18.03.2014

Die heutige Verhandlung hat außer zwei Beweisanträgen der Nebenklage nichts ergeben. Der Zeuge Enrico Theile wurde nach langem Hin und Her wieder nach Hause geschickt, er soll noch einmal kommen, dann mit einem Zeugenbeistand. Das Gericht hatte, offensichtlich bayerischen Gepflogenheiten folgend, bei Theile wie bei anderen verdächtigen Zeugen den Antrag auf Beiordnung eines Zeugenbeistandes abgelehnt – das führte aber auch bei Theile nicht, wie vielleicht erhofft, zu umfangreichen Aussagen, sondern zu Verzögerungen. Der Zeuge soll an der Weitergabe der Ceska 83 nebst Schalldämpfer aus der Schweiz an den Naziszeneladen Madley mitgewirkt haben. Interessanter Weise gab er heute an, einer der beiden Betreiber des Ladens habe ihm einen Rechtsanwalt empfohlen – der wird ihm nun als Zeugenbeistand beigeordnet. Die Naziszene scheint also den Prozess auf ihre Weise vorzubereiten.

Es folgten die Beweisanträge der Nebenklage. Einmal soll der ehemalige V-Mann „Tarif“, Michael von Dolsperg, geborener See, vernommen werden. Der inzwischen in Schweden wohnende Dolspeg hatte vor kurzem in einem Interview mit dem Spiegel berichtet, André Kapke habe ihn kurz nach dem Abtauchen des Trios 1998 gefragt, ob er die unterbringen könne. Er habe das mit seinem V-Mann-Führer besprochen und dann abgelehnt – die Gefahr seiner Enttarnung war dem Verfassungsschutz wichtiger als die Verhaftung der drei Untergetauchten. Als „Tarif“ hatte Dolsperg u.a. eine Zeitung herausgegeben, in der er die Bildung von Zellen und die Vorbereitung eines Lebens im Untergrund propagierte.

Der zweite Beweisantrag zielt auf die Vernehmung des Zeugen Thomas Gerlach. Gerlach war selbst Mitglied des Thüringer Heimatschutzes und vor 1998 mit Zschäpe liiert. Er arbeitete als Multifunktionär in der militanten, nicht eng an die NPD gebundenen Szene in den vergangenen 15 Jahren immer wieder eng mit den Angeklagten Wohlleben und Eminger zusammen. Eines seiner Projekte ist der Aufbau sogenannter führerloser Zellen. Er kennt praktisch alle bisher bekannten Personen aus dem NSU-Unterstützernetzwerk. Thomas Gerlach scheint zwar von der Polizei vernommen worden zu sein, eine solche Vernehmung ist allerdings in der Akte, die Gericht und Prozessbeteiligten vorliegt, nicht enthalten.

13.03.2014

Bedrückende Erklärung des Vaters von Halit Yozgat – Hetzerische Geburtstagszeitung nur „pubertärer Quatsch“?

Die Hauptverhandlung begann mit der angekündigten Erklärung des Vaters des in Kassel ermordeten Halit Yozgat. Diese wurde einmal unterbrochen, weil Zschäpe-Verteidiger Rechtsanwalt Heer der Ansicht war, Yozgat habe seine Mandantin zu Unrecht als Mörderin bezeichnet und die Stellungnahme verhalte sich nicht ausreichend zur Beweisaufnahme. Nach dieser zynischen Unterbrechung konnte die Stellungnahme aber ungestört weiter verlesen werden.

Die Familie Yozgat sieht sich nach wie vor von der deutschen Gesellschaft und ihren Vertretern im Stich gelassen. Auch die Zusage der Bundeskanzlerin aus dem vergangenen Jahr, alles zu tun, um die Verbrechen des NSU aufzudecken, hat keinen Fortschritt gebracht. Nach wie vor hat das Gericht nicht alle Akten, insbesondere aus dem Verfahren gegen den Verfassungsschutzmitarbeiter Temme, beigezogen. Auch das Leid, das die Familie Yozgat durch die polizeilichen Ermittlungen erlitten hat, die sich überwiegend auf das Umfeld der Familie bezogen, ist nicht wirklich anerkannt worden.

Der Herzenswunsch des Vaters, die Holländische Straße in Kassel, in der sein Sohn Halit nicht nur ermordet, sondern auch geboren wurde, in Halit-Straße umzubenennen, bleibt bislang unerfüllt. Zwar wurde ein Platz in Kassel nach seinem Sohn benannt, dies entsprach aber nicht dem Wunsch der Familie. So wandte sich der Vater am Ende seiner Stellungnahme in seiner Verzweiflung an das Oberlandesgericht München, es möge die Umbenennung möglich machen, mit den Worten:

„Wenn Sie entscheiden, dass die Holländische Straße in Halit-Straße umbenannt wird, dann werde ich die Väter von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zur Straßenumbenennung einladen und mit ihnen weiße Tauben als Symbol des Friedens steigen lassen.“

Wenn irgendjemand wirklich ein Interesse an Versöhnung im Zusammenhang mit den Morden des NSU hat, sollte diese Bitte, auch wenn sie hier an die falsche Instanz gerichtet wurde, nicht überhört werden.

