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16.10.2014

Thomas Gerlach: frontale Aussageverweigerung erfolgreich – „Brüder Schweigen“

Dreimal musste der Zeuge Thomas Gerlach anreisen, um schließlich mit seiner Strategie der frontalen Aussageverweigerung über den Vorsitzenden Götzl zu obsiegen. Bereits in seinen Vernehmungen am 01.07.2014 und 10.07.2014 hatte Gerlach die klare Ansage gemacht, keine Angaben zur Organisation Hammerskins zu sagen – das sei mit seinem „Wertegefühl“ nicht vereinbar.

Der Vorsitzende Götzl hatte Gerlach in jedem Termin Ordnungsgelder und Ordnungshaft in Aussicht gestellt. Dabei wurde von der Verteidigung Wohlleben zwischenzeitlich ein vor zehn Jahren geführtes Strafverfahren gegen die Hammerskins angeführt, auf Grund dessen Gerlach ein Schweigerecht haben könnte.

Götzl hatte die Akten dieses Verfahrens beigezogen, sich aber offensichtlich nicht weiter damit auseinandergesetzt. Vom ersten Moment der Vernehmung an steuerte er nun auf die Verhängung von Beugehaft zu. Nach zeitraubenden Unterbrechungen verkündete er allerdings am frühen Nachmittag plötzlich, Gerlach habe ein umfassendes Schweigerecht zu allem, was die Hammerskins betreffen könnte.

Zu dieser Rechtsauffassung hätte der Vorsitzende bei rechtzeitiger Prüfung bereits im Juli kommen können. Nun bot er der Verteidigung Wohlleben Gelegenheit, sich ausführlich darzustellen, und Gerlach einen Triumph über den Senat. Zudem konnte Gerlach in der weiteren Befragung alle ihm unliebsamen Fragen der Nebenklage unter Verweis auf die Hammerskins unbeantwortet lassen.

Klar ist allerdings, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach dem Verbot von „Blood & Honour“ weiterhin in engem Kontakt zur Naziszene gestanden haben müssen. Sowohl der Angeklagte André Eminger, der sie seit ihrer Flucht nach Chemnitz unterstützte, als auch der Angeklagte Ralf Wohlleben hatten enge Kontakte zu den Hammerskins, die in dieser Zeit das von „Blood & Honour“ hinterlassene Vakuum füllten. Es liegt nahe, dass hier nach weiteren Unterstützern des NSU zu suchen ist.

Gekrönt war der Verhandlungstag davon, dass der Angeklagte Eminger seinen Gesinnungsgenossen mit einem T-Shirt grüßte, auf dem „Brüder schweigen – bis in den Tod“ prangte. „Brüder schweigen ist ein Zitat aus dem Treuelied der Waffen-SS und die Selbstbezeichnung der mörderischen Nazi-Terrororganisation „The Order“ aus den USA, die zahlreiche Überfälle und Morde begangen hatte und von „Blood & Honour“ wie von den Hammerskins verehrt wird. In einem solchen Shirt war am 29.07.2014 bereits der Bruder des Angeklagten, Maik Eminger, zum Prozess erschienen. Auf solche Art zeigt die Naziszene einerseits ihre Verbundenheit und macht sich andererseits über das Verfahren lustig. Umso notwendiger ist es, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu versuchen, das Unterstützernetzwerk und die Strukturen des NSU aufzudecken.

15.10.2014

Das NSU-Unterstützernetz: Chef von „Blood and Honour“ Sachsen verweigert die Aussage

Der ehemalige Chef von Blood and Honour Sachsen, Jan Werner, hat die Aussage verweigert, weil er sich bei wahrheitsgemäßer Aussage selbst belasten könnte. Werner hatte nicht nur mit all denjenigen „Blood and Honour“-Mitgliedern und SympathisantInnen eng zu tun, die den NSU unterstützt haben, er hatte auch selbst Telefonate zwischen den drei Untergetauchten und Ralf Wohlleben vermittelt. Nach dem bisherigen Stand der Beweisaufnahme besteht die Vermutung, dass „B&H“ und der NSU jedenfalls bis zum Verbot von „B&H“, als diese im Blick der Strafverfolgung standen, fest zusammengearbeitet haben.

