08.04.2014

Erste Eindrücke zu André Eminger

Heute wurde eine Jugendfreundin des Angeklagten André Eminger vernommen. Sie hatte 1997 bis 1999 eine Beziehung zu Eminger, hatte sich dann aber von ihm getrennt, weil ihm seine rechten Ansichten und der dazugehörige Lebensstil zu extrem wurden und sie einengten. Die Zeugin selbst wuchs in einer Familie auf, in der der Stiefvater bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf Ausländer schimpfte, judenfeindliche Sprüche absonderte und das Dritte Reich glorifizierte. Es fiel ihr vor diesem Hintergrund ersichtlich schwer, sich einzugestehen, wie ihr erster Freund (und in gewissem Maße auch sie selbst) politisch drauf war. Durch recht hartnäckige Fragen wurde aber dennoch deutlich, dass es sich bei ihm schon damals um einen Nachwuchs-Nationalsozialisten handelte – Nazi-Skinheadmusik und -outfit, Nazi-Publikationen, Nazi-Konzerte und -Demonstrationen, ausländerfeindliche Sprüche und Gerede über germanische Götter. Eine wichtige Rolle spielten damals schon Mandy Struck, die diesen Donnerstag weiter vernommen wird, und Max-Florian B.

Kurz vor Ende der Beziehung, so die Zeugin heute, habe er die rechte Szene auf einmal nicht mehr so gut gefunden – wenn es dieses Gespräch, von dem sie bei der Polizei nichts erzählt hatte, tatsächlich gegeben hat, dann hat diese Meinung Emingers jedenfalls nicht lange gehalten.

Die Zeugin hatte zusammen mit ihrem Freund Eminger einige Male „die Drei“ in der damals von ihnen genutzten Wohnung in Chemnitz zum Kaffeetrinken getroffen und kleinere Einkäufe mitgebracht. Um wen es sich handelte, wurde ihr nicht gesagt, nur, dass die Drei sich verstecken mussten. Hier wird erneut deutlich, wie viele Menschen in Chemnitz damals von der Anwesenheit der drei Jenaer wussten, wenn Unterstützer sogar ihre Freundinnen zum Kaffeeplausch mitbringen konnten. Offensichtlich war jedenfalls die gesamte Naziszene der Stadt eingeweiht – wie es Verfassungsschutz und LKA angesichts dessen geschafft haben, sie dennoch nicht zu finden, bleibt weiterhin ein Rätsel.

03.04.2014

Die resignierte Mutter

Die Zeugenvernehmung der Mutter von Uwe Mundlos war beinahe das Gegenteil der Vernehmung des Vaters: abgeklärt, resigniert schilderte Ilona Mundlos, wie ihr Sohn Uwe ihr, während sie mit der Pflege seines behinderten Bruder völlig beschäftigt war, immer mehr entglitt. Die „Fliegerjacke“ hatte sie ihm noch gekauft, weil diese so modern und pflegeleicht war, das Nazi-Braunhemd hatte sie ihm verboten – aber er zog immer wieder mit seinen Nazifreunden los und sie hatte keinen Einfluss auf seine Entwicklung. Sie bekam mit, dass er einem im Gefängnis einsitzenden „Kameraden“ schrieb – vermutlich der spätere Chemnitzer Unterstützer und Polizeiinformant Thomas Starke, sie bekam mit, dass er nach der Störaktion in der Gedenkstätte Buchenwald Hausverbot bekam – aber all dies lief offensichtlich neben ihr ab, ihr Einfluss war allenfalls marginal.

Ihr Sohn sagte ihr, die Polizei habe eine Garage entdeckt, nach Aussage seines Rechtsanwalts würden ihm 7 Jahre Gefängnis drohen – und das, obwohl er mit den Waffen nichts zu tun habe, von ihm sei nur „Schreibzeugs“ dort gewesen. Er müsse zehn Jahre wegbleiben, dann käme er wieder. Damit verabschiedete sich Uwe Mundlos von seiner Mutter, die ihn nie wieder sah.

