09.12.2014

U.a. mehr zu „Blood & Honour“ Sachsen

Am heutigen Tag wurde dargestellt, wie mühselig die Beweisaufnahme manchmal sein muss und kann. Die Verlesung von Ermittlungsberichten zu durchgeführten Untersuchungen auf Fingerabdrücke nahm den gesamten Nachmittag in Anspruch. All diese Beweismittel müssen allerdings formal korrekt eingeführt werden, wenn sie im Urteil Berücksichtigung finden sollen – und inhaltlich waren einige der Feststellungen durchaus wichtig.

Zunächst sagten aber zwei BKA-Ermittler aus, die 2011 den Chef von „Blood and Honour“ Sachsen, Jan Werner, als Beschuldigten vernommen hatten. In der Vernehmung selbst hatte Werner keine Angaben zur Sache gemacht, aber am Rande der Vernehmung in einer Zigarettenpause: Es sei ja bekannt, wer in den 1990ern Waffen für die Nazi-Szene besorgt habe, der habe sich dann im Nachhinein als V-Mann herausgestellt. Er selbst habe ja damals unter ständiger Beobachtung gestanden. Außerdem thematisierte Werner noch kurz seine Bekanntschaft mit Andreas Graupner, ebenfalls Mitglied von „B&H“ Sachsen und der Nazi-Band „Noie Werte“, behauptete aber, aktuell keinen Kontakt mehr zu haben. Weiterlesen

09.-11.12.2014 Vorschau

In der kommenden Woche liegt der Schwerpunkt der Beweisaufnahme zunächst weiterhin auf den Unterstützungshandlungen des Blood and Honour-Netzwerks in Sachsen für Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt.

Am Dienstag werden zwei BKA-Beamte ihre Vermerke zu Jan Werner, des angeblichen Chefs der Sektion und einer mit ihm durchgeführten Vernehmung darstellen. Anschließend wird eine zum Generalbundesanwalt abgeordnete Amtsrichterin befragt, die an der in der Schweiz durchgeführten Vernehmung von Hans-Ulrich Müller und seines Freundes zum Kauf der Ceska 83 teilgenommen hat.

Am Mittwoch wird die Vernehmung von Antje Probst fortgeführt, die nach Aussage von Carsten Szczepanski nicht nur als Teil von B&H Sachsen die Unterstützung des Trios mitbeschlossen, sondern auch ihren Ausweis für Zschäpe angeboten hatte und sich seinerzeit für die Durchführung von Anschlägen aussprach.

Im Anschluss wird ein Kriminalpolizist zur Auswertung einer CD befragt, die im Brandschutt des Hauses in der Zwickauer Frühlingsstraße gefunden wurde. Auf dieser CD wurde ein Ordner mit der Bezeichnung “Killer” gefunden, in dem unter anderem Fotos von Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im Juni 2003 in Stuttgart, Ausspähbilder eines Imbisses aber auch weitere “Feindadressen” gefunden wurden. Außerdem beinhaltete der Ordner Bilder und Ausweisvorlagen für ZSchäpe und allerlei persönliche Unterlagen.

Am Donnerstag wird eine BKA Mitarbeiterin ihre Ermittlungen zu den Inhalten auf dieser CD darstellen. Zuletzt wird ein weiterer Polizeibeamter zu einer im Jahr 1996 durchgeführten Befragung von Zschäpe gehört.

03.12.2014

Erster Teil der Vernehmung von V-Mann Carsten Szczepanski

Heute war als Zeuge Carsten Szczepanski geladen, ehemaliger Kader aus der Naziskinhead- und -musikszene und Informant des Verfassungsschutzes Brandenburg. Szczepanski befindet sich seit seiner Enttarnung als V-Mann im Jahr 2000 im Zeugenschutzprogramm, er erschien vor Gericht mit Perücke und mit einer Rechtsanwältin als Zeugenbeistand.

Er behauptete, Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nicht persönlich gekannt zu haben, Kontakte habe er aber zu „Blood & Honour“ Sachsen gehabt, v.a. zu den Eheleuten Probst. Im Gegensatz zu den „B&H“-Zeugen, die ihre Organisation als reine Konzertveranstalter von „Musikfreunden“ darzustellen versuchten, beschrieb Szczepanski „B&H“ zutreffend als „absolute Hardliner – da haben sich Menschen getroffen, die nationalsozialistisch, neonationalsozialistisch drauf waren und die daraus auch keinen Hehl gemacht haben.“

Befragt zu Waffenkäufen, sagte er aus, alle in der Szene hätten damals über Waffen geredet und wollten gerne Waffen haben – konkrete Erkenntnisse wollte er aber nicht haben. Er selbst sei auch nie konkret angesprochen worden – dabei wurde er wegen Verstößen gegen das Waffengesetz verurteilt, zuletzt wegen Waffengeschäften mit weiteren Personen aus dem Umfeld von „B&H“ Sachsen.

