Schlagwort-Archive: Blood and Honour

20.11.2014

Lügen und Verharmlosen IX – Musikfreunde in Sachsen

Der Tag begann mit einer Darstellung der „Waffenvorlage“ im Februar 2012, bei der der Angeklagte Schultze anhand vorgelegter Waffen mit und ohne Schalldämpfer die Tatwaffe Ceska 83 vom Typ her „identifizieren“ sollte. Das fragwürdige Unternehmen, bei der Waffen aus der „Sammlung“ des BKA vorgelegt wurden, lieferte erwartungsgemäß keinen Beweiswert.

Danach wurde die Zeugin Antje Probst vernommen, die nach Aussagen des V-Mannes Carsten Szczepanski an der Unterstützung der untergetauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt mitgewirkt hat. Sie soll Zschäpe einen Reisepass zum Verlassen des Landes angeboten haben.

Die Vernehmung der Zeugin wurde nach stundenlanger Befragung durch den Vorsitzenden unterbrochen und wird am 10.12.2014 fortgesetzt. Probst verharmloste ihre Aktivitäten bis zur Grenze des Erträglichen und darüber hinaus. Bezeichnend war eine Situation, in der sie abstritt, den Angeklagten Eminger und seinen Bruder zu kennen – auf Vorhalt des Vorsitzenden, bei der Polizei habe sie zugegeben, die beiden zu kennen, entgegnete die Zeugin: „Oh Scheiße! Jetzt steht natürlich meine Glaubwürdigkeit total in Frage.“

Weiter versuchte Probst dem Gericht vorzugaukeln, „Blood & Honour“ sei für sie keine politische Betätigung gewesen: „Wir saßen in einer Kneipe und waren der Meinung, es wäre schön, ein paar musikalische Veranstaltungen zu haben…“ Andere aus der Gruppe hätten vielleicht politische Ziele gehabt: „Vielleicht eine weiße Welt, Menschen mit weißer Hautfarbe, könnte ich mir vorstellen, dass es vielleicht bei manchen eine Rolle gespielt hat.“ Gemeinsam habe man damals ein bis zwei Konzerte im Monat durchgeführt, mit 40 bis 400 Besuchern.

Sie beteuerte, die drei Untergetauchten nie wahrgenommen oder getroffen zu haben – und das obwohl ihr ein Foto vorgelegt wurde, auf dem sie bei einer Party oder Konzert neben Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zu sehen ist. Sie will auch nicht mitbekommen haben, dass die Drei in Chemnitz untergekommen waren, ebenso wenig von Waffen, von einer Unterstützung der Drei oder von Spendensammlungen.

Spannend war die Angabe, irgendwann im Jahr 1997 oder 1998 habe Carsten Szczepanski mitgeteilt, aus den Einnahmen von Konzerten fehlten 20.000 DM. Sie habe damals vermutet, dass er selbst das Geld privat verwandt habe. Allerdings habe ihr enger Freund Jan Werner (ebenfalls „B&H“) gesagt, „Du spinnst wohl, niemand hat das Geld geklaut“, und mit den Worten „Halt die Fresse“ eine weitere Diskussion verhindert haben. Die gewaltverherrlichenden Konzerte spielten also offensichtlich viel Geld in die Kassen der Organisation – dies könnte der Grundstock der Unterstützung des späteren NSU gewesen sein.

Vor der weiteren Vernehmung von Probst werden zunächst ihr damals ebenfalls in der Nazimusikszene aktiver Ex-Ehemann und der V-Mann Carsten Szczepanski vernommen werden – dies wird zu einer konfrontativen Befragung führen.

11.11.2014

Mehr Einblicke zu Tino Brandt und zum „Thüringer Heimatschutz“

Heute wurde erneut der hauptsächliche V-Mann-Führer von Tino Brandt, damals Führer des „Thüringer Heimatschutzes“ und V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes, vernommen.
Vor allem ging es noch einmal um die Unterstützung der untergetauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt durch Brandt und die anderen Mitglieder des THS. Die diversen „Deckblattmeldungen“ über Berichte Brandts bestätigten erneut, dass diverse „Kameraden“ aus Jena und Chemnitz in die Unterstützung eingebunden waren und das Landesamt schon damals genug Informationen hatte (Kontaktpersonen, Telefonnummern usw.), um die „Drei“ in Chemnitz zu suchen und zu finden.

