12.09.2017

Abschluss des Plädoyers der Bundesanwaltschaft: hohe Strafe für Eminger. Und: Verrat lohnt sich

Zu Beginn des Verhandlungstages erteilte der Vorsitzende den rechtlichen Hinweis an den Angeklagten Eminger, dass er auch wegen zweifacher Beihilfe zum bewaffneten Raub verurteilt werden könne und nicht nur, wie angeklagt, wegen Beihilfe zum einfachen Raub.

Nach diesem Hinweis machte Bundesanwalt Dr. Diemer seine Ausführungen zu den Strafanträgen. Die Details seiner Ausführungen werden in dem Wortprotokoll nachzulesen sein, das wir mit einigem zeitlichen Verzug hier veröffentlichen werden. Jetzt wollen wir nur kurz darstellen, welche konkrete Verurteilung die Bundesanwaltschaft beantragte.

Für die Angeklagte Beate Zschäpe: Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und Anordnung der Sicherungsverwahrung. Für die mittäterschaftliche Begehung der Morde und der beiden Sprengstoffanschläge und der zahlreichen Überfälle zur Geldbeschaffung sowie für das Inbrandsetzen des Wohnhauses in der Frühlingsstraße wurden insgesamt 14 lebenslange und 14 zeitige Einzelstrafen zu der beantragten Strafe zusammengeführt.

Für den Angeklagten Ralf Wohlleben: Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen.

Für den Angeklagten Carsten Schultze: Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen unter Anwendung von Jugendstrafrecht zu einer Jugendstrafe von drei Jahren.

Für den Angeklagten Holger Gerlach: Verurteilung wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren.

Für den Angeklagten André Eminger: Verurteilung wegen Beihilfe zum versuchten Mord und der Herbeiführung einer schweren Sprengstoffexplosion und wegen Beihilfe zu zwei Fällen des bewaffneten Raubes sowie wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren.

 

Im Anschluss machte sich auf der Anklagebank Eminger weitere Unruhe breit, denn Diemer beantragte, einen Haftbefehl gegen Eminger zu erlassen, da nunmehr Fluchtgefahr bestünde. Im Ergebnis wurde Eminger zunächst in Gewahrsam genommen und in die JVA Stadelheim verbracht. Wenn das Gericht den Haftbefehl erlässt, was zu erwarten ist, wird am Mittwoch, 13.09.2017, um 15 Uhr ein sogenannter Verkündungstermin im Gerichtssaal durchgeführt, von dem wir gegebenenfalls berichten werden. Die Hauptverhandlung für Mittwoch wurde abgesetzt, es soll am Donnerstag weiterverhandelt werden.

Natürlich wurde damit der heutige Verhandlungstag von diesem auf den ersten Blick harten Vorgehen gegen den Angeklagten Eminger bestimmt. Allerdings war dieses zu erwarten, spätestens nachdem im Plädoyer der Bundesanwaltschaft bereits letzte Woche die Beweisaufnahme zu der Eminger vorgeworfenen Beteiligung an dem Bombenanschlag in der Kölner Probsteigasse als Beihilfe zum versuchten Mord gewertet wurde.

Allerdings muss auch gesehen werden, dass genau diese Tat von Anfang an angeklagt war. Der erteilte rechtliche Hinweis betrifft nur die Eminger vorgeworfene Beihilfe zu zwei Banküberfällen. Tatsächlich aber hatten viele Prozessbeteiligte nicht mehr damit gerechnet, dass die Bundesanwaltschaft an dem Anklagevorwurf bezüglich des Bombenanschlages festhalten würde. Dies liegt sicherlich daran, dass die GBA in den letzten mehr als vier Jahren Hauptverhandlung keinerlei Bemühungen unternommen hatte, Emingers Beteiligung an den NSU-Anschlägen detailliert aufzuklären. Die Beweisaufnahme zu diesem Vorwurf verlief äußerst rudimentär. Und so erschien es für viele überraschend, als Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof Weingarten in seinem Plädoyer auf die gemeinsame Ideologie der „leaderless resistance“, die Bewunderung der amerikanischen bewaffneten Nazigruppe „The Order“ und die Begeisterung Emingers für die Turner Diaries zurückgriff, um zu belegen, dass Eminger im Jahr 2000, als er das Auto anmietete, mit dem Böhnhardt und Mundlos nach Köln fuhren um den Bombenanschlag durchzuführen, mit der Durchführung eines solchen Anschlages rechnete. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: die Nebenklage geht davon aus, dass Eminger ein weiteres Mitglied des NSU war, der eben nicht nur aus Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos bestand, sondern aus deutlich mehr Personen, und dass Eminger deshalb in sämtliche Tatpläne eingeweiht war. Die Bundesanwaltschaft hat allerdings kontinuierlich an der These der aus drei Personen bestehenden, isolierten Gruppe mit wenigen Unterstützern festgehalten und sich aus diesem Grund die Schwierigkeiten bei der Beweisführung gegen Eminger selbst geschaffen.

