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24.06.2015

Noch einmal zur Keupstraße, und weiter zum Verfassungsschützer Temme

Zunächst sagte heute ein weiterer Geschädigter des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße aus, der sich zum Zeitpunkt der Explosion im Reisebüro seines Vaters in der Keupstraße aufhielt. Er hatte das Glück, nicht verletzt zu werden, weil ein Lieferwagen zwischen ihm und der Bombe stand und Dutzende Nägel abfing. Die beiden Gutachter, die bereits sehr klare und eindeutige Gutachten zur Lebensgefährlichkeit der Nagelbombe erstattet hatten (vgl. den Beitrag vom 11.02.2015), ergänzten und bestätigten ihre Gutachten im Hinblick auf die Aussagen des heutigen Zeugen und weiterer Zeugen aus der Keupstraße aus den letzten Monaten.

Nachmittags sagte ein weiterer Kollege des hessischen Verfassungsschützers Temme, der damalige Geheimschutzbeauftragte Hess, aus. Auch er hatte nach dem Mord an Halit Yozgat in Kassel mehrere Telefonate mit dem – damals beschuldigten – Temme geführt, die von der Kriminalpolizei abgehört und aufgezeichnet wurden. In dem ersten Gespräch sagte er wörtlich: „Ich sage ja jedem, äh, wenn der weiß, dass irgendwo sowas passiert, bitte nicht vorbeifahren.“ Weiterlesen

17.06.2015

Zu den abgehörten Telefonaten des V-Mann-Führers Temme mit seinen Kollegen

Heute wurden drei ehemalige Kollegen des V-Mann-Führers Temme vom Verfassungsschutz Hessen vernommen, mit denen Temme im April/Mai 2006, als er Beschuldigter des Mordes an Halit Yozgat in Kassel war, telefoniert hatte.

Am 9. Mai 2006 hatte Temme mit seinem Vorgesetzten Muth telefoniert, u.a. ging es um eine dienstliche Stellungnahme Temmes. Muth empfahl ihm zunächst, das Geschehen so zu schildern, wie es war – nahm dies dann aber gleich wieder zurück und empfahl Temme stattdessen, zunächst mit dem Geheimschutzbeauftragten Hess Kontakt aufzunehmen.

Am 2. und 15. Mai 2006 telefonierte Temme mit seinem Kollegen Fehling. Im ersten Gespräch berichtete Fehling, welche Maßnahmen das Landesamt eingeleitet habe, um die polizeilichen Ermittlungen zu behindern und zu steuern: Man habe Sorge getragen, dass die Polizei keinen Zugriff auf seine Quellen erlangen würde und dass auch die mit der Sache in Zusammenhang stehenden Berichte Temmes der Polizei nicht bekannt würden. Weiterlesen

09.04.2014

Verfassungsschutz vs Wahrheit

Heute wurde zunächst ein Kriminalpolizist vernommen, der einen Zeugen des Mordes an Halit Yozgat in Kassel vernommen hatte. Jener Zeuge hatte zur Tatzeit telefoniert und hatte die Schüsse gehört, aber nicht als solche wahrgenommen. Er hatte einen der Täter gesehen, dies aber nur aus dem Augenwinkel, so dass er keine genauere Erklärung abgeben konnte. Aber die Beschreibung, die er abgab – jung, kräftig, relativ groß –, passt auf Mundlos bzw. Böhnhardt, und für deren Täterschaft liegen ja bereits ausreichend Beweise u.a. in Form der Mordwaffe und der Bekennervideos vor.

Warum die Vernehmungen des Zeugen sich nicht in den Altakten zum Mord Yozgat befanden, sondern erst auf Anforderung des Gerichts nachgereicht wurden, konnte der Beamte nicht beantworten – ebenso wenig, warum dem Zeugen kein Bild des Verfassungsschützers Temme vorgelegt wurde, von dem bekannt war, dass er zur Tatzeit ebenfalls im Internetcafé war.