Ansonsten glänzte der inzwischen pensionierte „Verfassungsschützer“ immer wieder mit Erinnerungslücken, vor allem, wenn es um das Verhalten des VS im Zusammenhang mit rechten Straftaten ging. Die Polizei hatte sich bekanntlich beschwert, dass der VS häufig Quellen vor bevorstehenden Durchsuchungen gewarnt hatte. Der Zeuge hatte im Untersuchungsausschuss des Bundestages noch geäußert, gegen Brandt seien ca. 30 Ermittlungsverfahren geführt worden, von denen keines zu einer Verurteilung geführt habe – aber damit könne man leben. Heute wollte er nicht mehr wissen, was er damit gemeint habe. Auch auf Vorhalte aus anderen Quellen, wonach das Thüringische Landesamt u.a. eine USA-Reise Tino Brandts finanziert habe, antwortete der Zeuge, er könne sich nicht erinnern.

Auch Fragen zu einem Anwerbevorgang mit dem Codenamen „Delhi“ – der Geburtsstadt des Angeklagten Carsten Schultze – wich der Zeuge aus und wollte sich nicht erinnern.
Deutlich wurde – erneut – dass zumindest das LfV Thüringen ein sehr enges, fast freundschaftliches Verhältnis zu ihren Naziquellen unterhielt. Brand musste nichts erzählen, was er nicht erzählen wollte. Im Übrigen war dem Amt völlig klar, dass zu den Unterstützern der drei Abgetauchten die „Blood & Honour“-Szene in Chemnitz zählte. Offensichtlich gab es keinen wirklichen Willen, Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos festzunehmen und die militanten Nazistrukturen in Thüringen zu zerschlagen.

06.11.2014

Blood and Honor und Combat 18 in Dortmund

Die Nebenklage stellte heute wichtige Beweisanträge zur möglichen Tatbeteiligung der Dortmunder Naziszene unter anderem am Mord an Mehmet Kubaşik. Zum Zeitpunkt der NSU-Morde existierte in Dortmund eine gut organisierte, militante Naziszene. Um die Band Oidoxie trat unter dem Namen „Streetfighting Crew“ eine fest organisierte Gruppe auf. Um diese Gruppe wurde auch eine „Combat 18“-Gruppe aufgebaut, die aus der Ideologie von Blood and Honour den bewaffneten Kampf als Ziel anstrebte. Die Gruppen waren fest eingebunden in das bundesweite und internationale Blood and Honour-Netzwerk und hätten über diese Verbindung, beispielsweise aus Belgien, Waffen beziehen können.

Als Zeuge gehört werden soll unter anderen der Neonazi und V-Mann des Verfassungsschutzes Sebastian Seemann. Dieser wurde bereits am 13. Dezember 2011 vernommen und machte Angaben über den Aufbau einer Combat-18-Zelle in Dortmund durch den Sänger der Band Oidoxie. Zu einer Zeit, als in der Öffentlichkeit noch nicht über die „Turner Tagebücher“ diskutiert wurde, wies der Zeuge Seemann darauf hin, dass die „Mordserie an den türkischen und dem griechischen Einzelhändlern“ der Beschreibung von Anschlägen aus den Turner Tagebüchern entspricht. Außerdem machte der Zeuge Seemann konkrete Angaben über die mögliche Herkunft der beiden Mordwaffen, nämlich der umgebauten Bruni, die in 9 der NSU-Morde zum Einsatz kam und der TT33 (Mordfall Heilbronn),und bat darum, Bilder dieser Waffen vorgelegt zu bekommen, um seine Angaben konkretisieren zu können.

Seemann nahm zusammen mit seinem guten Freund Michael Berger, der am 16. Juni 2000 drei Polizisten in Dortmund erschoss, an Schießübungen teil .Der Zeuge Robin Schmiemann, der zwischenzeitlich Briefkontakt zu Beate Zschäpe hatte, gab an, dass ihn der Zeuge Seemann zu einem Raubüberfall am 2. Februar 2007 angestiftet und ihm dafür die Waffe besorgt habe. Mit dieser Waffe schoss Schmiemann auf einen tunesischen Kunden im Laden.

