05.12.2017

Weitere Plädoyers der Nebenklage

Heute beendete zunächst Antonia von der Behrens ihr Plädoyer. Im ersten Teil letzte Woche hatte sie anhand einer überwältigenden Zahl von Einzeltatsachen ein Mosaik zusammengefügt, das die zwei zentralen Thesen ihres Plädoyers belegte: das NSU war von einem Netz von V-Leuten und anderen Informant_innen von Verfassungsschutz- und anderen Behörden umgeben, und der Inlandsgeheimdienst hatte zahlreiche Informationen über die NSU-Mitglieder und deren Aufenthaltsort, hat aber mehrmals unterlassen, diese Informationen weiterzuleiten, hat so die Festnahme von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe verhindert und letztlich weitere Morde ermöglicht.

Heute wandte sich Antonia von der Behrens der Zeit nach 2011 zu und nahm neben dem Verfassungsschutz auch die Bundesanwaltschaft in den Blick. Auch hier zeigte sich wiederum ein klares Bild: Schreddern und „Verlieren“ der Akten von V-Leuten aus dem Umfeld des NSU, V-Männer und deren V-Mann-Führer, die vor Gericht vorgaben, sich nicht zu erinnern, oder gleich die Unwahrheit sagten, Zurückhalten von Informationen, von der Zurückhaltung weiteren Wissens, dessen Ausmaß naturgemäß gar nicht bekannt ist, ganz zu schweigen – nahezu alles, womit die Verfassungsschutzbehörden die Aufklärung des NSU-Komplexes hintertreiben konnten, haben sie getan.

Unterstützt wurde der Inlandsgeheimdienst von der Bundesanwaltschaft, die – der falschen These der isolierten Dreierzelle und zudem dem Staatsschutz, hier dem Schutz der Verfassungsschutzbehörden verpflichtet – schon nicht in Richtung der Zeugen, die für den Verfassungsschutz gearbeitet hatten, ermittelte, solche Zeugen in der Anklage nicht erwähnte, Fragen und Anträge der Nebenklage zu diesem Aspekt bekämpfte und relevantes Wissen vorenthielt, etwa indem sie Zeugenvernehmungen in anderen Ermittlungsverfahren zum NSU-Komplex parkte und der Nebenklage mit fadenscheinigen Begründungen Akteneinsicht in weitere Akten verweigerte.

Schließlich kritisierte Antonia von der Behrens auch das Gericht, das zwar einzelnen Aspekten nachgegangen war – so etwa Fragen der Ideologie und der Strategie des „führerlosen Widerstands“ und dem Unterstützernetzwerk aus dem „Blood and Honour“-Umfeld, aber an vielen Stellen auch eine viel zu enge Vorstellung von der Aufklärungspflicht des Gerichts zu Grunde gelegt und so den Opfern die Beantwortung ihrer drängenden Fragen unmöglich gemacht hatte.

Zschäpe-Verteidiger Heer und Stahl versuchten wieder einmal, das Plädoyer zu stören – bezeichnenderweise war es wieder einmal die Kritik an staatlichen Stellen, die sie hierzu brachte. Diese Unterbrechungen scheinen soweit zum Ritual geworden zu sein, dass sich die beiden Verteidiger nicht einmal mehr die Mühe machen, sie inhaltlich über eine Wiederholung der gebetsmühlenartig wiedergekauten Floskeln von „Inbegriff der Hauptverhandlung“ und „weitschweifig“ hinaus. Und auch das Gericht scheint langsam die Geduld zu verlieren – hier etwa daran zu erkennen, dass der Vorsitzende anders als sonst nicht einschritt, als die Ausführungen Heers und Stahls zu Gelächter im Saal führten. Am Ende wurde – natürlich – die Beanstandung zurückgewiesen und Antonia von der Behrens konnte fortfahren.