Nachmittags wurde dann Frank Fehling, ein Kollege Temmes, vernommen. Dieser hatte in einem Telefonat wenige Wochen nach der Tat Temme dafür gelobt, dass er dem Leiter des Landesamtes Irrgang alles geschildert und „nicht so restriktiv wie bei der Polizei“ ausgesagt habe. Das Gespräch wurde von der Polizei abgehört und gelangte so in die Akte gegen Temme – nicht aber in die des NSU-Verfahrens, trotz der Bedeutung der Aussage, dass Temme mehr über den Mord wusste, als er der Polizei gesagt hat.

Fehling berichtete, die Behördenleitung habe ihn und die anderen Mitarbeiter der Außenstelle kurz nach der Festnahme Temmes als Tatverdächtiger angewiesen, keine Aussagen gegenüber der Polizei zu machen. Das Telefonat mit Temme bestritt er anfangs vehement – er habe mit Temme nicht sprechen wollen, habe dies absichtlich vermieden. Auch als ihm die Gesprächsinhalte aus dem Protokoll der Telefonüberwachung vorgelesen wurden, blieb er zunächst bei dieser Darstellung. Erst als er am nachdrücklichen Frageverhalten des Vorsitzenden erkennen konnte, dass dieser ein weiteres Abstreiten nicht akzeptieren würde, gestand er ein, er könne nicht ausschließen, dass es dieses Gespräch gegeben habe. Dass Temmes Gespräch mit Irrgang Thema war, wollte er jedoch weiter nicht erinnern.

Gleiches galt für überwachte Gespräche, in denen Fehling sich mit Temme mehrfach über die Ermittlungen unterhielt und versprach, ihn auf dem Laufenden zu halten: Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Kienzle hielt dem Zeugen die Protokolle der Telefonüberwachung vor, aber der blieb dabei, er könne sich nicht erinnern, er habe sich immer aus den Ermittlungen rausgehalten.

Aus Sicht der Nebenklage entsteht massiv der Eindruck, dass der Verfassungsschutzmitarbeiter Fehling dreist lügt, weil er verbergen will, dass der hessische Verfassungsschutz die Ermittlungen der Kriminalpolizei ganz erheblich gestört hat.

11.03.2014

Hessischer Verfassungsschutz – Widersprüche ungeklärt

Heute und morgen steht noch einmal das hessische Landesamt für Verfassungsschutz im Mittelpunkt des Verfahrens. Heute wurde eine Vorgesetzte des Landesamt-Mitarbeiters Temme befragt, morgen wird erst der ehemalige Direktor Irrgang und dann nochmals Temme selbst befragt. Temmes ehemaliger direkter Vorgesetzter ist krank und muss später vernommen werden.

Zunächst aber wurde ein Video vorgeführt, mit dem die ermittelnde Polizei im Jahr 2006 die Schilderung Temmes von seinem Aufenthalt in dem Kasseler Internetcafé nachgestellt hatte. Bezeichnend war vor allem die Szene, in der Temme kurz vor Verlassen des Cafés noch einmal umdreht, Geld auf den Tresen legt und sich dabei wegen seiner Körpergröße deutlich über den Tresen beugt. Temme muss also – auch nach diesem Film – den hinter dem Tresen liegenden schwerverletzten bzw. toten Halit Yozgat gesehen haben. Die Darstellung Temmes, er habe hinter dem Tresen nichts gesehen, wird damit noch einmal unglaubwürdiger.