Über die gestellten Beweisanträge soll auch überprüft werden, inwieweit Seemann bereits 1997 Kontakt zu einzelnen Angeklagten bzw. zum NSU hatte. Der Aufbau einer „Combat 18“ Zelle in Dortmund mit Zugang zu Waffen im Jahr 2006 ist ein Indiz dafür, dass es Verbindungen zwischen dem NSU und militanten Neonazizellen in Dortmund gegeben hat, über die Informationen über Dortmund als möglichen Tatort des NSU geflossen sind. Bis heute ist nicht nachvollziehbar, wie die NSU-Mörder den Tatort in Dortmund ausspioniert haben. Unterlagen, aus denen sich eine sorgfältige Ausspähung des Tatortes ergäben, wurden nicht gefunden.

Als weiterer Zeuge soll der Sänger und Anführer der 1995 gegründeten Dortmunder Neonaziband „Oidoxie“ gehört werden.Die Band „Oidoxie“ gehörte zum „Blood and Honour“-sowie zum “Combat 18“-Netzwerk, also der Organisation, die nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme das Trio unmittelbar nach deren Untertauchen in Sachsen unterstützt hat. Es ist daher davon auszugehen, dass dasselbe Netzwerk zumindest Teil eines Unterstützerumfeldes gewesen ist, welches die Täter bei den Morden vor Ort –in diesem Fall in Dortmund -unterstützt hat.

Es ist unklar, ob der Senat diesen Anträgen, sowie den weiteren Anträgen, die insbesondere auf Beiziehungen von Akten zu den genannten Personengruppen gerichtet sind, nachkommen wird – eine solche Beweisaufnahme wäre eine endgültige Absage an die in der Anklage vertretene These, der NSU sei eine isolierte Gruppe gewesen und habe nur aus drei Personen und wenigen Unterstützern bestanden. Der Senat würde sich damit noch klarer ,als bislang ohnehin schon geschehen, gegen die Bundesanwaltschaft positionieren. Allerdings drängt sich diese Beweisaufnahme durchaus auf und der Senat hat inzwischen mehrfach ein tiefergehendes Interesse an den Verbindungen zwischen dem NSU und militanten Naziorganisationen wie Blood and Honour entwickelt.

Ein Dortmunder Polizeibeamter, der in der Nacht nach der Tat in Dortmund einen telefonischen Hinweis notiert hatte, konnte sich zwar an nichts erinnern, war aber sicher, dass alles was er damals notiert hat richtig war.

Die Fortsetzung der Vernehmung des ehemaligen Mitglieds des THS und Gewährsperson des Thüringer Verfassungsschutzes Andreas Rachhausen (vgl. blog vom 23.07.2014) brachte in der Sache keinen Fortschritt. Rachhausen war laut des damaligen Leiters des polizeilichen Staatsschutzes in Saalfeld-Rudolstadt „einer der gefährlichsten Rechtsextremisten zu der damaligen Zeit“. In seinen Vernehmungen spielte Rachhausen seine Aktivitäten herunter. Er hatte sich selbst über einen längeren Zeitraum einem Haftbefehl entzogen und war in Belgien, USA und Dänemark untergetaucht. Festgenommen wurde er schließlich 1994 bei dem auf der Flucht vor der deutschen Justiz nach Dänemark verzogenen Holocaustleugner Thies Christophersen, dem er, so seine Aussage, beim Versandt von Zeitungen half. Die Thüringer Naziszene war bereits zu diesem Zeitpunkt bundesweit und international vernetzt und verfügte über einige Erfahrung im „Untertauchen“ auf der Flucht vor der Polizei. Das Trio konnte sich im Thüringer Heimatschutz diese Erfahrung aneignen.

07.10.2014

Erneut „Blood and Honour“ Chemnitz – erneut Leugnen und Verharmlosen

Erneut wurde heute der Chemnitzer Thomas Rothe vernommen, bei dem Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in ihrer Anfangszeit in Chemnitz, direkt nach ihrem Abtauchen, Unterschlupf gefunden hatten. Rothe versuchte weiterhin (vgl. die Berichte vom 01.04.2014 und vom 29.07.2014), alle Fragen mit dumpfem „kann mich nicht erinnern“ abzuwehren. Dies gelang ihm auch erneut, zumindest beim Vorsitzenden Richter Götzl, recht gut.

