17.02.2014

Aufklärung abgehakt? Konsequenzen messbar?
Angehörige und Verletzte der NSU-Mord- und Anschlagsserie fordern weiterhin lückenlose Aufklärung und kritisieren Ermittlungsbehörden und politisch Verantwortliche
Nebenklägervertreter_innen und Angehörige der vom NSU Ermordeten und Verletzten ziehen eine ernüchternde Zwischenbilanz zwei Jahre nach dem Versprechen der umfassenden Aufklärung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Am 23. Februar 2012 hatte Angela Merkel in Berlin bei der zentralen Gedenkfeier für die Opfer der Mord- und Sprengstoffanschlagsserie des NSU erklärt: „Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck.“

Dass eine solche Aufklärung umfangreich und zeitaufwendig werden dürfte, war allen Beteiligten bewusst. Obwohl erst knapp über zwei Jahre lang die Existenz des NSU offiziell bekannt ist, hat das große Abhaken schon begonnen. Die berechtigten Interessen der Angehörigen und Verletzten – vor allem das Interesse der Aufklärung – werden insbesondere vom Generalbundesanwalt längst als lästig hinten angestellt. Notwendige politische und gesellschaftliche Diskussionen mit dem Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses des deutschen Bundestages als weitgehend abgeschlossen erachtet. Die weiterhin bestehende zentrale Forderung nach einer Neuauflage des Ausschusses wird von der großen Mehrheit des Bundestages abgelehnt. Noch immer gibt es auf die zentralen Fragen der Angehörigen und Verletzten keine Antwort:

Wer war noch im Netzwerk des NSU aktiv? Welche Beziehungen gab es ins Ausland? Wer half vor Ort? Wie erfolgte die konkrete Opferauswahl?

Wie finanzierte sich der NSU? Half ihm staatliches Geld bei der Planung und Ausführung seiner Taten?

Wieviel und was wussten die Geheimdienste in den Jahren 1998 bis zum 4.11.2011? Haben V-Männer oder ihre V-Mannführer die Taten gefördert, ermöglicht, gedeckt?

Warum wurden am 11. November 2011 die Akten von sieben V-Leuten mit engen Bezügen zur Neonaziszene in Thüringen geschreddert?

Angehörige, die Antworten auf diese Fragen suchen, werden von den politisch Verantwortlichen regelmäßig auf den Prozess gegen Beate Zschäpe u.a. vor dem OLG München oder die Arbeit der Ermittlungsbehörden verwiesen. Dort wiederum unternimmt insbesondere die Bundesanwaltschaft alles, um diese Fragen aus dem Verfahren herauszuhalten und verweist ihrerseits darauf, dass ein Strafprozess kein Untersuchungsausschuss sei.

Akten werden zurück gehalten

Akteneinsichten werden faktisch verunmöglicht oder – in die Akten gegen eine unbekannte Anzahl an weiteren Beschuldigten – erst gar nicht gewährt. Der Generalbundesanwalt, zu Beginn des Ermittlungsverfahrens noch ganz darauf bedacht, Kooperation und Transparenz gegenüber den Verletzten und Familien der vom NSU Getöteten darzustellen, versucht heute scheuklappenartig sämtliche Aufklärung zu blockieren, die über ein bloßes Abhaken der formalen Anklagepunkte hinaus geht.

Der Generalbundeanwalt umgeht damit die berechtigten Interessen und Rechte der Opfer des NSU. Er degradiert sie zu scheinbar unnötigem Verfahrensballast, zu Statisten eines oberflächlichen Abnickens der Anklage.