Werners Aussageverweigerung erschwert zwar die weitere Aufklärung des Unterstützernetzwerkes des NSU, erspart allen Beteiligten aber wenigstens eine weitere Zeugenvernehmung nach dem Motto „Ich weiß nix“. Frustrierend an dieser Prozesssituation ist erneut der Umstand, dass sich aus den Akten keine besondere Ermittlungstätigkeit der Bundesanwaltschaft gegen Werner ergibt. Auch das gegen ihn geführte Verfahren, dass ihm jetzt zum Schweigerecht verhilft, wird aller Wahrscheinlichkeit nach irgendwann still und heimlich eingestellt werden.

Im Anschluss wurden noch zwei Urteile gegen Uwe Böhnhardt aus 1997 sowie zwei Beschuldigtenvernehmungen Böhnhardts verlesen.

14.10.2014

Zum Mordvorsatz Zschäpes und zur „NSU/NSDAP“-CD

Der Verhandlungstag war vor allem geprägt von rechtlichen Bewertungen der Beweisaufnahme durch Erklärungen der Verteidigung, der Nebenklage und der Bundesanwaltschaft.

Die Erklärung der Nebenklage zum Zeugen Rothe machte deutlich, dass der nicht nur von der Strafverfolgung gegen das Trio wissen musste, als er sie bei sich wohnen ließ, sondern dass er auch weiter mit ihnen politisch zusammenarbeitete. Das Vertrauensverhältnis war so groß, dass er ihre Wohnung in Zwickau kannte, in der sie noch lange und während der von ihnen begangenen Mordserie wohnten. Die massive Unterstützung durch „Blood & Honour“ Chemnitz soll morgen durch die Vernehmung des „B&H“-Sektionsleiters für Sachsen, Jan Werner, weiter untersucht werden.

Die Verteidigung Zschäpe gab eine Erklärung ab zu den Vernehmungen der alten Dame, die durch den Brand in der Frühlingsstraße in Lebensgefahr kam, und zu den Vernehmungen der Polizeibeamten, die diese befragt hatten. Sie selbst hatte nach dem Brand gesundheitlich stark abgebaut und konnte nicht mehr befragt werden. Die Verteidigung meinte, der Senat habe dies zu verschulden, weil nicht frühzeitig genug alles Mögliche zur Vernehmung unternommen worden sei. Insbesondere weise eine Äußerung der Frau gegenüber einem Polizeibeamten darauf hin, dass eventuell Zschäpe vor oder nach der Brandlegung bei ihr geklingelt habe. Dazu habe die Verteidigung sie aber nicht mehr befragen können.

Die Verteidigung geht also anscheinend selbst davon aus, dass Zschäpe den Brand gelegt hat. Dabei hofft Zschäpe nun wohl, das Gericht werde wegen des behaupteten Klingelns davon ausgehen, dass sie keinen Tötungsvorsatz hatte, weil sie hoffte, die Frau sei nicht zu Hause. Eine solche Annahme ist allerdings abenteuerlich. Denn im Gegenteil würde das Klingeln zeigen, dass Zschäpe ganz genau wusste, dass die Frau mit großer Wahrscheinlichkeit zu Hause war. Da sie auch wusste, dass ihre Nachbarin gehbehindert war, also sowohl für den Weg zur Wohnungstür als auch für eine Flucht aus dem Hause lange brauchen würde, hielt sie also deren Tod für möglich und wahrscheinlich. Damit verstärkt die Behauptung, Zschäpe habe noch geklingelt, eher die Annahme eines Mordvorsatzes. Die Nebenklage stellte dies in wenigen Sätzen dar und löste damit bei Zschäpe sichtbare Reaktionen und Getuschel mit ihren Anwälten aus.