Ähnliche Probleme dürften zu dem relativ niedrigen Strafantrag gegen Ralf Wohlleben geführt haben. Wohlleben, dem die Beihilfe zu neun Morden vorgeworfen wird, soll gleich hart bestraft werden wie Eminger. Das ist nur zu rechtfertigen, wenn so getan wird, als hätte Wohlleben nur ein einziges Mal, nämlich bei der Beschaffung der Ceska, Unterstützung geleistet. Es ignoriert, dass Wohlleben als gleichberechtigtes Mitglied der Kameradschaft Jena sowohl Kenntnis von der Bombenwerkstatt hatte, als auch die Entscheidung über das Abtauchen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach Chemnitz mitgetroffen hat, anfangs sogar überlegt hat, sich den Dreien anzuschließen und ebenfalls der befürchteten Festnahme zu entziehen. Danach war er nicht nur Waffenbeschaffer, sondern die Zentralfigur des Unterstützernetzwerkes, wie auch im Verfahren herausgearbeitet wurde. Selbst nach dem Umzug nach Zwickau besuchte er die drei Personen noch, um mit ihnen Diskussionen zu führen. Ideologisch war es Wohlleben, der bei seinen „Fest der Völker“-Konzerten Bands und Sprecher aus dem internationalen Blood and Honour-Spektrum die Möglichkeit gab, ihre Ideologie des führerlosen Widerstandes zu bewerben. Aus diesem Grunde läge es nahe, Wohlleben deutlich höher als Eminger zu bestrafen und den Strafrahmen mit der Obergrenze von 15 Jahren für diese Form der Beihilfe zu neun Morden nahezu auszuschöpfen.

Die Bundesanwaltschaft möchte sich als harte Verfechterin des Rechtsstaates verkaufen – sie versteigt sich dabei sogar im Plädoyer zu der Aussage, der Rechtsstaat müsse sich heute gegen sich formierende Angriffe von rechts und links verteidigen, was angesichts der Taten des NSU blanker Hohn ist. In Wirklichkeit fordert sie aber für Wohlleben eine niedrigere Strafe als möglich, um nicht offen zu Tage treten zu lassen, dass auch Wohlleben als Teil eines mehr als vier Personen umfassenden NSU anzusehen war.

Die niedrig anmutende Jugendstrafe von drei Jahren für den nach Jugendrecht zu bestrafenden Carsten Schultze, aber auch der Antrag, Holger Gerlach zu lediglich 5 Jahren Freiheitsstrafe zu verurteilen, sind eine klare Botschaft an Mitglieder von Vereinigungen, denen sogenannte terroristische Taten vorgeworfen werden: Verrat lohnt sich. Natürlich muss in der Strafzumessung berücksichtigt werden, ob ein Angeklagter Reue zeigt, ob er bereit ist, ein Geständnis abzulegen, und wie groß sein Beitrag zur Aufklärung einer Straftat ist. Die Bundesanwaltschaft hat aber insbesondere beim Angeklagten Holger Gerlach auch festgestellt, dass wirkliche Reue nicht erkennbar ist und dass Gerlach nicht sein gesamtes Wissen offenbart hat.

Ein Rechtsstaat muss sehr genau abwägen, wie viel Strafmilderung für einen Kronzeugen gewährt werden kann. Holger Gerlach war Mitglied der Kameradschaft Jena, er hat mit den Kameradschaftsmitgliedern nicht nur Straftaten begangen, sondern auch Diskussionen über den bewaffneten Kampf geführt. Er hat später eine Waffe an Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe weitergegeben. Er hat darüber hinaus über viele Jahre dem NSU seine Identität zur Verfügung gestellt. Ohne seine Papiere hätte nicht nur das Alltagsleben des NSU-Kerntrios, sondern vor allem auch die Verbrechen anders bewältigt werden müssen – nahezu sämtliche Fahrzeuge, die für die Morde, Anschläge und Raubüberfälle genutzt wurden, mietete Uwe Böhnhardt mit Gerlachs Führerschein an. Gerlach hat sich über diese Jahre regelmäßig mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe getroffen und teilweise Urlaube mit diesen verbracht, er war bis zuletzt überzeugter Nationalsozialist. Das Signal einer so niedrigen Strafe als Gegenleistung für die Verurteilung von Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben, ohne dass Gerlach tatsächlich sein gesamtes Wissen offenbart hat, ist verheerend.