Dieser Eindruck bleibt dabei nicht auf das Verhalten der Bundesanwaltschaft beschränkt. Am 21. Februar soll im Bundestag erneut über die Konsequenzen aus dem NSU-Komplex im Plenum beraten und debattiert werden. Zu erwarten ist, dass mit großer Einigkeit aller Fraktionen formal bekräftigt wird, dass die Empfehlungen des Untersuchungsausschusses aus der letzten Legislaturperiode tatsächlich umgesetzt werden sollen. Im Abschlussbericht des Ausschusses konnten sich letztlich die Beteiligten jedoch nicht darauf einigen, das Problem des strukturellen und institutionellen Rassismus klar als Mitursache für das Versagen der Ermittlungsbehörden, aber auch der Medien und der Gesellschaft zu benennen. Die gemeinsam formulierten Konsequenzen – wenn sie denn jemals umgesetzt werden – werden genau dieses grundlegende Problem nicht lösen. Darauf haben Vertreter der Verletzen und der Familien der vom NSU Ermordeten, bereits bei Vorstellung des Ausschussberichtes hingewiesen und erheblich erweiterte Konsequenzen gefordert. Doch nun soll auch auf politischer Bühne das große Abhaken beginnen. Wenn das die Antwort von Ermittlungsbehörden und Politik ist, wird sich an der täglich neuen rechten Gewalt – auch mit tödlicher Dimension – in Deutschland wenig ändern.

Wir fordern:

Es muss eine Kehrtwende im Verhalten der Ermittlungsbehörden geben – hin zu Aufklärung und Transparenz!
Der Bundestag muss zumindest eine Enquetekommission einsetzen, um das Querschnittsthema institutioneller und struktureller Rassismus und wirksame Mechanismen zu seiner Bekämpfung entsprechend dem Beispiel der Macpherson-Kommission in Großbritannien voran zu treiben. Das Thema betrifft nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche. Effektive Lösungen brauchen eine parteiübergreifende und gesellschaftliche Diskussion sowie eine wissenschaftlich fundierte Begleitung.

Rechtsanwältinnen:

Seda Basay, Antonia von der Behrens, Christina Clemm, Doris Dierbach, Barbara Kaniuka, Seyran Kerdi-Elvan, Angelika Lex

Rechtsanwälte:

Serkan Alkan, Prof. Bernd Max Behnke, Thomas Bliwier, Önder Bogazkaya, Dr. Mehmet Daimagüler, Hasan Dilman, Dr. Björn Elberling, Berthold Fresenius, Carsten Ilius, Ali Kara, Alexander Kienzle, Detelf Kolloge, Stephan Kuhn, Stephan Lucas, Yavuz Narin, Ogün Parlayan, Jens Rabe, Eberhard Reinecke, Aziz Sariyar, Sebastian Scharmer, Reinhard Schön, Kiriakos Sfatkidis, Isaak Sidiropoulos, Peer Stolle, Bilsat Top, Turan Ünlücay

11.02.-13.02.2014

Die Verhandlung fällt diese Woche an allen drei Tagen aus. Einer der Zeugen, der an der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 beteiligt gewesen sein soll, hält sich im Ausland auf und der V-Mann Tino Brandt ist verhandlungsunfähig krank.

05.02.2014

Lügen und Verharmlosen III

Zum zweiten Mal wurde heute André Kapke, einer der engsten „Kameraden“ von Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, Gerlach, Schultze und Wohlleben vernommen. Er trat erneut dreist auf, schob andauernd Erinnerungslücken vor. Erneut schaffte es der Vorsitzende Richter Götzl nicht, genügend Druck aufzubauen, um die Blockaden Kapkes zu durchdringen.

Immerhin ergab sich, dass die Jenaer Untergruppe des Thüringer Heimatschutzes, der alle NSU-Mörder angehörten, über ein gutes Kommunikationssystem mit öffentlichen Telefonzellen und einer „Dechifriertabelle“ verfügte, also ziemlich verdeckt arbeitete. Kapke hatte das Trio bei der Flucht und zumindest zu Beginn ihrer Illegalität unterstützt, er gab auch erneut an, auf Vermittlung des V-Mannes Tino Brandt falsche Pässe für die Drei besorgt zu haben.