Die Bundesanwaltschaft nahm Stellung zum Verwertungswiderspruch der Verteidigung betreffend die 1998 in der Garage in Jena gefundenen Bomben der Gruppe, und erklärte, die Durchsuchung sei rechtmäßig gewesen, alle Ermittlungsergebnisse also verwertbar.

Schließlich nahm die Bundesanwaltschaft Stellung zu einem Beweisantrag der Nebenklage zu der anscheinend schon 2005 dem Verfassungsschutz übergebenen CD „NSU/NSDAP“ bezog. Die Annahme der Nebenklage, dass sich der Datenträger auf den NSU bezieht und damit 2005 die Existenz des NSU schon bekannt war, sei eine bloße Vermutung. Man führe intensive Ermittlungen, die durch eine Beweisaufnahme gefährdet würden. Bisher gehe man nicht von einem Zusammenhang zu den Angeklagten oder dem NSU aus. Diese Argumentation ist offensichtlich nicht haltbar und zeigt erneut, dass die Bundesanwaltschaft an einer Aufklärung der Taten des NSU weit weniger Interesse hat als am Verdecken behördlichen Versagens und dem Aufrechterhalten der These, der NSU habe aus drei Personen bestanden.

09.10.2014

Eine weitere Vernehmung zur Mordwaffe Ceska

Nach dem Schweizer Polizeibeamten gestern wurde heute ein Schweizer Staatsanwalt vernommen, der den Schweizer Hans-Ulrich Müller und dessen Bekannten vernommen hatte. Auch seine Vernehmung bestätigte das bisherige Beweisergebnis: Der Bekannte von Müller bestätigte, dass er Müller den Waffenerwerbsschein für 400 Franken verkauft habe und dass Müller angekündigt hatte, die Waffe nach Deutschland zu verkaufen, wo es für „gewisse Kreise“ schwierig sei, Waffen zu kaufen, mehr solle sein Bekannter besser nicht nachfragen. Müller stritt alles ab, verwickelte sich dabei allerdings in Widersprüche.

Wie auch gestern versuchte die Verteidigung Wohlleben heute in den Zeugen hineinzufragen, dass unzulässiger Druck auf den Bekannten Müllers ausgeübt worden sei. Wie auch gestern machte der Zeuge deutlich, dass ein solcher Druck nicht ausgeübt worden war – der Staatsanwalt hatte sogar eine „Konfrontationsbefragung“ mit Müller und seinem Bekannten angesetzt, um Müller zu erlauben, diesem Fragen zu stellen und so seine Angaben zu überprüfen.

Es bleibt also weiter bei der Feststellung von Anfang Juli 2014 (s. die Berichte vom 01.07.2014 und 03.07.2014): Zweifel an der Schuld Wohllebens sind in der Hauptverhandlung nicht erkennbar geworden.

08.10.2014

Mehr zur Mordwaffe Ceska

Heute wurde die Vernehmung des Schweizer Polizeibeamten zu Ende gebracht, der bereits vor zwei Wochen ausführlich zur Herkunft der NSU-Mordwaffe vernommen worden war. Er hatte den Schweizer Hans-Ulrich Müller, über den die Waffe nach Thüringen gelangte, und einen Bekannten Müllers, über dessen Waffenerwerbskarte Müller die Waffe erworben hatte, befragt.
Die Vernehmung ergab nichts wesentlich Neues (zum Inhalt s. die Berichte vom 16./17.09.2014 und 18.09.2014). Die Verteidigung Wohlleben widersprach erneut der Beweisverwertung und behauptete, auf die Schweizer Zeugen sei unzulässiger Druck ausgeübt worden – wofür es keine Anhaltspunkte gibt. Zudem beantragte die Verteidigung die Vernehmung zweier Schweizer Polizeibeamter, die ein Ermittlungsverfahren gegen die Inhaber des Waffenladens geführt hatten, von dem Müller die Waffe erwarb – es habe damals den Verdacht gegeben, diese hätten Waffen an Nichtberechtigte verkauft. An der Kette an Beweisen für die Herkunft der Ceska-Pistole und insbesondere für die Rolle Wohllebens, die der Senat vor einigen Wochen in seinem Haftfortdauerbeschluss dargestellt hat (s. die Berichte vom 01.07.2014 und 03.07.2014), kann natürlich auch dieser Antrag nichts ändern.