Nach dieser bedrückenden Stellungnahme folgte die Vernehmung der Zeugin Jana J., die in den Jahren 1996 bis 2000 durch eine enge Freundschaft zum NSU-Unterstützer André Kapke eng mit der Naziszene Jenas und damit auch mit den NSU-Mitgliedern verbunden war. Sie hatte 1998 gemeinsam mit dem Angeklagten Wohlleben eine „Geburtstagszeitung“ im Stil einer gebastelten Bild-Zeitung für Kapke hergestellt. Kapke war in Südafrika gewesen, wo er auch nach einer Möglichkeit zum Untertauchen für das Trio gesucht haben soll. Nach seiner Rückkehr erhielt er die „Geburtstagszeitung“ als Geschenk.

Die Zeitung ist voll von antisemitischen, rassistischen Parolen, Mordaufrufen und anderen Widerlichkeiten. Die Zeugin erkannte ihre Schrift, gestand auch ein, diese Zeitung verfasst zu haben, erinnerte sich aber an keine Details. Die Zeitung sei aus heutiger Sicht zu verabscheuen, sie schäme sich dafür. Aus der damaligen Sicht einer 18-jährigen aus der rechten Szene sei die Zeitung allerdings „pubertärer Quatsch“ und eine Reaktion auf die Kriminalisierung der Naziszene, die sie damals als ungerecht angesehen habe.

Damals seien in Jena praktisch alle Menschen rechts und ausländerfeindlich gewesen, die jüngeren hätten das eben nur extremer betrieben. Die Naziszene in Jena sei ja sehr groß gewesen. Wenn man sich der rechten Szene irgendwie verbunden gefühlt habe, habe man dort gut leben können, „das war ja so allgemein die Stimmung im Osten“. Ihr Freund André Kapke sei ganz klar „nationalistisch, fremdenfeindlich, rassistisch“ gewesen. Insgesamt habe sie keine schlechten Erinnerungen an irgendjemand.

Weiter erinnerte sich die Zeugin an einen „Mädelabend“ mit Beate Zschäpe im Jahr 1997 in der Wohnung Zschäpes. Zschäpe habe eine Pistole gehabt, die sie liebevoll Walli genannt habe. Was für eine Art von Waffe dies gewesen sei, konnte die Zeugin allerdings nicht angeben. Allerdings habe Zschäpe einen Schulter-Gurt gehabt, um die Waffe unter dem Pulli herumtragen zu können.

Nach dem Abtauchen von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos hätten diese stärker im Vordergrund gestanden als davor. Alle hätten über „die Drei“ gesprochen, allerdings nicht offen. Mit der Polizei habe sich in dieser Zeit ein Katz- und Mausspiel entwickelt. Der Bruder von André Kapke habe ein Konzert gegeben, auf dem für die Abgetauchten Geld gesammelt werden sollte.

Am Beispiel der Zeugin Jana J. lässt sich gut erkennen, dass eine starke, dynamische Nazibewegung, die von großen Teilen der „normalen“ Gesellschaft teilweise Zustimmung, jedenfalls aber keine entschiedene Ablehnung erfährt, breite Teile  der Jugend einbinden kann. Jana J. hat sich damals offensichtlich vor allem aus Opportunismus der sie umgebenden Naziszene angeschlossen, deren Ideologie und Gestus angenommen und sich so in ihr gesellschaftliches Umfeld eingeordnet. Heute, wo sie als Pädagogin in Berlin lebt, lehnt sie ihrer neuen Lebenswelt entsprechend auch ihre damalige Meinung deutlich ab.

Die Vernehmung der Zeugin soll am 16. April fortgesetzt werden.

12.03.2014

Hessischer Verfassungsschutz – Hauptziel: Schutz der eigenen Arbeit

Heute wurde der ehemalige Direktor des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Lutz Irrgang, vernommen, zudem ein weiteres Mal dessen Mitarbeiter Temme. Der hessische Verfassungsschutz hatte sich nach dem Mord an Halit Yozgat massiv bemüht, Temme, der damals am Tatort war, zu decken, seine Tätigkeit für den Verfassungsschutz geheim zu halten und seine Quellen anonym zu halten. Das hessische Innenministerium hatte die Ermittlungen der Polizei ganz erheblich behindert und das Ermittlungsverfahren gesteuert.