Als Kapke zum ersten Mal etwas in die Enge gedrängt war, wurde die Befragung durch einen Befangenheitsantrag der Verteidigung Zschäpe unterbrochen: Richter Lang, so Rechtsanwalt Heer, habe einen Ordner mit der Aufschrift „HV NSU“ und bringe damit zum Ausdruck, dass er die Existenz der terroristischen Vereinigung NSU bereits für erwiesen halte und daher voreingenommen sei. Obwohl dieser Befangenheitsantrag offensichtlich keine Erfolgsaussichten hat, verzögerte er die Verhandlung bis nach der Mittagspause und verschaffte Kapke eine Verschnaufpause.

Sehr ausführlich befragte Götzl zu einer u.a. von Wohlleben gebastelten „Geburtstagszeitung“ für Kapke aus 1998, mit offenen Mordaufrufen etwa gegen Ignatz Bubis und der Verächtlichmachung der Opfer des Holocaust. Kapke bezeichnete dies als „satirische, überspitzte“ Darstellung – es wurde klar, dass er genau solche Positionen bis heute vertritt.

Etwas stärkeren Druck baute die Generalbundesanwaltschaft bei ihrer Befragung auf und erzielte immerhin einige wichtige Antworten:

    • Böhnhardt, Mundlos, Gerlach und Kapke waren die zentralen Personen in der Naziszene in Jena. Sie waren über überregionale „Mittwochstreffen“ gut vernetzt.
    • Das Pogromly-Spiel, eine antisemtische Monopoly-Variante, wurde von allen gern gespielt
    • Kapke und Wohlleben besprachen die Einbindung Schultzes in die Betreuung der Untergetauchten.

Den erstaunlich nachgiebigen Umgang des Vorsitzenden mit mauernden Nazizeugen dokumentierte die folgende Begebenheit: Staatsanwalt Weingarten reagierte auf eine der vielen angeblichen Erinnerungslücken Kapkes mit dem halb an Götzl gerichteten Satz: „Wenn ich ein Vernehmungsrecht hätte und nicht nur ein Fragerecht, dann würde ich ihnen stark empfehlen, sich jetzt einen Ruck zu geben.“ Götzl aber sprang ihm nicht zur Seite, sondern schwieg.

Dass Götzl die lügenden Nazizeugen in diesem Prozess mit Samthandschuhen anfasst, obwohl ihm aus früheren Verfahren gerade im Umgang mit Zeugen ein furchteinflößender Ruf vorauseilt, irritiert sehr – vor allem, weil das Gefühl entsteht, dass die Naziszene mit dem Gericht spielt. Tatsächlich verbaut dies sicher eine weitergehende Aufklärung der Taten. Götzl will aber gar keine weitergehende Aufklärung, sondern eine anklagegemäße Verurteilung – für diese reichen ihm die vorliegenden Beweise und er will sich den Weg zum Urteil nicht mit Streitigkeiten über Ordnungsgelder und Beugehaft verkomplizieren.

Die Vernehmung durch die Nebenklage wird irgendwann in den nächsten Wochen fortgesetzt.

04.02.2014

Identifizierung der Ceska als Tatwaffe

Verwirrung stiftete ein Waffensachverständiger des BKA bei dem missglückten Versuch, seine Gutachten zur Identifizierung der in der Frühlingsstraße gefundenen Ceska 83 mit Schalldämpfer als Tatwaffe darzustellen. Die Verteidigung Wohlleben schnupperte kurz Morgenluft, aber ein genauer Blick auf die Beweisaufnahme macht deutlich, dass an der Identifikation kein Zweifel besteht.