Sie endete mit einem unbequemen Fazit:

„Das hiesige Verfahren hat nicht die nötige Aufklärung erbracht. Dieser Umstand ist zu kritisieren, aber nicht überraschend. Die Machtverhältnisse zwischen unseren Mandanten und uns auf der einen und den Sicherheitsbehörden auf der anderen Seite ist zu ungleich. Die Aufklärung von Verbrechen mit staatlicher Verstrickung brauchen Jahrzehnte, wenn sie denn jemals gelingen. Sie braucht eine aktive, die Geschädigten und die Forderung nach Aufklärung nicht vergessende Öffentlichkeit, sich diesen verpflichtet fühlenden Parlamentarier, Journalisten und Anwälte. Sie braucht whistle blower aus dem System oder das Aufbrechen von Interessengegensätzen im Sicherheitsapparat, die Leaks von relevanten Informationen zur Folge haben. Die Forderung nach Aufklärung darf mit dem Ende dieses Verfahrens nicht verstummen und sich von den der Staatsräson geschuldeten Widrigkeiten nicht beirren lassen. In Bezug auf das Oktoberfestattentat hatte immerhin der Wiederaufnahmeantrag nach 34 Jahren Erfolg.“

Wir verweisen gerne auf die Zusammenfassung des Plädoyers von Antonia von der Behrens.

Es folgten sodann unsere eigenen Plädoyers.

Björn Elberling befasste sich mit den Raubtaten des NSU und den darauffolgenden Ermittlungen. Er zeigte, dass sich viele der Aspekte, die die Nebenklage im Prozess immer wieder thematisiert hat, sich auch bei diesen Taten sozusagen „im Kleinen“ wiederfinden: die erschütternde Brutalität und Enthemmtheit der NSU-Mitglieder, ihre Eingebundenheit in ein Netzwerk eingeweihter Unterstützer, die der Staatsräson geschuldete Einengung der Ermittlungen anhand der These von der isolierten Dreier-Zelle, und die Rolle des Verfassungsschutzes, der eine Aufklärung auch der Raubtaten – und damit möglicherweise auch insoweit die Verhinderung weiterer Morde – vereitelte.

Dabei legte RA Elberling dar, dass der Versuch der Verteidigung Wohlleben, Böhnhardt und Mundlos als unpolitische, krankhaft-gewalttätige Psychopathen darzustellen, durchaus einem weit verbreiteten Muster zur Verharmlosung von rassistischen und nazistischen Gewalttaten folgt, aber ein leicht durchschaubarer Taschenspielertrick ist: natürlich wurde auch der Attentäter des Anschlages beim Münchner Olympiaeinkaufszentrum bis vor kurzem als „Amokläufer“ bezeichnet und damit seine offensichtliche rassistische Tatmotivation verschleiert. Ähnliche Argumentationen tauchen immer dann auf, wenn eine Auseinandersetzung mit den wirklichen Motiven eines Täters vermieden werden soll. Dabei ist es ja gerade umgekehrt: die politisch-ideologischen Grundlagen des Faschismus und Nationalsozialismus führen zwangsläufig zu einer Entmenschlichung des politischen Gegners und damit zu völliger Enthemmung und exzessiver Brutalität.

Björn Elberling kritisierte des Weiteren die Ermittlungen nach 2011, die an vielen Stellen erschütternd dilettantisch waren – so wurde etwa sein eigener Mandant, immerhin Opfer eines versuchten Mordes, erst mehrere Jahre nach Erhebung der Anklage und auf Anträge der Nebenklage namentlich gemacht, bis dahin war er nur ein „sechzehnjähriger Jugendlicher“ gewesen. Björn Elberling machte klar, dass diese mangelhaften Ermittlungen sich auch an anderen Stellen zeigten und ein Einfluss der Engführung des Ermittlungsverfahrens durch die Bundesanwaltschaft sind: all dem, was nicht zur Bestätigung der engen Anklage benötigt wird, wird nur extrem halbherzig nachgegangen.

Wir verweisen auch insoweit auf die Zusammenfassung des Plädoyers von Björn Elberling.

Alexander Hoffmann konnte sein Plädoyer heute leider nicht beenden, weil Ralf Wohlleben über Konzentrationsschwierigkeiten klagte. Hoffmann hatte direkt zuvor begonnen, die Ideologie der drei Stränge der NSU-Mitglieder und ihrer Unterstützer darzustellen: den Thüringer Heimatschutz als Teil der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“, die Szene um Blood and Honour, die Hammerskins und die daran orientierte „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“ der Brüder Eminger, und die NPD. Zu Blood and Honour und zur NPD und damit zur Rolle Wohllebens war er noch nicht gekommen, aber wir glauben gerne, dass schon die Ankündigung einer Widerlegung seiner Selbstdarstellung als nationalpazifistischer Ethnopluralist Wohlleben Kopfschmerzen bereitet.