Problematisch war, dass der Zeuge keine Erinnerung hatte bzw. haben wollte an jegliche Details zu seinen Berichten über „B&H“ Sachsen, Jan Werner und Antje Probst. Er gab aber an, dem LfV Brandenburg regelmäßig über seine Erkenntnisse berichtet zu haben, er gehe davon aus, dass diese Berichte zutreffend sind.

Die Befragung wurde am Nachmittag nach der Befragung durch den Vorsitzenden und die Verteidigung unterbrochen. Szczepanski muss also noch einmal anreisen und es gibt dann die Gelegenheit, nach der weiteren Vernehmung von Antje Probst und ihrem Ex-Ehemann die sich widersprechenden Angaben gegeneinander zu stellen.

Die Verteidigung Wohlleben stellte im Anschluss noch einen Antrag auf Aufhebung bzw. Aussetzung des Haftbefehls gegen ihren Mandanten. Die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft sei nicht mehr zulässig, da einerseits kein dringender Tatverdacht mehr vorliege und andererseits die U-Haft nicht mehr verhältnismäßig sei. Nachvollziehbare Zweifel am dringenden Tatverdacht – den der Senat ja zuletzt mit Beschluss vom 01.07.2017 ausdrücklich bejaht hat – wurden allerdings nicht vorgetragen, insbesondere die Behauptung, die Lieferkette der Ceska sei nicht lückenlos bewiesen, ist falsch. Es ist bekannt, dass die Mordwaffe, die bei den NSU-Mördern gefunden wurde, an den Waffenhändler in der Schweiz geliefert wurde. Es ist ein Lieferweg von der Schweiz nach Thüringen plausibel und nachvollziehbar ermittelt. Und zuletzt hat der Angeklagte Schultze glaubhaft dargestellt, dass er eine Waffe mit Schalldämpfer übernommen und an Wohlleben übergeben hat. Auf dieser Grundlage wurde bislang der dringende Tatverdacht angenommen und es sind auch weiter keine Zweifel hieran ersichtlich.

Die U-Haft, so Wohllebens Verteidigung weiter, sei nicht mehr verhältnismäßig, weil der Senat zu viel Zeit für „überflüssige“ Anträge der Nebenklage verschwende. Da die zuletzt durchgeführte Beweisaufnahme u.a. darauf zielt, festzustellen, ob sich die Szene, in der sich die schweigenden Angeklagten damals aufhielten, offen für Morde und Anschläge gegen MigrantInnen aussprach, ist sie nicht zuletzt auch für die Feststellung des Mordvorsatzes von Wohlleben notwendig, eine Prozessverzögerung stellt sie sicher nicht dar. Die Verteidigung will mit dem Haftantrag anscheinend eine weitere Aufklärung verhindern.

02.12.2014

VS-Informanten: „Leute, nicht die nicht nur berichten, sondern Leute, die etwas tun und dann darüber berichten“

Heute sagten zunächst zwei pensionierte Kriminalbeamte aus der Schweiz aus – die Verteidigung Wohlleben hatte beantragt, sie zu laden. Die Beamten hatten 1996 ein Strafverfahren gegen einen Deutschen geführt, der illegal mit in der Schweiz gekauften Waffen gehandelt hatte. Dabei hatte am Rande auch das Waffengeschäft eine Rolle gespielt, von dem der Schweizer Hans-Ulrich Müller die Mordwaffe Ceska hatte. Wie bereits berichtet, handelt es sich um ziemlich verzweifelte Versuche der Verteidigung, den Weg der Ceska in Frage zu ziehen – heute kam noch hinzu, dass die beiden Beamten gar nicht direkt mit dem Waffengeschäft zu tun hatten.

