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23.09.2014

V-Mann Brandt: den Verfassungsschutz haben Straftaten der Naziszene nicht interessiert

Zunächst wurden heute ein Polizeibeamter und ein Richter aus Zwickau befragt, die die alte Frau vernommen hatten, die nur durch Zufall unverletzt aus dem brennenden Haus in der Frühlingsstraße geholt wurde.

Die Verteidigung Zschäpe versuchte mit großem Aufwand, die richterliche Vernehmung als fehlerhaft darzustellen, obwohl sich aus dieser lediglich ergibt, dass die alte Dame nicht mehr aussagefähig war. Dem Vernehmungsbeamten, der die Frau kurz nach der Tat vernommen hatte, versuchten die Zschäpe-Verteidiger eine Bestätigung zu entlocken, dass Zschäpe beim Verlassen des Hauses noch kurz bei der alten Dame geklingelt hatte. Juristisch könnte eine solche Feststellung allerdings nur ergeben, dass Zschäpe davon ausging, dass die alte Frau zu Hause war – und damit in dem Bewusstsein handelte, dass die alte Frau sterben könnte. Ein strafbefreiender Rücktritt kann aus einem einfachen Klingeln an der Haustür jedenfalls nicht abgeleitet werden.

Die Vernehmung des Zeugen Tino Brandt wird planmäßig morgen fortgesetzt. Wir werden morgen zusammenfassend berichten. Berichtenswert sind allerdings bereits zwei Aussagen des langjährigen V-Mannes Brandt, die deutlich machen, wie der Verfassungsschutz in Deutschland arbeitet, wenn es um Nazis geht.

Zu seiner „Nachrichtenehrlichkeit“ gab Brandt an, er habe sich in den Gesprächen mit dem LfV nicht weiter zu Straftaten geäußert. Den Verfassungsschutz habe das auch nicht interessiert, für den sei die Aufklärung von „Diskoschlägereien“ nicht interessant gewesen und habe nie nach Straftaten der Naziszene gefragt.

Außerdem habe er bereits in den frühen 1990ern einen „Führungskameraden“ aus der militanten Neonazi-Szene gehabt, dem er beispielsweise das Anwerbegespräch mit dem Thüringer LfV melden musste. Sein Führungskamerad sei Kai Dalek gewesen, von dem heute bekannt ist, dass er selbst V-Mann des Landesamtes Bayern war. Dalek sei Teil des bundesweiten Netzwerkes „Gesinnungsgemeinschaft der neuen Front“ (GdnF) unter Führung des Hamburger Neonazis Christian Worch gewesen und innerhalb der GdnF für die „Führung“ der Thüringer Szene zuständig gewesen.

Die deutschen Verfassungsschutzämter haben mehr als ein Jahrzehnt lang behauptet, es gäbe keinerlei bundesweite Organisation der militanten Neonaziszene, die im Hintergrund der verschiedenen Parteien die Aktivitäten koordiniert habe. Antifaschistische Gruppen hatten immer wieder auf die Bedeutung der GdnF hingewiesen. Die Vernehmung heute bewies erneut, dass sie hiermit Recht hatten – selbst Gruppen wie Blood and Honour wurden aus diesem im Hintergrund wirkenden Netzwerk heraus beeinflusst und gesteuert.

22.09.2014

Einblicke in die Jugend von Uwe Böhnhardt

Heute wurde nur ein Zeuge vernommen. Er war Anfang der 90er-Jahre als Jugendlicher in einer Gruppe krimineller Jugendlicher mit Uwe Böhnhardt und Enrico Teile. Theile war laut Anklage ein Bindeglied bei der Weitergabe der Ceska an Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Der Zeuge hatte bereits 1993 bei der Polizei ausgesagt, dass Böhnhardt, Theile und Länger Zugang zu Waffen hatten. Auch in seiner Aussage beim Bundeskriminalamt am 03.04.2012 bestätigt er diese Angaben.

