18.11.2014

Die Legende der “isolierten Gruppe”

Der Schwerpunkt der Verhandlung lag heute zum einen auf den verschiedenen Versionen des Bekennervideos des NSU, die auf einem Rechner in der Frühlingsstraße gefunden wurden. Drei Versionen wurden in Augenschein genommen. Die ersten beiden orientieren sich noch an gängigen Nazivideos: zu den Klängen einer Naziband werden das NSU-Logo, Textpassagen und Bilder eingeblendet. Thematisiert werden der Mord an Enver Şimşek und der Bombenanschlag in der Probsteigasse. Das dritte Video ist das „Paulchen-Panter“-Video, das zeitlich noch später entstand und auf die weiteren NSU-Morde Bezug nimmt.

Der Vorsitzende legte besonderen Wert auf die von den Machern selbst erstellten Texte, beispielsweise den nach jedem dargestellten NSU-Anschlag wiederholten Satz, das Opfer „weiß nun, wie ernst uns die Erhaltung der deutschen Nation ist“. Beate Zschäpe hatte Zugang zu dem Rechner, auf dem sich die Videos befanden. Es gibt konkrete Hinweise, die in den kommenden Wochen noch thematisiert werden, dass sie selbst Passagen dieser Videos bearbeitet hat. Die Mordserie war also von der ersten Tat an geplant, die Gruppe scheint sich allerdings erst später entscheiden zu haben, ihr Bekennervideo nicht zeitnah nach den Taten zu veröffentlichen.

Im Anschluss gab die Bundesanwaltschaft eine Stellungnahme zu den Beweisanträgen der Nebenklage vom 6. November 2014 ab. Die Zielfahndungsakte mit SMS-Protokollen zur Fahndung nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nach deren Untertauchen sei nicht beizuziehen und einzuführen, weil die Nebenklage nicht ausreichend deutlich gemacht habe, welche Inhalte sich aus dieser ergeben würde, der Zielfahnder könne aber gehört werden. Offensichtlich soll nicht deutlich werden, dass das LKA Thüringen sehr früh wusste, dass die Untergetauchten sich in Chemnitz aufhielten und dass es ganz konkrete Anhaltspunkte (Unterbringung beim dortigen Blood and Honour Netzwerk, benutzte Telefonzellen) gab, die es ganz einfach ermöglicht hätten, sie aufzuspüren und festzunehmen. Mit diesem Beweisantrag sollte das Bestehen eines Unterstützernetzwerkes in Chemnitz weiter bewiesen werden.

Die Anträge auf Vernehmung zentraler Personen aus dem militanten Dortmunder Nazispektrum seien abzulehnen, so die Bundesanwaltschaft, weil nach der bisherigen Beweisaufnahme klar sei, dass der NSU als von der Naziszene isolierte Gruppe agiert habe und eine Zusammenarbeit mit Dortmunder Nazis daher ausgeschlossen sei. Diese Argumentation erscheint hanebüchen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass einer der beantragten Zeugen angegeben hat, er könnte Angaben zu verwendeten Waffen und deren Herkunft machen, und angesichts der Tatsache, dass die Dortmunder „Blood & Honour“-Szene mit den Chemnitzer Unterstützern bundesweit zusammenarbeitete. Zum einen wendet sich die Bundesanwaltschaft gegen Beweisanträge, die die Einbindung des NSU in eine Netzwerk belegen, zum anderen werden Anträge mit der Begründung abgelehnt, es gäbe kein Nachweis der NSU hätte auf ein Netzwerk zurückgreifen können.