Andre Kapke sei bei diesem letzten Besuch dabei gewesen. Mit Juliane Walther habe sie in diesem Zusammenhang zweimal gesprochen: Diese Treffen hat Juliane Walther bislang bestritten, sie wird dies in der Fortsetzung ihrer Vernehmung erklären müssen.

02.04.2014

Mit „Blood and Honour“ in den Untergrund I

Der heutige Zeuge Thomas Starke, der Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach ihrem Untertauchen die Unterkünfte in Chemnitz und vorher schon Sprengstoff besorgt hatte, verweigerte wie erwartet die Aussage, da gegen ihn noch immer wegen Unterstützung des NSU ermittelt wird. Starke hatte aber insgesamt siebenmal Aussagen bei der Polizei gemacht, und so wurde der vorsorglich geladene Vernehmungsbeamte vernommen, diesmal zu den ersten beiden Vernehmungen.

Weil Starke seine Aussage im Laufe der Vernehmungen korrigiert und präzisiert hat, kann diese erst endgültig bewertet werden, wenn alle Vernehmungen eingeführt sind. Dies wird wohl noch mehrere Verhandlungstage dauern. Selbst die Vernehmung zu den ersten beiden Aussagen konnte heute nicht abgeschlossen werden, weil Beate Zschäpe ab 15:53 Uhr wegen Erschöpfung und Kopfschmerzen nicht mehr verhandlungsfähig war, wie der herangezogene Landgerichtsarzt bestätigte.

Bereits jetzt kann aber gesagt werden, dass Starkes Aussagen eine klare Einordnung des Unterstützernetzwerkes in Chemnitz und teilweise in Zwickau ermöglichen wird. Hier wurden „die Drei“ von einem Netzwerk aufgenommen, das größtenteils „Blood and Honour“ angehörte, einer internationalen Organisation, die ihre Botschaft vom „Rassenkrieg“ über den Vertrieb von Musik und die Veranstaltung von Konzerten verbreitet. Neben Starke waren auch der erste Wohnungsgeber Rothe und Mandy Struck, die die Unterbringung bei Max Florian B. mitorganisierte, „B&H“-Mitglieder. So bedurfte es nur einer Anfrage Starkes bei einem anderen Mitglied, damit dieser 1996/1997 unentgeltlich einen Schuhkarton voll TNT-Sprengstoff besorgte. Dass die Bombe, wegen der die Drei gesucht wurden und schließlich abtauchten, nur eine Attrappe war, lag Starke zu Folge auch nur daran, dass sie so schnell keinen Zünder besorgen konnten. Zu diesem Zeitpunkt, also schon deutlich vor dem Abtauchen der Drei, habe Mundlos auch nach Waffen gefragt.

Starke berichtete auch, 1996/1997 habe er eine kurze Liebesbeziehung zu Zschäpe gehabt. Er hätte diese gerne vertieft, wollte mit Zschäpe zusammenziehen. Diese jedoch habe nur die beiden Uwes und Politik im Kopf gehabt und keine Zeit für die Beziehung. Zschäpe habe gerne mit ihm diskutiert, Werbung für die NPD gemacht und die „Blood and Honour“-Szene dafür kritisiert, dass sie sich zu wenig an Demonstrationen und politischen Aktionen beteilige.

01.04.2014

Das Netzwerk in Chemnitz

Zunächst wurde erneut einer derjenigen Verfassungsschutzmitarbeiter vernommen, die den V-Mann Tino Brandt betreut hatten. Er habe anfangs geglaubt, Brandt wolle sie hinters Licht führen, mit der Zeit sei aber eine alltägliche, gute Zusammenarbeit entstanden. Er habe Brandt „abschalten“ müssen, da der Leiter des Landesamtes, Roewer, geglaubt habe, dass der eigentliche V-Mann-Führer Brandts, Wießner, ihn hinters Licht führen wolle. Auch dieser Zeuge wird nach der Vernehmung des Tino Brandt nochmals nach München kommen müssen.