Die Verteidigung Zschäpe zeigte erneut, offensichtlich angetrieben durch die Unzufriedenheit ihrer Mandantin, etwas mehr an Aktivität und ließ dabei offensichtlich Wissen ihrer Mandantin einfließen. So hielt Rechtsanwältin Sturm dem Zeugen vor: „Nach meinen Erkenntnissen soll Herr Mundlos einmal mehrere Wochen bei Ihnen gewohnt haben.“ Rothe allerdings hatte nicht vor, zur Aufklärung beizutragen, und verneinte auch dies.

Immerhin führte Rothe auf Frage der Verteidigung Zschäpe aus, dass er nicht nur das Trio in Chemnitz aufgenommen hatte, sondern die drei auch in deren späteren Wohnungen in Chemnitz und in Zwickau mehrmals besucht hatte. Mit Mundlos alleine habe er sich in der gesamten Zeit, also über zwei Jahre lang, öfter getroffen, sie seien Freunde gewesen. Mundlos habe ihm auch ein paarmal bei Layoutproblemen am Computer geholfen – vermutlich bei Layouts seines eigenen Naziblättchens „Sachsens Glanz“ oder des „B&H“-Blattes White Youth.

Es war wieder mal der Nebenklage vorbehalten, die Einbindung des Zeugen in die militante Naziszene herauszuarbeiten. Rothe war in einem Zeitraum von zwei Jahren zumindest „Anwärter“ bei „Blood & Honour“, kannte die wichtigen Leute, beteiligte sich nicht nur an Konzerten, sondern auch am Layout von Publikationen. Durch sein eigenes Fanzine „Sachsens Glanz“, so schilderte er, wurden ihm viele andere Zeitschriften und Tonträger zugeschickt. Die in seinem Heft nachzulesenden Besprechungen von Fanzines und Musik zeigen eine Sammlung der aggressivsten, gewaltverherrlichenden neonationalsozialistischen Propaganda der damaligen Zeit.

An einer Stelle log Rothe nachweislich: mehrfach gab er an, er habe erst durch die Fernsehsendung „Kripo live“ am 22.02.1998 erfahren, dass „die Drei“ u.a. wegen dem Aufhängen einer Puppe gesucht wurden. Mit den dreien selbst habe er darüber nicht gesprochen. In der „Kripo Live“-Sendung, die in einer früheren Hauptverhandlung bereits vorgeführt wurde, taucht allerdings der Puppentorso an der Autobahnbrücke gar nicht auf.

Die nachfolgende Vernehmung eines Polizeibeamten, der Enrico Theile vernommen hatte, brachte nichts Neues.

Zum Abschluss gab die Nebenklage eine Erklärung zur Vernehmung Tino Brandt ab und betonte die Bedeutung von Brandts Aussage zur „Gesinnungsgemeinschaft der neuen Front“ (vgl. Blog vom 30.09./01.10.2014).

Die Bundesanwaltschaft nahm Stellung zu Beweisanträgen der Nebenklage und erklärte sich mit der Vernehmung mehrerer Zeugen einverstanden. Dies betrifft insbesondere GndF-Kader Kai Dalek, der auch lange Jahre V-Mann des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz war.

18.09.2014

Weiter zur Ceska und zu den Ermittlungen der „BAO Bosporus“

Heute sagte zunächst der Polizeibeamte weiter aus, der Hans-Ulrich Müller, laut Anklage Beschaffer der Ceska-Mordwaffe, vernommen hatte. In der letzten von ihm berichteten Vernehmung wurde Müller u.a. auch zu seinen Kontakten nach Thüringen befragt, u.a. zu Enrico Theile, der nächsten Station in der Ceska-Verkaufskette. Müller gab zu, Theile und auch andere Personen aus der Mischszene zwischen krimineller und Neonazi-Szene gekannt zu haben, stritt aber weiter ab, die Ceska besorgt zu haben. Seine Angaben widersprachen aber nicht nur denen seines Bekannten, sondern waren auch in sich widersprüchlich und unglaubhaft.