Kurz nach der Aussage bei der Polizei 1993 wurde der Zeuge beim Geländefahren mit einem gestohlenen Auto lebensgefährlich verletzt. Seine Kameraden ließen ihn am Unfallort liegen in der Annahme, er werde dort sterben – wahrscheinlich hatten sie von seiner Zeugenaussage erfahren. Nur einer bekam ein „schlechtes Gewissen“ und rief die Polizei. Als der Zeuge danach im Krankenhaus lag, versuchten mehrere aus der Gruppe, zu ihm zu gelangen – seine Angehörigen nahmen an, dass sie ihn töten wollten, damit er keine weiteren Aussagen machen konnte. Der Zeuge erhielt Polizeischutz und um weiteren Übergriffen zu verhindern verbreitete seine Familie, er sei an seinen Verletzungen verstorben.

Heute bestätigte der Zeuge seine 2012 gemachten Angaben, wonach Böhnhardt sehr aggressiv auftreten konnte, andererseits aber selbst bei Autodiebstählen sehr geplant auftrat, und wonach Theile mehrere Waffen hatte. Es war aber auch spürbar, dass er seine Aussage aus 2012 in wesentlichen Teilen herunterspielen und Theile, Böhnhardt und andere weniger stark belasten wollte. Dieses Verhalten erklärt sich aus einer anderen Angabe des Zeugen: er habe bereits als Jugendlicher massiv Alkohol zu sich genommen, aber nach dem Unfall lange abstinent gelebt oder jedenfalls deutlich weniger getrunken. Nach seiner Zeugenaussage 2012 seien die damaligen Erlebnisse, auch der Unfall und die Drohungen, wieder hochgekommen. Er habe dann einen Rückfall gehabt und sehr viel getrunken, außerdem leide er unter Angstzuständen, sei erst seit kurzem wieder in Behandlung.

Die Angaben des Zeugen gaben wichtige Einblicke in den Alltag der Mischszene aus Nazis und Kriminellen in Jena. Sie bestätigten nicht nur erneut die erhebliche Gewaltbereitschaft Böhnhardts, sondern darüber hinaus auch, dass Theile in Jena ein logischer Ansprechpartner war, wenn es um Waffen ging.

22.-24.09.2014

In der kommenden Woche wird zunächst am Montag ein Zeuge gehört, der in den Jahren vor dem Untertauchen des Trios zum Freundeskreis Uwe Mundlos gehörte und von dessen Aggressivität und Gewalttätigkeit berichten soll. Am Dienstag sollen ein Polizeibeamter und ein Richter von der polizeilichen und richterlichen Vernehmung der alten Frau aus dem Haus Frühlingsstraße berichten, die nur durch glückliche Umstände unversehrt aus dem brennenden Haus gerettet wurde.

Den weiteren Dienstag und den gesamten Mittwoch soll die Vernehmung des V-Mannes und Gründers des Thüringer Heimatschutzes Tino Brandt vom 16.07.2014 fortgesetzt werden.

18.09.2014

Weiter zur Ceska und zu den Ermittlungen der „BAO Bosporus“

Heute sagte zunächst der Polizeibeamte weiter aus, der Hans-Ulrich Müller, laut Anklage Beschaffer der Ceska-Mordwaffe, vernommen hatte. In der letzten von ihm berichteten Vernehmung wurde Müller u.a. auch zu seinen Kontakten nach Thüringen befragt, u.a. zu Enrico Theile, der nächsten Station in der Ceska-Verkaufskette. Müller gab zu, Theile und auch andere Personen aus der Mischszene zwischen krimineller und Neonazi-Szene gekannt zu haben, stritt aber weiter ab, die Ceska besorgt zu haben. Seine Angaben widersprachen aber nicht nur denen seines Bekannten, sondern waren auch in sich widersprüchlich und unglaubhaft.

Dann wurde der Polizeibeamte Vögeler aus Nürnberg erneut befragt – er hatte am 1.8.2013 bereits zu den Ermittlungen in den Mordfällen Şimşek und Özüdoğru ausgesagt. U.a. ging es um eine Besprechung der „BAO Bosporus“, die in der Mordserie ermittelte, mit der Kriminalpolizei Köln zu Verbindungen zwischen der Mordserie und dem Nagelbombenanschlag in Köln – von dort waren ja Videoaufnahmen der Tatverdächtigen vorhanden. Die Ermittlungen zu möglichen Zusammenhängen blieben – wie überhaupt die Ermittlungen der BAO Bosporus – ohne Ergebnis. Der Vorschlag, eine Operative Fallanalyse zu der Mordserie und dem Nagelbombenanschlag durchzuführen, wurde von den Kölner Kollegen abgelehnt, weil man dann „Äpfel mit Birnen vergleichen“ müsste.