Der Fachbereichsleiter des Kriminaltechnischen Instituts Wiesbaden, Nennstiel, erläuterte sehr anschaulich seine Untersuchungen der Ceska und der Pistole Bruni, die bei zahlreichen der Morde des NSU eingesetzt wurden. Er hatte mit den Waffen Schüsse abgegeben und die Munition dann mit den an den Tatorten gefundenen Munitionsteilen verglichen. Die Ceska 83 war eindeutig als Tatwaffe festgestellt worden, bei der Bruni, einer umgebauten Gaspistole, gab es keinen eindeutigen Nachweis, eine Identität ist aber auch nicht ausgeschlossen. Die Waffennummer der Ceska konnte sichtbar gemacht werden.

Danach erfolgte die Vernehmung des Waffensachverständigen Pfoser vom BKA. Dieser hatte ebenfalls zahlreiche Gutachten angefertigt. Insbesondere hatte er nicht nur frühzeitig festgestellt, dass die Tatwaffe eine Ceska 83 war, sondern auch Aluminiumanhaftungen an den verschossenen Geschossen festgestellt, die nur von einem Schalldämpfer stammen konnten.

Leider war er im Gericht nicht in der Lage, seine Untersuchungen und die Ergebnisse nachvollziehbar darzustellen, und schuf dadurch selbst Zweifel an seinem Ergebnis. Dabei ging es bei seinem Bericht – nach dem eindeutigen Gutachtens des ersten Sachverständigen Nennstiel – eigentlich nur noch darum, welche der von ihm untersuchten Geschosse – die ja für die später durchgeführten Untersuchungen als Vergleichsstücke verwandt wurden – von welchem Tatort stammten.

Unter Umständen wird man sich die Gutachten also nochmals von einem Gutachter erklären lassen müssen, der auch eine gewisse Performance hat. Sollte die Verteidigung Wohlleben den verunglückten Bericht nutzen wollen, um Zweifel an Wohlleben’s Schuld zu behaupten, wird sie damit aber nicht durchdringen – das eindeutige Gutachten Nennstiels und die ebenso überzeugenden schriftliche Gutachten Pfosers zeigen, dass die von Wohlleben und Schultze beschaffte Ceska 83 die Waffe war, die für neun Morde des NSU verwendet wurde.

03.02.2014

Deutscher Alltag

Am heutigen Tag wurde ein Neurologe, der den niedergeschossenen Polizeibeamten Arnold behandelte, sowie eine Nachbarin des NSU aus der Polenzstraße in Zwickau gehört.

Die Aussage der Zeugin aus Zwickau machte wieder einmal deutlich, dass die abgetauchten NSU Mitglieder sich in ihrem Alltag kaum verstellen mussten, weil Rassismus und faschistische Einstellungen in ihrem Wohnumfeld „normal“ waren. Die Zeugin berichtete, sie habe mit Zschäpe, die sie unter dem Namen Lisa bzw. Susanne Dienelt kannte, oft zusammen gesessen, gegrillt und die Abende mit den Kindern im Hof verbracht. Auch sie bestätigte, dass Mundlos und Böhnhardt sich im Gegensatz zu Zschäpe sehr zurückzogen – Lisa’s Freund habe sie nur einmal gesehen.

Über Politik hätten sie sich nie unterhalten, sie selbst sei politisch „normal“. Wieder sind es die Nachfragen der Nebenfrage, die anderes aufzeigen: Auf der Facebook-Seite des Mannes der Zeugin finden sich nicht nur ausländerfeindliche Parolen und ein türkenfeindliches Gedicht, sondern auch ein deutliches Bekenntnis zum NSU, symbolisiert durch die Comic-Figur Paulchen Panther, die im Bekennervideo des NSU die zentrale Rolle spielt. Die Zeugin blockt ab, macht aber deutlich, dass sie diese Facebook-Seite ihres Mannes kennt, sogar selbst Zugriff darauf hat. Die ausländerfeindlichen Aussagen würde sie auch vertreten, die positive Bezugnahme auf Paulchen Panther schiebt sie auf ihren Mann.