Von solchen Vorgängen will der ehemalige Direktor Irrgang nichts gewusst haben. Dies würde entweder bedeuten, er hat heute eine Falschaussage gemacht, oder seine vergleichsweise kleine Behörde hätte ihm als Chef Informationen von erheblicher Bedeutung vorenthalten und an ihm vorbei die Arbeit der Polizei und Staatsanwaltschaft sabotiert.

Zum Tatzeitpunkt sei er jedenfalls im Urlaub gewesen, erst eine Woche später habe er von der Anwesenheit Temmes am Tatort erfahren. „Ich war eine Verwaltungsbehörde“, beschreibt er seinen Umgang mit anderen Ämtern. Dem Landespolizeipräsidenten habe er zugesichert, seine Behörde werde sich „aus dem Sachverhalt zurückziehen“.

Als Temme in Untersuchungshaft genommen wurde und seine Verstrickung publik wurde, sei die wichtigste Arbeit gewesen, den Dienstbetrieb der Außenstelle Kassel irgendwie aufrecht zu erhalten, Quellenübergaben zu machen, für die Sicherheit der Dienststelle zu sorgen. Schwierigkeiten habe auch bereitet, dass „die Polizei die Maßnahmen unseres Hauses durch technische Maßnahmen begleitet“ habe – die Telefone des Verfassungsschutzbehörde seien also abgehört worden. Tatsächlich hat sich offenbar die gesamte Tätigkeit des Landesamtes Hessen in dieser Zeit ausschließlich darauf konzentriert, die eigene Arbeit zu sichern und die Veröffentlichung der Namen der „Quellen“, also der Informationsgeber und V-Männer, zu verhindern.

Änderungen der Strukturen des hessischen Landesamtes aber zog der Vorfall keine nach sich – die Behörde beschränkte sich darauf, Temme zu suspendieren, und hielt damit alle Probleme für gelöst.

An einer Stelle zeigte der ehemalige Chef des hessischen Landesamtes, dass er damals die Bedeutung des Geschehens in Kassel genau verstanden hatte: „In dem Augenblick, in dem offenbart worden ist, dass ein Verfassungsschützer zum Tatzeitpunkt am Tatort war, habe ich in einem handschriftlichen Vermerk niedergelegt, dass die Aufklärung schwierig wird, weil die Täter damit sich neu positionieren mussten. […] Durch die Anwesenheit von Temme wurde die Aufklärung auf Jahre verhindert, nachdem man das offenbar gemacht hat. Das war meine persönliche Meinung.“

Diese Einschätzung zeigt den unglaublichen Zynismus einer Sicherheitsinstitution, die nur die eigenen Interessen im Auge hat. Um das eigene Personal zu schützen und für die vage Hoffnung einer beschleunigten Aufklärung der Morde sollte die Anwesenheit des VS-Mitarbeiters Temme geheim gehalten werden. Die Pressemeldungen über die Anwesenheit des VS-Mannes führten, so die Einschätzung des Zeugen, dazu, dass die Täter glaubten, der Verfassungsschutz sei ihnen auf der Spur, und aus diesem Grunde ihr Tatmuster änderten. Tatsächlich war der Mord in Kassel der letzte Mord an einem migrantischen Selbständigen. Die Veröffentlichung der Anwesenheit eines VS-Mitarbeiters hat nach dieser Theorie also zum Abbruch der Mordserie geführt und weitere gleichgelagerte Morde verhindert. Bis heute aber wünscht sich der ehemalige Chef der hessischen Behörde, die Identität Temmes wäre geheim gehalten worden, und hätte nach seiner eigenen Theorie lieber weitere ähnliche Morde in Kauf genommen. Die von Irrgang vertretene Hoffnung, auf diese Weise wären die Morde – für die man ja auch im hessischen Landesamt für Verfassungsschutz Migranten, Türken oder Islamisten verantwortlich machte – früher aufgeklärt worden, kann als widerlegt angesehen werden. Hervorzuheben ist allerdings, dass diese These Irrgangs nur dann Sinn macht, wenn er bereits damals von einem politischen Hintergrund der Morde ausgegangen ist.

Der Zeuge Temme konnte keinen der vorhandenen Widersprüche zu seinen Aussagen klären. Er will sich weiter an nichts erinnern. Seine Befragung konnte wieder nicht beendet werden, er wird mindestens noch ein weiteres Mal vor Gericht erscheinen müssen.