Die Ungereimtheiten seiner Aussagen wurden bei der Vernehmung seiner ehemaligen Vorgesetzten noch deutlicher. Diese gab an, am Montag nach dem Mord im Auftrag ihres Vorgesetzten Temme beauftragt zu haben, beim Staatsschutzdezernat nach Erkenntnissen zu dem Mord nachzufragen. Der Verfassungsschutz habe klären wollen, ob die Tat einen islamistischen Hintergrund habe, da der Ermordete ein „türkischer Mitbewohner von Kassel“ gewesen sei. Temme habe zu ihr gesagt, es könne sich um einen „bundesweiten Reihenmord“ oder die „Tat eines Serienmörders“ handeln – sie wisse aber nicht mehr genau, wann er dies gesagt habe und woher er diese Kenntnisse gehabt habe. Nachgefragt habe sie jedenfalls nicht.

Temme habe nicht erwähnt, dass er schon einmal in dem Internetcafé gewesen sei. Internetcafés sollten von Mitarbeitern ihrer Behörde auch nicht benutzt werden, da sie ja „in so Gegenden, wo auch viele Ausländer sind“, lägen. Diese Angaben der Zeugin machten deutlich, auf welch niedrigem, von rassistischen Vorurteilen geprägten Niveau die Arbeit des hessischen Landesamtes ablief.

Daneben widerspricht ihre Aussage zum Auftrag an Temme auch diametral dessen Behauptung, er sei zwar nach dem Wochenende in der Polizeidirektion gewesen, habe da aber höchstens beiläufig über den Mord gesprochen. Temme hatte zudem auch – wiederum entgegen der Angabe der Zeugin – behauptet, er habe nur dieses eine Internetcafé nicht aufsuchen dürfen, und zwar konkret wegen der Nähe zu einer Moschee, in der zu überwachende Personen verkehrten.

Gleichzeitig widersprechen die Aussagen der Zeugin aber auch Vermerken anderer Mitarbeiter des Landesamtes zu deren Gesprächen mit Temme. Das Landesamt für Verfassungsschutz bleibt bislang ein Hort der Verwirrung, nicht der Aufklärung.

Bemerkenswert und charakterisierend für das Landesamt war allerdings die berufliche Bewertung Temmes – des Zeugen also, der über einen langen Zeitraum die Ermittlungsbehörden belogen hat und der bis heute „nichts gesehen“ haben will: er sei sehr ehrgeizig und fleißig gewesen, das sei von Vorgesetzten anerkannt worden, er sei teilweise sogar als Vorbild empfunden worden.

05.12.2013

Mehr zum hessischen Verfassungsschutz – und ein sinnloses Befangenheitsgesuch

Der Verhandlungstag begann mit einem Antrag von NebenklägervertreterInnen, den Zeugenbeistand des ehemaligen V-Mannes von Verfassungsschutz-Mitarbeiter Temme auszuschließen. Dieser Rechtsanwalt war vor der ersten Vernehmung des Zeugen beim BKA vom Verfassungsschutz beauftragt worden, als Zeugenbeistand aufzutreten. Auch in der heutigen Sitzung schien er mehr die Interessen des hessischen Verfassungsschutzes als die des Zeugen zu vertreten: Er beanstandete Fragen, die in Richtung einer Einflussnahme des Verfassungsschutzes auf die Zeugenaussage durch den Verfassungsschutz gingen, und begründete dies damit, Antworten darauf seien nicht von der Aussagegenehmigung des Zeugen gedeckt. Vorher hatte er aber eine ganze Reihe von Fragen „durchgehen“ lassen, zu denen der Zeuge nach diesem Verständnis der Aussagegenehmigung auch nichts hätte sagen dürfen – demnach hätte er sehenden Auges einen Geheimnisverrat, also eine Straftat des Zeugen zugelassen. Dies zeigt, dass der Beistand nicht die Interessen des Zeugen, sondern – jedenfalls auch –die des hessischen Verfassungsschutzes vertritt. Das sah das Gericht anders und lehnte den Antrag ab.

Die weitere Befragung des Zeugen war wieder sehr zäh – er schien viele Fragen nicht zu verstehen, ansonsten konnte oder wollte er sich nicht erinnern. Interessant war nur, dass er angab, er habe vor dem Landesamt für Verfassungsschutz auch für den Militärischen Abschirmdienst gearbeitet.