Die BAW fürchtet offensichtlich, dass ihre These der isoliert agierenden Dreiergruppe widerlegt wird. Dabei sieht sie nicht, dass dies längst geschehen ist: in Chemnitz wurden Zschäpe, Böhnhardt, und Mundlos von „Blood & Honour“-Mitgliedern und deren Umfeld aufgenommen, es wurden ihnen verschiedene Wohnungen zur Verfügung gestellt und Ausweispapiere besorgt, offensichtlich sollten sie mit Waffen und Geld versorgt werden. Sie beteiligten sich an der Erstellung und Produktion von Nazimagazinen und halfen bei der Produktion von T-Shirts. Sie lebten ganz normal, man traf sie beim Grillen, Fahrradfahren – Untergrund sieht anders aus. In den Veröffentlichungen des NSU wird im Übrigen auch ganz klar von einem Netzwerk gesprochen. Wer den Spuren zu anderen bewaffneten Gruppen, die sich hier zeigen, nicht nachgehen will, will Aufklärung verhindern. Gab es ein Helfendes und Wissendes Netzwerk, ist endgültig nicht mehr nachvollziehbar, dass die V-Personen im Umfeld des Trios nichts über deren Aufenthalt und Aktionen berichtet haben sollen.

13.11.2014

Noch einmal zur Ceska-Mordwaffe

Die weitere Vernehmung der ehemaligen Lebensgefährtin von Hans-Ulrich Müller, der laut Anklage die Mordwaffe Ceska von der Schweiz nach Thüringen verkauft hat, erbrachte wenig Neues. Allerdings ergab sich, dass Müller zu seiner damaligen Lebensgefährtin alles andere als ehrlich war – das entspricht auch dem Eindruck von seinem Verhalten und seinen Aussagen gegenüber Polizei und Gericht. Müller selbst war für die nächste Woche erneut als Zeuge geladen worden, hat aber angekündigt, nicht zu erscheinen – und das, obwohl ihm „freies Geleit“ zugesichert worden war. Es ist offensichtlich, dass Müller mit den Vorwürfen, die er am Rande seiner Vernehmung in der Schweiz gegen seine ehemalige Freundin erhoben hat, nur von sich selbst und seinem Kumpel Enrico Theile ablenken wollte. Unter Wahrheitspflicht würde Müller diese Behauptungen nicht wiederholen.

Danach wurden noch Stellungnahmen zu den letzten Beweiserhebungen abgegeben. Die Nebenklage wies nochmals darauf hin, dass durch die Vernehmung des Polizeizeugen gestern zweierlei deutlich geworden ist: zum einen, dass damals nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit gegen „B&H“ Sachsen ermittelt wurde, zum anderen, dass die Bundesanwaltschaft immer noch wichtige Zeugenvernehmungen, die der Zeuge erwähnte, nicht zu den Gerichtsakten gegeben hat.

12.11.2014

V-Mann Kai Dalek – ein geschwätziger Wichtigtuer rudert zurück

Heute sagte zunächst ein BKA-Beamter aus, der Ermittlungen zum damaligen Chef von „Blood & Honour“ Sachsen, Jan Werner, durchgeführt hatte. Werner, Betreiber des Nazi- Labels „Movement Records“, hat vor dem OLG München die Aussage verweigert, weil er sich selbst belasten könnte. Die Sächsische „B&H“ Gruppe soll die gemeinsame Unterstützung des NSU mit Geld und Waffen beschlossen haben, Werner unter anderem versucht haben, von dem V-Mann Szczepanski eine Waffe zu besorgen.

Der Polizeibeamte hatte, wie beim BKA üblich, diverse Ermittlungen zusammengefasst, aber fast keine selbst vorgenommen. Er konnte also zwar einen guten Überblick über die Ermittlungsergebnisse zu liefern, aber keine selbst gewonnenen Erkenntnisse mitteilen. Die Verteidigung kritisierte die Vernehmung des Zeugen aus diesem Grund, obwohl es offensichtlich ist, dass das Gericht durch die Vernehmung zunächst einen Überblick über die Beweissituation gewinnen wollte.