Danach folgte die Vernehmung von Thomas Rothe, der, soweit bislang bekannt, die erste Unterkunft in Chemnitz für das Trio nach dessen Untertauchen gestellt hatte. Zunächst versuchte er mit Angaben wie „Die standen bei mir vor der Tür, dann haben sie bei mir geschlafen“ genauere Nachfragen abzublocken. Durch geduldiges Nachfragen kam heraus, dass Rothe in die Nazimusikszene in Chemnitz eingebunden war, häufiger Mitglieder von internationalen Nazibands bei sich übernachten ließ. Weiter gab er an, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe einige Zeit bei ihm wohnten, vor allem aber, dass er sie auch nach ihrem Auszug und bis 2001 regelmäßig traf, sowohl in Chemnitz als auch in Zwickau.

Der Kontakt zu den Dreien sei durch Thomas Starke hergestellt worden, der sei mit den Dreien zu ihm gekommen und habe ihn gebeten, sie bei sich aufzunehmen. Starke habe ihn auch angerufen, auf einen Bericht im Fernsehen mit einem Fahndungsaufruf hingewiesen und diesen mit den Worten „du weißt schon, wen du da hast“ kommentiert. Rothe selbst gab zu, bei „Blood and Honour“ gewesen zu sein – der Naziorganisation, der zumindest auch Thomas Starke angehörte, und aus der ein wesentlicher Teil der Unterstützer jedenfalls in Sachsen kamen. Thomas Starke wird am Mittwoch vernommen.

Interessant war, dass der Vorsitzende intensiv nach „Blood and Honour“ nachfragte, obwohl die Anklageschrift die Organisation nur am Rand erwähnt. Fragen nach weiteren „B&H“-Mitgliedern blockte der Zeuge aber schließlich ab – unter Verweis auf ein Verfahren gegen ihn wegen seiner „B&H“-Aktivitäten, das 2010 wegen „geringer Schuld“ eingestellt worden war. Erst nachdem der Vorsitzende ihm mit Ordnungsgeld und Ordnungshaft bedroht hatte, verwies Rothe auf ein mögliches Schweigerecht wegen dieses Verfahrens. Der Vorsitzende unterbrach die Vernehmung, um zu prüfen, ob sich ein solches Schweigerecht ergibt. Dafür wird jetzt die Ermittlungsakte beigezogen. Der Zeuge wird sich bei seiner nächsten Vernehmung einem erheblichen Druck seitens des Gerichts ausgesetzt sehen.

27.03.2014

“Man stachelt sich da gegenseitig auf” – Informanten und V-Mann-Führer

Heute wurde zunächst die Vernehmung von Juliane Walther von gestern fortgesetzt. Die Zeugin setzte ihr dreistes Doppelspiel fort – einerseits Erinnerungslücken vortäuschen, andererseits sich selbst und ihre Kameraden als die eigentlichen Opfer der Presse bzw. der linken Öffentlichkeit darstellen. Höhepunkt der Befragung war ihre nochmalige Schilderung des gemeinsamen „Pogromly“-Spieleabends mit Wohlleben, Gerlach, Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, von dem ihr nichts Ungewöhnliches im Gedächtnis blieb: „Es ist halt ein Gesellschaftsspiel gewesen, man stachelt sich da gegenseitig auf, wie wenn ich ein normales Spiel spiele.“