Nächster Zeuge war der Ex-Mann von Antje Probst, die letzte Woche zu „Blood & Honour“ Sachsen und deren Unterstützung der „Drei“ ausgesagt hat (s. den Bericht vom 20.11.2014).
Auch Probst stellte sich selbst als weitgehend unpolitisch und seine Kontakte zu anderen Kadern, z.B. Jan Werner von „B&H“, als „rein nachbarschaftlich“ dar. Von „politischen Spinnern“ habe er sich immer klar abgegrenzt. Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos habe er gar nicht gekannt, über die Untergetauchten aus Thüringen sei zwar „getratscht“ worden, er wisse aber nicht von wem, das habe ihn auch nie interessiert. Bei der Polizei hatte er noch deutlich mehr Details geschildert – heute versucht er das damit zu erklären, die Polizeibeamten hätten ihn wegen des „hohen Erfolgsdrucks“, der auf ihnen gelastet hätte, „hochsuggestiv“ befragt.
Vergraben in diesen Märchen teilte Probst aber durchaus auch Eindrücke von der Szene mit, die der Wahrheit näher kommen dürften als vieles, was Szene-Zeugen bisher berichtet haben: So beschrieb er etwa die ihm bekannten V-Männer als „Aktiv-Kader“, als „Leute, nicht die nicht nur berichten, sondern Leute, die etwas tun und dann darüber berichten.“ So etwa Thomas Starke: „wo der nicht war, war nichts los“ – was wohl auch für die Unterstützung von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos in der ersten Zeit gelten dürfte. Auch die Beschreibung des Auftretens des „Thüringer Heimatschutzes“ als „martialisch“ und „erschreckend“ dürften viele BeobachterInnen des Prozesses teilen.

Über seine Ex-Frau wollte Probst zunächst gar nichts sagen, das sei ihm geraten worden, da seine Aussage sie belasten könnte – „könnte ja sein, dass sie was damit zu tun hatte.“ Das Gericht unterbrach daraufhin seine Unterbrechung, Probst soll in zwei Wochen noch einmal in Begleitung eines Zeugenbeistands erscheinen.

28.11.2014

Offener Brief an den ehemaligen Bundesinnenminister Otto Schily

Sehr geehrter Herr Bundesminister a.D. Schily,

mit Empörung haben die Initiative „Keupstraße ist überall“ und die unterzeichnenden Nebenklagevertreter im NSU-Verfahren die von Ihnen erwirkte „Klarstellung“ im Kölner Stadt-Anzeiger vom 10.11.2014 zur Kenntnis genommen.

Dort heißt es unter anderem:

Herr Schily weist zu Recht darauf hin, dass er seinerzeit ein rechtsextremistisches Motiv nicht ausgeschlossen, sondern zum Sachverhalt lediglich Folgendes erklärt hat: „Die Erkenntnisse, die unsere Sicherheitsbehörden bisher gewonnen haben, deuten nicht auf einen terroristischen Hintergrund, sondern auf ein kriminelles Milieu. Aber die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, sodass ich eine abschließende Beurteilung dieser Ereignisse jetzt nicht vornehmen kann.“ Herr Schily weist ferner mit Recht darauf hin, dass den Sicherheitsbehörden zum damaligen Zeitpunkt die Existenz einer terroristischen rechtsradikalen Gruppe nicht bekannt war und dass sich daher der Ausdruck ,,terroristischer Hintergrund“ in seiner Erklärung eindeutig ausschließlich auf den ,,islamistischen Terrorismus” bezogen hat.

Die in der „Klarstellung“ gegenüber dem Stadtanzeiger nicht kommentierte Behauptung, die „Erkenntnisse … [der] Sicherheitsbehörden … deuten auf ein kriminelles Milieu“ hin, war damals falsch und ist es heute. Dementsprechend waren Sie als Zeuge vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss am 15.3.2013 auch nicht in der Lage mitzuteilen, worin diese „Erkenntnisse“ bestanden haben sollen. Richtig ist vielmehr, dass die Sicherheitsbehörden ohne tatsächliche Grundlage und auf Weisung „von oben“ unterstellten, dass gegen Migranten gerichtete Straftaten ihre Ursache nur im sogenannten kriminellen Milieu haben könnten. Gerade weil es keinerlei Hinweise auf einen solchen kriminellen Hintergrund gab, hätte sich den Ermittlungsbehörden eine rechtsterroristische Tat schon zum damaligen Zeitpunkt aufdrängen müssen. Auch das nordrhein-westfälische LKA bezeichnete den Anschlag zunächst als „terroristische Gewaltkriminalität“, bevor dieser Begriff auf Anweisung aus dem offiziellen Sprachgebrauch gestrichen wurde. Auch das wissen Sie. Uns entsetzt Ihr ganz neuer Rechtfertigungsversuch, Ihr damaliges Bestreiten eines terroristischen Hintergrundes habe nicht dem Rechtsterrorismus gegolten, sondern es sei „eindeutig ausschließlich der islamistische Terrorismus“ gemeint gewesen. Eine solche „Erklärung“ haben Sie nicht einmal im Bundestagsuntersuchungsausschuss abgegeben. Diese widerspricht auch Ihrer eigenen Aussage im Rahmen einer Pressekonferenz vom April 2012, wonach Ihre damalige Einschätzung ein „schwerwiegender Irrtum“ gewesen sei.