Richtig ist, dass die wichtigen Zeugen bzw. Beweismittel aus seinem Bericht werden also durch Vernehmung bzw. Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden müssen. Die Nebenklage hat bereits mit mehreren Beweisanträgen deutlich gemacht, dass alle Mitglieder von „Blood & Honour“, die an der Unterstützung des NSU beteiligt gewesen sein können; wenn sie die Aussage verweigern, werden frühere Vernehmungen durch Befragung der Vernehmungsbeamten eingeführt werden. Das Kapitel „B&H“ ist also noch lange nicht abgeschlossen.

Der nächste Zeuge war Kai Dalek. Er wurde vor 1987 durch den Berliner Verfassungsschutz gegen Linke eingesetzt, von 1987 bis 1998 arbeitete er dann für das bayerische Landesamt. Er war eine wichtige Figur innerhalb der militanten bundesdeutschen Naziszene, unter anderem Koordinator der bundesweiten Rudolf Hess-Gedenkmärsche. Der deutlich über 1,90 Meter große, massige Mann, der inzwischen 50 Jahre alt ist, präsentierte sich als geschwätziger Wichtigtuer.

Bei zwei BKA-Vernehmungen während eines Haftaufenthaltes, bei denen er als Gegenleistung für eine Aussage Haftverbesserungen und vorzeitige Entlassung forderte, hatte er sehr konkrete Anschuldigungen gegen Tino Brandt erhoben, u.a. behauptet, dieser habe einen bewaffneten Arm des „Thüringer Heimatschutzes“ aufgebaut. In der Hauptverhandlung wollte Dalek dies so nicht bestätigen: er habe das nur geschlossen, weil Brandt bei einem Vorfall mit anderen THS-Mitgliedern Flaschen auf Polizeibeamte geworfen, militantes Auftreten gefördert und einmal eine Verabredung zum „Schießen“ getroffen habe. An weitere konkrete Anknüpfungspunkte für seine Schlussfolgerungen wollte er sich nicht erinnern.

Insgesamt wirkten diese Beschwichtigungsversuche völlig unglaubwürdig – offensichtlich wollte Dalek seine alten Nazistrukturen nicht stärker belasten. Deutlich wurde allerdings, dass die Unterlagen des bayerischen Verfassungsschutzes über die Meldungen von Dalek zur Überprüfung seiner Angaben beigezogen werden müssen. Zu einer Befragung durch die Nebenklage kam es nicht, weil die Verhandlung kurz nach 18.30 Uhr unterbrochen wurde. Am kommenden Mittwoch wird die Vernehmung fortgesetzt.

11.11.2014

Mehr Einblicke zu Tino Brandt und zum „Thüringer Heimatschutz“

Heute wurde erneut der hauptsächliche V-Mann-Führer von Tino Brandt, damals Führer des „Thüringer Heimatschutzes“ und V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes, vernommen.
Vor allem ging es noch einmal um die Unterstützung der untergetauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt durch Brandt und die anderen Mitglieder des THS. Die diversen „Deckblattmeldungen“ über Berichte Brandts bestätigten erneut, dass diverse „Kameraden“ aus Jena und Chemnitz in die Unterstützung eingebunden waren und das Landesamt schon damals genug Informationen hatte (Kontaktpersonen, Telefonnummern usw.), um die „Drei“ in Chemnitz zu suchen und zu finden.

Ansonsten glänzte der inzwischen pensionierte „Verfassungsschützer“ immer wieder mit Erinnerungslücken, vor allem, wenn es um das Verhalten des VS im Zusammenhang mit rechten Straftaten ging. Die Polizei hatte sich bekanntlich beschwert, dass der VS häufig Quellen vor bevorstehenden Durchsuchungen gewarnt hatte. Der Zeuge hatte im Untersuchungsausschuss des Bundestages noch geäußert, gegen Brandt seien ca. 30 Ermittlungsverfahren geführt worden, von denen keines zu einer Verurteilung geführt habe – aber damit könne man leben. Heute wollte er nicht mehr wissen, was er damit gemeint habe. Auch auf Vorhalte aus anderen Quellen, wonach das Thüringische Landesamt u.a. eine USA-Reise Tino Brandts finanziert habe, antwortete der Zeuge, er könne sich nicht erinnern.