Die Vernehmung des V-Mann-Führers von THS-Führer Tino Brandt, des inzwischen pensionierten Thüringer „Verfassungsschützers“ Wießner, blieb heute oberflächlich – Wießner soll nach der Vernehmung von Tino Brandt noch ausführlich vernommen werden und heute nur einen Überblick geben. Er schilderte, dass und wie Tino Brandt 1994 angeworben und einmal im Jahr 2000 und endgültig 2001 „abgeschaltet“ wurde. Brandt sei immer überaus kooperativ gewesen, für Geld hätte er alles geliefert. Für die Behörde sei er jahrelang die wichtigste Quelle für den Bereich Rechtsextremismus gewesen, ohne ihn hätte das Landesamt keine vernünftigen Auskünfte geben können. (Dass ein Landesamt für Verfassungsschutz seine wesentlichen politischen Einschätzungen auf der Basis der Informationen eines V-Mannes erstellt, wäre schon für sich ausreichend Grund, eine solche Behörde aufzulösen.)

Der Zeuge Wießner gab weiter an, auch Andreas Rachhausen, der den Fluchtwagen des Trios nach Jena zurückgeholt hatte, und die Zeugin Juliane Walter seien als Informanten für ihn tätig gewesen.

Die Vernehmung des Zeugen Zweigert, der als Vertreter von Wießner mehrfach mit Tino Brandt zu tun hatte, war noch viel kürzer, nachdem Zweigert offenbarte, dass er sich an diese Kontakte nicht erinnern will.

26.03.2014

Lügen und Verharmlosen, Teil V – Juliane Walther

Heute wurde Juliane Walther vernommen. Walther war am Tag des Untertauchens von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe die Freundin von Ralf Wohlleben. Nachdem die Bombenwerkstatt in der Garage gefunden worden war, kam Böhnhardt mit einem weiteren „Kameraden“ zur Berufsschule der Zeugin, fuhr mit ihr erst nach Erfurt, um Wohlleben zu warnen, und wieder nach Jena, wo sie Gegenstände für Zschäpe aus deren Wohnungen holte. Auch bei Mundlos wollte sie Gegenstände abholen, wurde aber von der Polizei, die dort gerade eine Hausdurchsuchung machte, empfangen und direkt als Durchsuchungszeugin eingesetzt.

Die Befragung war noch zäher als die der meisten Zeugen aus der rechten Szene. Die Zeugin behauptete, sich an praktisch nichts mehr erinnern zu können. Der Vorsitzende Richter Götzl machte ihr mehr als deutlich, dass er ihr diese Erinnerungslücken nicht abkauft, zumal Walther bei der Polizei vor zwei Jahren noch umfangreiche Angaben gemacht hatte. Die Verteidigungen Zschäpe und Wohlleben versuchten mehrfach, mit sinnlosen Beanstandungen den Druck von der Zeugin zu nehmen, wenn diese durch Fragen des Gerichts oder der Nebenklage unter Druck geriet.

Die Zeugin blieb in allen Fällen dabei, nichts mehr zu wissen, und stellte sich vor allem als Opfer der Fragenden, die sie „verwirren“ wollten, und der Presse dar. Gleichzeitig nahm sie sich heraus, zu bewerten, welche Fragen zur Sache gehörten oder nicht, wurde insoweit mehrfach vom Vorsitzenden zurechtgewiesen. Die Zeugin wirkte „gecoacht“, betonte z.B. mehrfach, anders als Polizeizeugen habe sie sich das Protokoll ihrer polizeilichen Aussage nicht noch einmal durchlesen dürfen.

Die Zeugin wurde auch zu den ideologischen Hintergründen von „den Drei“, Wohlleben und Kapke befragt, antwortete aber auch hier sehr ausweichend, meinte, die seien „rechts angehaucht“ gewesen. In der Wohnung Zschäpes sei ihr nichts Besonderes aufgefallen, die sei ganz normal eingerichtet gewesen – aus anderen Zeugenaussagen ist aber bekannt, dass dort u.a. eine Hakenkreuzfahne an der Wand hing.