Dann wurde der Polizeibeamte Vögeler aus Nürnberg erneut befragt – er hatte am 1.8.2013 bereits zu den Ermittlungen in den Mordfällen Şimşek und Özüdoğru ausgesagt. U.a. ging es um eine Besprechung der „BAO Bosporus“, die in der Mordserie ermittelte, mit der Kriminalpolizei Köln zu Verbindungen zwischen der Mordserie und dem Nagelbombenanschlag in Köln – von dort waren ja Videoaufnahmen der Tatverdächtigen vorhanden. Die Ermittlungen zu möglichen Zusammenhängen blieben – wie überhaupt die Ermittlungen der BAO Bosporus – ohne Ergebnis. Der Vorschlag, eine Operative Fallanalyse zu der Mordserie und dem Nagelbombenanschlag durchzuführen, wurde von den Kölner Kollegen abgelehnt, weil man dann „Äpfel mit Birnen vergleichen“ müsste.

Auch zu den gemeinsamen Ermittlungen mit der Polizei aus anderen Bundesländern, v.a. aus Hamburg und Dortmund, wurde er befragt. Auch hier gab es zwar Besprechungen, auch diese führten aber zu keinen konkreten Ergebnissen – dies vor allem deshalb, weil auch hier nur in Richtung „Ausländerkriminalität“ ermittelt wurde. So waren etwa etwa von Familienangehörigen und Zeuginnen auf konkrete Hinweise auf Nazis als Täter gekommen – der Zeuge konnte oder wollte sich heute nicht einmal mehr daran erinnern, dass das Thema angesprochen worden war.

Zum Abschluss des Verhandlungstages stellte die Nebenklage drei umfangreiche Beweisanträge, die vor allem die Einbindung des „Trios“ in die Sächsische „Blood & Honour“-Szene thematisieren. So soll bewiesen werden, dass das Trio im gesamten Zeitraum des Aufenthaltes in Chemnitz vollständig in die dortige Naziszene integriert war, also sowohl an Freizeitaktivitäten als auch an politischen Diskussionen teilnahm, und sogar an der Erstellung von Magazinen und Propaganda mitwirkte. Dies wäre ein weiterer Beleg dafür, dass der NSU ein akzeptierter Teil der bundesdeutschen Naziszene war, dass diese Naziszene ganz bewusst zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele den bewaffneten Kampf als eine Strategie verfolgte und unterstützte. Dass sie dabei durch den V-Männer und Zahlungen der Verfassungsschutzämter unterstützt wurde, ist bereits bekannt.

31.07.2014

Noch einmal zu „Blood & Honour“ Chemnitz

Die Verhandlung begann heute später, weil zuerst noch der Beschluss des anderen Senats zu den Befangenheitsgesuchen abgewartet werden sollte. Dieser Senat verwarf – wenig überraschend – die Gesuche als unbegründet. Damit ist auch das vierte Befangenheitsgesuch der Verteidigung Zschäpe abgeschmettert worden.

Danach wurde zunächst der letzte Vernehmungsbeamte von Thomas Starke, „Blood & Honour“-Aktivist aus Chemnitz, vernommen. Insbesondere ging es um einen DNA-Treffer aus der Frühlingsstraße, der die Möglichkeit aufgeworfen hatte, dass Starke bzw. einer seiner Söhne in der Wohnung gewesen war – das stellte sich aber im Nachhinein als falsch heraus. Obwohl diese Vernehmung also für den Prozessausgang völlig irrelevant ist, stellten die Verteidigungen Zschäpe und Wohlleben über eine halbe Stunde sinnlose Nachfragen zum Vorgehen der Polizeibeamten.

Nachdem Starkes Aussagen bei der Polizei jetzt vollständig in das Verfahren eingeführt sind, gab die Nebenklage eine Erklärung zu den Angaben Starkes ab.

Letzter Zeuge diese Woche war ein BKA-Beamter, der die Nachbarin des NSU in der Zwickauer Frühlingsstraße befragt hatte – da sich der Gesundheitszustand der alten Dame nach dem Brand erheblich verschlechtert hat und sie nun nicht mehr vernehmungsfähig ist, werden jetzt die Beamten befragt, die mit ihr gesprochen haben. Nach dem bisherigen Stand der Beweisaufnahme spricht alles dafür, dass die Nachbarin durch den Brand und die Explosion, die Zschäpe ausgelöst hatte, erheblich gefährdet wurde – die Angaben des heutigen Zeugen fügten sich in dieses Bild ein.