Auch Fragen zu einem Anwerbevorgang mit dem Codenamen „Delhi“ – der Geburtsstadt des Angeklagten Carsten Schultze – wich der Zeuge aus und wollte sich nicht erinnern.
Deutlich wurde – erneut – dass zumindest das LfV Thüringen ein sehr enges, fast freundschaftliches Verhältnis zu ihren Naziquellen unterhielt. Brand musste nichts erzählen, was er nicht erzählen wollte. Im Übrigen war dem Amt völlig klar, dass zu den Unterstützern der drei Abgetauchten die „Blood & Honour“-Szene in Chemnitz zählte. Offensichtlich gab es keinen wirklichen Willen, Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos festzunehmen und die militanten Nazistrukturen in Thüringen zu zerschlagen.

06.11.2014

Blood and Honor und Combat 18 in Dortmund

Die Nebenklage stellte heute wichtige Beweisanträge zur möglichen Tatbeteiligung der Dortmunder Naziszene unter anderem am Mord an Mehmet Kubaşik. Zum Zeitpunkt der NSU-Morde existierte in Dortmund eine gut organisierte, militante Naziszene. Um die Band Oidoxie trat unter dem Namen „Streetfighting Crew“ eine fest organisierte Gruppe auf. Um diese Gruppe wurde auch eine „Combat 18“-Gruppe aufgebaut, die aus der Ideologie von Blood and Honour den bewaffneten Kampf als Ziel anstrebte. Die Gruppen waren fest eingebunden in das bundesweite und internationale Blood and Honour-Netzwerk und hätten über diese Verbindung, beispielsweise aus Belgien, Waffen beziehen können.

Als Zeuge gehört werden soll unter anderen der Neonazi und V-Mann des Verfassungsschutzes Sebastian Seemann. Dieser wurde bereits am 13. Dezember 2011 vernommen und machte Angaben über den Aufbau einer Combat-18-Zelle in Dortmund durch den Sänger der Band Oidoxie. Zu einer Zeit, als in der Öffentlichkeit noch nicht über die „Turner Tagebücher“ diskutiert wurde, wies der Zeuge Seemann darauf hin, dass die „Mordserie an den türkischen und dem griechischen Einzelhändlern“ der Beschreibung von Anschlägen aus den Turner Tagebüchern entspricht. Außerdem machte der Zeuge Seemann konkrete Angaben über die mögliche Herkunft der beiden Mordwaffen, nämlich der umgebauten Bruni, die in 9 der NSU-Morde zum Einsatz kam und der TT33 (Mordfall Heilbronn),und bat darum, Bilder dieser Waffen vorgelegt zu bekommen, um seine Angaben konkretisieren zu können.

Seemann nahm zusammen mit seinem guten Freund Michael Berger, der am 16. Juni 2000 drei Polizisten in Dortmund erschoss, an Schießübungen teil .Der Zeuge Robin Schmiemann, der zwischenzeitlich Briefkontakt zu Beate Zschäpe hatte, gab an, dass ihn der Zeuge Seemann zu einem Raubüberfall am 2. Februar 2007 angestiftet und ihm dafür die Waffe besorgt habe. Mit dieser Waffe schoss Schmiemann auf einen tunesischen Kunden im Laden.

Über die gestellten Beweisanträge soll auch überprüft werden, inwieweit Seemann bereits 1997 Kontakt zu einzelnen Angeklagten bzw. zum NSU hatte. Der Aufbau einer „Combat 18“ Zelle in Dortmund mit Zugang zu Waffen im Jahr 2006 ist ein Indiz dafür, dass es Verbindungen zwischen dem NSU und militanten Neonazizellen in Dortmund gegeben hat, über die Informationen über Dortmund als möglichen Tatort des NSU geflossen sind. Bis heute ist nicht nachvollziehbar, wie die NSU-Mörder den Tatort in Dortmund ausspioniert haben. Unterlagen, aus denen sich eine sorgfältige Ausspähung des Tatortes ergäben, wurden nicht gefunden.

