Schlagwort-Archive: Landesamt für Verfassungsschutz Hessen

24.06.2015

Noch einmal zur Keupstraße, und weiter zum Verfassungsschützer Temme

Zunächst sagte heute ein weiterer Geschädigter des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße aus, der sich zum Zeitpunkt der Explosion im Reisebüro seines Vaters in der Keupstraße aufhielt. Er hatte das Glück, nicht verletzt zu werden, weil ein Lieferwagen zwischen ihm und der Bombe stand und Dutzende Nägel abfing. Die beiden Gutachter, die bereits sehr klare und eindeutige Gutachten zur Lebensgefährlichkeit der Nagelbombe erstattet hatten (vgl. den Beitrag vom 11.02.2015), ergänzten und bestätigten ihre Gutachten im Hinblick auf die Aussagen des heutigen Zeugen und weiterer Zeugen aus der Keupstraße aus den letzten Monaten.

Nachmittags sagte ein weiterer Kollege des hessischen Verfassungsschützers Temme, der damalige Geheimschutzbeauftragte Hess, aus. Auch er hatte nach dem Mord an Halit Yozgat in Kassel mehrere Telefonate mit dem – damals beschuldigten – Temme geführt, die von der Kriminalpolizei abgehört und aufgezeichnet wurden. In dem ersten Gespräch sagte er wörtlich: „Ich sage ja jedem, äh, wenn der weiß, dass irgendwo sowas passiert, bitte nicht vorbeifahren.“ Weiterlesen

09.04.2014

Verfassungsschutz vs Wahrheit

Heute wurde zunächst ein Kriminalpolizist vernommen, der einen Zeugen des Mordes an Halit Yozgat in Kassel vernommen hatte. Jener Zeuge hatte zur Tatzeit telefoniert und hatte die Schüsse gehört, aber nicht als solche wahrgenommen. Er hatte einen der Täter gesehen, dies aber nur aus dem Augenwinkel, so dass er keine genauere Erklärung abgeben konnte. Aber die Beschreibung, die er abgab – jung, kräftig, relativ groß –, passt auf Mundlos bzw. Böhnhardt, und für deren Täterschaft liegen ja bereits ausreichend Beweise u.a. in Form der Mordwaffe und der Bekennervideos vor.

Warum die Vernehmungen des Zeugen sich nicht in den Altakten zum Mord Yozgat befanden, sondern erst auf Anforderung des Gerichts nachgereicht wurden, konnte der Beamte nicht beantworten – ebenso wenig, warum dem Zeugen kein Bild des Verfassungsschützers Temme vorgelegt wurde, von dem bekannt war, dass er zur Tatzeit ebenfalls im Internetcafé war.

Nachmittags wurde dann Frank Fehling, ein Kollege Temmes, vernommen. Dieser hatte in einem Telefonat wenige Wochen nach der Tat Temme dafür gelobt, dass er dem Leiter des Landesamtes Irrgang alles geschildert und „nicht so restriktiv wie bei der Polizei“ ausgesagt habe. Das Gespräch wurde von der Polizei abgehört und gelangte so in die Akte gegen Temme – nicht aber in die des NSU-Verfahrens, trotz der Bedeutung der Aussage, dass Temme mehr über den Mord wusste, als er der Polizei gesagt hat.

Fehling berichtete, die Behördenleitung habe ihn und die anderen Mitarbeiter der Außenstelle kurz nach der Festnahme Temmes als Tatverdächtiger angewiesen, keine Aussagen gegenüber der Polizei zu machen. Das Telefonat mit Temme bestritt er anfangs vehement – er habe mit Temme nicht sprechen wollen, habe dies absichtlich vermieden. Auch als ihm die Gesprächsinhalte aus dem Protokoll der Telefonüberwachung vorgelesen wurden, blieb er zunächst bei dieser Darstellung. Erst als er am nachdrücklichen Frageverhalten des Vorsitzenden erkennen konnte, dass dieser ein weiteres Abstreiten nicht akzeptieren würde, gestand er ein, er könne nicht ausschließen, dass es dieses Gespräch gegeben habe. Dass Temmes Gespräch mit Irrgang Thema war, wollte er jedoch weiter nicht erinnern.