30.01.2014

Die Verhandlung drehte sich heute im Wesentlichen um den Mordanschlag in Heilbronn. Geladen waren KHK Tiefenbacher vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg und KOK Giedke vom BKA, dessen Vernehmung bereits vergangene Woche begonnen wurde. Tiefenbacher hatte den Abschlussvermerk des LKA im Februar 2012 geschrieben, der Giedke als Grundlage für den Abschlussbericht des BKA gedient hatte. Die Befragungen brachten nur wenige Erkenntnisse, weil die konkreten Ermittlungen von anderen, insbesondere von einer Polizeibeamtin, durchgeführt wurden und Tiefenbacher und Giedke nur deren Berichte zusammengefasst hatten.

So hatte Tiefenbacher etwa geschrieben, es sei davon auszugehen, dass mindestens einer der Täter Ortskenntnisse und einen klaren Bezug zu Heilbronn habe. Auf Nachfrage sagte er heute, dies sei die Einschätzung der Kollegen gewesen, die die Fallanalyse gemacht hätten, er habe das nicht geteilt und könne nichts dazu sagen. Aus seinem Bericht wurden solche Zweifel jedoch nicht deutlich. Auch Formulierungen wie „Hinweisgeber beobachtete Neger, wie er einen Gegenstand in einen Pkw Smart, der mit 4 Negern besetzt war, hineinreichte“, habe er einfach so übernommen. Ganz abgesehen von dem rassistischen Tonfall, der offensichtlich unter den Polizeibeamten normal war – es wird deutlich, dass diese Abschlussberichte für die Beweisaufnahme keine Rolle spielten.

Beide Befragungen wurden daher schnell beendet. Die Polizeibeamtin, die die Ermittlungsarbeit tatsächlich durchgeführt und koordiniert hat, wird nunmehr als Zeugin gehört werden müssen.

Zum Abschluss reichte die Nebenklage das Vernehmungsprotokoll des Zeugen zur Akte, der angibt, 2004 habe er vom Angeklagten Wohlleben eine Pistole bekommen im Tausch gegen ein Werkzeug zur Überwindung von Wegfahrsperren (s. die Berichte vom 14.01.2014 und vom 08.01.2014). Der Zeuge war am 21.03.2013 durch eine Bundesanwältin in Polen vernommen worden. Die Generalbundesanwaltschaft hatte der Vernehmung des Zeugen widersprochen und mitgeteilt, es habe sich keine mögliche Verbindung zum Münchener Verfahren ergeben.

Die Zeugenvernehmung – die die Nebenklage damit gegen den Willen der GBA erhalten hat und die dem Gericht bislang nicht vorlag – belegt allerdings das Gegenteil: Nicht nur bestätigt der Zeuge seine Angaben zum Waffenhandel mit Wohlleben. Er gibt weiter an, Wohlleben sei in Begleitung gewesen, und identifiziert mit einiger Sicherheit Enrico Theile als den Begleiter. Dieser war laut Anklage bereits an der Beschaffung der Ceska mit Schalldämpfer beteiligt und wird im Münchener Verfahren in Kürze als Zeuge vernommen. Eine Beteiligung von Theile an dem Geschäft im Jahr 2004 würde sehr dafür sprechen, dass auch dieses Geschäft für den NSU vorgenommen wurde. Die Methode der Bundesanwaltschaft, einfach Gericht und Beteiligten Beweismaterial vorzuenthalten und immer wieder zu behaupten, das Material habe keinen Bezug zum Münchener Verfahren, ist zur Zeit nicht besonders erfolgreich.

29.01.2014

Steuerte der Verfassungsschutz die Vernehmung des Zeugen Temme?

Nach der Vernehmung des Arztes des schwer verletzten Polizeibeamten Arnold begann die heutige Hauptverhandlung mit Stellungnahmen und Anträgen.