Auch zu den gemeinsamen Ermittlungen mit der Polizei aus anderen Bundesländern, v.a. aus Hamburg und Dortmund, wurde er befragt. Auch hier gab es zwar Besprechungen, auch diese führten aber zu keinen konkreten Ergebnissen – dies vor allem deshalb, weil auch hier nur in Richtung „Ausländerkriminalität“ ermittelt wurde. So waren etwa etwa von Familienangehörigen und Zeuginnen auf konkrete Hinweise auf Nazis als Täter gekommen – der Zeuge konnte oder wollte sich heute nicht einmal mehr daran erinnern, dass das Thema angesprochen worden war.

Zum Abschluss des Verhandlungstages stellte die Nebenklage drei umfangreiche Beweisanträge, die vor allem die Einbindung des „Trios“ in die Sächsische „Blood & Honour“-Szene thematisieren. So soll bewiesen werden, dass das Trio im gesamten Zeitraum des Aufenthaltes in Chemnitz vollständig in die dortige Naziszene integriert war, also sowohl an Freizeitaktivitäten als auch an politischen Diskussionen teilnahm, und sogar an der Erstellung von Magazinen und Propaganda mitwirkte. Dies wäre ein weiterer Beleg dafür, dass der NSU ein akzeptierter Teil der bundesdeutschen Naziszene war, dass diese Naziszene ganz bewusst zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele den bewaffneten Kampf als eine Strategie verfolgte und unterstützte. Dass sie dabei durch den V-Männer und Zahlungen der Verfassungsschutzämter unterstützt wurde, ist bereits bekannt.

16./17.09.2014

Zum Ursprung der Mordwaffe Ceska in der Schweiz

Gestern und heute sagten zwei Schweizer Polizeibeamte aus, die dort zwischen 2007 und 2012 diverse Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen zur Mordwaffe Ceska durchgeführt hatten. Hiernach war ursprünglicher Käufer der Schweizer Hans-Ulrich Müller, allerdings über einen Bekannten und mit dessen Waffenerwerbsschein. Dieser Bekannte gab nach jahrelangem Bestreiten 2012 endlich zu, für 400 Franken die Waffe (mit Schalldämpfer) für Müller bestellt zu haben. Müller habe ihm gesagt, er wolle die nach Deutschland verkaufen, er frage besser nicht weiter nach.

Müller seinerseits bestritt die Angaben seines Bekannten, verwickelte sich jedoch sehr schnell in Widersprüche. Er wurde im Februar 2012 von den Schweizer Behörden festgenommen und ihm wurde der Tatverdacht der Beihilfe zum Mord eröffnet. Daraufhin verwies er darauf, er sei in den 1990ern in Deutschland mit einer Ceska 7.65 mit Schalldämpfer festgenommen worden. Tatsächlich war er 1997 in Deutschland festgenommen worden – aber wegen Besitzes einer Luger 22 ohne Schalldämpfer. Der Hinweis auf die Ceska mit Schalldämpfer, die ja ab November 2011 in der Presse viel erwähnt wurde, zeigt, dass Müller selbst den Zusammenhang seiner Waffenlieferung zu den NSU-Morden kannte.

Die Verteidigungen Zschäpe und Wohlleben versuchten wortreich, vermeintliche Widersprüche in den Angaben des ersten Beamten aufzuzeigen, und widersprachen der Verwertung seiner Angaben zu den ersten Vernehmungen des Bekannten Müllers. Besonders verständlich ist dieses Vorgehen nicht: Gründe für ein Verwertungsverbot sind nicht wirklich erkennbar, vor allem aber würde ein solches der Verteidigung auch gar nichts nützen – denn seine Rolle beim Kauf der Waffe hatte der Beschuldigte ohnehin erst in einer späteren Vernehmung zugegeben.
Die Befragung des zweiten Beamten ist noch nicht abgeschlossen, sie wird morgen früh fortgesetzt.