Gleiches galt für überwachte Gespräche, in denen Fehling sich mit Temme mehrfach über die Ermittlungen unterhielt und versprach, ihn auf dem Laufenden zu halten: Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Kienzle hielt dem Zeugen die Protokolle der Telefonüberwachung vor, aber der blieb dabei, er könne sich nicht erinnern, er habe sich immer aus den Ermittlungen rausgehalten.

Aus Sicht der Nebenklage entsteht massiv der Eindruck, dass der Verfassungsschutzmitarbeiter Fehling dreist lügt, weil er verbergen will, dass der hessische Verfassungsschutz die Ermittlungen der Kriminalpolizei ganz erheblich gestört hat.

11.03.2014

Hessischer Verfassungsschutz – Widersprüche ungeklärt

Heute und morgen steht noch einmal das hessische Landesamt für Verfassungsschutz im Mittelpunkt des Verfahrens. Heute wurde eine Vorgesetzte des Landesamt-Mitarbeiters Temme befragt, morgen wird erst der ehemalige Direktor Irrgang und dann nochmals Temme selbst befragt. Temmes ehemaliger direkter Vorgesetzter ist krank und muss später vernommen werden.

Zunächst aber wurde ein Video vorgeführt, mit dem die ermittelnde Polizei im Jahr 2006 die Schilderung Temmes von seinem Aufenthalt in dem Kasseler Internetcafé nachgestellt hatte. Bezeichnend war vor allem die Szene, in der Temme kurz vor Verlassen des Cafés noch einmal umdreht, Geld auf den Tresen legt und sich dabei wegen seiner Körpergröße deutlich über den Tresen beugt. Temme muss also – auch nach diesem Film – den hinter dem Tresen liegenden schwerverletzten bzw. toten Halit Yozgat gesehen haben. Die Darstellung Temmes, er habe hinter dem Tresen nichts gesehen, wird damit noch einmal unglaubwürdiger.

Die Ungereimtheiten seiner Aussagen wurden bei der Vernehmung seiner ehemaligen Vorgesetzten noch deutlicher. Diese gab an, am Montag nach dem Mord im Auftrag ihres Vorgesetzten Temme beauftragt zu haben, beim Staatsschutzdezernat nach Erkenntnissen zu dem Mord nachzufragen. Der Verfassungsschutz habe klären wollen, ob die Tat einen islamistischen Hintergrund habe, da der Ermordete ein „türkischer Mitbewohner von Kassel“ gewesen sei. Temme habe zu ihr gesagt, es könne sich um einen „bundesweiten Reihenmord“ oder die „Tat eines Serienmörders“ handeln – sie wisse aber nicht mehr genau, wann er dies gesagt habe und woher er diese Kenntnisse gehabt habe. Nachgefragt habe sie jedenfalls nicht.

Temme habe nicht erwähnt, dass er schon einmal in dem Internetcafé gewesen sei. Internetcafés sollten von Mitarbeitern ihrer Behörde auch nicht benutzt werden, da sie ja „in so Gegenden, wo auch viele Ausländer sind“, lägen. Diese Angaben der Zeugin machten deutlich, auf welch niedrigem, von rassistischen Vorurteilen geprägten Niveau die Arbeit des hessischen Landesamtes ablief.

Daneben widerspricht ihre Aussage zum Auftrag an Temme auch diametral dessen Behauptung, er sei zwar nach dem Wochenende in der Polizeidirektion gewesen, habe da aber höchstens beiläufig über den Mord gesprochen. Temme hatte zudem auch – wiederum entgegen der Angabe der Zeugin – behauptet, er habe nur dieses eine Internetcafé nicht aufsuchen dürfen, und zwar konkret wegen der Nähe zu einer Moschee, in der zu überwachende Personen verkehrten.

Gleichzeitig widersprechen die Aussagen der Zeugin aber auch Vermerken anderer Mitarbeiter des Landesamtes zu deren Gesprächen mit Temme. Das Landesamt für Verfassungsschutz bleibt bislang ein Hort der Verwirrung, nicht der Aufklärung.

Bemerkenswert und charakterisierend für das Landesamt war allerdings die berufliche Bewertung Temmes – des Zeugen also, der über einen langen Zeitraum die Ermittlungsbehörden belogen hat und der bis heute „nichts gesehen“ haben will: er sei sehr ehrgeizig und fleißig gewesen, das sei von Vorgesetzten anerkannt worden, er sei teilweise sogar als Vorbild empfunden worden.