02.05.2018

Plädoyer der Verteidigung Carsten Schultze: „Meine Gewalt war nur ein stummer Schrei nach Liebe“.

Das Plädoyer der Verteidigung des Carsten Schultze war mit einiger Spannung erwartet worden: immerhin ist er derjenige Angeklagte, der sich sowohl im Ermittlungsverfahren als auch in der Hauptverhandlung am stärksten, und als einziger glaubhaft, bemüht hat, einen Beitrag zu Aufklärung der Taten des NSU zu leisten. Dadurch wurde er einerseits zum Hauptangriffsziel der Verteidigung Wohlleben, weil er diesen massiv belastete, ihm gelang es aber damit auch andererseits, dass mehrere Nebenkläger_innen direkt oder durch ihre Anwält_innen erklärten, dass sie seine Entschuldigung annehmen und eine Bewährungsstrafe für ihn akzeptieren könnten.

Dies konterkarierten nun seine beiden Verteidiger mit ihren Plädoyers. Sie räumten für die Beschaffung der Ceska mit Schalldämpfer durch Schultze nur eine „moralische“ Schuld ein, erklärten diesen aber für nicht schuldig im Sinne der Anklage. Dabei versuchten sie von Anfang an, einer möglichen Kritik an ihrer Forderung vorzugreifen, indem sie erklärten, die Gewissheit, dass ihr Mandant objektiv zu neun rassistischen Morden beigetragen habe, werde diesen ein Leben lang begleiten und sei für ihn auch unverzeihlich. Er setze sich erkennbar mit seiner Schuld auseinander und werde dies auch sein restliches Leben lang tun.Und tatsächlich sprechen Schultzes Reaktionen auf die Plädoyers der Nebenklage dafür, dass er seine Tathandlungen bereut.

Die weitere Begründung seiner Verteidiger stand allerdings in Widerspruch zu einer selbstkritischen Aufarbeitung und war eher geeignet, Zweifel an einer solchen Reflektion aufkommen zu lassen.

Sie schilderten zunächst zutreffend, dass Schultze – anders als die anderen Jenaer Angeklagten und Böhnhardt und Mundlos – nicht zur eingeschworenen Gemeinschaft der Kameradschaft Jena gehört hatte, an deren politischen Richtungsdiskussionen zu Mitteln und Strategien des politischen Kampfes und eben auch zum Einsatz von Waffen nicht teilgenommen hatte, die Propaganda- und Bedrohungsstraftaten mit dem Aufhängen einer Puppe an der Autobahnbrücke, den Bombenattrappen etc. nicht mitbegangen hatte. Ebenfalls überzeugend war die Darstellung der Entwicklung, dass von diesem harten Kern der Kameradschaft drei Personen „untertauchten“ und drei in Jena blieben – letztere, also Gerlach, Wohlleben und zu Beginn André Kapke, hätten die Aufgaben des „politischen Arms” übernommen und in tiefer Verbundenheit die anderen gleichsam „hinter der Front” unterstützt, der NSU könne also als Folgeorganisation der Kameradschaft Jena angesehen werden, die sich in eine kämpfende Einheit und eine solche hinter der Front aufteilte.

Unglaubwürdig wird die Geschichte aber ab der Stelle, an der Verteidiger Hösl vortrug, von all dem habe Schultze keinerlei konkrete Kenntnisse gehabt – und habe daher, als er die Ceska mit Schalldämpfer besorgte und an Böhnhardt und Mundlos übergab, nicht damit rechnen können und müssen, dass diese zur Tötung von Menschen eingesetzt werden würde.