11.03.2014

Hessischer Verfassungsschutz – Widersprüche ungeklärt

Heute und morgen steht noch einmal das hessische Landesamt für Verfassungsschutz im Mittelpunkt des Verfahrens. Heute wurde eine Vorgesetzte des Landesamt-Mitarbeiters Temme befragt, morgen wird erst der ehemalige Direktor Irrgang und dann nochmals Temme selbst befragt. Temmes ehemaliger direkter Vorgesetzter ist krank und muss später vernommen werden.

Zunächst aber wurde ein Video vorgeführt, mit dem die ermittelnde Polizei im Jahr 2006 die Schilderung Temmes von seinem Aufenthalt in dem Kasseler Internetcafé nachgestellt hatte. Bezeichnend war vor allem die Szene, in der Temme kurz vor Verlassen des Cafés noch einmal umdreht, Geld auf den Tresen legt und sich dabei wegen seiner Körpergröße deutlich über den Tresen beugt. Temme muss also – auch nach diesem Film – den hinter dem Tresen liegenden schwerverletzten bzw. toten Halit Yozgat gesehen haben. Die Darstellung Temmes, er habe hinter dem Tresen nichts gesehen, wird damit noch einmal unglaubwürdiger.

Die Ungereimtheiten seiner Aussagen wurden bei der Vernehmung seiner ehemaligen Vorgesetzten noch deutlicher. Diese gab an, am Montag nach dem Mord im Auftrag ihres Vorgesetzten Temme beauftragt zu haben, beim Staatsschutzdezernat nach Erkenntnissen zu dem Mord nachzufragen. Der Verfassungsschutz habe klären wollen, ob die Tat einen islamistischen Hintergrund habe, da der Ermordete ein „türkischer Mitbewohner von Kassel“ gewesen sei. Temme habe zu ihr gesagt, es könne sich um einen „bundesweiten Reihenmord“ oder die „Tat eines Serienmörders“ handeln – sie wisse aber nicht mehr genau, wann er dies gesagt habe und woher er diese Kenntnisse gehabt habe. Nachgefragt habe sie jedenfalls nicht.

Temme habe nicht erwähnt, dass er schon einmal in dem Internetcafé gewesen sei. Internetcafés sollten von Mitarbeitern ihrer Behörde auch nicht benutzt werden, da sie ja „in so Gegenden, wo auch viele Ausländer sind“, lägen. Diese Angaben der Zeugin machten deutlich, auf welch niedrigem, von rassistischen Vorurteilen geprägten Niveau die Arbeit des hessischen Landesamtes ablief.

Daneben widerspricht ihre Aussage zum Auftrag an Temme auch diametral dessen Behauptung, er sei zwar nach dem Wochenende in der Polizeidirektion gewesen, habe da aber höchstens beiläufig über den Mord gesprochen. Temme hatte zudem auch – wiederum entgegen der Angabe der Zeugin – behauptet, er habe nur dieses eine Internetcafé nicht aufsuchen dürfen, und zwar konkret wegen der Nähe zu einer Moschee, in der zu überwachende Personen verkehrten.

Gleichzeitig widersprechen die Aussagen der Zeugin aber auch Vermerken anderer Mitarbeiter des Landesamtes zu deren Gesprächen mit Temme. Das Landesamt für Verfassungsschutz bleibt bislang ein Hort der Verwirrung, nicht der Aufklärung.

Bemerkenswert und charakterisierend für das Landesamt war allerdings die berufliche Bewertung Temmes – des Zeugen also, der über einen langen Zeitraum die Ermittlungsbehörden belogen hat und der bis heute „nichts gesehen“ haben will: er sei sehr ehrgeizig und fleißig gewesen, das sei von Vorgesetzten anerkannt worden, er sei teilweise sogar als Vorbild empfunden worden.

27.02.2014

Lügen und Verharmlosen IV 1/2: Mandy Struck mauert weiter – und bekommt Druck vom Gericht

Heute sagte die Zeugin Mandy Struck weiter aus. Struck beantwortete Fragen des Vorsitzenden zu ihrem Lebenslauf, zur Nazi-Szene in Chemnitz usw. Sie war weiterhin sichtlich bemüht, ihre eigene Rolle kleinzureden, behauptete, keine Ahnung von der Identität, Vorgeschichte usw. ihrer drei „Gäste“ gehabt zu haben, diese später nie wieder gesehen und auch 2011/2012 nicht als Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt wiedererkannt zu haben.

Struck war 2003 zunächst von der Kriminalpolizei und dann von einem Richter befragt worden, weil Ermittlungen ergeben hatten, dass Sie Kontakt zu „den Drei“ hatte. Heute behauptete sie hartnäckig, sie habe damals nicht gewusst, um wen es gegangen sei. Der Vorsitzende Richter Götzl warnte sie mehrfach und sehr eindringlich, dass ihre Angabe mehr als unglaubwürdig ist – immerhin werden in den Protokollen von damals die Namen der Drei genannt, sind Fotos der Drei enthalten, ist von falschen Papieren usw. die Rede. Struck blieb bei ihrer Behauptung.