05.09.2014

Zur Aussagestrategie von Enrico Theile

Erster Zeuge heute war ein BKA-Beamter, der den Zeugen Enrico Theile vernommen hatte. Theile, der laut Anklage an der Beschaffung der Ceska-Pistole beteiligt war, hatte in der Hauptverhandlung die bei den Zeugen aus der Naziszene verbreitete Strategie des Ausweichens und Nicht-Erinnern-Wollens verfolgt (vgl. Berichte vom 28.04. und 02.07.2014). Nun wurde ergänzend der Vernehmungsbeamte gehört.

Es ging vor allem um einen Satz aus dem Vernehmungsprotokoll, von dem Theile behauptete, er habe ihn so nicht gesagt: Auf die Frage, wieso er nach der Enttarnung des NSU befürchtete, verhaftet zu werden, antwortete er, diese Befürchtung sei entstanden, weil „die Waffen alle von Herrn Müller stammten.“ Laut Anklage hatte Theile die Waffe von Müller erhalten und über Länger an den Betreiber des Szeneladens „Madleys“ weitergegeben, von wo sie an Wohlleben und Schultze gingen. Der Polizeibeamte bestätigte, dass Theile diesen Satz genau so gesagt hatte. Insgesamt ergab sich, dass Theile auch in dieser Vernehmung von Anfang an gelogen hatte, insbesondere was seine Kenntnisse über die Verkaufskette der Ceska anging. Die Beteuerungen Theiles, er habe nichts mit der Waffenlieferung zu tun gehabt, sind mehr als unglaubwürdig, seine Aussage im Prozess ist offenkundig eine Falschausssage.

Der ältere Bruder von André und Maik Eminger – anders als seine Brüder nicht fest in der Naziszene verankert – verweigerte erwartungsgemäß die Aussage. Bei der Polizei hatte er Angaben gemacht und versucht, die Naziaktivitäten seiner Brüder zu verharmlosen.

04.09.2014

Zu den Ermittlungen gegen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in Jena und zur Durchsuchung am 26.01.1998

Der Thüringische Staatsschutzbeamte Dressler, der von 1997 bis 2001 als Leiter der EG Tex u.a. wegen mehrere Bombenattrappen gegen Mundlos, Zschäpe, Böhnhardt und andere Mitglieder der Kameradschaft ermittelte, sollte eigentlich nur eine Stunde lang vernommen werden, um danach die Vernehmung des Chemnitzer Thomas Rothe (29.07.2014) fortzusetzen. Die Vernehmung Dresslers dauerte aber bis nach 16 Uhr, Rothe wurde erneut unverrichteter Dinge nach Hause geschickt.

Dressler übernahm die Ermittlungen der vorher bestehenden SoKo Rex zu den verschiedenen Bomben- und Briefbombenattrappen und machte diese zur Grundlage der Arbeit seiner EG Tex. Hatte die SoKo Rex noch den Auftrag gehabt, neben konkreten Straftaten auch die Struktur der militanten rechten Szene aufzuklären, wurde diese Aufgabe mit der EG Tex ersatzlos gestrichen.

Der Tatverdacht richtete sich auf Grund der eindeutigen politischen Ausrichtung der Taten und diverser konkreter Indizien gegen Mitglieder der Kameradschaft Jena. Die EG Tex regte gegenüber der Staatsanwaltschaft an, auch den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung aufzunehmen, das wurde aber abgelehnt.

Die Ermittlungsgruppe sei davon ausgegangen, dass die Täter eine geheime Werkstatt hatten. Daher sollte Uwe Böhnhardt observiert werden, um diese Werkstatt zu finden. Das LKA konnte aber nur für drei Tage Beamte für eine Observation stellen, die folglich nichts ergab. Es stellte sich aber heraus, dass auch das Landesamt für Verfassungsschutz Böhnhardt observierte. Dressler fragte dort an und bat um weitere Observation und um Übergabe gerichtsverwertbare Ergebnisse. Tatsächlich lieferte das Landesamt später einen entsprechenden Bericht und benannte die Garage, klassifizierte diesen aber als geheim und ließ sich hiervon auch auf Bitten Dresslers nicht abbringen. Der legte den Bericht zur Seite und schrieb einen Vermerk, in dem er diese Erkenntnisse als polizeieigene darstellte. Auf dieser Basis erging dann ein Durchsuchungsbeschluss für die Garage.

