07.02.2018

Abschluss der Nebenklageplädoyers voraussichtlich morgen.

Das Befangenheitsgesuch der Verteidigung Wohlleben von letzter Woche wurde erwartungsgemäß als unbegründet zurückgewiesen, so dass heute weiterverhandelt werden konnte. Das Gericht wies zunächst die Beanstandungen der Verteidigung vom 20.12.2017 zurück, mit denen diese erreichen wollte, dass der Vorsitzende den Nebenklägervertreter_innen Vorgaben für den Inhalt der Plädoyers macht. Die Verteidigung beantragte und bekam eine längere Pause zur Beratung, nahm den Beschluss aber hin. So konnten endlich die Nebenklageplädoyers weitergeführt werden.

Rechtsanwalt Reiger hielt ein Plädoyer in Vertretung für Rechtsanwalt Mohammed, der einen Geschädigten des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße vertritt. Er schilderte das Schicksal seines Mandanten, der als Christ aus Syrien vor Verfolgung nach Deutschland geflohen war und sich in Köln erstmals sicher fühlte – bis zum 9.6.2004, bis zum 4.11.2011. Er verwies auf die immer wieder in Beschlüssen des Senats geäußerte Auffassung, es gehe nur um die Schuld- und Straffolge hinsichtlich der fünf Angeklagten, und widersprach: es ging um viel mehr, u.a. um die Sicht der Polizei auf Migrant_innen und deren Behandlung durch staatliche Organe und um die Rolle des Verfassungsschutzes. Deswegen hätten sich die Justiz – also der Senat, aber auch die Anwält_innen im Verfahren – auch in verschiedener Weise bemüht, Aufklärung zu leisten. Die Vertreter_innen der Bundesanwaltschaft nahm er aus dieser Aufzählung bewusst aus.

Rechtsanwalt Erdal, der ebenfalls einen Verletzten aus der Keupstraße vertritt, plädierte ganz kurz: er schloss sich nur den Ausführungen der Bundesanwaltschaft an.

Den Abschluss für heute bildete Rechtsanwältin Kaniuka aus München, die für die Tochter des vom NSU ermordeten Habil Kılıç sprach. Sie sprach vor allem zur Lebensgeschichte der Familie Kılıç und von dem Leid, den der Mord, aber auch die rassistischen Ermittlungen, Presseberichterstattung usw. verursacht hatten. „Ich bin mir durchaus bewusst, dass dabei sehr schnell der Eindruck entstehen mag, das doch alles schon zu kennen. Auf den ersten Blick mag das auch stimmen. Aber in Wahrheit sind es keine Wiederholungen. Und zwar deshalb nicht, weil wir hier von singulären Schicksalen reden.  Jeder einzelne Nebenkläger, den die Morde oder Sprengstoffanschläge des NSU getroffen haben, hat seine eigene Geschichte.“

Und die Geschichte der Familie Kılıç schilderte sie sodann, beginnend mit dem Leben bis zum Mord an Habil Kılıç im August 2001 im ein Jahr zuvor eröffneten Lebensmittelgeschäft der Familie. Sie ging dann auf die Leidensgeschichte der Angehörigen ein, ausgelöst durch den Tod des geliebten Vaters und Ehemanns, aber auch durch die rassistischen, gegen die Familie gerichteten Ermittlungen der Polizei und die diese begleitende Berichterstattung der Presse. Barbara Kaniuka schilderte die Auswirkungen auf ihre Mandantin:

„Wie geht eine Zwölfjährige, die gerade unter für sie unbegreiflichen Umständen ihren Vater verloren hat, damit um, wenn in der Schule geredet wird, er sei ein Drogenhändler oder bei der Mafia gewesen? Der Schulleiterin wäre es ohnehin am liebsten gewesen, wenn das Kind die Schule ganz verlassen hätte, ein entsprechendes Ansinnen hat sie damals ganz offen an die Mutter herangetragen. Es hieß, man müsse die übrigen Schüler schützen und an deren Sicherheit denken. Wovor denn schützen und vor wem? Man muss sich mal in die Situation des Kindes und seiner Mutter versetzen: Aus der unauffälligen, normalen und völlig harmlosen Mitschülerin vor den Ferien war ein paar Wochen später ein vermeintliches Sicherheitsrisiko geworden, zu dem man sie kurzerhand auf der Grundlage von Gerüchten und Spekulationen erklärt hatte. Wenn jemand Schutz und Unterstützung gebraucht hätte, dann sie selbst.“