Am Rande der Verhandlung wurde erneut deutlich, dass die Naziszene Deutschlands den Prozess verhöhnt: Karl-Heinz Hoffmann, Begründer der gleichnamigen „Wehrsportgruppe“, tauchte vor dem Gerichtssaal auf und grüßte u.a. die Verteidigung Wohllebens freundlich.

07.10.2014

Erneut „Blood and Honour“ Chemnitz – erneut Leugnen und Verharmlosen

Erneut wurde heute der Chemnitzer Thomas Rothe vernommen, bei dem Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in ihrer Anfangszeit in Chemnitz, direkt nach ihrem Abtauchen, Unterschlupf gefunden hatten. Rothe versuchte weiterhin (vgl. die Berichte vom 01.04.2014 und vom 29.07.2014), alle Fragen mit dumpfem „kann mich nicht erinnern“ abzuwehren. Dies gelang ihm auch erneut, zumindest beim Vorsitzenden Richter Götzl, recht gut.

Die Verteidigung Zschäpe zeigte erneut, offensichtlich angetrieben durch die Unzufriedenheit ihrer Mandantin, etwas mehr an Aktivität und ließ dabei offensichtlich Wissen ihrer Mandantin einfließen. So hielt Rechtsanwältin Sturm dem Zeugen vor: „Nach meinen Erkenntnissen soll Herr Mundlos einmal mehrere Wochen bei Ihnen gewohnt haben.“ Rothe allerdings hatte nicht vor, zur Aufklärung beizutragen, und verneinte auch dies.

Immerhin führte Rothe auf Frage der Verteidigung Zschäpe aus, dass er nicht nur das Trio in Chemnitz aufgenommen hatte, sondern die drei auch in deren späteren Wohnungen in Chemnitz und in Zwickau mehrmals besucht hatte. Mit Mundlos alleine habe er sich in der gesamten Zeit, also über zwei Jahre lang, öfter getroffen, sie seien Freunde gewesen. Mundlos habe ihm auch ein paarmal bei Layoutproblemen am Computer geholfen – vermutlich bei Layouts seines eigenen Naziblättchens „Sachsens Glanz“ oder des „B&H“-Blattes White Youth.

Es war wieder mal der Nebenklage vorbehalten, die Einbindung des Zeugen in die militante Naziszene herauszuarbeiten. Rothe war in einem Zeitraum von zwei Jahren zumindest „Anwärter“ bei „Blood & Honour“, kannte die wichtigen Leute, beteiligte sich nicht nur an Konzerten, sondern auch am Layout von Publikationen. Durch sein eigenes Fanzine „Sachsens Glanz“, so schilderte er, wurden ihm viele andere Zeitschriften und Tonträger zugeschickt. Die in seinem Heft nachzulesenden Besprechungen von Fanzines und Musik zeigen eine Sammlung der aggressivsten, gewaltverherrlichenden neonationalsozialistischen Propaganda der damaligen Zeit.

An einer Stelle log Rothe nachweislich: mehrfach gab er an, er habe erst durch die Fernsehsendung „Kripo live“ am 22.02.1998 erfahren, dass „die Drei“ u.a. wegen dem Aufhängen einer Puppe gesucht wurden. Mit den dreien selbst habe er darüber nicht gesprochen. In der „Kripo Live“-Sendung, die in einer früheren Hauptverhandlung bereits vorgeführt wurde, taucht allerdings der Puppentorso an der Autobahnbrücke gar nicht auf.

Die nachfolgende Vernehmung eines Polizeibeamten, der Enrico Theile vernommen hatte, brachte nichts Neues.

Zum Abschluss gab die Nebenklage eine Erklärung zur Vernehmung Tino Brandt ab und betonte die Bedeutung von Brandts Aussage zur „Gesinnungsgemeinschaft der neuen Front“ (vgl. Blog vom 30.09./01.10.2014).