Als weiterer Zeuge soll der Sänger und Anführer der 1995 gegründeten Dortmunder Neonaziband „Oidoxie“ gehört werden.Die Band „Oidoxie“ gehörte zum „Blood and Honour“-sowie zum “Combat 18“-Netzwerk, also der Organisation, die nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme das Trio unmittelbar nach deren Untertauchen in Sachsen unterstützt hat. Es ist daher davon auszugehen, dass dasselbe Netzwerk zumindest Teil eines Unterstützerumfeldes gewesen ist, welches die Täter bei den Morden vor Ort –in diesem Fall in Dortmund -unterstützt hat.

Es ist unklar, ob der Senat diesen Anträgen, sowie den weiteren Anträgen, die insbesondere auf Beiziehungen von Akten zu den genannten Personengruppen gerichtet sind, nachkommen wird – eine solche Beweisaufnahme wäre eine endgültige Absage an die in der Anklage vertretene These, der NSU sei eine isolierte Gruppe gewesen und habe nur aus drei Personen und wenigen Unterstützern bestanden. Der Senat würde sich damit noch klarer ,als bislang ohnehin schon geschehen, gegen die Bundesanwaltschaft positionieren. Allerdings drängt sich diese Beweisaufnahme durchaus auf und der Senat hat inzwischen mehrfach ein tiefergehendes Interesse an den Verbindungen zwischen dem NSU und militanten Naziorganisationen wie Blood and Honour entwickelt.

Ein Dortmunder Polizeibeamter, der in der Nacht nach der Tat in Dortmund einen telefonischen Hinweis notiert hatte, konnte sich zwar an nichts erinnern, war aber sicher, dass alles was er damals notiert hat richtig war.

Die Fortsetzung der Vernehmung des ehemaligen Mitglieds des THS und Gewährsperson des Thüringer Verfassungsschutzes Andreas Rachhausen (vgl. blog vom 23.07.2014) brachte in der Sache keinen Fortschritt. Rachhausen war laut des damaligen Leiters des polizeilichen Staatsschutzes in Saalfeld-Rudolstadt „einer der gefährlichsten Rechtsextremisten zu der damaligen Zeit“. In seinen Vernehmungen spielte Rachhausen seine Aktivitäten herunter. Er hatte sich selbst über einen längeren Zeitraum einem Haftbefehl entzogen und war in Belgien, USA und Dänemark untergetaucht. Festgenommen wurde er schließlich 1994 bei dem auf der Flucht vor der deutschen Justiz nach Dänemark verzogenen Holocaustleugner Thies Christophersen, dem er, so seine Aussage, beim Versandt von Zeitungen half. Die Thüringer Naziszene war bereits zu diesem Zeitpunkt bundesweit und international vernetzt und verfügte über einige Erfahrung im „Untertauchen“ auf der Flucht vor der Polizei. Das Trio konnte sich im Thüringer Heimatschutz diese Erfahrung aneignen.

05.11.2014

Und noch mal zum Lieferweg der Ceska

Der Schweizer Hans-Ulrich Müller, der nach dem bisherigen Stand der Beweisaufnahme die Mordceska gekauft und nach Deutschland weiterverkauft hat, hatte am Rande seiner Vernehmung in der Schweiz gegenüber einem Nebenklägervertreter behauptet, seine Exfreundin S.I. und ein entfernter Bekannter aus Apolda, Dieter S., wären die wirklichen Ceska-Verkäufer (vgl. Blog vom 22.10.2014).

