26.02.2015

Und täglich lügt der Nazi-Zeuge.

Heute sagte zunächst eine Jugendfreundin von Carsten Schultze aus der rechten Szene Jenas aus, die sich auch mit ihm zusammen aus der Szene zurückgezogen hatte. Sie war sichtlich bemüht, ihren alten und noch-Freund Schultze zu entlasten. Insbesondere versuchte sie ihn als jemand darzustellen, der keine eigenständige Rolle in der Szene spielte, sondern nur von anderen – vor allem André Kapke und Ralf Wohlleben – „geschickt“ wurde und reine Jugendarbeit machte. Wie auch Schultze selbst, versuchte die Zeugin den Eindruck zu erwecken, sie selbst und auch Schultze hätten damals gar keine politische Meinung gehabt, sondern seien nur wegen persönlicher Probleme in die Szene geraten.

Ihre Aussage war offensichtlich genau so extrem gefärbt wie die Selbstdarstellung Schultzes: Sicher stimmt es, wie die Zeugin sagte, dass Wohlleben und Kapke die führende Rolle in der Nazi-Szene Jenas spielten. Dass deswegen alle anderen reine MitläuferInnen ohne eigene Meinung gewesen seien, mag vielleicht für sie selbst gelten, die im Alter von 12 oder 13 Jahren in die Szene kam. Es ist aber offensichtlich Blödsinn, wenn es um Carsten Schultze geht, der eine führende Rolle in der JN hatte und der in der Unterstützung der Drei nicht ohne Gründe als die „rechte Hand“ Wohllebens diente.

Die Zeugin berichtet geradezu berührt von dem ersten Zusammentreffen mit Schultze – die beiden hätten auf dem Weg zum Jugendclub gemeinsam einem Obdachlosen „sein Bier geklaut“.

Die Verteidigung Wohlleben, versuchte, die Zeugin unglaubwürdig zu machen, erreichte aber eher das Gegenteil. Auf Nachfrage erklärte sie, Wohlleben habe nicht nur sie gezwungen, sich vor der gesamten Gruppe zu erklären, weil sie an Wochenendschulungen nicht mehr teilnehmen wollte. Er habe auch einen Jungen schikaniert, der einen Döner gegessen hatte – Wohlleben zwang ihn demnach, vor der Gruppe Liegestützen zu machen, und drohte, ihn beim nächsten Mal mit einer südafrikanischen Peitsche zu züchtigen. Auch André Kapke habe die jüngeren Kameraden immer schikaniert. Nur Schultze habe Kapke einmal gesagt, er solle sie in Ruhe lassen. Schultze scheint also in der Hierarchie doch nicht so niedrig gestanden zu haben, wie die Zeugin glauben machen wollte, wenn er diesen sogar offen kritisieren konnte.
Zschäpe habe sie nur einmal gesehen, Böhnhardt und Mundlos nie. Allerdings sei über die drei wie über Märtyrer gesprochen worden, sie seien hoch gelobt worden, weil sie sich „einsetzten“ und „ernst machten“.

Nach der Selbstenttarnung des NSU habe ihr Schultze erzählt, er habe „denen“ damals eine Waffe gebracht. Nun habe er Angst, dass die Waffe, mit der er zu tun hatte, für die Morde verwendet wurde. Einzelheiten habe er aber nicht erzählt, sie habe auch abgewiegelt und nicht nachgefragt.

Im Anschluss wurde Armin Fiedler aus Chemnitz, der Bruder des gestern befragten Gunter Fiedler, befragt. Es folgte eine der für dieses Verfahren so typischen Vernehmungen von (ehemaligen?) Mitgliedern der Naziszene, die durch hartnäckiges Nichterinnern die Aufklärung behindern und damit letztlich immer noch ihre Verbundenheit mit den Angeklagten auszudrücken scheinen. Auch der Zeuge Armin Fiedler bestätigte nur das, was ohnehin schon bewiesen ist: Thomas Starke sprach ihn und seinen Bruder an, da seien drei Leute, die „Mist gebaut hätten“ und einen „Unterschlupf“ brauchten. Er und sein Bruder wandten sich an Mandy Struck, um Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos in der Wohnung von dessen Freund unterzubringen. Von Anfang bis Herbst 1998 hätten sie die drei zwei- bis dreimal besucht. Sein Bruder stellte seinen Ausweis und andere Unterlagen zur Verfügung, damit Uwe Böhnhardt einen Reisepass auf dessen Namen beantragen und erhalten konnte. Den habe sein Bruder aber herausgefordert, als deutlich wurde, dass die Untergetauchten sich wohl doch nicht ins Ausland absetzen wollten. Ansonsten konnte sich der Zeuge angeblich an nichts erinnern.
Bei allem Ärger bleibt festzustellen, dass der Versuch der Verteidigung Wohllebens, angesichts der Verstrickung von „Blood & Honour“ Sachsen in den Aufbau des NSU ihren Mandanten aus der Verantwortung zu ziehen, als gescheitert gelten darf. Auch wenn es erhebliche Hinweise darauf gibt, dass B&H Sachsen im Sommer 1998 beschloss, die Drei zu unterstützen, und so ein Netzwerk verschiedener Gruppen entstand, die bewaffnete Aktionen durchführten, so hat schon die bisherige Beweisaufnahme klar ergeben, dass Wohlleben nicht nur die Ceska besorgt, sondern auch als zentrale Figur die Flucht und die Unterstützung von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos in der Illegalität dirigiert hat.

Im Anschluss wurden die seit Tagen erwarteten Beweisanträge der Nebenklage Yozgat zum Mordfall in Kassel und zur Rolle des Verfassungsschützers Andreas Temme gestellt. U.a. wurde die Vernehmung von weiteren MitarbeiterInnen des VS Hessen, die Einführung von überwachten Telefongesprächen des VS-Mitarbeiters Temme und die Vernehmung des hessischen Minsterpräsidenten Bouffier beantragt wurden (ausführliche Berichte u.a. unter: Da-tun-sich-weitere-Abgruende-auf und Hinweise-auf-Verstrickung-des-Verfassungsschutzes). Die Bundesanwaltschaft beantrage die Ablehnung der Anträge und gab eine juristisch-technokratische, politisch durchsichtige Stellungnahme ab nach dem Motto „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.“ Die Nebenklage erwiderte und wies erneut darauf hin, dass jede auch nur entfernt möglich scheinende Verstrickung des Verfassungsschutzes in den Kasseler Mordfall selbstverständlich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln aufgeklärt werden muss. Die Verteidigung Zschäpe hingegen war empört, dass sie die Anträge im Gegensatz zur GBA nicht vorher erhalten hatte.