Es ist ein billiger Trick, wenn Sie aufgrund der aktuellen Medienpräsenz des islamistischen Terrorismus versuchen so zu tun, als sei der Rechtsterrorismus in Deutschland erst mit dem NSU aufgetreten und Terrorismus ansonsten stets islamistisch. Das widerspricht sogar den damaligen Erkenntnissen des Ihnen unterstellten Bundesamtes für Verfassungsschutz, welches immerhin eine eigene Abteilung Rechtsterrorismus unterhielt. Sie perpetuieren jenen Rassismus, unter dem die Opfer des NSU schon viel zu lange gelitten haben, um sich selbst und die deutschen Sicherheitsbehörden von jedem Fehlverhalten rein zu waschen. Sie beweisen, dass Sie trotz der Erkenntnisse diverser Untersuchungsausschüsse und der anhaltenden öffentlichen Debatten nichts gelernt haben.

Die von Ihnen 2012 erklärte Übernahme politischer Verantwortung setzt voraus, dass Sie einsehen, was Sie mit Ihrer durch nichts gerechtfertigten öffentlichen Erklärung vom 10.06.2004 in Gang gesetzt haben. Sie tragen eine erhebliche politische Mitverantwortung dafür, dass von den Ermittlungsbehörden anschließend Hinweise auf rechtsextreme Täter unbeachtet blieben, dass selbst als bereits bekannt war, dass der Bombenleger vermutlich kein Migrant war, verdeckte Ermittler in der Keupstraße eingesetzt wurden, um herauszufinden, welche Migranten den Täter beauftragt hätten. Anwohner, die den Verdacht eines rechtsradikalen Hintergrundes äußerten, wurden von Polizeibeamten zum Schweigen verpflichtet. Es ist überfällig, dass Sie ohne Wenn und Aber zu Ihrer Rolle im NSU-Skandal stehen.

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27.11.2014

Ein weiteres sinnloses Befangenheitsgesuch der Verteidigung

Heute erstattete zunächst eine Linguistin vom BKA ihr Gutachten. Sie hatte den NSU-Brief, den die Organisation an andere Nazi-Strukturen geschickt hatte, mit Schreiben von Beate Zschäpe verglichen. Ihr Ergebnis: eine Urheberschaft Zschäpes am NSU-Brief ist möglich, aber nicht sicher.

Im Anschluss sollte ein Polizeibeamter, der in den 1990ern Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben vernommen hatte, aussagen. Er hatte praktisch keine Erinnerung. Als ihm der Vorsitzende Götzl wie üblich die Protokolle der Vernehmungen vorhalten, sie also Absatz für Absatz vorlesen und jeweils fragen wollte, ob dies eine Erinnerung hervorruft, intervenierte die Verteidigung Zschäpe.

Das Ganze mündete dann in einem weiteren Befangenheitsantrag der Verteidigung Zschäpe, dem sich die Verteidigung Wohlleben anschloss. Der Vorsitzende unterbrach die Verhandlung, über den Befangenheitsantrag wird bis zum nächsten Verhandlungstag am kommenden Dienstag entschieden – mit dem sicheren Ergebnis, dass er zurückgewiesen wird, da er völlig substanzlos ist.

Offensichtlich will die Verteidigung gegenüber ihrer Mandantin Stärke und Aktivität vortäuschen – vielleicht ein Signal für die kommende Woche, in der ein möglicher Chemnitzer Unterstützer, der damalige Mann der kürzlich vernommenen Antje Probst, und der V-Mann Carsten Szczepanski vernommen werden sollen.