Die Bundesanwaltschaft nahm Stellung zu Beweisanträgen der Nebenklage und erklärte sich mit der Vernehmung mehrerer Zeugen einverstanden. Dies betrifft insbesondere GndF-Kader Kai Dalek, der auch lange Jahre V-Mann des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz war.

30.09./01.10.2014

Zu Brandt’s V-Mann-Führern – und zur „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“

Diese Woche standen vor allem die Vernehmungen von drei V-Mann-Führern des THS-Führers Tino Brandt an. Sie waren vor der Vernehmung Brandts bereits in München befragt worden, waren aber allesamt noch einmal geladen worden – auch, weil sie zum Teil extrem schlecht auf die Befragung vorbereitet waren.

Dieses Bild setzte sich gestern und heute fort: Alle drei V-Mann-Führer konnten oder wollten sich an die Gespräche mit Brandt nicht mehr erinnern, auch auf Vorhalt ihrer damaligen Vermerke wollte sich bei keinem von ihnen eine rechte Erinnerung einstellen. Soviel also zum Umgang mit der „Top-Quelle“ Brandt. Zum Teil gewann man den Eindruck, dass die VS-Beamten ihre Aufgabe mit dem Verfassen und Abheften eines kurzen Vermerks zu den Gesprächen als erledigt ansahen.

Die Nebenklage beantragte, Kai Dalek als Zeugen zu laden. Dalek war Gründer des in den 90er Jahren wichtigen Rechnerverbundes „Thule-Netz“ sowie der für Thüringen zuständige „Führungskamerad“ der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdnF), dem Brandt anweisungsgemäß gemeldet hatte, dass ihn der Thüringer VS angefragt hatte. Dalek, damals selbst schon V-Mann des bayerischen VS, berichtete „seinem“ Dienst u.a. auch umfangreich über die Gewaltaffinität des Thüringer Heimatschutzes und Plänen Brandts von einer „militärischen“ Organisation nach Vorbild der SA . Brandt hatte in seiner Zeugenaussage ja wenig glaubhaft behauptet, der THS habe Gewalt abgelehnt.

Die Zeugenaussage Daleks wird aber auch relevant sein, weil er zu der Einbindung des THS in das bundesweite Netzwerk „GdnF“ Angaben machen kann. Die „GdnF“ war von führenden militanten Nazikadern aus Westdeutschland Mitte der 1980er nach den Verboten diversen Nazi-Parteien und -Gruppen gegründet worden als informelle, aber hierarchisch organisierte Kaderorganisation. Ziel war eine zentrale Organisation der Führungskader aller im Bundesgebiet tätigen Parteien und Kleinstgruppen. Mit schnellen Neugründungen zahlreicher Kleinstgruppen wurden die staatlichen Verbote umgangen, trotzdem wurde durch die GdnF gewährleistet, dass all diese Gruppen politisch in eine Richtung arbeiteten. Die GdnF propagierte den Nationalsozialismus als Ziel und als Mittel, dieses zu erreichen, neben dem politischen Kampf den Straßenterror nach SA-Vorbild sowie gezielten politischen Mord. Die GdnF war es auch, die sich frühzeitig für die Skinheadkultur öffnete und ab Mitte der 90er-Jahre die bundesweite und internationale Verbreiterung des „Blood & Honour“-Netzwerkes vorantrieb. Wenn klar ist, dass mindestens zwei im bzw. für den THS wichtige Personen, Brandt und Dalek, Kader des GdnF waren oder sich diesen unterordneten, dann liegt es nahe, dass der NSU politisch und praktisch aus diesem Netzwerk beeinflusst und unterstützt wurde. In der GdnF fanden sich jedenfalls zahlreiche Personen, die sowohl praktisch über die notwendige Erfahrung für Vorbereitung und Durchführung von Morden und Sprengstoffanschlägen verfügten als auch politisch ein Konzept von Morden gegen Migranten ohne Bekennerschreiben entwickeln konnten.