Immerhin erzählte sie, mit Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, Holger Gerlach und ihrem damaligen Freund Wohlleben zusammen des „Pogromly“.Spiel gespielt zu haben. Wie auch in ihrer gesamten Vernehmung war keinerlei Distanzierung von den widerlichen, antisemitischen Inhalten des Spiels zu hören oder zu spüren. Die Zeugin scheint zwar heute keine aktive Nazipolitik mehr zu betreiben, beschreibt sich selbst als Mitläuferin, ist aber auch nicht gewillt, irgendeine Mitverantwortung für die Verbrechen des NSU bei sich oder ihren damaligen Freunden einzugestehen.

Aus Sicht der Nebenklage ist es begrüßenswert, dass das Gericht den ZeugInnen aus der rechten Szene Jenas ihre „Erinnerungslücken“ nicht weiter abkauft.

Die Vernehmung soll morgen Vormittag abgeschlossen werden.

25.03.2014

Aussage des Max-Florian B. belastet Zschäpe und Eminger

Der gesamte Verhandlungstag heute bestand aus der Einführung der Aussage des NSU-Unterstützers Max-Florian B. durch zwei Polizeibeamte, die ihn mehrfach vernommen haben – B. selbst verweigert die Aussage.

Max-Florian B. ist für die Anklage ein sehr wichtiger Zeuge, weil er einen Teil der besonders wichtigen Phase der Herausbildung der terroristischen Vereinigung NSU nach dem Untertauchen von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos selbst begleitet hat. Welch große Bedeutung auch das Gericht der Aussage B.s zumisst, wurde daran deutlich, dass der Vorsitzende Richter Götzl den beiden Beamten, nachdem diese von sich aus sehr detailliert ausgesagt hatten, praktisch die gesamten Vernehmungsprotokolle nochmals vorlas und sich im einzelnen bestätigen ließ.

Anfangs wohnten „die Drei“ in B.s Wohnung und er bei seiner damaligen Freundin Mandy Struck, nach dem Ende Beziehung wohnten man zu viert bei ihm. Aber auch danach, selbst nachdem sich B. anscheinend aus der Naziszene gelöst hatte, kam es bis 2009/10 zu Treffen und zahlreichen Telefonaten, bei denen Veränderungen in seinem Leben abgefragt wurden, wohl damit das Trio seine Identität – Mundlos hatte einen Reisepass auf den Namen B.s – weiterhin verwenden konnte. B. ließ ihnen auch in dieser Zeit noch Unterlagen zukommen, so Post der Commerzbank, bei der Mundlos unter Verwendung des Passes ein Konto angelegt hatte.

B. hat in zahlreichen Vernehmungen anschaulich dargestellt, dass Beate Zschäpe ein gleichberechtigtes Mitglied der Gruppe war. So sagte sie ihm etwa, sie habe 1996 beim Aufhängen einer Puppe mit der Aufschrift „Jude“ und einer Bombenattrappe selbst nicht mitgewirkt, weil ihre Körperkraft dafür nicht ausreichend war, sie sei aber in die Planung dieser und anderer Aktionen voll eingebunden gewesen. Insgesamt kann nach der Aussage B.s endgültig davon ausgegangen werden, dass Zschäpe vollwertiges Mitglied der Gruppe war – zumal der erste Banküberfall zwar nach Auszug aus B.`s Wohnung, aber noch während des Aufenthaltes in Chemnitz geplant und durchgeführt wurde, die Gruppe also in der von B. geschilderten Lebenssituation den Schritt zu bewaffneten Aktionen vollzog.

B. hatte gegenüber den Vernehmungsbeamten auch bestätigt, dass die Gruppe um Thomas Starke und die Brüder Fiedler in dieser Phase zu den Hauptunterstützern gehörte. Starke nutzte bereits in Jahren zuvor seine „Blood and Honour“-Kontakte, um den Dreien den Sprengstoff für die Bombenattrappen zu besorgen. Brisant daran ist, dass Starke von 2000 bis 2005 zumindest auch V-Mann des LKA Berlin war. Er wird in der kommenden Woche vernommen werden.

Aber nicht nur Zschäpe, auch der Mitangeklagte André Eminger wurde heute erheblich belastet. B. hatte in seinen Vernehmungen angegeben, Eminger sei mindestens dreimal bei ihm in der Wohnung gewesen und habe das Trio besucht. Mit Eminger sei diskutiert worden, dass er einen Personalausweis zur Verfügung stellt, dies habe man aus B. nicht bekannten Gründen doch nicht gemacht. Bei allen Gesprächen mit Böhnhardt und Mundlos sei Eminger Gesprächsthema gewesen. B. habe von den drei Informationen zu André Eminger erhalten, zu dessen Kindern, dessen Beruf und dessen Tätowierung mit der Aufschrift „Die Jew Die“. B. sei davon ausgegangen, dass Eminger später in der Nähe des Trios gewohnt habe, weil er das Trio öfter besucht habe. 2011 habe Eminger B. angerufen und habe Information über diesen gewusst, die er nur vom „Trio“ haben konnte.

Insgesamt entsteht aus den Schilderungen der Aussagen des Max-Florian B. der feste Eindruck, dass André Eminger bereits ab dem Abtauchen des Trios in Chemnitz eng mit den dreien verbunden war und diese frühzeitig unterstützt hat.

Überaus spannend war auch die Schilderung der Zeugenaussage B.s zum Ende des Aufenthaltes des Trios in Chemnitz. Es habe mehrere Gespräche darüber gegeben, dass die Anwesenheit der Drei in der Chemnitzer „Szene“ allseits bekannt und deshalb ein Umzug notwendig sei. Bei der Vielzahl an V-Leuten in der Naziszene zu diesem Zeitpunkt kann dies dem Verfassungsschutz und den Strafverfolgungsbehörden gar nicht verborgen geblieben sein.

20.03.2014

Kapke lässt die Maske fallen

Die dritte Zeugenvernehmung des André Kapke, Mitbegründer des Thüringer Heimatschutzes und NSU-Helfer der ersten Stunde, brachte Klarheit über den ideologischen Hintergrund des THS, sowohl vor dem Abtauchen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe als auch danach. Der aus den Aktivitäten des THS erkennbare tödliche Hass auf Nichtdeutsche, die Begeisterung für den Massenmord an den europäischen Juden, wurden, so muss man die teilweise auch provozierenden Antworten des Zeugen bewerten, auch von Zschäpe und Wohlleben geteilt.

Deutlich wurde auch, dass Wohlleben sich keineswegs zu einem „moderaten Nationalisten“ gewandelt hat, wie es seine Verteidigung suggerieren will, sondern bis kurz vor seiner Festnahme aktiv nationalsozialistische Propaganda betrieben hat.

Kapke konnte seine Ideologie insbesondere nicht mehr verharmlosen, als ihm Fotos des „Fest der Völker“ vorgelegt wurden, eines politischen Festivals mit Bands, Rednern und Besuchern aus ganz Europa, das er über Jahre zusammen mit Wohlleben organisiert hatte. Fotos der Bühne, geschmückt mit einem Transparent, auf dem Waffen-SS-Männer unter verschiedenen europäischen Fahnen paradieren, konnte er nicht weglügen, auch wenn er von Frieden in Europa schwafelte.

Auch die Liste der Redner und der Bands, die auf dem „Fest der Völker“ zwischen 2005 und 2009 auftraten, spricht für sich: auf der Bühne war alles vertreten, was im faschistischen und nationalsozialistischen Lager in Europa Rang und Namen hat, insbesondere zahlreiche Bands aus dem „Blood and Honour“-Spektrum. Beim “Fest der Völker” – dessen Titel auf einen Film Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl über die Olympiade im faschistischen Deutschland zurückgeht – trafen sich diejenigen Gruppierungen, deren Mitglieder in ganz Europa den Hass auf MigrantInnen, Menschen jüdischen Glaubens und vermeintliche oder tatsächliche politische GegnerInnen schüren und deren AnhängerInnen immer wieder an Übergriffen und Morden beteiligt sind. Auch die bislang bekannten UnterstützerInnen des NSU kommen überwiegend aus dem Umfeld von „Blood and Honour“.

Der Versuch Kapkes, den THS verharmlosend als Gruppe umweltfreundlicher, systemkritisch-provokanter Jugendlicher darzustellen, ist damit eindeutig widerlegt.

20.03.2014 – Presseerklärung

Presseerklärung von einigen VertreterInnen der Nebenklage im NSU-Prozess

München, den 20. März 2014

„Wir sind hier nicht vor dem Jüngsten Gericht!“
Die Bundesanwaltschaft verhindert erneut kritische Befragung von Nazizeugen

Bei der gestrigen Befragung des offensichtlich lügenden Zeugen Carsten R., der für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach deren Untertauchen in Chemnitz eine Wohnung angemietet hat, torpedierte die Bundesanwaltschaft eine kritische Befragung des Zeugen.

Der Zeuge bejahte die Frage der Nebenklage, ob ihm der Grund, aus dem das Trio 1998 abgetaucht sei, „grenzenlosegal“ gewesen sei. „Mir war es egal“, so der Zeuge weiter,“ ob sie Schokoriegel geklaut oder jemanden umgebracht haben“. Auf die sich daran anschließende Frage aus der Nebenklage, welche Gedanken er sich gemacht habe, als er 2011 erfuhr, dass die Drei möglicherweise tatsächlich Morde begangen hätten, griff die Bundesanwaltschaft prozessordnungswidrig in das Fragerecht der Nebenklage ein und unterbrach mit den Worten: „Wir sind hier nicht das Jüngste Gericht, es ist nicht Aufgabe des Zeugen, sich für Einstellungen, die er damals hatte, zu rechtfertigen, sondern Wahrnehmungen zu bekunden.“
Damit hielt die Bundesanwaltschaft den Zeugen von der Beantwortung der Frage ab. Sie hat damit zu erkennen gegeben, dass sie eine kritische Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen und dessen Motivation, hier falsche Angaben zu machen, verhindern will. Eine weitere sinnvolle Befragung des Zeugen durch die Nebenklage wurde dadurch faktisch unterbunden.

Ein solches Verhalten der Bundesanwaltschaft konnte schon mehrmals bei der Befragung von Zeugen aus der rechten Szene durch die Nebenklage beobachtet werden.Bei den unterzeichnenden Nebenklagevertretern drängt sich der Eindruck auf, dass die Bundesanwaltschaft einer Aufklärung der Strukturen, die zur Entstehung und Fortbestand des NSU geführt und bei der Begehung der dem NSU zugerechneten Taten Unterstützung geleistet haben, aktiv entgegentritt. Nach der Befragung einer Vielzahl von Zeugen aus der Nazi-Szene wird deutlich, dass
es sich bei diesen Zeugen offensichtlich herumgesprochen hat, dass sie beim Lügen oder Vortäuschen von Erinnerungslücken nicht nur mit keinerlei Sanktionen rechnen müssen, sondern ihnen dabei im Zweifel die
Bundesanwaltschaftzur Seite springt.

Vertreterinnen und Vertreter aus der Nebenklage:
Alkan, Rechtsanwalt,
Basay, Rechtsanwältin,
v.d. Behrens, Rechtsanwältin,
Bogazkaya, Rechtsanwalt,
Clemm, Rechtsanwältin,
Daimagüler, Rechtsanwalt,
Dr. Elberling, Rechtsanwalt,
Hoffmann, Rechtsanwalt,
Ilius, Rechtsanwalt,
Kaniuka, Rechtsanwältin,
Kara, Rechtsanwalt,
Kienzle, Rechtsanwalt,
Kolloge, Rechtsanwalt,
Kuhn, Rechtsanwalt,
Lex, Rechtsanwältin,
Lunnebach, Rechtsanwältin,
Narin, Rechtsanwalt,
Parlayan, Rechtsanwalt,
Pinar, Rechtsanwältin,
Reinecke, Rechtsanwalt,
Scharmer, Rechtsanwalt,
Sariyar, Rechtsanwalt,
Sfatkidis, Rechtsanwalt,
Sidiropoulos, Rechtsanwalt,
Stolle, Rechtsanwalt,
Top, Rechtsanwalt,
Ünlücay, Rechtsanwalt
Wierig, Rechtsanwältin.

19.03.2014

Bundesanwaltschaft verhindert erneut kritische Befragung eines Nazizeugen – “Wir sind hier nicht das jüngste Gericht!”

Der heutige Verhandlungstag brachte eine Zuspitzung während der Vernehmung eines Zeugen, der  in der zweiten Jahreshälfte 1998 für Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe eine Wohnung in Chemnitz angemietet hatte. Die Befragung des Zeugen, der offensichtlich Erinnerungslücken vortäuschte und sich herausredete, verlief nach altem Muster: der Vorsitzende Götzl befragte ihn, bis er die Punkte, die in der Anklageschrift in das Wissen des Zeugen gestellt wurden, “abgearbeitet” waren. Danach verlor er das Interesse. Die Nebenklage versuchte, den Zeugen in die Enge zu treiben und wurde, mal wieder, von der Bundesanwaltschaft unterbrochen.

Nachfolgend wird eine Stellungnahme von NebenklägervertreterInnen dokumentiert, die als Reaktion hierauf abgegeben wurde.

In der Strafsache gegen Beate Zschäpe u.a.

geben die nachfolgend im einzelnen benannten NebenklägervertreterInnen die nachfolgende Stellungnahme zu der hypothetischen Beanstandung des Vertreters des Generalbundesanwalts Dr. Diemer ab:

Der Zeuge bekundete auf Frage der Nebenklagevertreterin RAin Pinar, ob der Grund der Abtauchens der Drei ihm 1998 “grenzenlos egal“ gewesen sei, dass dies so sei. Es sei ihm egal gewesen, ob sie Schokoriegel geklaut hätten oder jemanden umgebracht.

Es schloss sich die Frage an, was er sich dabei dachte, als er 2011 durch Medienveröffentlichungen erfuhr, dass die Drei möglicherweise tatsächlich Morde begangen hätten.

In diese Befragung und damit an entscheidender Stelle griff Dr. Diemer ohne Worterteilung ein und teilte mit, er würde die Frage beanstanden, wenn die Nebenklage nicht den Sachzusammenhang erklären könne.

Wörtlich sagte er:

„Wir sind hier nicht das jüngste Gericht, es ist nicht Aufgabe des Zeugen, sich für Einstellungen zu rechtfertigen, sondern Wahrnehmungen zu bekunden.“

Dr. Diemer gab damit zu erkennen, dass die Wahrheitsfindung hier keine Rolle spielen soll, aus seiner Sicht. Mit der Frage soll ganz offenkundig die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen insgesamt überprüft werden, weil er zu erkennen gegeben hat, dass ihm bis heute die gesamte Mordserie „egal“ ist.

Diese Prüfung will die BAW an dieser Stelle unterbinden.

Dem Zeugen wurde durch die Äusserung der BAW verdeutlicht, dass sein widersetzliches Aussageverhalten staatliche Rückendeckung bekommt.

Auf diesem Hintergrund spricht die Frage für sich und muss zugelassen werden. Eine weitere Befragung des Zeugen ist auf dem Hintergrund der Äusserung Dr. Diemers gleichwohl sinnlos.

Kienzle RA, Pinar RAin, Top RA, Hoffmann RA, Ilius RA, v.d. Behrens RAin