29.07.2014

Befangenheitsantrag der Angeklagten Zschäpe – viel Lärm um Nix

Der heutige Hauptverhandlungstag war weitgehend unergiebig:

Die Vernehmung des Zeugen Thomas Rothe, eines der ersten Unterstützer der Drei aus Blood and Honour-Kreisen in Chemnitz, musste erneut unterbrochen werden und wird an einem anderen Termin fortgesetzt. Rothe wurde nicht müde zu betonen, dass das doch jetzt alles 14 Jahre her sei und er damals eh nicht viel mitbekommen habe – er gab aber immerhin auch zu, dass er durchaus „zwei, drei Konzerte“ von Blood and Honour mitorganisiert hatte. Der Vorsitzende Richter kommentierte einen Ausschnitt aus einer früheren Vernehmung Rothes durch die Polizei mit den Worten: „Da haben sie ja glatt gelogen!“ Man kann gespannt sein auf die Fortsetzung dieser Vernehmung.

Es wurde dann ein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof vernommen, der 2011 den Mieter der Zwickauer NSU-Wohnungen und vermutlichen NSU Unterstützer Matthias Dienelt vernommen hatte. Diese Vernehmung gab der Verteidigung Zschäpe Gelegenheit, zu zeigen, dass sie ihre Mandantin „mit allen Mitteln verteidigen“ (so die Wertung in der Süddeutschen Zeitung) – auch mit Befangenheitsgesuchen, von denen sie wissen müssen, dass sie nicht den Hauch einer Chance auf Erfolg haben können. Der Vorsitzende hatte dem Zeugen längere Abschnitte aus dem damaligen Protokoll vorgehalten und von diesem bestätigen lassen, andere Abschnitte, darunter zwei, die nach Ansicht der Verteidigung für Beate Zschäpe entlastend sein sollten, dagegen nicht. Damit habe er seine Voreingenommenheit gezeigt, und da die anderen Mitglieder des Gerichts ebenfalls keine Fragen hierzu gestellt hätten, gelte das gleich auch für die. Nun mag man von der Tendenz des Vorsitzenden, vielen Zeugen größere Teile ihrer Vernehmungsprotokolle vorzulesen und sich „abnicken“ zu lassen, halten, was man will – eine Befangenheit daraus abzuleiten, dass er die Protokolle nicht vollständig vorliest, ist hanebüchen, kann doch die Verteidigung in ihrer Befragung etwaige Lücken jederzeit schließen. Außer zur „Klimapflege“ innerhalb der Verteidigung Zschäpe war dieser Antrag also zu nichts gut.

Über das Ablehnungsgesuch wird ein anderer Senat des Gerichts zu entscheiden haben. Die Hauptverhandlung und auch die Vernehmung des Ermittlungsrichters wurden einstweilen fortgesetzt. Wer nun erwartet hatte, dass die Verteidigung die angeblich entlastenden Aspekte der Aussage Dienelts herausarbeiten würde, wurde enttäuscht – statt dessen verloren sie sich in vagen Ausführungen zum Unterschied zwischen „rechtsradikalem“ und „rechtsextremem“ Gedankengut und Spekulationen zu den damaligen Entscheidungen des Haftrichters.
Einen deutlich kürzeren Auftritt hatte der Zeuge Maik Eminger, der Zwillingsbruder André Emingers und wie dieser seit Jahrzehnten in der Naziszene verankert: als Bruder des Angeklagten darf er die Aussage verweigern, was er auch tat. Eine politische Stellungnahme gab Maik Eminger aber vor dem Gerichtsgebäude ab, wo er mit einem Shirt mit der Aufschrift „Brüder schweigen“ auftrat – eine Anspielung auf sein Schweigerecht, aber vor allem auch ein Zitat aus dem Treuelied der Waffen-SS und Selbstbezeichnung der mörderischen Nazi-Terrororganisation „The Order“ aus den USA. Stellungnahmen der Nebenklage zu diesem Hinweis auf die Ideologie der Emingers versuchte die Verteidigung durch sofortige Beanstandung zu unterdrücken, es gelang aber, die Saalöffentlichkeit auf diesen Sachverhalt hinzuweisen.

