner ersten anklagegegenständlichen Unterstützungshandlung in Kumulation vor. Und jedenfalls in Kumulation dieser Erkenntnisse kann bei dem Angeklagten Gerlach kein Weg an der konkreten Einsicht vorbeigeführt haben, dass seine drei Freunde sich gerade auf Dauer im Untergrund zusammengeschlossen haben, um zur Durchsetzung ihrer Ziele Tötungsdelikte an aus ihrer Sicht missliebigen Repräsentanten von Staat und Gesellschaft, einschließlich Ausländern unter Verwendung von Schusswaffen zu begehen.
Herr Vorsitzender, hier wäre es sinnvoll, einen sachlichen Cut zu machen.
Vorsitzender: Dann unterbrechen wir für heute.
[Ende der Hauptverhandlung: 15:57 Uhr]