26.11.2014

Lügen und Verharmlosen X – „Das kameradschaftliche Gefühl, das man von der Bundeswehr kannte, wurde halt in der Szene ein bisschen weitergelebt.“

Es gibt Tage im Prozess gegen Mitglieder und Unterstützer des „Nationalsozialistischen Untergrundes“, die man kaum erträgt und die man nur schwer zusammenfassen kann. Der 26.11.2014 war ein solcher. Geladen war der Zeuge Ralph Hofmann, der verdächtig ist, Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe 1999 seinen Personalausweis zur Anmietung einer Wohnung und für Warenbestellbetrügereien zur Verfügung gestellt zu haben. Der Ausweis wurde im Brandschutt des Hauses in der Zwickauer Frühlingsstraße gefunden, ebenso Waren, die damals auf seinen Namen bestellt, in eine andere Chemnitzer Wohnung, die auf seinen Namen angemietet war, ausgeliefert und nie bezahlt wurden – neben alltäglichen Dingen auch ein Nachtsichtgerät, ein Gerät also, das zur Durchführung von Anschlägen aus dem Untergrund benötigt wird.

Bei der Polizei hatte Hofmann behauptet, er habe seinen Ausweis 1999 in einem Einkaufszentrum verloren. Er sei einmal von Thomas Starke gefragt worden, ob er zwei „Kameraden“ in seiner Wohnung unterbringen könnte. Das sei abends auf der Straße vor einer Kneipe gewesen, bei Starke seien zwei Männer mit Kapuzen gewesen, die nicht erkannt habe. Ein weiterer Nazizeuge hatte am 19.03.2014 vor dem Gericht ausgesagt, Hofmann hätte Starke und das Trio an ihn vermittelt, er habe dann eine Unterkunft besorgt. Ein solches Geschehen hatte Hofmann gegenüber der Polizei nicht angegeben.

Hofmann selbst war nie Teil des „Blood & Honour“-Netzwerkes, er war im Umfeld stärker parteipolitisch orientierter Gruppen tätig, Funktionär des „Heimatschutz Chemnitz“ und bis vor kurzem regelmäßiger Gast bei Veranstaltungen der erst dieses Jahr verbotenen „Nationalen Sozialisten Chemnitz.“

Hofmann versuchte, wie so viele zuvor, sich als harmlos und nur wenig politisch darzustellen. „Ich hab verschiedene Ansichten schon geteilt. Man war jung und konnte sich mit einigem identifizieren. Durch die Bundeswehrzeit wurde man noch ein bisschen aufgebaut und fühlte sich durch das Militärische mehr zum Elitären hingezogen.“

Der Vorsitzende befragte den Zeugen zunächst präzise und geduldig, kreiste dessen Falschangaben ein, verpasste es aber, ihn festzunageln. Hoffmann sagte erstmals aus, noch ein weiteres Mal von Starke wegen der Unterbringung der „beiden Männer“ angesprochen geworden zu sein, er habe dann an einen Bekannten verwiesen. Dass diese Erinnerung eine Schutzbehauptung ist, weil seine Vermittlung ja dem Gericht bereits bekannt ist, stand zwar im Raum, wurde aber nicht deutlich. Der Vorsitzende brach dann seine Befragung ab, nachdem er alle Widersprüche der Aussage des Zeugen eingekreist hatte, unternahm aber keinen einzigen Versuch, diesen unter Druck zu setzen.

Die Verteidigung hatte natürlich keine Fragen an den Zeugen, sie hat ja kein Interesse daran, dass weitere Details über die Unterstützung des NSU herauskommen. Auch die Bundesanwaltschaft stellte keine einzige Frage – es scheint, als verweigere sie sich inzwischen jeder Aufklärung.

Die Nebenklage versuchte danach zwar, den Zeugen weiter unter Druck zu setzen, musste dazu aber noch einmal an die Fragen des Gerichts anknüpfen – da gleichzeitig die Geduld des Gerichts wie so oft am Nachmittag am Ende war, wurde dies als unzulässige Wiederholungsfragen zurückgewiesen.

Die Befragung ging schließlich in einer Konfrontation zwischen der Verteidigung Wohlleben und einem Nebenklägervertreter zu Ende. Letzterer wollte dem Zeugen die Namen der vom NSU Ermordeten vorhalten, dies wurde beanstandet.

Letztlich wurde ein weiteres Mal deutlich, dass die Naziszene den NSU nicht nur bei seinen Morden unterstützt hat, sondern bis heute jede Aufklärung verhindert. Deutlich wurde zudem, dass nicht nur die „Blood and Honour“-Szene in die Unterstützung des NSU einbezogen war, sondern auch Aktivisten außerhalb der Skinheadszene. Diese weitere Szene käme auch für die Unterstützung in den Jahren nach dem Verbot von Blood and Honour im Herbst 2000 in Frage, als der Verfolgungsdruck gegen „B&H“-Mitglieder größer wurde. Darauf könnte auch hindeuten, dass Hofmann unter „Ralph Jäger“ in André Emingers Telefon gespeichert war. Diese Bezeichnung dürfte auf dessen Militärbegeisterung zurückgehen, hatte Hofmann doch seine Bundeswehrzeit bei einer Jäger-Einheit verbracht. So gut muss ihn Eminger also gekannt haben.