03.07.2014

Keine Zweifel an Schuld des Ralf Wohlleben erkennbar

Der Befangenheitsantrag der Verteidigung Wohlleben wurde mit einem Beschluss abgelehnt, der die Klarheit des Haftfortdauerbeschlusses des Senats um den Vorsitzenden Götzl noch unterstreicht: Drei weitere Richter des OLG München stellten fest, es könne keine Befangenheit darstellen, wenn der Senat nach vorläufiger Prüfung des Ermittlungsergebnisses keine Zweifel an der Schuld des Angeklagten habe und dies in einem Haftfortdauerbeschluss auch so darstelle. Und der Senat hatte eben keine Zweifel daran, dass Ralf Wohlleben bei seinen Bemühungen um die Lieferung der Ceska in dem Bewusstsein handelte, dass mit dieser Waffe Morde begangen werden sollten. Und wenn dies für Wohlleben galt, dann kann auch am Mordvorsatz von Beate Zschäpe kein Zweifel bestehen.

Als Zeugin war dann zunächst die Ehefrau des Angeklagten Wohlleben geladen. Sie verweigerte die Aussage.

Danach wurde ein weiterer Vernehmungsbeamter des Chemnitzer Blood and Honour-Aktivisten und V-Mannes Starke befragt. Eine zusammenfassende Bewertung dieser Aussage wird nach der Vernehmung des letzten Vernehmungsbeamten am 30. Juli erfolgen.

Zum Abschluss wurde ein Dortmunder Beamter des polizeilichen Staatsschutzes vernommen, der eine Tatzeugin befragt hatte. Diese hatte in ihren insgesamt etwas widersprüchlichen Angaben auch eindeutig auf „Rechtsradikale“ als mögliche Täter hingewiesen. Weil die Zeugin allerdings die Tatverdächtigen als „Nazis“ oder „Junkies“ beschrieben hatte, und auch der jetzt vernommene Polizeibeamte diese Aussage nicht hinterfragte, blieb der Hinweis unbeachtet. Der Polizeibeamte, dessen Einsatzgebiet ansonsten der „Bereich Türken/Kurden“ ist, konnte auch heute keinen beitrag zur Aufklärung leisten.

10.04.2014

Mit „Blood and Honour“ in den Untergrund II

Heute wurde die Befragung von Mandy Struck, einer frühen Unterstützerin aus Chemnitz, fortgesetzt (Über die bisherigen Aussagen Strucks haben wir in den posts vom 26.02.2014 und 27.02.2014 berichtet). Struck versuchte weiter, die Nazi-Ideologie und Gewaltbereitschaft der Szene kleinzureden und sich selbst als unbedeutend darzustellen. Durch beharrliche Nachfragen kamen aber doch zumindest einige Details ans Licht. Positiv fiel auf, dass der Vorsitzende die Zeugin mehrere Male anwies, den Fragen der Nebenklage nicht auszuweichen, und auch selbst kritische Nachfragen zu „Blood and Honour“-Strukturen stellte.

Am Ende der Befragung gab Rechtsanwalt Hoffmann eine Erklärung zur gesamten Aussage Strucks ab, die wir nachfolgend wiedergeben:

Die Zeugin Mandy Struck, deren Vernehmung heute fortgesetzt wurde, war fest in die Chemnitzer und die bundesweite Naziszene eingebunden. Sie war Teil des Chemnitzer „Blood & Honour“-Netzwerkes bzw. der Chemnitzer „88-er“. Wir wissen aus den Aussagen der Zeugen Starke und Rothe, dass diese beiden Gruppen praktisch identisch waren.

Struck hatte bundesweiten Einfluss über ihre Mitarbeit in der Hilfsorganisation Nationaler Gefangener und ihre Verbundenheit zur Nürnberger Fränkischen Aktionsfront. Sie konnte daher beispielsweise gemeinsam mit einem inhaftierten „Kameraden“ in der überregionalen Szene-Zeitschrift „Landser“ einen Aufruf zur Überwindung von Streitigkeiten in der Naziszene unter ihrem Namen veröffentlichen, sie initiierte den Aufbau einer Frauengruppe und Plakatieraktionen. Sie verharmloste in ihrer Zeugenvernehmung bewusst ihre Bedeutung, die Qualität ihrer Kontakte und ihre Einbindung in die verschiedenen Nazinetzwerke. So gab sie beispielsweise an, das Kennzeichen eines auf sie zugelassenen Autos – „-BH 88“ – habe für sie die Bedeutung „Bike-Halterin Honda Hornet“, obwohl offensichtlich ist, dass diese in der Naziszene ständig benutzten Zahlencodes für „Blood and Honour“ und „Heil Hitler“ stehen. Immerhin musste sie zugeben, dass sie zu ihrem Spitznamen „White Power Mandy“ gekommen war, weil sie immer eine „White Power-Anstecknadel“ an ihrer Jacke getragen hatte und damit ein Bekenntnis zum militanten rassistischen Kampf.