Aus Sicht der Nebenklage ist es sehr zu begrüßen, dass der Vorsitzende die offensichtlichen Lügen und vorgeschobenen Erinnerungslücken der Zeugen aus der Nazi-Szene nicht weiter akzeptiert und kritisch nachfragt. Interessant ist, dass ausgerechnet die Zeugin Struck, die jede Aussage verweigern könnte und die vor Gericht ihren Rechtsanwalt dabei hatte, sich hier wahrscheinlich in ein Strafverfahren wegen Falschaussage hineinquatscht.

Nach langer Befragung durch den Vorsitzenden konnte die Nebenklage am Nachmittag mit der Befragung beginnen. Sie kam aber nicht weit, zum einen weil Struck auch hier blockierte, zum anderen weil die Generalbundesanwaltschaft und die Verteidigung mehrfach mit der Behauptung unterbrach, Fragen z.B. zur Stellung Strucks seien nicht zur Sache gehörig. Das ist zwar transparenter Unfug, reichte aber aus, die Befragung soweit zu verzögern, dass sie schließlich gegen 16.30 Uhr unterbrochen wurde. Struck wird ein anderes Mal weiter befragt werden.

 

26.02.2014

Lügen und Verharmlosen IV – Mandy Struck

Heute wurde zunächst der Waffensachverständige Nennstiel vom Bundeskriminalamt erneut gehört. Nennstiel hatte schon die in der Frühlingsstraße gefundenen Pistolen Ceska und Bruni als die Mordwaffen der NSU-Mordserie identifiziert. Heute berichtete er von seiner Arbeit zu den beiden Waffen, die für den Mord an Michèle Kiesewetter und den Mordversuch an Michael Arnold in Heilbronn verwendet wurden. Auch hier identifizierte der Sachverständige zwei Waffen, die in der Frühlingsstraße gefunden wurden, als die Tatwaffen.

Nennstiel wurde auch gebeten, noch einmal zur Identifikation der in der Frühlingsstraße gefundenen Pistolen Ceska und Bruni als die Tatwaffen der NSU-Mordserie zu berichten – vor einigen Wochen hatte ja der Sachverständige Pfoser in seinem mündlichen Vortrag für einige Verwirrung gesorgt, der angesichts des klaren schriftlichen Gutachtens vermeidbar erschien (s. den Bericht vom 04.02.2014). Nennstiel stellte noch einmal sehr anschaulich die Übereinstimmung in den Schussspuren dar, anhand derer er die beiden Waffen eindeutig als Tatwaffen identifizierte, und sorgte so für Klarheit in dieser Frage.

Mehrere NebenklägervertreterInnen stellten den Antrag, diverse Unterlagen zum Zeugen Tino Brandt, die dem NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags vorliegen, beizuziehen. Brandt war Führer des „Thüringer Heimatschutzes“ und V-Mann des Verfassungsschutzes, er wird in den nächsten Wochen als Zeuge in München aussagen. Weitere Beweisanträge bezogen sich auf Beweismittel, die die Einbeziehung Zschäpes in die Ausspähung möglicher Anschlagsziele und in die Erstellung des „Paulchen Panther“-Bekennervideos belegen.

Nachmittags begann die Zeugin Mandy Struck ihre Aussage. Gegen sie wird immer noch wegen Unterstützung der terroristischen Vereinigung NSU ermittelt, sie könnte also schweigen. Dennoch sagte Struck aus, sie will offensichtlich ihre Geschichte erzählen. Die Vernehmung erfolgte über drei Stunden und wird morgen fortgeführt. Bereits heute wurde deutlich, dass auch Mandy Struck ihre eigene Rolle systematisch herunterspielt, allenthalben Gedächtnislücken vorschiebt und dabei offensichtlich unglaubwürdige Geschichten erzählt.

Sie sei vor allem über ihren damaligen Freund ab 1994 in die nicht sehr politische Naziskinheadszene gekommen, habe sich vollständig angepasst. Später sei dann die gesamte Szene politisiert worden, auch weil beispielsweise nur die den Veranstaltungsort von Konzerten mitgeteilt bekommen hätten, die auch auf Demonstrationen gegangen seien. Auf rechte Demonstrationen sei sie allerdings erst seit 1999/2000 gegangen.