RA Hoffmann stellte dar, dass die NSU-Verbrechen die gesellschaftliche Spaltung zwischen „Deutschen“ und „Fremden“ vergrößert haben und damit sogar erfolgreich waren.

„Indem der NSU seine Morde vornehmlich gegen aus der Türkei stammende Menschen richtete und dabei klar einkalkulierte, dass der bestehende institutionelle Rassismus die Opfer zu Tätern machen und eine Aufklärung ohne Selbstbekennung nicht erfolgen würde, wurde das Vertrauen von Menschen mit Migrationshintergrund in den deutschen Staat in nie dagewesener Weise angegriffen. Es entstand für dieser Menschen das Gefühl, nicht schützenswerter Teil der deutschen Gesellschaft und damit aus der gesellschaftlichen Solidargemeinschaft ausgeschlossen zu sein. […]

Diese Spaltung der Gesellschaft entspricht zu 100 % der Ideologie aller bekannten Mitglieder und Unterstützer des NSU. Diese Tatmotivation findet sich in den Propagandaschriften sowohl des Netzwerkes um den Thüringer Heimatschutz, bei Blood and Honour, Emingers „Weisser Bruderschaft Erzgebirge“, in der Propaganda der Hammerskins, der NPD, die das Ganze als „Europa der Vaterländer“ verkauft, aber auch in Höckes und Gaulands AfD, die zur Zeit die deutsche Gesellschaft nach rechts treibt.“

Zuvor hatte RA Hoffmann die Situation seiner Mandanten, beide Nebenkläger aus der Keupstraße, dargestellt.

Unter der Überschrift „Niemand wird vergessen – Hiç unutmadık, hiç unutmayacağız“ hatte er noch einmal nachvollzogen, wie seine Mandantin die Zulassung ihrer Nebenklage wegen versuchten Mordes erstritt, obwohl sie nicht unmittelbar durch die Explosion oder Splitterwirkung verletzt wurde. Er vollzog nochmals nach, wie die Bundesanwaltschaft zunächst versuchte, den offensichtlich vorliegenden Tötungsvorsatz gegenüber allen Menschen in Reichweite der hier verwendeten Nagelbombe auszublenden. Seine Mandantin war die erste Nebenklägerin aus der Keupstraße, deren Nebenklage zunächst ausschließlich wegen versuchten Mordes angenommen wurde, weil sie sich im potentiellen Wirkungsbereich der Bombe befand. Erst danach wurden noch zahlreiche weitere NebenklägerInnen aus der Keupstraße zugelassen.

„Die Bundesanwaltschaft hat in ihrem Plädoyer beantragt, die Angeklagte Beate Zschäpe wegen des Bombenanschlages auf die Keupstraße am 09.06.2004 wegen versuchten Mordes in 32 Fällen zusammentreffend mit 23 Fällen der gefährlichen Körperverletzung, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen. Mit keinem Wort hat einer der Vertreter des Generalbundesanwaltes erwähnt, dass in der ursprünglichen Anklageschrift nur von einem versuchten Mord in 22 Fällen die Rede war. Meine Mandanten tauchen beide in der Anklageschrift nicht als Opfer des Bombenanschlages auf.“ […]

„Der Umstand, dass nunmehr eine Verurteilung der Angeklagten Zschäpe wegen einer Tat des versuchten Mordes in 32 Fällen, zu Lasten von 32 Menschen zu erwarten ist, ist ein Verdienst der Nebenkläger, die sich nicht abschrecken ließen, die auf ihrem Recht beharrten. Der Generalbundesanwalt wollte diese weiteren 10 Fälle nicht anklagen, er hat nachhaltig versucht, diesen Menschen ihre Rechtsposition und damit auch die staatliche Anerkennung dieser zehn Menschen als Opfer des NSU vorzuenthalten.“

Sein Plädoyer wird nächste Woche fortgesetzt.

Morgen werden die Vertreter_innen der Familie Yozgat sprechen, auch die Familie selbst wird anwesend sein.