Die Durchsuchung selbst war extrem schlecht vorbereitet. Dressler als Ermittlungsleiter war auf einer Fortbildung. Der zuständige Staatsanwalt hatte angeordnet, keinerlei strafprozessuale Handlungen ohne seine Genehmigung vorzunehmen, war dann aber am Durchsuchungstag nicht erreichbar, auch sein Stellvertreter zunächst nicht. Die durchsuchenden Beamten hatten nicht einmal Werkzeug zum Aufbrechen eines Vorhängeschlosses dabei und mussten die Feuerwehr zur Hilfe rufen. Insofern war es nicht verwunderlich, dass die Garage bei der Wohnung Böhnhardt früher als die Bombenwerkstatt durchsucht wurde. In dieser Garage stand Böhnhardts Pkw, mit dem dieser ungehindert wegfuhr. Die Beamten warteten dann in aller Seelenruhe auf die Feuerwehr, die die zweite Garage öffnete, in der Bomben und Bombenbaumaterial sowie diverse Nazi-Zeitschriften, viele davon von Zschäpe abonniert, und weitere Papiere wie etwa Adresslisten gefunden wurden.

Auf dieser Grundlage wurden am 28.01.1998 Haftbefehle erlassen, nach den drei Geflohenen gefahndet. Diese Fahndung blieb bekanntermaßen erfolglos, obwohl Informationen über den Aufenthalt der Drei in Chemnitz vorlagen. Die umfangreiche Adressenliste aus der Garage wurde nicht für die Ermittlungen genutzt, weil das BKA sie als „nicht verfahrensrelevant“ eingestuft hatte.

Sehr misstrauisch macht, dass der Verfassungsschutz auf der Geheimhaltung des Berichts über die Observation Böhnhardts und die Entdeckung der Garage bestand, obwohl Dressler mehrfach eindringlich um Herabstufung bat – welches besondere Geheimhaltungsinteresse sollte an den Ergebnissen einer Observation bestehen? Hinzu kommt, dass das Gelände, auf dem sich die Garage befand, umzäunt und schwer einsichtig war, so dass eine Identifizierung der Garage nur anhand einer Observation schwer möglich erscheint. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass es sich in Wirklichkeit nicht um Ergebnisse einer Observation, sondern um Angaben eines V-Mannes aus dem direkten Umfeld der „Drei“ handelte. Der Zeuge wollte diese Möglichkeit nicht bestätigen, konnte sich aber auch keinen Reim auf das Verhalten des Verfassungsschutzes machen.

Die Verteidigungen Zschäpe und Wohlleben widersprachen der Verwertung der Aussage des Zeugen zu den sichergestellten Beweismitteln, weil der Beamte die geheimen Informationen des Landesamtes als sein eigenes Wissen ausgegeben hatte.

06.08.2014

Zum Mord an Halit Yozgat: Massive Behinderung der Ermittlungen durch den Verfassungsschutz. Und: Temme wusste mehr, als er zugibt.

Am letzten Verhandlungstag vor der Sommerpause des Gerichts wurden auf Antrag der Nebenklage Yozgat zwei Kriminalbeamte aus Kassel zu den Ermittlungen im Mordfall Yozgat vernommen.