Eines Abends habe dann ein „Kamerad“ vor ihrer Tür gestanden und gefragt, ob drei „Kameraden“ bei ihr schlafen könnten, die „Scheiße gebaut“ hätten. Mehr müsse sie nicht wissen. Sie habe sie bei Max Florian B. untergebracht, habe das als „Kameradschaftshilfe“ begriffen. Allerdings gibt Struck an, sie habe nur einen der drei vom sehen her gekannt, die Namen habe sie nie genannt bekommen und sie habe auch nicht Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos als die drei wiedererkannt.

Aus „Kameradschaftshilfe“ beteiligte sie sich allerdings ohne Zögern an der Unterbringung, half mit, einen neuen Personalausweis mit falschem Bild zu beantragen und holte diesen beim Einwohnermeldeamt ab, und lieh Zschäpe ihre Krankenkassenkarte.

Obwohl nach ein paar Wochen zahlreiche Gerüchte durch die Chemnitzer Szene gegangen seien, dass Jenaer Nazis sich in Chemnitz verstecken, und obwohl sie die Frau sogar gebeten hätte, in ihrem Beziehungsstreit mit Burkhardt zu intervenieren, habe sie nie die Namen der drei „Gäste“ erfahren. Nach ein paar Wochen habe sie sich von B. getrennt und danach nie wieder von ihren drei Gästen gehört, bis die Polizei sie vernommen habe.

Struck bemüht sich offensichtlich, ihre eigene Rolle so unbedeutend wie möglich darzustellen. Dabei ist aus den Akten ersichtlich, dass sie eine durchaus wichtige Rolle in der Chemnitzer Szene spielte. Auch der Vorsitzende Richter Götzl machte deutlich, dass er ihr nicht alles glaubte. Man darf gespannt sein, wie die Zeugenvernehmung morgen weitergeht.

25.02.2014

„Ich hab denen die Scheißwaffe besorgt“

Schwerpunkt des heutigen Verhandlungstages war die Vernehmung zweier Polizeibeamten, die den Zeugen Andreas Schultz vernommen hatten. Der Nazizeuge Schultz, der die Ceska mit Schalldämpfer für die Angeklagten Wohlleben und Schultze besorgt hat, verweigerte in der Verhandlung am 28.01.2014 die Aussage, weil er sich selbst belasten könnte. Nun werden seine Angaben über die Beamten eingeführt. Die Verteidigung Wohlleben unternahm keinen Versuch, dies zu verhindern.

KOK Bernhard vom thüringischen Landeskriminalamt war an der ersten Vernehmung von Schultz beteiligt, in der dieser zunächst komplett abstritt, eine Waffe besorgt zu haben. Der Zeuge habe dann aber sichtlich Angst um seine neue Arbeit, seine Beziehung und seine Existenz bekommen und mit dem Ausruf „Ich hab denen die Scheißwaffe besorgt“ sein Leugnen aufgegeben.

In späteren Vernehmungen hatte er Wohlleben und Schultze weiter belastet. Wohlleben sei mit einem Begleiter, den Schultz später als Carsten Schultze identifizierte, zu ihm gekommen und habe nach einer Waffe gefragt. Schultze habe diese später abgeholt, zusammen mit 50 Schuss Munition. In dieser Vernehmung behauptete Schultz allerdings noch, er habe die Waffe für 2.500 DM von „einem Jugoslawen“ gekauft, und erwähnte den mitbestellten Schalldämpfer nicht. Wohlleben, Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, Kapke und ihr Umfeld kannte er als politisch aktive Nazis des Thüringer Heimatschutzes, während er selbst mehr „erlebnisorientiert“ gewesen sei.

Ein Polizeibeamter, der weitere Aussagen von Schultz berichten wird, wurde wegen Zeitmangel nach Hause geschickt und wird ein andermal vernommen werden.

Morgen soll die Zeugin Mandy Struck vernommen werden, gegen die immer noch ein Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung geführt wird. NebenklagevertreterInnen hatten die Beziehung der Ermittlungsakte beantragt. Die Generalbundesanwaltschaft stellte sich dem entgegen und legte stattdessen einen nichtssagenden Ermittlungsbericht aus dem Mai 2013 vor, aus dem sich keinerlei weitere Ermittlungen ergeben.

Nach diesem Bericht hätte das Verfahren gegen Struck also bereits im Mai 2013 eingestellt werden können. Es ist für die Prozessbeteiligten nun völlig unklar, ob dieses Ermittlungsverfahren gegen Mandy Struck, aber auch gegen andere als Unterstützer Verdächtige, nur noch formal aufrecht erhalten und irgendwann sang- und klanglos eingestellt wird oder ob hier noch mit Hochdruck ermittelt wird. Einige konkrete Unterstützungshandlungen von Struck sind erwiesen, sind allerdings verjährt – es geht also vor allem um die Frage, wie lange der Kontakt und die Unterstützung des NSU noch anhielten. Wieder einmal hält die BAW hier alle Beteiligten im Unklaren.