25.11.2014

Und noch einmal: Lieferweg der Ceska 83 und Wert der V-Leute-Aussagen

Zunächst wurde das Protokoll der im Rechtshilfewege in der Schweiz am 24.06.2014 durchgeführten staatsanwaltschaftlichen Vernehmung des Zeugen Hans-Ulrich Müller verlesen. Müller hatte bei dieser Vernehmung, unter Wahrheitspflicht, keine Angaben zu einer angeblichen Täterschaft seiner Ex-Freundin oder anderer gemacht. Er hatte erneut bestritten, eine Ceska 83 über den Waffenerwerbsschein seines Schweizer Bekannten gekauft zu haben. Germann hatte dies aber in seiner Vernehmung wiederum so geschildert.

Danach wurde der Angeklagte Carsten Schultze nochmals zu den Angaben der V-Mannes Brandt und seines V-Mann-Führers Wießner befragt. Dem Vorsitzenden ging es offensichtlich darum, die Glaubwürdigkeit der Aussagen Brandts zu überprüfen. Brandt hatte unter anderem davon berichtet, Schultze habe erzählt, Geld für die drei Abgetauchten überwiesen zu haben. Carsten Schultze bestritt die Angaben Brandts, die ihn selbst noch stärker in die Nähe von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe rücken. Bei anderen Angaben gab Schultze an, keine Erinnerung mehr zu haben, wobei die Schilderungen Brandts durchaus zutreffen könnten.

Zuletzt wurde der als Anklagevertreter im Prozess anwesende Oberstaatsanwalt Weingarten als Zeuge vernommen – es ging um seine Befragung des Zeugen Enrico Theile im Ermittlungsverfahren. Dort hatte Theile u.a. angegeben, „die Waffen“ hätten ja alle „von Müller“ gestammt. Weil die ebenfalls anwesenden Polizeibeamten ausgesagt hatten, dass Weingarten zwischenzeitlich laut geworden sei, hatte die Verteidigung Wohlleben verbotene Vernehmungsmethoden behauptet. Weingarten schilderte die damalige Vernehmung so, wie sie auch im Protokoll festgehalten ist. Der Zeuge Theile kann mit Fug und Recht als „polizeierfahren“ bezeichnet werden, es wäre überraschend, wenn ein schreiender Staatsanwalt ihn in irgendeiner Weise beeindrucken könnte. Dies war dem Protokoll der Vernehmung – das Theile auch nicht unterschrieben hat – auch deutlich zu entnehmen.

Abschließend gaben die Verteidigung und die Nebenklage Erklärungen zur Befragung des V-Mannes Kai Dalek ab. Die Nebenklage machte in ihrer Erklärung noch einmal deutlich, welche Schlüsse aus Daleks Angaben zum Handeln der Verfassungsschutzbehörden zu ziehen sind:

„Dalek hat sich offensichtlich mit seiner Arbeit als faktisch hauptamtlicher Verfassungsschutzmitarbeiter voll identifiziert. Ein Eingeständnis, dass er und damit auch der bayerische Verfassungsschutz Kenntnis von der Existenz von Waffen, Sprengstoff, einer zunehmenden Militarisierung und Radikalisierung der Thüringer Neonaziszene im Allgemeinen und des „Thüringer Heimatschutzes“ im Speziellen gehabt haben, ohne dass entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet worden wären, würde ein schlechtes Licht auf seine und damit auch auf die Arbeit des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz werfen. Vor diesem Hintergrund ist auch das Verhalten des Zeugen Dalek zu bewerten, dass er auf alle konkreten Nachfragen und Vorhalte aus seinen polizeilichen Vernehmungen zu der Bildung eines militärischen Arms des Thüringer Heimatschutzes, zu Schießübungen, zu der Existenz von Waffen und Sprengstoff immer wieder auswich und seine damaligen Antworten versuchte zu relativieren.

Bestätigt hat Dalek hingegen die Angaben von Brandt, dass die jeweiligen Ämter für Verfassungsschutz ihre Mitarbeiter und V-Leute vor Strafverfolgung schützten. Auch Dalek hat ausgesagt, dass seine V-Mann-Führer ihm zugesagt hätten, ihn in Bayern vor Ermittlungsmaßnahmen schützen zu können, auf Thüringen aber keinen Einfluss hätten.