01.10.2014 Verhandlung abgebrochen

Wegen Krankheit des Vorsitzenden Richters Götz fällt die Verhandlung morgen aus. Die Vernehmung des V-Mann-Führers heute wurde nach etwa einer Stunde abgebrochen. Ein kurzer Bericht zu dieser Verfahrenswoche folgt heute Nachmittag.

30.09.2014

Heute wurden zwei V-Mann-Führer des Neonazis Tino Brandt vernommen und erste Erklärungen der Prozessbeteiligten zu dessen Zeugenaussage in der vergangenen Woche abgegeben. Morgen folgen ein dritter V-Mann-Führer und weitere Erklärungen zu Brandts Aussage.

Wir berichten morgen zusammenfassend.

24.09.2014

Zur Vernehmung des V-Mannes und THS-Gründers Tino Brandt – und dazu, was den Verfassungsschutz interessiert und was nicht.

Der letzte Tag der Vernehmung von Tino Brandt zeigte noch einmal die gesamte Dimension des NSU-Verfassungsschutzskandals. Von 1995 bis zu seiner Enttarnung im Jahr 2001 berichtete Brand als „beste“, wichtigste“, „bedeutendste“, als „Top-“Quelle des Amtes. In dieser Zeit lernte der schmierige Informant, der sich noch heute zur Naziideologie bekannt, immer so viel überprüfbare Angaben zu machen, dass diese noch als „Informationen“ gelten konnten, und gleichzeitig nur zu erzählen, was er für richtig hielt und was die lokale und überregionale Naziszene nicht gefährdete. Im Gegenteil: mindestens umgerechnet 140.000 € an staatlichen Geldern erhielt er und verwandte einen großen Teil davon zum Ausbau der von ihm geführten Naziorganisationen.

Welche Bedeutung die Zahlungen an Brandt hatten, erfragte Wohlleben-Verteidiger RA Klemke genüsslich: ja, so Brandt, staatliche Gelder seien verwendet worden, um NPD-Mitgliedsbeiträge zu bezahlen und damit Mehrheiten im NPD-Landesverband zur Durchsetzung einer bestimmten Politik zu beeinflussen. Dass diese Fragen wohl weniger der Verteidigung Wohllebens als der Verteidigung der NPD im laufenden Verbotsverfahren dienen, zeigt einmal mehr die Verbundenheit Wohllebens und seiner Verteidigung zur NPD. Natürlich wird es auch in dem laufenden Verfahren eine Rolle spielen, dass die Radikalisierung der NPD zum Teil durch V-Männer erfolgte. Brandt machte es offensichtlich Spaß, wieder einmal Politik zu machen.

Weiter berichtete er, der VS habe schon im Anwerbegespräch deutlich gemacht, dass er sich überhaupt nicht für Straftaten aus der Naziszene, sondern nur für Demonstrationen und Führungspersonal interessiere. Er habe Informationen geliefert, die das Amt auch auf anderem Wege einfach hätte herausfinden können. Diese Angaben sind absolut glaubhaft. Aus der Akte des Münchener Verfahrens ergibt sich, dass keine der Angaben Brandts zur Aufdeckung von Straftaten oder gar zu Festnahmen geführt hat. Selbst als Brandt angab, dass er demnächst an einer bestimmten Telefonzelle von den drei Untergetauchten, Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos angerufen werden sollte, eine Telefonüberwachung der Zelle also direkt zu dem Trio geführt hätte, unterblieb ein Versuch der Festnahme.

Wenn Brandt jetzt angibt, er und seine Kameraden hätten nur legale politisch Arbeit gemacht, ist seine Lüge offensichtlich: als Spiritus Rector gründete Brandt, damals schon eingebunden in eine bundesweite Struktur militanter Neonazis, die „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“, zunächst die „Anti-Antifa Ostthüringen“ und später den „Thüringer Heimatschutz“. Aus diesen Organisationen heraus werden „Feindadressen“ von vermeintlichen politischen Gegnern gesammelt, Hetzpropaganda betrieben und massenhaft und massiv Gewalt gegen politische Gegner ausgeübt. Ein anderer V-Mann betont, Brandt sei in Teilen der Naziszene als „Brandtstifter“ bezeichnet worden. Noch heute ist er stolz, wenn er von Schießübungen in Südafrika oder Frankreich berichtet.