20.02.2014

Erster Zeuge heute war Max-Florian B. B. steht im Verdacht, den NSU dadurch unterstützt zu haben, dass er Mundlos seine Personalien für einen Reisepass und andere Papiere zur Verfügung stellte. Er durfte daher die Auskunft vor Gericht zu verweigern, was er auch tat. Er hatte allerdings bei der Polizei umfangreiche Angaben gemacht, und so wurden als weitere Zeugen die Polizeibeamten gehört, die ihn vernommen hatten.

Bei der ersten Vernehmung am 7.11.2011, drei Tage nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt, hatte er noch behauptet, Zschäpe und Mundlos seien Zufallsbekanntschaften gewesen, die eine Nacht in seiner Wohnung übernachtet hätten und ihm wohl die Dokumente gestohlen hätten.

Zwei Wochen bei einer Vernehmung durch das BKA gab er dann zu, die Drei als „Kameraden“ bei sich untergebracht zu haben. Er sei auch überredet worden, Uwe Mundlos seinen Ausweis zur Verfügung zu stellen. Er habe aber auch später regelmäßig mit Mundlos telefoniert, es habe auch bis 2009/2010 Besuche gegeben, und er habe – mehr unbewusst – weitere persönliche Daten weitergegeben.

B. beteuerte, von Straftaten der drei habe er keine Ahnung gehabt, er sei auch selbst später gar nicht mehr rechts gewesen. Es tue ihm sehr leid, dass er unbewusst die Verbrechen des NSU unterstützt habe, und er wolle bei der Aufklärung helfen. Tatsächlich traf sich B. auch mehrfach mit den Beamten und machte Angaben, allerdings oft erst auf konkrete Nachfrage. Ob dies der langen Zeit und der Verdrängung geschuldet ist oder ob B. in Wirklichkeit noch mehr wusste und weiß und daher aufklären konnte, ist bisher nicht geklärt. Die Vernehmung des Beamten, der die meisten Befragungen von B. durchgeführt hatte, wird in den nächsten Wochen fortgeführt.

Jedenfalls zeigt sich an der Person Max-Florian B. wie auch an seinen Berichten über Unterstützungshandlungen durch viele weitere Nazis aus Chemnitz erneut, wieviele verlässliche UnterstützerInnen der NSU hatte. Es ist weiter davon auszugehen, dass dies nicht nur für die erste Zeit des Untertauchens, sondern auch für die Zeit der Mordtaten der Fall war. B. hatte insbesondere zu André Eminger Aussagen gemacht und gesagt, dieser habe noch lange Kontakt zu den „Drei“ gehabt und ihm noch Ende 2010 eine SMS mit Nazi-Sprüchen geschickt.

Gegen Ende stellte die Nebenklage einen Antrag auf Beiziehung der Akte gegen Mandy Struck. Dieser wird ebenfalls Unterstützung des NSU vorgeworfen, sie wird nächste Woche als Zeugin aussagen.

19.02.2014

Noch einmal zum Zeugen Liebau

Heute sagten zunächst die beiden Polizeibeamten aus, die den Zeugen Liebau vernommen hatten. Liebau war Betreiber des Szeneladens, in dem Ralf Wohlleben und Carsten Schultze laut Anklage die Mordwaffe für den NSU besorgten. Er hatte vor Gericht behauptet, er könne sich an keine Anfrage von Wohlleben oder Schultze nach Waffen erinnern. Gefragt nach seiner polizeilichen Aussage, in der mehrmals von Waffen die Rede war, hatte er behauptete, da seien Schreckschuss- oder Gaswaffen gemeint gewesen. Außerdem sei er von den Polizeibeamten unter Druck gesetzt worden (Wir berichteten am 7.11.13 und 29.1.14).

Die Vernehmung der Beamten zeigte, dass es sich hierbei um Ausflüchte handelte. Liebau hatte bei der Polizei erst behauptet, sich an gar nichts zu erinnern, später aber zumindest „nicht ausgeschlossen“, dass Wohlleben ihn auf eine Waffe angesprochen habe – überhaupt sei er öfter von Mitgliedern der Naziszene nach Waffen gefragt worden. U.a. sprach er auch von einem „Serben oder Kroaten“, der Waffen aus dem Kosovo-Krieg besorgen könne. Die Behauptung vor Gericht, es sei allenfalls um Schreckschusswaffen gegangen, war also offensichtlich gelogen – die Nebenklage hatte daher schon beantragt, diese Falschaussage zu protokollieren.