Die Zeugin Struck hat als Teil und im Auftrag der Chemnitzer Blood and Honour-Gruppe um Thomas Starke die Unterbringung von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos kurze Zeit nach deren Untertauchen organisiert. Auch nach ihren eigenen Angaben gehörten alle bislang als Unterstützer am Abtauchen der „Drei“ beteiligten Personen dem Blood and Honour-Netzwerk an. Es handelte sich also um eine organisierte Unterstützung durch eine bestehende Struktur, nicht, wie die Bundesanwaltschaft in der Anklage behauptet, um individuelle Hilfeleistungen durch Einzelne.

02.04.2014

Mit „Blood and Honour“ in den Untergrund I

Der heutige Zeuge Thomas Starke, der Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach ihrem Untertauchen die Unterkünfte in Chemnitz und vorher schon Sprengstoff besorgt hatte, verweigerte wie erwartet die Aussage, da gegen ihn noch immer wegen Unterstützung des NSU ermittelt wird. Starke hatte aber insgesamt siebenmal Aussagen bei der Polizei gemacht, und so wurde der vorsorglich geladene Vernehmungsbeamte vernommen, diesmal zu den ersten beiden Vernehmungen.

Weil Starke seine Aussage im Laufe der Vernehmungen korrigiert und präzisiert hat, kann diese erst endgültig bewertet werden, wenn alle Vernehmungen eingeführt sind. Dies wird wohl noch mehrere Verhandlungstage dauern. Selbst die Vernehmung zu den ersten beiden Aussagen konnte heute nicht abgeschlossen werden, weil Beate Zschäpe ab 15:53 Uhr wegen Erschöpfung und Kopfschmerzen nicht mehr verhandlungsfähig war, wie der herangezogene Landgerichtsarzt bestätigte.

Bereits jetzt kann aber gesagt werden, dass Starkes Aussagen eine klare Einordnung des Unterstützernetzwerkes in Chemnitz und teilweise in Zwickau ermöglichen wird. Hier wurden „die Drei“ von einem Netzwerk aufgenommen, das größtenteils „Blood and Honour“ angehörte, einer internationalen Organisation, die ihre Botschaft vom „Rassenkrieg“ über den Vertrieb von Musik und die Veranstaltung von Konzerten verbreitet. Neben Starke waren auch der erste Wohnungsgeber Rothe und Mandy Struck, die die Unterbringung bei Max Florian B. mitorganisierte, „B&H“-Mitglieder. So bedurfte es nur einer Anfrage Starkes bei einem anderen Mitglied, damit dieser 1996/1997 unentgeltlich einen Schuhkarton voll TNT-Sprengstoff besorgte. Dass die Bombe, wegen der die Drei gesucht wurden und schließlich abtauchten, nur eine Attrappe war, lag Starke zu Folge auch nur daran, dass sie so schnell keinen Zünder besorgen konnten. Zu diesem Zeitpunkt, also schon deutlich vor dem Abtauchen der Drei, habe Mundlos auch nach Waffen gefragt.

Starke berichtete auch, 1996/1997 habe er eine kurze Liebesbeziehung zu Zschäpe gehabt. Er hätte diese gerne vertieft, wollte mit Zschäpe zusammenziehen. Diese jedoch habe nur die beiden Uwes und Politik im Kopf gehabt und keine Zeit für die Beziehung. Zschäpe habe gerne mit ihm diskutiert, Werbung für die NPD gemacht und die „Blood and Honour“-Szene dafür kritisiert, dass sie sich zu wenig an Demonstrationen und politischen Aktionen beteilige.