Zur Unterstützung dieser These bemühten die Verteidiger wieder die Selbstsicht ihres Mandanten auf seine Zeit in der Nazi-Szene, in die er aus unpolitischen Gründen eingestiegen sei und deren politische Inhalte er bis zu seinem Ausstieg nie geteilt habe. Er habe sich der Szene mit 17 angeschlossen, ausgelöst durch die „erotische Hingezogenheit“ zu einem rechten Schulkameraden. Es sei ihm nicht um Politik gegangen, sondern um soziale Aufwertung, Auflehnung gegen den Vater, Gruppengefühl, Achtung und Respekt, blabla. Ab Sommer 2000 habe er sich dann schrittweise von der Naziszene distanziert, es habe da aber gar kein Überzeugungswandel stattgefunden, weil er ja ohnehin nie richtig an die rechten Inhalte geglaubt habe.

So kommen Schultzes Verteidiger zu dem Schluss, dass dieser keine Ahnung haben konnte, was Böhnhardt und Mundlos mit der von ihm gelieferten Waffe anfangen würden.

Nun ist die Schilderung, nach der ihr Mandant zwar sehr aktiv in der Neonazi-Szene Jenas war, und auch, wie seine Verteidiger eingestanden, selbst an Gewalttaten beteiligt war, aber andererseits die Ideologie der Szene überhaupt nicht übernommen habe, schon für sich nicht überzeugend. Dies gilt umso mehr, als Schultze schon den Einstieg in die Szene über Schulungsmaterialien von NPD und JN, also gerade die Auseinandersetzung mit Nazi-Ideologie, begonnen hatte, und vor allem, als er innerhalb der Szene schnell aufstieg und zuletzt stellvertretender Leiter der JN Thüringen war, zudem die JN-Gruppe in Jena leitete. Dies versuchten seine Verteidiger – wie auch Schultze selbst in seiner Einlassung – mit der abenteuerlichen Begründung herunterzuspielen, man habe doch die jungen Leute nur über Abenteuer an die Szene binden wollen, mit Inhalten habe das alles nichts zu tun gehabt. Sie übernahmen damit vollständig Schultzes Selbstdarstellung, die sich ebenfalls wie die Schilderung eines Pfadfinderleiters ausgenommen hatte.

Verteidiger Hösl meinte abschließend, Schultzes Einstieg in die Szene sei „sozialadäquat“ gewesen, weil in seinem Stadtteil eben „alle“ Nazis gewesen seien. Zum Abschluss verglich er seinen Mandanten noch mit dem Angeklagten Eminger, der seinen Hass auf dem Körper trägt, und dem Angeklagten Wohlleben, dessen Verteidiger mit ihren „Volkstod“-Anträgen neonazistische Propaganda im Gerichtssaal gemacht hatten – beides richtige Anmerkungen, die aber natürlich nicht zeigen, dass sein Mandant damals kein Nazi, kein Rassist gewesen sein kann, nur weil das eben beides für ihn nicht gilt.

Die nunmehr aufgestellten Behauptungen über den Mordhelfer und Nazifunktionär Schultze, der innerlich alle Kernpunkte der Naziideologie ablehnte und deshalb nicht davon ausging, dass mit der von ihm gelieferten Mordwaffe Menschen getötet werden würden, ist jedenfalls nicht nur leicht zu widerlegen, sondern -1486543630erinnert in ihrer Struktur an deutsche Lebenslügen, nach denen ja auch historisch die deutsche Bevölkerung keine Ahnung von den Verbrechen der Nazis hatte und alles in allem doch gute Menschen waren. So wie „Opa kein Verbrecher war“, so war Schultze eben ein junger Mensch, der völlig unpolitisch Andersdenkende zusammentrat, völlig unpolitisch an die Verbrechen der Wehrmacht leugnenden Großdemonstrationen teilnahm, völlig unpolitisch erfolgreiche Jugendarbeit für die NPD machte.

Dabei gingen die Verteidiger noch weit hinaus über die Einlassung ihres Mandanten, von dem man tatsächlich den Eindruck haben konnte, dass er seine damalige politische Einstellung verdrängt hat und, wie er sagen würde, nicht mehr „hochgeholt“ bekommt, weil er sie mit seiner aktuellen Lebensführung nicht vereinbaren kann. Denn Schultze selbst hat ja beschrieben, dass die Naziszene in Jena sich damals aufgespalten hatte, in Scheitelnazis, also die explizit politisch ausgerichteten, zu denen er sich zählte, und in Skinheads, die eher Alkohol im Kopf hatten. Er hat selbst dargestellt, dass die Mitglieder der Kameradschaft Jena aufgrund ihrer Gewalttätigkeit ein besonderes Ansehen hatten. Er wusste, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sich vor der Polizei verbargen.