Aus den beiden Aussagen ergab sich zum einen eindeutig, dass der Verfassungsschutz die Ermittlungsarbeit der Polizei massiv behinderte. Insbesondere ging es um die V-Leute des VS-Mitarbeiters Temme, der am Tatort gewesen war und gegen den damals wegen Mordes ermittelt wurde. Die Kripo wollte nun seine V-Leute vernehmen. Die Verfassungsschützer verweigerten dies, boten aber in klassischer Geheimdienstmanier der Kripo an, die V-Leute könnten ja vom VS vernommen werden und Kripo-Beamte könnten „legendiert“ als VS-Mitarbeiter hieran teilnehmen – ein Vorschlag, den die Kripo ablehnte, wäre doch eine solche Vernehmung im Falle eines Gerichtsverfahrens praktisch nichts wert gewesen. Die Verfassungsschützer vertraten in Besprechungen mit der Kripo auch die Auffassung, es gäbe keinen Grund für eine Entlassung Temmes, vielmehr sei damit zu rechnen, dass er schon bald wieder aktiv für den VS arbeiten werde – dies wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt, zu dem Temme Beschuldigter in einem Mordverfahren war und zu dem klar war, dass er über seine Wahrnehmungen am Tatort gelogen hatte. Für den Verfassungsschutz war also offensichtlich der Schutz ihres Mitarbeiters und einiger V-Leute um einiges wichtiger als die Aufklärung einer Mordserie.

Zum anderen ergab sich, dass Temme mehr von dem Mord an Halit Yozgat mitbekommen haben muss, als er bei der Polizei oder später vor Gericht zugegeben hat. Einer der Beamten berichtete von einem „kognitiven Interview“ eines Psychologen mit Temme, mit dem möglicherweise „verschüttete“ Erinnerungen hervorgeholt werden sollten. Das habe aber nichts erbracht, der Eindruck des Psychologen sei gewesen, dass Temme sich auf das Interview nicht eingelassen habe.

Insbesondere aber ergab sich, dass Temme bereits am Montagvormittag nach dem Mord einer Kollegin berichtet hatte, die Tatwaffe sei bereits bei mehreren anderen Morden eingesetzt worden. Dies konnte er aber zu diesem Zeitpunkt weder aus der Presse erfahren haben – die berichtete hierüber erst am Montagnachmittag – noch von Polizeibeamten – mit denen sprach er erst nach dem Gespräch mit der Kollegin. Wie die Nebenklage Yozgat richtig zusammenfasste, gibt es letztlich nur zwei Erklärungen: entweder hat Temme als Augenzeuge mehr von dem Mord mitbekommen, als er zugibt, und will dies aus irgendeinem Grund verschweigen – oder er hat Täterwissen. Das Gericht wird nicht umhinkommen, dieser Frage weiter nachzugehen.

Die Hauptverhandlung wird am 4. September fortgeführt.

05.08.2014

Leugnen und Verharmlosen IX – Jürgen Länger

Erneut wurde heute der Zeuge Länger vernommen. Heute erschien er, wie einige Zeugen vor ihm, in Begleitung von Rechts-Anwalt Jauch. Laut Anklage soll Länger die Ceska-Pistole, mit der die rassistischen Morde des NSU begangen wurden, von dem zuletzt vernommenen Zeugen Theile übernommen und an den Inhaber des rechten Szeneladens „Madley“, den Zeugen Schultz, verkauft haben. Länger wollte zunächst gar keine Fragen beantworten, weil immer noch gegen ihn ermittelt werde. Die Verteidigungen Zschäpe und Wohlleben sprangen ihm bei: nach der Anklageschrift habe Länger den objektiven Tatbestand der Beihilfe zum Mord erfüllt, und der Vorsatz sei ja „ein weites Feld“, so Wohlleben-Verteidiger Klemke. Dies gilt natürlich erst recht für seinen Mandanten, der ja nach der bisherigen Beweisaufnahme (vgl. Bericht vom 03.07.2014) die Waffe durch Schultze an Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt liefern ließ und der ideologisch noch viel näher am Trio war als Länger.

Das Gericht sah das anders und forderte den Zeugen auf, zu der Waffenlieferung an Schultz auszusagen. Er stritt – wie schon in seiner Vernehmung beim BKA – eine solche Lieferung vehement ab. Er kenne auch Schultze nur flüchtig. Theile kenne er schon länger, bis vor 2 Jahren eher flüchtig, „jetzt verbindet uns der NSU”.