Sollte diese Behauptung Müllers nur von ihm selbst und seinem Freund Theile ablenken, so ist ihm das teilweise gelungen. Immerhin wurde heute ein inzwischen pensionierter schweizer Ermittlungsrichter und der angebliche Partner seiner Exfreundin vernommen. Müller wurde erneut vom OLG zur Vernehmung nach München geladen. Für diese Vernehmung ist ihm “freies Geleit” zugesichert worden, er muss also in Deutschland keine Strafverfolgung wegen des Ceska-Verkaufes befürchten. Es ist allerdings davon auszugehen, dass Müller sich der Vernehmung in Deutschland nicht stellen wird. Der Zeuge KHK K. vom BKA hatte in den letzten Wochen mehrfach mit Müller telefonisch wegen seiner Aussagen vor Gericht in München Kontakt und berichtete, Müller hätte anfänglich zugesagt in München auszusagen, später er aber knapp mitgeteilt, doch nicht kommen zu wollen. Möglicherweise war ihm bewusst dass eine Falschaussage vor Gericht ist von dieser Zusicherung nicht umfasst ist.

Der ebenfalls heute gehörte ehemalige schweizerische Richter J. S. konnte sich trotz zahlreicher Vorhalte an seine Vernehmung des Schweizer Beschuldigten, der Müller seine Waffenerwerbsscheine zur Verfügung gestellt hatte, nicht erinnern.

Dieter S., der angebliche Partner von Müllers Exfreundin, ein inzwischen 70 jähriger Mann, der in den 90er Jahren neben einem Eiscafé auch dubiose Geschäfte betrieben haben muss, – immerhin gab er an “russische Männer” zur Bewachung einer Villa angestellt zu haben -, erzählte zwar viel, aber leider kaum etwas, was man verwerten kann. Immerhin wurde deutlich, dass er in den 90er Jahren gut verdient haben muss, das meiste wieder verloren hat und irgendwann dazwischen mit Müllers Exfreundin eine Liaison hatte. Mit Waffen will er nie etwas zu tun gehabt haben, Vorhalte aus gegen ihn geführten Strafverfahren wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz, die allerdings nicht zu Verurteilungen geführt haben, konterte er mit Empörung und Beschimpfungen der ihn belastenden Zeugen. Obwohl der Zeuge nicht besonders glaubwürdig war, hat seine Vernehmung nicht dazu geführt, das Ablenkungsmanöver Müllers zu stärken.

23.10.2014

Zum Brand in der Frühlingsstraße

Heute war der ehemalige Verteidiger von Beate Zschäpe, an den sie sich am 8.11.2011 gewandt hatte, als Zeuge geladen. Zschäpe hatte ihn teilweise von seiner anwaltlichen Schweigepflicht entbunden, um über ihn zu beweisen, dass sie am 4.11.2011 bei ihrer Nachbarin in der Frühlingsstraße geklingelt hatte, damit diese durch das von Zschäpe gelegte Feuer nicht verletzt wird.

Wie bereits erwähnt, würde ein solches Klingeln allerdings ohnehin nicht gegen, sondern für einen Tötungsvorsatz Zschäpes sprechen: Denn damit hätte sie gerade gezeigt, dass sie davon ausging, dass ihre Nachbarin im Hause war und dass das Feuer diese in Lebensgefahr bringen würde. Dass Zschäpe mit der Nachbarin gesprochen und sie zum Verlassen des Hauses aufgefordert hätte, behauptet die Verteidigung nicht.

Für viel Diskussionen im Gerichtssaal sorgte das prozessuale Vorgehen der Verteidigung: die hatte den Ex-Verteidiger nur extrem eingeschränkt von seiner Schweigepflicht befreit – wie mehrere NebenklägervertreterInnen beanstandeten, lief die Erklärung letztlich darauf hinaus, dass der Zeuge nur die Beweisbehauptung der Verteidigung abnicken sollte und sonst nichts. Sämtliche Fragen anderer Beteiligter, auch solche, die im Zusammenhang mit dem behaupteten Gespräch standen, wurden von der Verteidigung beanstandet, noch bevor der Zeuge selbst entschieden hatte, ob er sich auf seine Schweigepflicht berufen wollte oder nicht. Das Gericht ließ die meisten dieser Fragen zu, der Zeuge antwortete relativ wortkarg.