Der Zeuge hat weiter berichtet, dass seine Tätigkeit in der Neonaziszene mit seinen V-Mann-Führern in Bayern eng abgestimmt wurde. Er sollte unter anderem dafür sorgen, dass sich der Thüringer Heimatschutz nicht nach Franken ausweite, was er auch getan habe. Er sei weiter davon ausgegangen, dass auch Brandt seine politischen Aktionen und die Militarisierung mit dem Thüringer Amt abgestimmt habe.

Vor dem Hintergrund seiner Aussage ist davon auszugehen, dass bei dem bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz umfangreiche Berichte zu den Aktivitäten des Thüringer Heimatschutzes, innerhalb der Organisation geführte Strategiedebatten über Gewalt, Militarisierung, Aktionen u.ä. existieren.“

20.11.2014

Lügen und Verharmlosen IX – Musikfreunde in Sachsen

Der Tag begann mit einer Darstellung der „Waffenvorlage“ im Februar 2012, bei der der Angeklagte Schultze anhand vorgelegter Waffen mit und ohne Schalldämpfer die Tatwaffe Ceska 83 vom Typ her „identifizieren“ sollte. Das fragwürdige Unternehmen, bei der Waffen aus der „Sammlung“ des BKA vorgelegt wurden, lieferte erwartungsgemäß keinen Beweiswert.

Danach wurde die Zeugin Antje Probst vernommen, die nach Aussagen des V-Mannes Carsten Szczepanski an der Unterstützung der untergetauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt mitgewirkt hat. Sie soll Zschäpe einen Reisepass zum Verlassen des Landes angeboten haben.

Die Vernehmung der Zeugin wurde nach stundenlanger Befragung durch den Vorsitzenden unterbrochen und wird am 10.12.2014 fortgesetzt. Probst verharmloste ihre Aktivitäten bis zur Grenze des Erträglichen und darüber hinaus. Bezeichnend war eine Situation, in der sie abstritt, den Angeklagten Eminger und seinen Bruder zu kennen – auf Vorhalt des Vorsitzenden, bei der Polizei habe sie zugegeben, die beiden zu kennen, entgegnete die Zeugin: „Oh Scheiße! Jetzt steht natürlich meine Glaubwürdigkeit total in Frage.“

Weiter versuchte Probst dem Gericht vorzugaukeln, „Blood & Honour“ sei für sie keine politische Betätigung gewesen: „Wir saßen in einer Kneipe und waren der Meinung, es wäre schön, ein paar musikalische Veranstaltungen zu haben…“ Andere aus der Gruppe hätten vielleicht politische Ziele gehabt: „Vielleicht eine weiße Welt, Menschen mit weißer Hautfarbe, könnte ich mir vorstellen, dass es vielleicht bei manchen eine Rolle gespielt hat.“ Gemeinsam habe man damals ein bis zwei Konzerte im Monat durchgeführt, mit 40 bis 400 Besuchern.

Sie beteuerte, die drei Untergetauchten nie wahrgenommen oder getroffen zu haben – und das obwohl ihr ein Foto vorgelegt wurde, auf dem sie bei einer Party oder Konzert neben Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zu sehen ist. Sie will auch nicht mitbekommen haben, dass die Drei in Chemnitz untergekommen waren, ebenso wenig von Waffen, von einer Unterstützung der Drei oder von Spendensammlungen.

Spannend war die Angabe, irgendwann im Jahr 1997 oder 1998 habe Carsten Szczepanski mitgeteilt, aus den Einnahmen von Konzerten fehlten 20.000 DM. Sie habe damals vermutet, dass er selbst das Geld privat verwandt habe. Allerdings habe ihr enger Freund Jan Werner (ebenfalls „B&H“) gesagt, „Du spinnst wohl, niemand hat das Geld geklaut“, und mit den Worten „Halt die Fresse“ eine weitere Diskussion verhindert haben. Die gewaltverherrlichenden Konzerte spielten also offensichtlich viel Geld in die Kassen der Organisation – dies könnte der Grundstock der Unterstützung des späteren NSU gewesen sein.

Vor der weiteren Vernehmung von Probst werden zunächst ihr damals ebenfalls in der Nazimusikszene aktiver Ex-Ehemann und der V-Mann Carsten Szczepanski vernommen werden – dies wird zu einer konfrontativen Befragung führen.