Insgesamt versuchte Länger, sich als Opfer von Presse und BKA darzustellen, als „politisch neutralen“ Menschen, der nur des Abenteuers wegen Naziaufmärsche, aber auch linke Demos besucht habe. Weder er noch Theile hätten jemals etwas mit Waffen zu tun gehabt. Der Vorsitzende hielt ihm Passagen aus seinen polizeilichen Vernehmungen, von der Auswertung seiner Festplatte usw. vor, in denen sich das Ganze deutlich anders darstellte – danach war Länger Teil der „alten rechten Szene“ Jenas, hatte entsprechende Dateien auf seinem Rechner, hatte in seiner Vernehmung angegeben, von Theile und Waffen habe er mal gehört usw. Länger redete sich heraus: die anderen Zeugen würden lügen, die Polizei habe einfach irgendwelche Aussagen in das Vernehmungsprotokoll reingeschrieben. Als er mit Chatprotokollen konfrontiert wurde, in denen er noch 2011 mit der Grußformel „Sieg H…“ Gespräche beendet hatte, versuchte Länger, sich herauszureden, der Gesprächspartner sei Österreicher gewesen, da sei das halt so üblich.

Durch beharrliche Nachfragen der Nebenklage konnten aber – trotz Versuchen des Wohlleben-Verteidigers Klemke, mit sinnlosen Beanstandungen die Befragung zu torpedieren – dennoch einige Details aufgeklärt werden:

Hatte Länger anfangs noch bestritten, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos überhaupt gekannt zu haben oder auch nur Teil der Jenaer Naziszene gewesen, und hatte er behauptet, nie etwas mit Waffen zu tun gehabt zu haben, so war am Schluss klar, dass er seit den frühen 90er Jahren eng mit Mitgliedern des Thüringer Heimatschutzes verbunden war und er jedenfalls bei einer Demonstration eine Schusswaffe mit sich geführt hatte. Auf einem in seiner Wohnung gefundenen Computer befand sich ein Video von einem Nazifußballturnier, auf dem André Kapke, Uwe Böhnhardt sowie der Angeklagte Holger Gerlach zu sehen sind. Es liegt damit nahe, dass der Zeuge auch die bekannten Mitglieder des NSU persönlich kannte. Die Indizien, die dafür sprechen, dass die Ceska aus der Schweiz über Theile, Länger und Schulz an Schultze und Wohlleben gelangte, wurden durch die an den Haaren herbeigezogenen Ausflüchte des Zeugen Länger eher bestätigt als widerlegt. Ob der Zeuge persönlich mit seinen Ausflüchten durchkommen wird oder ob auch er mit einem Verfahren wegen Falschaussage wird rechnen müssen, bleibt abzuwarten.

Die Verteidigung Wohlleben beantragte die Vereidigung des Zeugen Länger im Hinblick auf die „ausschlaggebende Bedeutung“ seiner Aussage – kein Wunder, ist doch Länger der einzige, der der Aussage von Schultz und dem Angeklagten Carsten Schultze widerspricht, wonach Wohlleben die Waffe für die Drei federführend besorgte. Allerdings ist auf die mehr als unglaubhafte Aussage Längers ohnehin nicht viel zu geben, wie auch die Generalbundesanwaltschaft in ihrer Stellungnahme feststellte. Das Gericht entschied sich gegen eine Vereidigung, da Zeugen, die der Beteiligung an der angeklagten Tat verdächtig sind, nicht vereidigt werden dürfen.

Einen weiteren Hinweis darauf, dass er nicht so harmlos und unpolitisch ist, wie er sich darzustellen versuchte, gab Länger nach der Verhandlung vor dem Gerichtsgebäude: Er bepöbelte einen Journalisten, der seine Adresse herausbekommen hatte, und drohte ihm, er solle ja nicht noch einmal nach Jena kommen. Auch Länger’s Begleiter teilte mit drohendem Unterton mit, „man sieht sich immer zweimal“ – und stellte sich im Gehen mit dem Namen Rosemann vor. Demnach handelte es sich wohl um Sven Rosemann, einen alten Freund Längers der bereits zur Gründung des THS in der Thüringer Naziszene sehr aktiv war und auch wegen seiner Begeisterung für Waffen als besonders gefährlich galt.