12.03.2014

Hessischer Verfassungsschutz – Hauptziel: Schutz der eigenen Arbeit

Heute wurde der ehemalige Direktor des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Lutz Irrgang, vernommen, zudem ein weiteres Mal dessen Mitarbeiter Temme. Der hessische Verfassungsschutz hatte sich nach dem Mord an Halit Yozgat massiv bemüht, Temme, der damals am Tatort war, zu decken, seine Tätigkeit für den Verfassungsschutz geheim zu halten und seine Quellen anonym zu halten. Das hessische Innenministerium hatte die Ermittlungen der Polizei ganz erheblich behindert und das Ermittlungsverfahren gesteuert.

Von solchen Vorgängen will der ehemalige Direktor Irrgang nichts gewusst haben. Dies würde entweder bedeuten, er hat heute eine Falschaussage gemacht, oder seine vergleichsweise kleine Behörde hätte ihm als Chef Informationen von erheblicher Bedeutung vorenthalten und an ihm vorbei die Arbeit der Polizei und Staatsanwaltschaft sabotiert.

Zum Tatzeitpunkt sei er jedenfalls im Urlaub gewesen, erst eine Woche später habe er von der Anwesenheit Temmes am Tatort erfahren. „Ich war eine Verwaltungsbehörde“, beschreibt er seinen Umgang mit anderen Ämtern. Dem Landespolizeipräsidenten habe er zugesichert, seine Behörde werde sich „aus dem Sachverhalt zurückziehen“.

Als Temme in Untersuchungshaft genommen wurde und seine Verstrickung publik wurde, sei die wichtigste Arbeit gewesen, den Dienstbetrieb der Außenstelle Kassel irgendwie aufrecht zu erhalten, Quellenübergaben zu machen, für die Sicherheit der Dienststelle zu sorgen. Schwierigkeiten habe auch bereitet, dass „die Polizei die Maßnahmen unseres Hauses durch technische Maßnahmen begleitet“ habe – die Telefone des Verfassungsschutzbehörde seien also abgehört worden. Tatsächlich hat sich offenbar die gesamte Tätigkeit des Landesamtes Hessen in dieser Zeit ausschließlich darauf konzentriert, die eigene Arbeit zu sichern und die Veröffentlichung der Namen der „Quellen“, also der Informationsgeber und V-Männer, zu verhindern.

Änderungen der Strukturen des hessischen Landesamtes aber zog der Vorfall keine nach sich – die Behörde beschränkte sich darauf, Temme zu suspendieren, und hielt damit alle Probleme für gelöst.

An einer Stelle zeigte der ehemalige Chef des hessischen Landesamtes, dass er damals die Bedeutung des Geschehens in Kassel genau verstanden hatte: „In dem Augenblick, in dem offenbart worden ist, dass ein Verfassungsschützer zum Tatzeitpunkt am Tatort war, habe ich in einem handschriftlichen Vermerk niedergelegt, dass die Aufklärung schwierig wird, weil die Täter damit sich neu positionieren mussten. […] Durch die Anwesenheit von Temme wurde die Aufklärung auf Jahre verhindert, nachdem man das offenbar gemacht hat. Das war meine persönliche Meinung.“

Diese Einschätzung zeigt den unglaublichen Zynismus einer Sicherheitsinstitution, die nur die eigenen Interessen im Auge hat. Um das eigene Personal zu schützen und für die vage Hoffnung einer beschleunigten Aufklärung der Morde sollte die Anwesenheit des VS-Mitarbeiters Temme geheim gehalten werden. Die Pressemeldungen über die Anwesenheit des VS-Mannes führten, so die Einschätzung des Zeugen, dazu, dass die Täter glaubten, der Verfassungsschutz sei ihnen auf der Spur, und aus diesem Grunde ihr Tatmuster änderten. Tatsächlich war der Mord in Kassel der letzte Mord an einem migrantischen Selbständigen. Die Veröffentlichung der Anwesenheit eines VS-Mitarbeiters hat nach dieser Theorie also zum Abbruch der Mordserie geführt und weitere gleichgelagerte Morde verhindert. Bis heute aber wünscht sich der ehemalige Chef der hessischen Behörde, die Identität Temmes wäre geheim gehalten worden, und hätte nach seiner eigenen Theorie lieber weitere ähnliche Morde in Kauf genommen. Die von Irrgang vertretene Hoffnung, auf diese Weise wären die Morde – für die man ja auch im hessischen Landesamt für Verfassungsschutz Migranten, Türken oder Islamisten verantwortlich machte – früher aufgeklärt worden, kann als widerlegt angesehen werden. Hervorzuheben ist allerdings, dass diese These Irrgangs nur dann Sinn macht, wenn er bereits damals von einem politischen Hintergrund der Morde ausgegangen ist.

Der Zeuge Temme konnte keinen der vorhandenen Widersprüche zu seinen Aussagen klären. Er will sich weiter an nichts erinnern. Seine Befragung konnte wieder nicht beendet werden, er wird mindestens noch ein weiteres Mal vor Gericht erscheinen müssen.