Die Vorstellung, Schultze habe von den Bombenattrappen, von den Anschlägen der Gruppe, von der massiven Gewalttätigkeit Böhnhardts und Mundlos, von der Tatsache, dass die schon massiv bewaffnet waren, u.a. mit einer Maschinenpistole, kein konkretes Wissen gehabt, als er ihnen die Schalldämpferwaffe besorgte und übergab, ist lebensfremd und abstrus. Spätestens die von ihm selbst geschilderte Geste Wohllebens, der mit der Waffe auf seinen Kopf zielte, musste ihm klarmachen, wozu diese gedacht war. Es liegt viel näher, dass es gerade diese Gewalttätigkeit, diese Radikalität war, die ihn besonders reizte, weil er hoffte, durch die persönliche Nähe zu diesen Personen auch persönliches Ansehen zu gewinnen, oder die ihn einschüchterte, dass er sich einfach unterordnete.

Zudem war gerade die Zeit, in der Schultze in der NPD-Jugendorganisation aktiv war und auch an Saalveranstaltungen teilnahm, geprägt von ganz konkreten innerparteilichen Auseinandersetzungen um den Umgang mit tödlicher Waffengewalt. Nach der Verurteilung des Neonazis Kay Diesner, der 1994 einen linken Buchhändler angeschossen und einen Polizeibeamten erschossen hatte, im Jahre 1997 tauchten vermehrt Solidaritätsbekundungen und Transparente zu diesem auf Nazidemonstrationen auf. Ein Teil der NPD-Funktionäre wollte dies aus taktischen Gründen untersagen, ein anderer Flügel unterstützte das offene Bekenntnis zum bewaffneten Kampf. Auf einem der NPD-Kongresse war als Zugpferd sogar der amerikanische Vordenker des bewaffneten „Rassenkampfes“ William Pierce, Autor der Turner-Diaries, angekündigt. Gerade in Jena konnte sich Schultze also solchen Diskussionen nicht entziehen. Die Motive seines Handelns mögen nicht die gleichen gewesen sein wie bei Wohlleben, aber das Wissen über die möglichen Folgen seines Handelns war klar vorhanden – und er lieferte die Waffe trotzdem.

Insofern wird das Plädoyer der Schultze-Verteidiger diesem am Ende eher schaden als nutzen. Die Wohlleben-Verteidigung wird versuchen, daran anzuknüpfen, um seine Glaubwürdigkeit anzuzweifeln – im Ergebnis erfolglos, weil Schultzes Schilderungen zum objektiven Geschehensablauf alle nachvollziehbar und glaubhaft sind und auch mit den sonstigen Beweismitteln übereinstimmen.

Aber die verharmlosenden Schilderungen zur damaligen Einstellung Schultzes und insbesondere zu dessen Vorsatz bei Übergabe der Waffe wird das Gericht der Verteidigung nicht abkaufen. Insofern hätte es nicht nur den durch seine Einlassung und Entschuldigung geweckten Erwartungen der Nebenkläger_innen entsprochen, wenn sich Schultze und seine Verteidigung auch zu seiner damaligen Einstellung bekannt und die Forderungen mehrerer Nebenkläger_innen nach einer Bewährungsstrafe aufgegriffen hätten – sondern es wäre wohl am Ende auch für ihren Mandanten die erfolgversprechendere Strategie gewesen.

Es mag allerdings dem Selbstbild Schultzes und insbesondere seiner Verteidiger, die sich ja eher politisch links definieren, schmeicheln, dass Schultze in ihrer Selbstwahrnehmung nicht nur reuig, sondern auch im rechtlichen Sinne unschuldig ist.