Welche Probleme dadurch entstehen, dass die Temme-Akten vom Gericht nicht beigezogen wurden, zeigte noch einmal die Befragung durch Nebenklägervertreterin Rechtsanwältin von der Behrens: sie hatte diese Akten bei der Generalbundesanwaltschaft eingesehen und machte dem Zeugen nun Vorhalte aus ihren Mitschriften. Die Verteidigung Wohlleben meinte, dies sei unzulässig. Das Gericht jedoch ließ den Vorhalt aus den Mitschriften zu.

Ausgerechnet auf diese Entscheidung stützte dann die Verteidigung Wohlleben einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden mit der Begründung, bisher haben doch alle Befragenden bei Vorhalten das entsprechende Dokument vorlegen müssen. Aus Sicht der Nebenklage ist diese Begründung mehr als albern – ein solcher Vorhalt ist natürlich zulässig, und dass man ein Dokument nicht vorlegen kann, das man einfach nicht hat, dürfte sich auch von selbst verstehen.

Das Gericht stellte die Entscheidung zurück, so dass die Vernehmung des Zeugen zunächst zu Ende geführt werden konnte. Aufgrund eines angekündigten Antrages wurde er allerdings nicht entlassen, sondern muss wohl nochmals anreisen.

03./04.12.2013

Keine Erinnerung beim Verfassungsschutz

Die Verhandlung dreht sich in dieser Woche vollständig um den Mordfall Halit Yozgat in Kassel, und hierbei um die Wahrnehmungen des ehemaligen V-Mann-Führers Andreas Temme. Temme, der sowohl in dem gegen ihn geführten Strafverfahren als auch bei seiner letzten Vernehmung am 01.10.2013 in München keine Erinnerung haben wollte und allerlei Unglaubwürdigkeitenzum Besten gab, setzte am Dienstag seine wirren Erzählungen fort. Für die Hauptverhandlung ergab die Vernehmung keinerlei Ergebnis.

Zuvor hatte das Gericht eine weitere Gegenvorstellung von Nebenkläger-VertreterInnen, die nach wie vor dafür kämpfen, die Ermittlungsakte des eingestellten Strafverfahrens gegen Temme zu den Prozessakten beiziehen zu lassen, abgelehnt. Das Gericht bleibt dabei, dass all dieses Material nich relevant ist, wohl weil es für die Verurteilung der hier Angeklagten nicht notwendig ist.

Wie sinnlos diese Entscheidung ist und zu welchem umständlichen Prozedere sie führt, wurde bei der heutigen Vernehmung des damaligen V-Mannes von Temme deutlich. Die Nebenklage Yozgat hatte dem Zeugen Vorhalte aus der Akte gemacht, die sie vor längerer Zeit noch von der Bundesanwaltschaft erhalten hat, die das Gericht aber nicht beiziehen will. Es entstand die absurde Situation, dass der Vorsitzende die Seiten, die dem Zeugen vorgehalten wurden, ausgedruckt vorgelegt haben wollte – nachdem er gerade die Beiziehung u.a. dieser Seiten abgelehnt hatte. Die Nebenklage Yozgat bot daraufhin an, die gesamten ihr vorliegenden Akten vorzulegen, dies lehnte jedoch der Vorsitzende ab. Stattdessen wies er an, vor jedem Vorhalt die entsprechenden Seiten auszudrucken und dann vorzulegen.

Beide Zeugen sollen am Donnerstag weiter vernommen werden. Wenn der Vorsitzende an der von ihm nun angeordneten, äußerst umständlichen Prozedur festhält, wird sich diese Vernehmung noch einige Zeit hinziehen. Der Vorsitzende Richter Götzl scheint erhebliche Probleme zu haben, unwillige Zeugen zum sprechen zu bringen. Seine Verhandlungsführung führt zurzeit zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens.