20.05.2014

Banküberfall in Eisenach und Antrag der Nebenklage auf Vernehmung von V-Männern

Der Banküberfall in Eisenach am 4.11.2011, nach dem Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in einem Wohngebiet am Rande Eisenachs von der Polizei gestellt werden konnten, war Thema des heutigen Verhandlungstages. Als Zeugen waren die Angestellten der betroffenen Sparkasse und bei der Tat anwesende Kunden sowie ein Passant geladen.

Die Beweisaufnahme bestätigte das bisher Bekannte: Zwei Fahrradfahrer überfielen die Sparkasse, zwangen die Bankangestellten, ihnen über 70.000 Euro auszuhändigen, schlugen einen Angestellten nieder. Die Flucht erfolgte wieder auf Fahrrädern, wobei ein Passant sah, wie die beiden Fahrradfahrer bei einem Wohnmobil ankamen, die Fahrräder einluden und rasant wegfuhren. Dies teilte er kurze Zeit später zwei Polizeibeamten mit, die nach Fahrradfahrern fahndeten. Der Zeuge sagte heute aus, er habe Uwe Mundlos anhand von Fotos in der Presse als einen der beiden Fahrradfahrer erkannt.

Die Nebenklage beantragte im Anschluss, den V-Mann Szczepanski als Zeugen zu vernehmen, und kündigte an, die Vernehmung aller V-Männer, die im Umfeld des NSU tätig waren, zu beantragen.

Der V-Mann Szczepanski war viele Jahre in der militanten Naziszene aktiv und beging rassistisch motivierte schwere Straftaten. Er bekam mit, wie die sächsische Blood and Honour-Sektion die Unterstützung für die Abgetauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt diskutierte und plante und wie ein Mitglied beauftragt wurde, dem Trio mit „Blood and Honour“-Geld Waffen zu beschaffen. Er war Teil dieser Organisation und auch in Diskussionen über den bewaffneten Kampf beteiligt.

Die Beteiligung von V-Leuten des Verfassungsschutzes an kriminellen Aktivitäten führte dazu, dass sich das BKA im Jahr 1997 beim Bundesamt für Verfassungsschutz beschwerte, dass „aus Quellenschutzgründen“ Informationen des Verfassungsschutzes an die Polizei „erst so spät weitergeleitet“ werden, dass rechte Aktionen „nicht mehr verhindert werden können“, dass der Verfassungsschutz, wenn man ihn über geplante Durchsuchungen informiere, oft seine Quellen vorher warne und somit „die Gefahr [bestehe], dass Beweismittel vor Eintreffen der Exekutive vernichtet werden“, dass Verfassungsschutz-Quellen, die “als Straftäter festgestellt wurden”, oft „weder angeklagt noch verurteilt“ werden könnten, dass „die Mehrzahl der Quellen […] überzeugte Rechtsextremisten“ seien, die glaubten, „unter dem Schutz des VS im Sinne ihrer Ideologie ungestraft handeln zu können und die Exekutive nicht ernst nehmen zu müssen“.

Die Bundesanwaltschaft hat die meisten dieser V-Männer, die Entscheidendes zur Aufklärung des Aufbaus des NSU und seiner Einbindung in die verschiedenen Netzwerke militanter Nazis mitteilen können müssen, nicht als Zeugen benannt. Sie will die These der isolierten 3-Personen-Gruppe aufrecht erhalten. Die Vernehmung der V-Leute bietet jedenfalls eine kleine Chance, trotz dieser Verschleierungstaktik weitere Informationen zu diesem wichtigen Thema zu erhalten.

19.05.2014

Leugnen und verharmlosen VIII – Jürgen Helbig

Der Zeuge Jürgen Helbig, Jugendfreund von Uwe Böhnhardt, seit ca. 1998 Mitglied der NPD und damals aktiv in der Naziszene Jenas, stammelte und schwieg sich durch den heutigen Verhandlungstag. Wie bereits in Vernehmungen beim Militärischen Abschirmdienst, dem LKA Thüringen, dem BKA sowie der Bundesanwaltschaft gab Helbig genau so viel an, wie ihm ohnehin nachgewiesen werden kann: Über ein Jahr war er Mittelsmann zwischen den Angeklagten Schultze und Wohlleben und den gerade untergetauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Er nahm Telefongespräche an bestimmten Telefonzellen an, überbrachte Material und verkaufte das Pogromly-Spiel, um Geld für die Untergetauchten zu besorgen.

Einmal überbrachte Helbig auch ein Päckchen, in dem er im Nachhinein eine Waffe vermutete. Wie die bisherigen Nazizeugen auch, wollte er keine konkreten Erinnerungen haben, aus sich denen eine Belastung für weitere Beteiligte ergeben könnte: nie habe er einen seiner Gesprächspartner oder Mittelsleute erkannt, mit keinem habe er über die Pläne der „Drei“ gesprochen, nie an einer Diskussion über Gewalt oder Waffen teilgenommen.

Gegenüber dem MAD hatte Helbig 1999 angegeben, er sehe Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe schon auf einer Stufe mit Rechtsterroristen. Böhnhardt sei Waffenfanatiker und hasse Ausländer. Nach dieser Angabe eines Unterstützers, das war dem MAD und VS damals schon bekannt, mussten diese also bereits sicher davon ausgehen, dass das Trio tödliche Aktionen gegen Nichtdeutsche planen würde. Die immer wieder vorgeschobene Unwissenheit der Behörden wird auch durch diese Aussage widerlegt.

07./08.05.2014

Zschäpe weiter krank

Der heutige Hauptverhandlungstag wurde abgesetzt, weil bei der Angeklagten Zschäpe ein Verdacht auf einen “beginnenden Infekt mit unklarer Kreislaufreaktion” diagnostiziert wurde.

Auch die Hauptverhandlung für den 8. Mai wurde abgesagt.

 

06.05.2014

Ein Jahr NSU-Prozess – Zschäpe krank

Mit zahlreichen Unterbrechungen verging der heutige Verhandlungstag insgesamt, ohne dass tatsächlich verhandelt wurde. Nach 20 Minuten Zeugenvernehmung wurde die Hauptverhandlung auf Bitten der Verteidigung Zschäpe unterbrochen. Weitere Unterbrechungen folgten. Am frühen Nachmittag wurde klar, dass Zschäpe morgens ein Schreiben erhalten hatte, das ihr „Übelkeit“ verursachte. Um was für ein Schreiben es sich handelt, wollte sie dem untersuchenden Arzt nicht mitteilen.

Es kann vermutet werden, dass es sich um die Mitteilung des Gerichts handelt, dass drei ihrer Briefe an den inhaftierten Neonazi Robin Schmiemann beschlagnahmt werden sollen. Sie sollen für ein linguistisches Gutachten verwendet werden, das die Nebenklage beantragt hatte. So sollen sprachliche Übereinstimmung von NSU-Veröffentlichungen mit Zschäpes Briefen festgestellt werden. Eine öffentliche Behandlung der sehr persönlich gehaltenen Briefe ist für Zschäpe wahrscheinlich schwer zu ertragen, weil sie ihrem „Kameraden“ vieles sehr offen schildert, was für die Bewertung ihrer Persönlichkeit hilfreich sein dürfte.

Die Verhandlung endete schließlich mit einem Befangenheitsantrag der Verteidigung Zschäpe gegen den Gerichtsarzt. Über diesen Antrag wird das Gericht ausserhalb der Hauptverhandlung entscheiden.

29.04.2014

Mit „Blood and Honour“ in den Untergrund III

Heute wurde erneut ein Polizeibeamter befragt, der den „Blood & Honour“-Aktivisten Thomas Starke vernommen hatte (vgl. einleitend den Bericht vom 02.04.2014). Die Angaben Starkes sind auch nach diesem Tag noch nicht vollständig eingeführt, es sind bisher erst drei seiner sechs Vernehmungen besprochen worden.

In den heute besprochenen Vernehmungen hatte Starke u.a. von vielfältigen Kontakten innerhalb der Nazi-Szene berichtet. U.a. habe er Uwe Mundlos nach der Sprengstofflieferung mit dem Lieferanten Jörg Winter, auch ein „Blood & Honour“-Mitglied, zusammengebracht – Mundlos hatte sich bei ihm beschwert, dass der Sprengstoff nicht zündfähig sei. Winter, der mit Sprengstoff experimentiert habe, hätte mitgeteilt, dass zum Zünden des von ihm gelieferten TNT ein spezieller Zünder notwendig sei, den er damals nicht besorgen konnte. Starke hatte auch von seinen Kontakten zum Angeklagten André Eminger und zu dessen Bruder Maik berichtet, damals Gründungsmitglieder und Führungskader der „Weißen Bruderschaft Erzgebirge“.

In der dritten Vernehmung hatten die Beamten mit Starke diverse Fotos aus seiner Wohnung besprochen – diese zeigten ihn mit „Blood & Honour“-Kadern bei Bundestreffen, auf Besuchen bei „Kameraden“ in den USA usw., aber auch ab 1993/1994 immer wieder zusammen mit der Jenaer Gruppe um Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos.

Am Ende des Verhandlungstages stellte die Nebenklage einen Antrag auf Beiziehung einer vor kurzem aufgetauchten CD mit dem Titel „NSU NSDAP“ – Presseberichten zu Folge ist diese bereits 2006 erstellt worden. Als ein möglicher Urheber wird Thomas Richter genannt, ein langjähriger Nazikader, der schon bei der 1992 verbotenen „Nationalistischen Front“ aktiv war, gleichzeitig fast zwei Jahrzehnte unter dem Decknamen „Corelli“ V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Richter wurde vor wenigen Wochen tot aufgefunden – Berichten zu Folge von Beamten einer Sicherheitsbehörde, die ihn zu der CD befragen wollten. Die Generalbundesanwaltschaft kündigte weitere Ermittlungen zu einer möglichen Verbindung der CD zum Münchener Verfahren an.

28.04.2014

Leugnen und Verharmlosen, Teil VII – Enrico Theile

Heute wurde erneut der Zeuge Enrico Theile befragt – er war nach den Ermittlungen am Verkauf der Ceska-Pistole, der NSU-Mordwaffe, an den Nazi-Szeneladen „Madleys“ beteiligt. Letztes Mal hatte es Streit um die Frage gegeben, ob Theile ein Auskunftsverweigerungsrecht hat. Heute entschied er sich, wie viele Zeugen vor ihm, auszusagen – und sich an nichts erinnern zu wollen.

Theile bestritt jede Verbindung zu dem Waffengeschäft. Jürgen Länger, ein weiterer Beteiligter an dem Waffengeschäft, sei ein Kumpel, den kenne er aus der Nachbarschaft. Auch den Schweizer Beteiligten an dem Waffengeschäft, Hans Ulrich Müller, kenne er schon lange, habe ihn auch mal im Urlaub in der Schweiz besucht. Er habe sich mit Müller auch einmal über das Fahndungsplakat wegen der „Döner-Morde“ unterhalten, der habe auch etwas von einer Hausdurchsuchung in der Schweiz erzählt. Mehr wollte er von dem Gespräch nicht erinnern – dabei blieb er auch, nachdem der Vorsitzende Richter ihm deutlich machte, dass er ihm die Erinnerungslücke nicht abkauft, und in diesem Zusammenhang auch eine frühere Verurteilung Theiles wegen Falschaussage ansprach. Auch an Gespräche mit Jürgen Länger oder mit Müller über Länger wollte Theile sich nicht erinnern.

Damit reiht sich Theile in die Reihe der „vergesslichen“ Zeugen aus der Naziszene und ihrem Umfeld ein, die mehr oder weniger geschickt lügen und behaupten, sich an nichts zu erinnern, auch wenn dies offenkundig Blödsinn ist. So behauptete Theile etwa, er habe nie Waffen gehabt, auch mit Müller seien Waffen nie Thema gewesen – dabei wurde gegen ihn mehrfach im Zusammenhang mit bewaffneten Straftaten ermittelt, 1997 Patronenhülsen gefunden und 2004 ein Schießkugelschreiber, dabei wusste er von einer Festnahme Müllers wegen Waffendelikten.

Theile hatte 2012 anscheinend Angst, im Zusammenhang mit dem NSU festgenommen zu werden, und gab dies in einer Zeugenvernehmung gegenüber der Polizei auch so an – heute wollte er auch davon nichts mehr wissen.

Der sichtlich genervte Vorsitzende unterbrach Theiles Vernehmung gegen 16 Uhr – sie wird an einem späteren Termin fortgesetzt werden. Klar ist, dass dem Zeugen, wenn er bei seiner Aussage bleibt, ein Strafverfahren wegen Falschaussage gewiss ist – allerdings wahrscheinlich erst nach Abschluss des Münchner Verfahrens.

16.04.2014

Leugnen und Verharmlosen, Teil VI – Jana J.

Heute wurde die Zeugin Jana J., die 1996-200 eng mit André Kapke und auch mit Carsten Schultze befreundet und so mit der Jenaer Nazi-Szene verbunden war, weiter vernommen (vgl. zu ihrer ersten Vernehmung den Bericht vom 13.03.2014).

Die Zeugin sagt, sie habe sich ab 2000 von der Nazi-Szene abgewandt. Sie blieb aber bei der Strategie aus der letzten Sitzung, ihre damaligen Aktivitäten und die ihrer Freunde aus der Nazi-Szene zu verharmlosen und/oder sich nicht mehr erinnern zu wollen. Sich selbst stellte sie als unbedeutend dar – und das, obwohl sie mit Kapke bei einer Vielzahl von bedeutsamen Treffen war. Die Nazi-Szene Jenas sieht sie auch heute in erster Linie als Opfer von „Verfolgung“ durch Linke und den Staat.

2000 sei sie aus Jena weggezogen und habe als Saisonarbeiterin auf Borkum gearbeitet. Dort habe sie Besuch vom Verfassungsschutz bekommen, der u.a. Informationen über Kapke wollte. Sie habe das aber abgelehnt und Kapke „umgehend“ informiert.

Der Zeugin wurden u.a. diverse Verfassungsschutz-Dokumente und Zeugenaussagen vorgehalten, die ihre damalige Rolle betrafen – alles stritt sie ab oder wollte sich nicht erinnern: Sie stritt ab, dass Schultze mit ihr über seinen Kontakt zu „den Drei“ gesprochen hatte; sie stritt ab, dass sie sich 1998 von Kapke abgewandt habe, weil ihm Unterschlagung von Spenden für die „Drei“ vorgeworfen wurde; sie wollte sich nicht erinnern, dass Kapke und Ralf Wohlleben sie 2000 auf Borkum besucht hätten; sie wollte sich nicht an ein Treffen mit den THS-Führern Kapke, Tino Brandt und Mario Brehme erinnern, bei dem über eine Anfrage eines Stern-Reporters zu den „drei Flüchtigen aus Jena“ diskutiert wurde, sie wollte sich nicht erinnern, Schmiere gestanden zu haben, als Beate Zschäpe 1996 ein eine junge Frau angriff und verletzte.

J. wurde auch noch einmal auf die „Geburtstagszeitung“ für Kapke angesprochen. Sie hatte diese am 13.03. als satirische Reaktion auf staatliche Verfolgung geschildert, musste aber heute eingestehen, dass viele der Artikel so nicht ansatzweise erklärbar sind. So wurde ihr etwa der Artikel „Bewerber für die neue Tankstelle für Gas am Ettersberg!“ vorgelesen, der „die Umfunktionierung des KZ-Buchenwald in eine ‚Tankstelle‘ für Gas“ darstellte und Mundlos, Gerlach und Kapke als neue „sympathische“ Betreiber von „Gas für alle“ beschrieb.

Der Zeugin wurden auch Ausschnitte aus einem BBC-Fernsehinterview mit der THS-Führung aus dem Jahre 1998 vorgespielt, bei dem sie auch anwesend war. Dort bezeichnete einer ihrer „Kameraden“ die multikulturelle Gesellschaft als „Volksvernichtung“ – eine Einstellung, die sie noch heute mit André Kapke in Verbindung bringt. An die Übergabe des „Pogromly“-Spiels an den Journalisten – die in dem Fernsehausschnitt auch dokumentiert ist – wollte sie sich wiederum nicht erinnern.

15.04.2014

Erneut zum „Verfassungsschützer“ Andreas Temme, und zu ersten Versuchen der „Drei“ mit Rohrbomben

Der erste Zeuge war ein Sprengstoffspezialist des LKA Thüringen, der die Rohrbomben entschärft und untersucht hatte, die im Januar 1998 gefunden wurden – dieser Fund war damals Anlass für das Untertauchen von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Er schilderte, dass die Bombenbauer einigen Aufwand betrieben hatten, einmal auch Metallteile eingebaut hatten, um die Verletzungswirkung zu verstärken. Als Sprengstoff verwendeten sie neben Schwarzpulver auch TNT – das, wie andere Zeugen bereits ausgesagt haben, von Mitgliedern von „Blood and Honour“ Chemnitz kam. Die Bomben waren zwar nicht zündfähig – damals hatten „die Drei“ anscheinend noch keine ausreichenden Kenntnisse. Es war aber auch deutlich, dass es sich, anders als bei vorhergehenden öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Nazi-Szene, nicht um bloße Attrappen handelte, sondern um den Versuch, sprengfähige Bomben zu bauen.

Es wurde damit erneut klar, dass „die Drei“ bereits 1998 über Sprengstoffanschläge und insbesondere über die Verwendung von Nagelbomben nachdachten – eine solche Nagelbombe setzten sie dann, nach ersten Sprengstoffanschlägen in Nürnberg und Köln, 2004 in der Kölner Keupstraße ein. Es wurde aber auch erneut klar, dass die Polizei 1998 alles andere als mit Hochdruck ermittelte – der Bericht des Zeugen etwa stammt aus dem August 1998, fast sieben Monate nach dem Auffinden, und er hatte sich zunächst nicht einmal die Mühe gemacht, die Mengen an verwendetem TNT zu bestimmen.

Vor der weiteren Vernehmung des „Verfassungsschutz“-Mitarbeiters Temme stellte die Nebenklage Yozgat mehrere Beweisanträge. Temme hatte einer Kollegin am Vormittag des 10.04.2006 erzählt, der Mord an Halit Yozgat sei mit der Ceska 83 begangen worden und daher als Teil der Mordserie anzusehen. Die Nebenklage Yozgat benennt nun Zeugen und Presseartikel als Beweis dafür, dass Temme zu dieser Zeit weder von der Polizei noch aus der Presse von der Tatwaffe erfahren haben konnte.

Dann wurde Temme weiter befragt. Zu Gegenständen, die in seiner Wohnung gefunden wurden, darunter Schulungsunterlagen der SS, gab Temme an, die habe er als Jugendlicher aus Büchereibüchern abgetippt. Widersprüche aus seinen ersten polizeilichen Vernehmungen konnte – oder wollte – er nicht aufklären.

Es folgte die Befragung Temmes durch Ismail Yozgat, den Vater des ermordeten Halit Yozgat. Dieser machte einen letzten verzweifelten Versuch, Temme dazu zu bringen, seine Blockadehaltung aufzugeben, zeigte ihm noch einmal auf, dass es schlicht unmöglich ist, dass Temme damals Halit Yozgat nicht gesehen hat. Temme blieb unbeeindruckt und beharrte darauf, er habe damals nichts gesehen. Offensichtlich weiß er, dass ihm die Rückendeckung des Landesamtes gewiss ist.

10.04.2014

Mit „Blood and Honour“ in den Untergrund II

Heute wurde die Befragung von Mandy Struck, einer frühen Unterstützerin aus Chemnitz, fortgesetzt (Über die bisherigen Aussagen Strucks haben wir in den posts vom 26.02.2014 und 27.02.2014 berichtet). Struck versuchte weiter, die Nazi-Ideologie und Gewaltbereitschaft der Szene kleinzureden und sich selbst als unbedeutend darzustellen. Durch beharrliche Nachfragen kamen aber doch zumindest einige Details ans Licht. Positiv fiel auf, dass der Vorsitzende die Zeugin mehrere Male anwies, den Fragen der Nebenklage nicht auszuweichen, und auch selbst kritische Nachfragen zu „Blood and Honour“-Strukturen stellte.

Am Ende der Befragung gab Rechtsanwalt Hoffmann eine Erklärung zur gesamten Aussage Strucks ab, die wir nachfolgend wiedergeben:

Die Zeugin Mandy Struck, deren Vernehmung heute fortgesetzt wurde, war fest in die Chemnitzer und die bundesweite Naziszene eingebunden. Sie war Teil des Chemnitzer „Blood & Honour“-Netzwerkes bzw. der Chemnitzer „88-er“. Wir wissen aus den Aussagen der Zeugen Starke und Rothe, dass diese beiden Gruppen praktisch identisch waren.

Struck hatte bundesweiten Einfluss über ihre Mitarbeit in der Hilfsorganisation Nationaler Gefangener und ihre Verbundenheit zur Nürnberger Fränkischen Aktionsfront. Sie konnte daher beispielsweise gemeinsam mit einem inhaftierten „Kameraden“ in der überregionalen Szene-Zeitschrift „Landser“ einen Aufruf zur Überwindung von Streitigkeiten in der Naziszene unter ihrem Namen veröffentlichen, sie initiierte den Aufbau einer Frauengruppe und Plakatieraktionen. Sie verharmloste in ihrer Zeugenvernehmung bewusst ihre Bedeutung, die Qualität ihrer Kontakte und ihre Einbindung in die verschiedenen Nazinetzwerke. So gab sie beispielsweise an, das Kennzeichen eines auf sie zugelassenen Autos – „-BH 88“ – habe für sie die Bedeutung „Bike-Halterin Honda Hornet“, obwohl offensichtlich ist, dass diese in der Naziszene ständig benutzten Zahlencodes für „Blood and Honour“ und „Heil Hitler“ stehen. Immerhin musste sie zugeben, dass sie zu ihrem Spitznamen „White Power Mandy“ gekommen war, weil sie immer eine „White Power-Anstecknadel“ an ihrer Jacke getragen hatte und damit ein Bekenntnis zum militanten rassistischen Kampf.