Liebau war der erste der hier vernommenen Zeugen, der das Spiel von Nichterinnern, Leugnen und Verharmlosen gespielt hat. Es ist daher begrüßenswert, dass das Gericht dem weiter nachgeht. Klar wurde heute jedoch auch, dass Liebau auch bei der Polizei schon mit „Gedächtnisproblemen“ spielte – insofern wäre ein weniger nachsichtiger Umgang mit ihm schon in seiner gerichtlichen Vernehmung angezeigt gewesen.

Ein weiterer Polizeibeamter berichtete von der Durchsuchung der Wohnung von Beate Zschäpe im Januar 1998. Dabei wurden neben diversen Waffen (Armbrust, Zwille, mehrere Messer etc.) auch eine Reichskriegsfahne und ein Exemplar des „Pogromly“-Spiels gefunden (dazu der Bericht von gestern). Diese Funde zeigen erneut, dass auch Zschäpe schon 1998 fest in nationalsozialistischer Ideologie verhaftet und äußerst gewaltbereit war.

Es folgten Erklärungen und Anträge. Rechtsanwalt Dr. Daimagüler gab für die Nebenklage eine Erklärung zur Vernehmung der Nachbarin aus der Polenzstraße und der dort aufgezeigten „deutschen Normalität“ ab (s. den Bericht vom 3.2.2014). Rechtsanwalt Stolle beantragte, Vorgesetzte der beiden Tatopfer aus Heilbronn zu vernehmen, um weiter aufzuklären, ob die beiden gezielt angegriffen wurden oder zufällige Opfer eines allgemein gegen die Polizei gerichteten Anschlags waren (s. den Bericht vom 21.1.2014). Schließlich beantragte Rechtsanwältin Basay die Vernehmung einer Beamtin aus der „Ermittlungsgruppe Umfeld“ des LKA Baden-Württemberg zu Verbindungen des NSU nach Baden-Württemberg – u.a. gibt es die Aussage einer Zeugin, während des Anschlags in Heilbronn habe sie Beate Zschäpe etwa 35 km entfernt gesehen.

18.02.2014

U.a. zum „Pogromly“-Spiel

Heute sagten drei Polizeibeamte vom BKA aus. Der erste hatte einen zusammenfassenden Vermerk zu den bekannten Wohnungen des „Trios“ seit dem Untertauchen 1998 verfasst. Wie andere Zeugen zuvor hatte auch dieser Beamte keine eigenen Ermittlungen angestellt, sondern nur Ermittlungen von Kollegen zusammengefasst. Klar wurde aus seinem Bericht, dass die „Drei“ sowohl in Chemnitz direkt nach dem Untertauchen als auch in den späteren Jahren in Zwickau auf die Unterstützung diverser „Kameraden“ zählen konnte, die sie in ihren Wohnungen unterbrachten, Wohnungen für sie mieteten oder ihre Personalien zur Verfügung stellten.

Die Verteidigung Zschäpe war der Meinung, anhand der Aussage des Zeugen lasse sich nicht belegen, dass die drei Personen die ganze Zeit seit dem Untertauchen zusammen gewohnt hätten. Die Verteidigung scheint zu meinen, damit werde die Anklage zur terroristischen Vereinigung NSU geschwächt. Dabei liegen gerade zu und aus den Wohnungen in Zwickau genug Nachweise vor, die eine Einbindung Zschäpes in die Gruppenstruktur belegen.

Ein weiterer Beamter stellte ausführlich das Spiel „Pogromly“ vor, das Mundlos als nazistische und antisemitische Abwandlung von Monopoly entwickelt hatte und das später von den Unterstützern des „Trios“ verkauft wurde, um Geld für deren Unterstützung zu erhalten. In großer Ausführlichkeit berichtete der Zeuge von den menschenverachtenden und nationalsozialistischen Inhalten des Spiels – so wurden etwa die Bahnhöfe des Original-Monopoly durch KZs ersetzt, statt Häuser in Straßen zu bauen, mussten Städte „judenfrei“ gemacht werden, das „Frei parken“-Feld wurde durch den „Besuch beim Führer“ ersetzt, usw. Die Nebenklage regte an, sich das Originalspiel im Gerichtssaal anzuschauen.

Der dritte Zeuge schließlich hatte Ermittlungen angestellt zur Person der Zeugen Theile und Länger, die nach dem Stand der Beweisaufnahme am Verkauf der Ceska-Pistole beteiligt waren. Neben frühen Kontakten insbesondere zu Böhnhardt und deutlichen Hinweisen auf eine rechte Gesinnung dieser beiden zeigte sein Bericht vor allem auch auf, dass Theile und Länger erhebliche Kontakte ins kriminelle Milieu hatten, gerade auch zu Kreisen, die mit Waffen handelten.