Jedenfalls ging der Plan der Verteidigung auch inhaltlich nicht auf: denn es wurde klar, dass die Angaben von Zschäpe in dem Gespräch ohnehin wenig ergiebig waren – so war der Ex-Verteidiger etwa der Meinung, die alte Dame habe im selben Aufgang gewohnt wie Zschäpe und Zschäpe habe daher bei ihr an der Wohnungstür geklingelt. Tatsächlich hatte Zschäpe aber nur am Hauseingang geklingelt und keine Möglichkeit festzustellen, ob die damals bereits weit über 80jährige Frau ihr Klingeln überhaupt gehört hatte. Gleichzeitig ist über die Aussage des Zeugen aber auch eingeführt, dass Zschäpe ihm gegenüber mindestens implizit eingestanden hat, das Feuer in der Frühlingsstraße gelegt zu haben.

Am Ende ging es noch kurz um die Vernehmung des Neonazis und Ex-V-Mannes Sczepanski, der für den 4.11.2014 geladen ist. Dieser befindet sich im Zeugenschutz, das zuständige Innenministerium in Brandenburg stimmt einer Vernehmung nur zu, wenn diese per Videovernehmung, mit Verfremdung von Aussehen und Stimme des Zeugen und (!) unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus dem Sitzungssaal in München stattfindet. Begründet wird dies mit angeblichen Gefahren von Racheakten durch Neonazis für den „Verrat“ des Zeugen. Die Nebenklage machte deutlich, dass diese Gefahrprognose arg konstruiert ist – der Angeklagte Schultze etwa, der auch im Zeugenschutzprogramm ist, sitzt seit über 150 Tagen ohne besondere Schutzmaßnahmen in der Hauptverhandlung, ohne dass es irgendwelche wahrnehmbaren Gefährdungen gab oder auch nur ein Foto von ihm in der Öffentlichkeit erschien. Sie forderte das Gericht auf, beim Ministerium darauf zu drängen, dass der Zeuge in München aussagt.

22.10.2014

Zum Puppentorso-Verfahren und zur Mordwaffe Ceska

Heute wurden zunächst drei Polizeibeamte vernommen, die Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben 1996 vernommen hatten – damals ging es um ein Verfahren wegen Volksverhetzung, nachdem ein Puppentorso mit einem gelben „Judenstern“ an einer Autobahnbrücke aufgehängt und daneben eine Bombenattrappe platziert worden war. An der Puppe war ein Fingerabdruck von Böhnhardt gefunden worden.

Die Beamten konnten sich an die Vernehmungen vor 18 Jahren nicht mehr wirklich erinnern, schilderten aber bestimmt einige Eindrücke, die sie damals gewonnen hatten. So konnte sich eine Beamtin, die Zschäpe zunächst vernommen hatte, noch erinnern, dass diese damals einen sehr „aufgeräumten“ Eindruck gemacht habe – Zschäpe wusste demnach genau, was sie sagen wollte und was nicht, und stand offen zu ihrer „rechtsgerichteten“ Gesinnung. Der zweite Beamte, in dessen Vernehmung Zschäpe Böhnhardt ein Alibi gegeben hatte, konnte sich noch deutlich an sein Gefühl erinnern, dass der Polizei hier von der Nazi-Szene Lügengeschichten aufgetischt wurden.

Des Weiteren wurde ein Nebenklägervertreter als Zeuge gehört. Er war von Hans-Ulrich Müller, der laut Anklage die Mordwaffe Ceska nach Thüringen gebracht hatte, am Rande der Vernehmung Müllers und seines Bekannten in der Schweiz angesprochen worden. Müller hatte dabei behauptet, die Waffe sei von dem Schweizer Waffenhändler an einen anderen Mann aus Jena verkauft worden, der gute Kontakte zur Neonazi-Szene gehabt habe. Müller meinte, er könne das auch beweisen, weigerte sich aber, dies gegenüber den Behörden zu tun, solange ihm keine Straffreiheit zugesichert werde.