Erwartungsgemäß erklärte die Verteidigung Wohlleben zum Zeugen Liebau, dieser habe weder bei der Polizei noch in der Hauptverhandlung erklärt, dass der Angeklagte Wohlleben bei ihm nach Waffen gefragt habe. Direkt hieran schloss sich ein Antrag der Nebenklage an, festzustellen, dass Liebau in seiner Zeugenaussage eine uneidliche Falschaussage begangen hat.

Nach weiteren Stellungnahmen beantragte die Nebenklage der Familie Yozgat die Vernehmung des ehemaligen Direktors des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen Irrgang, und zwar vor Fortsetzung der Zeugenvernehmung des Verfassungsschutzmitarbeiters Temme: In den Akten der Bundesanwaltschaft, die nicht Teil der Gerichtsakte sind, findet sich ein Protokoll von einem Telefongespräch Temmes mit einem Kollegen. Der Kollege spricht darin Temme auf ein Gespräch mit Irrgang an, in dem sich Temme nicht „so restriktiv wie bei der Polizei“ geäußert habe.

Die Bundesanwaltschaft übergab daraufhin immerhin innerhalb einer halben Stunde dieses Protokoll an alle Beteiligten. Es ist klar, dass sowohl Irrgang als auch der Gesprächspartner Temmes als Zeugen gehört werden müssen. Die Bundesanwaltschaft hat immer größere Schwierigkeiten zu begründen, warum die Akte des Verfahrens gegen Temme nicht den Prozessbeteiligten zur Verfügung gestellt wird. Der Verdacht, dass hier Informationen zurückgehalten werden sollen, verdichtet sich.

Das Gericht setzte anschließend trotzdem die Vernehmung Temmes fort. Dieser blieb bei der dubiosen Behauptung, er könne sich im Wesentlichen an nichts erinnern. Die Vernehmung konnte erneut nicht abgeschlossen werden, kurz nach 17 Uhr wurde festgestellt, dass Temme erneut anreisen muss. Wann die Vernehmung fortgesetzt wird, ist noch unklar.

28.01.2014

Der heutige Verhandlungstag verlief frustrierend. Der Nazizeuge Andreas Schultz, der zur Weitergabe der Ceska an die Angeklagten Wohlleben und Schultze befragt werden sollte, verweigerte die Aussage, weil er sich selbst belasten könnte.

Der Zeuge Liebau, der bereits im November vernommen worden war und der Wohlleben wegen des Waffenverkaufes an Schultz verwiesen haben soll, täuschte weiterhin Erinnerungsprobleme vor.

Am Mittwoch wird unter anderem die Vernehmung des ehemaligen Verfassungsschutzmitarbeiters Temme fortgesetzt.

23.01.2014

Vernehmung Jürgen Böhnhardt

Der einzige Zeuge am heutigen Tag war der Vater Uwe Böhnhardts. Im Gegensatz zu seiner Frau oder dem Vater von Uwe Mundlos war Jürgen Böhnhardt kein besonderes Mitteilungsbedürfnis anzumerken, er zeigte keine Bemühungen, die Schuld für die Entwicklung seines Sohnes auf Dritte zu schieben.

Der Zeuge beschrieb die Auseinandersetzungen über die Nazieinstellung und Bekleidung seines Sohnes, die auch seine Frau schon beschrieben hatte: zu Hause durften keine Nazisymbole getragen, keine Springerstiefel, keine Nazimusik gespielt werden. Die Auseinandersetzungen seien aber nicht tiefgehend gewesen. Sein Sohn habe sich insoweit zurückgezogen. Er selbst habe nie geahnt oder für möglich gehalten, dass die rechte Einstellung seines Sohnes einmal zu den hier angeklagten Taten führen könnte.

Neben Zschäpe und Mundlos, die sein Sohn gleichzeitig 1996/97 kennengelernt habe, hätten die Angeklagten Wohlleben und Gerlach sowie Kapke zum engeren Freundeskreis seines Sohnes gehört.