Die Zeugin Struck hat als Teil und im Auftrag der Chemnitzer Blood and Honour-Gruppe um Thomas Starke die Unterbringung von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos kurze Zeit nach deren Untertauchen organisiert. Auch nach ihren eigenen Angaben gehörten alle bislang als Unterstützer am Abtauchen der „Drei“ beteiligten Personen dem Blood and Honour-Netzwerk an. Es handelte sich also um eine organisierte Unterstützung durch eine bestehende Struktur, nicht, wie die Bundesanwaltschaft in der Anklage behauptet, um individuelle Hilfeleistungen durch Einzelne.

09.04.2014

Verfassungsschutz vs Wahrheit

Heute wurde zunächst ein Kriminalpolizist vernommen, der einen Zeugen des Mordes an Halit Yozgat in Kassel vernommen hatte. Jener Zeuge hatte zur Tatzeit telefoniert und hatte die Schüsse gehört, aber nicht als solche wahrgenommen. Er hatte einen der Täter gesehen, dies aber nur aus dem Augenwinkel, so dass er keine genauere Erklärung abgeben konnte. Aber die Beschreibung, die er abgab – jung, kräftig, relativ groß –, passt auf Mundlos bzw. Böhnhardt, und für deren Täterschaft liegen ja bereits ausreichend Beweise u.a. in Form der Mordwaffe und der Bekennervideos vor.

Warum die Vernehmungen des Zeugen sich nicht in den Altakten zum Mord Yozgat befanden, sondern erst auf Anforderung des Gerichts nachgereicht wurden, konnte der Beamte nicht beantworten – ebenso wenig, warum dem Zeugen kein Bild des Verfassungsschützers Temme vorgelegt wurde, von dem bekannt war, dass er zur Tatzeit ebenfalls im Internetcafé war.

Nachmittags wurde dann Frank Fehling, ein Kollege Temmes, vernommen. Dieser hatte in einem Telefonat wenige Wochen nach der Tat Temme dafür gelobt, dass er dem Leiter des Landesamtes Irrgang alles geschildert und „nicht so restriktiv wie bei der Polizei“ ausgesagt habe. Das Gespräch wurde von der Polizei abgehört und gelangte so in die Akte gegen Temme – nicht aber in die des NSU-Verfahrens, trotz der Bedeutung der Aussage, dass Temme mehr über den Mord wusste, als er der Polizei gesagt hat.

Fehling berichtete, die Behördenleitung habe ihn und die anderen Mitarbeiter der Außenstelle kurz nach der Festnahme Temmes als Tatverdächtiger angewiesen, keine Aussagen gegenüber der Polizei zu machen. Das Telefonat mit Temme bestritt er anfangs vehement – er habe mit Temme nicht sprechen wollen, habe dies absichtlich vermieden. Auch als ihm die Gesprächsinhalte aus dem Protokoll der Telefonüberwachung vorgelesen wurden, blieb er zunächst bei dieser Darstellung. Erst als er am nachdrücklichen Frageverhalten des Vorsitzenden erkennen konnte, dass dieser ein weiteres Abstreiten nicht akzeptieren würde, gestand er ein, er könne nicht ausschließen, dass es dieses Gespräch gegeben habe. Dass Temmes Gespräch mit Irrgang Thema war, wollte er jedoch weiter nicht erinnern.

Gleiches galt für überwachte Gespräche, in denen Fehling sich mit Temme mehrfach über die Ermittlungen unterhielt und versprach, ihn auf dem Laufenden zu halten: Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Kienzle hielt dem Zeugen die Protokolle der Telefonüberwachung vor, aber der blieb dabei, er könne sich nicht erinnern, er habe sich immer aus den Ermittlungen rausgehalten.

Aus Sicht der Nebenklage entsteht massiv der Eindruck, dass der Verfassungsschutzmitarbeiter Fehling dreist lügt, weil er verbergen will, dass der hessische Verfassungsschutz die Ermittlungen der Kriminalpolizei ganz erheblich gestört hat.