Diese Vernehmung macht vor allem eins erneut deutlich: Die Angaben Müllers, der eine Beteiligung an der Beschaffung der Waffe abstreitet, der am selben Tag dem Schweizer Staatsanwalt die eine und dem Nebenklagevertreter eine ganz andere Geschichte erzählt, sind mehr als unglaubhaft. Dagegen sind die Angaben seines Bekannten, der Müller belastet hatte und dabei ja auch zu den Kontakten Müllers nach Thüringen usw. ausgesagt hatte, stimmig und schlüssig.

21.10.2014

Generalbundesanwalt zaubert eine Vernehmung aus dem Nichts hervor – Zeugenbefragung unterbrochen

Die von der Nebenklage bereits mehrfach angeforderte Ermittlungsakte „gegen Unbekannt“ ist immer wieder für Überraschungen gut. In jenem Verfahren wird gegen weitere der Unterstützung des NSU verdächtige Personen ermittelt. Die Bundesanwaltschaft führt alle Ermittlungen, die den im Prozess beim Münchner OLG beteiligten Parteien nicht bekannt werden sollen, in diesem Verfahren und behauptet dann bei Nachfragen, sie seien für das Münchener Verfahren nicht relevant oder eine Akteneinsicht würde die Ermittlungen gefährden. In diesem Verfahren fanden sich schon in der Vergangenheit so interessante Dinge wie Vernehmungen des ehemaligen V-Mannes Michael See und des letzte Woche vernommenen Hammerskins Thomas Gerlach.

Und auch am heutigen Verhandlungstag wurde diese „Unbekannt“-Akte wieder interessant. Mitten in der Vernehmung der ehemaligen Freundin des Schweizers Müller, der die Mord-Ceska nach Deutschland geliefert haben soll, fragte Bundesanwalt Diemer den Vorsitzenden Götzl, ob er denn die Vernehmung der Zeugin vom 18.6.2014 nicht kenne. Die kannte Götzl nicht – sie war ja auch erst am Vormittag von Karlsruhe aus an die Vertreter der Bundesanwaltschaft in München geschickt worden. Daraufhin musste die Vernehmung der Zeugin unterbrochen werden, denn die Prozessbeteiligten müssen natürlich zunächst Gelegenheit haben, Kenntnis von dieser Vernehmung zu nehmen. Ein solcher Vorgang ist nicht nur wegen der Verzögerung des Prozesses relevant, die ja immer mal gerne den NebenklägervertreterInnen angehängt wird, wenn sie „zu viele“ Fragen stellen. Insbesondere stellt sich aber die Frage, wie viele andere möglicherweise wichtige Vernehmungen und Ermittlungen die BAW noch in dieser „Unbekannt“-Akte bunkert, um sie geheim zu halten und nur nach Bedarf herauszugeben.

Diese Frage wurde auch am Nachmittag nochmals relevant. Eine Baden-Württemberger LKA-Beamtin stellte ihre Ermittlungen dar. Ausgehend von der 1998 neben den Bomben in der Garage gefundenen Telefonliste hatte sie mit ihren KollegInnen die Kontakte des Trios nach Baden-Württemberg ermittelt und war auf zahlreiche ZeugInnen gestoßen, die vor allem vor dem Abtauchen der Drei häufig mit diesen zusammengetroffen waren. Unter anderem hatte, so die Zeugin, eine Folgevernehmung ergeben, dass das Trio auch noch 1999 und 2001 in Ludwigsburg war. Auch diese Vernehmung liegt den Prozessbeteiligten nicht vor. Ein Informant des Verfassungsschutzes habe zudem angegeben, dass Mundlos mit ihm über Banküberfälle gesprochen habe. Auch diese Vernehmung ist offensichtlich in der „Unbekannt“-Akte verschwunden, weil der Generalbundesanwalt sie für „nicht relevant“ hält.