Nach dem Abtauchen wurden über Bekannte seines Sohnes Bekleidung und Geld, 900 DM für seinen Sohn und 700 DM für einen Rechtsanwalt, an die Drei weitergegeben. In den Jahren 1999, 2000 und 2002 habe er mit seiner Frau ihren Sohn, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe getroffen. Die drei hätten bei dem letzten Treffen angegeben, dass sie sich auf keinen Fall stellen würden. Dies spricht einerseits dafür, dass die Drei die gesamte Zeit gemeinsam verbracht haben, andererseits dafür, dass sie sich klar für einen gemeinsamen Verbleib im Untergrund entschieden haben.

Böhnhardt entschuldigte sich ausdrücklich und ergreifend bei den Opfern des NSU. Seine Entschuldigung ist die erste in diesem Prozess, die ganz gerade heraus und ohne jede Verharmlosung erfolgte. Die Taten, die sein Sohn gemeinsam mit den übrigen Mitgliedern des NSU begangen hat, bezeichnete er als bösartig und gemeingefährlich und gestand eigene Fehler ein.

22.01.2014

Geglättete Ermittlungen

Wie eine Beweisaufnahme aussieht, wenn vom BKA bis zum Gericht alle staatlichen Beteiligten versuchen, Widersprüche unter den Tisch zu kehren, zeigt der heutige Verhandlungstag zum Mord in Heilbronn. Die Beweisaufnahme, die wohl aus Sicht des Gerichts die wesentlichen Fragen klären sollte, hinterlässt mehr Fragen als Antworten. Umso mehr bemühen sich alle Beteiligten, so zu tun, als sei nun Klarheit geschaffen. Völlig unbeteiligt zeigt sich die Verteidigung Zschäpe, die nur noch teilnimmt, wenn es gilt, Fragen der Nebenklage abzublocken. Dabei müsste doch gerade Zschäpe ein Interesse daran haben, Zweifel daran herauszuarbeiten, dass sie mit Böhnhardt und Mundlos die Tat begangen hat.

Ein medizinischer Sachverständiger legte seine Untersuchungen zur Todesursache, Tatsituation und Tatablauf dar. Er hatte anscheinend mit allerlei moderner Technik gearbeitet – dennoch blieben wesentliche Fragen offen. Insbesondere bleibt unklar wer geschossen hat und ob mehr als zwei Beteiligte vor Ort waren. Klar ist lediglich: die Jogginghose, die eindeutig Mundlos zugeordnet werden kann, wies Blutstropfen von Kiesewetter auf, die direkt angeschleudert wurden. Mundlos hat diese Hose also bei der Tat getragen. Und: die Tat erfolgte wie eine Hinrichtung, insoweit ähnlich wie die anderen NSU-Morde.

Danach folgte ein Polizeibeamter, der nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos die Waffen aus dem Wohnmobil sicherte. Er bestätigte eingangs, dass die beiden Dienstpistolen von Arnold und Kiesewetter schnell identifiziert wurden.

Zu den beiden gefundenen Pumpguns gab der Zeuge, ein Schusswaffenexperte, an, beide hätten dasselbe Kaliber gehabt. Die erste sei durch die Hitze völlig verformt gewesen, es habe sich eine Hülse oder Patrone in der Waffe befunden. Die andere Waffe, eine Winchester Defender – die, mit der aller Wahrscheinlichkeit nach Böhnhardt und Mundlos den Tod fanden – sei mit offenem Verschluss geborgen worden. Ihr Zustand sei der nach einer Schussabgabe gewesen, eine leere Hülse habe sich noch im Lauf gefunden. Auf dem Boden des Wohnmobils haben sich zwei leere Hülsen gefunden, die von beiden Flinten stammen könnten. Damit könnte zwar die verbreitete These, nur ein Dritter könne die beiden Uwes erschossen haben, als widerlegt gelten – dafür tut sich aber ein neuer Widerspruch auf, denn bislang war nie von drei Schüssen die Rede. Gericht, Bundesanwaltschaft und Verteidigung sahen dennoch keinen Fragebedarf, nur die Nebenklage fragte nach.