Das Gericht hielt sich mit Fragen an Tino Brandt zurück. Es gab sich mit ausführlichen Schilderungen davon zufrieden, wie Brandt nach dem Abtauchen des Trios selbst und mit anderen Spenden sammelte und wie der oben genannte Telefontermin verabredet wurde. Die Bundesanwaltschaft stellte – wie zu erwarten – gar keine Fragen, ganz ihrer Linie folgend, die Anklage still und leise und ohne jegliche Kritik an Verfassungsschutz und Polizei abzuarbeiten.

Nur die Nebenklage arbeitete heraus, dass hier ein überzeugter Nazi nur erzählt, was er will und immer noch versucht, alle an der Nase herumzuführen. Sie setzt sich damit natürlich der Kritik aus, eine Verurteilung Zschäpes zu erschweren. Abgesehen davon, dass diese Gefahr weit überschätzt sein dürfte – eine einfachere Verurteilung darf ohnehin nicht um den Preis erkauft werden, dass politisch Verantwortliche sowie weitere Unterstützer und Mitglieder des NSU geschützt werden.

Abschließend stellt sich die Frage, warum der V-Mann Brandt so lange im Dienst des VS tätig sein konnte, obwohl er nur Belanglosigkeiten ablieferte. Dies ist wohl auch mit der innenpolitischen Situation in Thüringen während seiner Tätigkeit zu erklären. Regierung und Innenministerium waren von einem aggressiven Antikommunismus geprägt. Eine ausdrücklich gegen rechte Straftaten gegründete Polizeieinheit, die auch die Aufgaben hatte, Strukturen rechter Zusammenschlüsse zu beobachten, wurde aufgelöst. Nazigruppen wurden systematisch verharmlost, AntifaschistInnen politisch verfolgt. Der Pfarrer Lothar König mit seiner Jungen Gemeinde, die jahrelang vom Thüringer Heimatschutz angegriffen wurden, galten mehr als Störenfriede als die späteren Nazimörder. Die Brandanschläge und Pogrome gegen Nichtdeutsche wurden als Argument für die Abschaffung des Asylrechts genutzt.

Diese Politik wird heute, nicht nur mit dem unsäglichen Strafprozess gegen König wegen seines Engagements gegen den Naziaufmarsch in Dresden, fortgeführt. Bis heute wird die V-Mann-Politik der Verfassungsschutzbehörden aufrecht erhalten, werden damit Nazigruppen mit staatlichem Geld und staatlich bezahlten Funktionären versorgt. Und auch heute wird die rassistische Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge fortgesetzt. Eine Antwort auf die Verbrechen des NSU und die staatliche Mitverantwortung hierfür dagegen wäre es, endlich das Wahlrecht für alle Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, auch für die Bundestagswahl, einzuführen. Ein solcher Schritt wäre eine erste Konsequenz aus dem Skandal, die hinausgeht über bloße Lippenbekenntnisse oder eine Ausweitung der Befugnisse der Behörden, denen bei der Umsetzung ihrer Befugnisse nicht ansatzweise zu trauen ist.

Doch der deutsche Staat greift nur dann hart gegen politische Mörder durch, wenn dies die politische Stimmung in der Mitte der bundesdeutschen Gesellschaft befeuert. Während die Strafverfahren gegen die Strukturen, die den NSU unterstützt haben, weiter auf Eis gelegt sind, wird nunmehr diskutiert, die Personalausweise mutmaßlicher „Islamisten“ optisch zu kennzeichnen, damit diese das Land nicht verlassen können.

Hunderte von „Nichtdeutschen“ wurden in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland von Nazis und Rassisten erschlagen, verbrannt, erschossen oder auf andere Weise ermordet, Hunderte mehr schwer verletzt. Der deutsche Staat aber sieht die wahre Gefahr nach wie vor bei den MigrantInnen.