Auch sie kritisierte die Ermittlungen der Polizei, die noch im Gerichtssaal vom Chefermittler Wilfling verteidigt worden waren, scharf. Dabei waren auch in diesem Fall, wie in vielen anderen, zwei verdächtigte Fahrradfahrer von Zeug_innen beschrieben worden. Und bei der Polizei

„hatte anfangs jemand gar nicht so falsch gelegen. In einem Polizeibericht vom 29.08.2001 ist von einer „Bereichsfahndung nach verdächtigen Radfahrern über Ein-satzzentrale unter Hinweis auf Eigensicherung“ die Rede […]. Verdächtige Radfahrer, Eigensicherung –das kommt einem heute vor wie ein kurzer Lichtblick, bevor aus den beiden Männern unversehens unverdächtige potentielle Zeugen wurden, „möglicherweise wichtige Zeugen“, wie es in einem Vermerk vom 01.09.2001 heißt. Aber nachdem sie sich nicht von selbst gemeldet hatten…“

Die Verweigerung der Angeklagten Zschäpe, die berechtigten Fragen der Nebenkläger_innen zu beantworten, sei vielleicht auch der Versuch der Angeklagten, ein letztes Mal Macht auszuüben:

“Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe haben sich über Jahre hinweg die denkbar größte Macht angemaßt, indem sie über Leben und Tod von Menschen entschieden haben. Und dann in den Medien verfolgen können, wie die Ermittlungsbehörden im Dunkel getappt sind und sich von ihnen in die Irre haben führen lassen. Wie sich die von ihnen beabsichtigte Unsicherheit breitgemacht hat. Und wie obendrein ihre Opfer durch die Richtung der Ermittlungen in Misskredit geraten sind. Alles ihr Werk, das sie mit der Herstellung des Videos zusätzlich ausgekostet haben. Lange Zeit so viel Macht in einem ansonsten leeren Dasein, das sie mit geliehenen Identitäten und auf Kosten anderer geführt haben, und dann ist auf einmal nichts mehr davon übrig. Außer dem kümmerlichen Rest, Dinge zu wissen, die andere nicht wissen, aber so gerne erfahren würden; Hinterbliebene bitten zu lassen, zappeln zu lassen, sie nicht von der Ungewissheit zu erlösen.”

Aber dieser Versuch sei hinsichtlich ihrer Mandantin erfolglos geblieben:

“Sie, Frau Zschäpe, haben ihr mit dem Mord an ihrem Vater großes Leid zugefügt, das ihr Leben geprägt hat. Aber ich kenne Frau Kılıç als eine starke Persönlichkeit, deren Seelenfrieden nicht davon abhängt, ob Sie am Ende vielleicht doch noch einen Schritt in Richtung der Nebenkläger tun, so wünschenswert das auch wäre. Trotz der Steine, die Sie ihr in jungen Jahren den Weg gelegt haben, und allen Schwierigkeiten zum Trotz hat sie erfolgreich ihren Weg gemacht und ihren Platz gefunden. Sie lässt sich nicht vertreiben, ebenso wenig wie ihre Mutter, beide gehören hierher, ebenso wie Herr Kılıç hierher gehört hat.”

Für morgen werden noch die Plädoyers von Rechtsanwälten Alkan und Heising erwartet – sie vertreten weitere Verletzte des Keupstraßen-Anschlags. Zum anderen wird Rechtsanwalt Narin für die Familie des vom NSU ermordeten Theodoros Boulgarides sprechen, auch seine Mandantinnen haben sich angekündigt.

Als nächstes stehen die Plädoyers der Verteidigung an, so dass der Vorsitzende schon einmal anfragte, wie diese sich die Reihenfolge vorstellten. Die Verteidiger_innen der Angeklagten Zschäpe, Wohlleben und Eminger beantragten eine Unterbrechung von 3 Wochen (oder gar einem Monat– ganz deutlich wurde das bei RA Heer einmal wieder nicht). Zudem hat Rechtsanwalt Borchert darum gebeten, dass die Verteidigung Zschäpe nach den anderen Verteidigungen plädieren könne – er scheint eine solche Reihenfolge für „üblich“ zu halten. Andere Verteidigungen widersprachen insoweit, und auch der Vorsitzende teilte mit, er halte es für sinnvoll, dass die Verteidigung Zschäpe zuerst plädiere. Eine Entscheidung hierzu wird wohl morgen oder in den nächsten Tagen erfolgen.