Andere Zeugen bestätigten Details der Anklage.

Als letzter Zeuge war der Hauptermittler des BKA für Heilbronn, KOK Giedke, geladen – seine Befragung konnte natürlich nicht abgeschlossen werden und geht nächste Woche weiter. Der Zeuge hatte im Juli und Oktober 2012 die abschließenden Ermittlungsberichte geschrieben, die der Anklage zu Grunde liegen. Er glätte im ersten Durchgang alle Widersprüche und Zweifel. So etwa zum Vorgesetzten von Kiesewetter und Arnold, der Mitglied des „KuKluxKlan“ war – im Bericht heißt es, er sei natürlich nur Mitläufer gewesen, 2002 ausgestiegen und habe auch „glaubhaft“ versichert, keinen Kontakt zum NSU oder dem Trio gehabt zu haben. Giedke bestätigte Aufenthalte von Böhnhardt und Mundlos in Stuttgart, vermutlich um Tatobjekte auszuspähen – behauptet aber gleichzeitig, es hätten sich keine Ansatzpunkt für Ermittlungen, beispielsweise zu Kontakten in die südwestdeutsche Naziszene ergeben.

Die Meldung des Magazins Stern, ein amerikanischer Geheimdienst habe bei anderer Gelegenheit Beobachtungen zu einer Schießerei zwischen „Naziagenten“, Polizei und Verfassungsschutz gegeben habe, sei untersucht worden und hätte sich als falsch herausgestellt. Sowohl die amerikanische Botschaft als auch deutsche Geheimdienststellen hätten bestätigt, dass es keine solchen Aktivitäten vor Ort gegeben habe.

Auf die Aussage von Kiesewetters Onkel, einem Staatsschutzpolizisten in Thüringen, der von sich aus und vor dem Auffliegen des NSU eine Verbindung zwischen dem Mord an seiner Nichte und den „Türkenmorden“ hergestellt hatte, wollte sich Giedke zunächst nur rudimentär erinnern. Erst auf späteren Vorhalt der Nebenklage bestätigte er, dass es diese Aussage gab.

Erst nachdem Gericht und Bundesanwaltschaft keine Fragen mehr hatten, wurde auf Nachfragen der Nebenklage deutlich, dass Giedke nicht selbst ermittelt, sondern nur die Zusammenfassungen der einzelnen Ermittlungsführer erneut zusammengefasst und dabei geglättet hatte. Auf präzise Nachfragen der Nebenklage zu falschen Angaben in seinem Bericht über Einsätze Kiesewetters auf Nazidemonstrationen musste er schließlich zugeben, er habe das eben „so übernommen“ und sich wohl nicht alle Unterlagen selbst angeschaut.

Erneut wird deutlich, dass Gericht und Bundesanwaltschaft lediglich die Anklage abarbeiten und nicht wirklich aufklären wollen. Im Februar 2012 hatte die Bundeskanzlerin den Angehörigen der Ermordeten versprochen, es werde größtmögliche Aufklärung erfolgen. Im Gegensatz dazu handelt aber etwa die Bundesanwaltschaft, die letzte Woche ein vertiefendes Pressegespräch durchführte: JournalistInnen sollten sich durch die Thesen der Nebenklage nicht verrückt machen lassen, sondern den Ermittlungen vertrauen: man habe das alles untersucht, an den Theorien sei nichts dran. Für die NebenklägerInnen, die zusätzlich zum Naziterror noch Opfer rassistischer Ermittlungen wurden und die nun tatsächliche Aufklärung fordern, ist eine solche Aufforderung zum „Vertrauen“ blanker Hohn.