19.11.2014

Mehr vom „Führungskameraden“ Dalek

Heute wurde die Vernehmung des V-Mannes Kai Dalek fortgesetzt. Die Nebenklage hatte zunächst Gelegenheit, Fragen zu stellen. Ein sichtlich angespannter Vorsitzender Götzl intervenierte immer wieder, beanstandete Fragen der Nebenklage und unterbrach die Befragung.

Nachdem zunächst vom Bayerischen Innenministerium eine restriktive Aussagegenehmigung gekommen war, wurde dem Zeugen mit einem heute verlesenen Schreiben sogar erlaubt, die (Arbeits-)Namen seiner V-Mann-Führer zu nennen.

Der ehemalige V-Mann antwortete zwar erneut sehr weitschweifig, schien aber heute eher bereit, konkrete Angaben zu machen. Über zwei Jahre habe er sehr regelmäßig an den „Mittwochstreffen“ des „Thüringer Heimatschutz“ (THS) teilgenommen. Über alle seine Einsätze und Erkenntnisse habe er am Folgetag telefonisch und danach schriftlich dem Landesamt berichtet. Diese Aussage ist wichtig, weil diese Berichte – die bislang nicht vorliegen – es dem Verfassungsschutz schon damals ermöglicht hätten, die Angaben der „einzigen“ Thüringer Quelle Tino Brandt zu überprüfen.

Es wurde dann der bereits bekannte Spiegel-TV-Film über eine Wehrsportübung in Erfurt 1992 gezeigt, in dem zunächst THS-Mitglieder eine Häuserkampfübung durchführen und anschließend V-Mann Thomas Dienel eine widerliche Hetzrede hält. Dalek gab zu, bei dieser Veranstaltung anwesend gewesen zu sein, wollte aber die Aufrufe zur Gewalt seines V-Mann-Kollegen durch einen Hinweis auf dessen angebliche Alkoholisierung relativieren. Auf nachdrückliche Nachfrage des Vorsitzenden konnte er aber keine Angaben machen, woran er diese angebliche Alkoholisierung festmachen wollte. In dem Film sind jedenfalls keine Ausfallerscheinungen Dienels erkennbar.

Dalek blieb aber – in klarem Widerspruch zu seiner Angabe gegenüber der Polizei, Brandt habe einen bewaffneten Arm des THS aufgebaut – dabei, er habe in der gesamten Zeit der Beschäftigung mit der Organisation keine einzige Waffe gesehen. Weiterhin gab er aber an, er habe immer gewarnt, dass Brandt eine gefährliche Radikalisierung seines Umfeldes betreibe.
Wie stark der Verfassungsschutz die Naziszene auch weiterentwickelte, wurde deutlich als Dalek auf Frage der Nebenklage angab, er habe seine Nazi-Aktivitäten 1987 im Auftrag des Landesamtes aufgenommen, er habe im Auftrage des Landesamtes auch den Kontakt zu Brandt und dem THS aufgenommen. Die Frage, ob er im Auftrage des Landesamtes den Aufbau des Thule-Netzes betrieben habe, verneinte er nicht, sondern verweigerte die Antwort unter Hinweis auf die eingeschränkte Aussagegenehmigung. Er gab aber an, über das Thule-Netz habe Brandt und unter Umständen auch andere THS-Mitglieder kommunizieren können, auch eine verschlüsselte Kommunikation sei möglich gewesen. Es habe für Uwe Mundlos oder andere THSler auch die Möglichkeit gegeben, über einen anderen Thule-Netz-Betreiber, beispielsweise in Erlangen, Zugang zu bekommen.

Die Aussage verweigerte Dalek auch auf die Frage, ob er dem BayLfV technische Möglichkeiten eingerichtet habe, alle angemeldeten Benutzer des Thule-Netzwerkes zu identifizieren und allen Datenverkehr zu kopieren bzw. zu speichern. Ebenso verweigerte er unter Hinweis auf eine fehlende Aussagegenehmigung die Antwort auf die Frage, ob er in Berlin – wo er vor seinem Umzug nach Bayern gewohnt hat – auch schon für die Behörden gearbeitet habe.
Es ist klar, dass nur die Beiziehung aller beim bayerischen Verfassungsschutz liegenden Unterlagen zu Dalek Antworten auf die aufgeworfenen Fragen bringen kann, unter anderem auf die Fragen, ob Brandt tatsächlich Teile des THS so stark radikalisierte, dass aus diesen heraus der NSU entstand, und ob der NSU das vom V-Mann Dalek betriebene Thule-Netzwerk zur Kommunikation im Untergrund benutzte.