23.06.2015

Zur Tötungsbereitschaft des Trios von Anfang an

Am heutigen Verhandlungstag wurde nur ein Zeuge vernommen, bevor die Verhandlung wegen Zahnschmerzen und einer notwendigen Zahnbehandlung der Angeklagten Zschäpe unterbrochen wurde. Die Zeugenvernehmung brachte allerdings spannende Erkenntnisse, die erneut die Anklagethese, der NSU habe nur aus drei Mitgliedern bestanden, in Frage stellen.

Der Zeuge berichtet, er habe während des Überfalls auf die Edeka-Filiale in Chemnitz am 18.12.1998 mit Freunden vor dem Markt gestanden, sei dann den Tätern hinterhergelaufen. Eine der Personen habe gerufen „bleib stehn“ und dann mehrfach auf ihn geschossen. Die Kugeln seien in Brust- und Kopfhöhe an ihm vorbeigeflogen, mindestens eine sei in die Wand des Supermarktes eingeschlagen. Das Einschussloch – auf Brusthöhe – habe er sich später noch hin und wieder angeschaut. Er habe die Kugel an seinem Kopf vorbeizischen gehört. Weiterlesen

17.06.2015

Zu den abgehörten Telefonaten des V-Mann-Führers Temme mit seinen Kollegen

Heute wurden drei ehemalige Kollegen des V-Mann-Führers Temme vom Verfassungsschutz Hessen vernommen, mit denen Temme im April/Mai 2006, als er Beschuldigter des Mordes an Halit Yozgat in Kassel war, telefoniert hatte.

Am 9. Mai 2006 hatte Temme mit seinem Vorgesetzten Muth telefoniert, u.a. ging es um eine dienstliche Stellungnahme Temmes. Muth empfahl ihm zunächst, das Geschehen so zu schildern, wie es war – nahm dies dann aber gleich wieder zurück und empfahl Temme stattdessen, zunächst mit dem Geheimschutzbeauftragten Hess Kontakt aufzunehmen.

Am 2. und 15. Mai 2006 telefonierte Temme mit seinem Kollegen Fehling. Im ersten Gespräch berichtete Fehling, welche Maßnahmen das Landesamt eingeleitet habe, um die polizeilichen Ermittlungen zu behindern und zu steuern: Man habe Sorge getragen, dass die Polizei keinen Zugriff auf seine Quellen erlangen würde und dass auch die mit der Sache in Zusammenhang stehenden Berichte Temmes der Polizei nicht bekannt würden. Weiterlesen

16.06.2015

Schlechte Stimmung in der Verteidigung Zschäpe und zu Zschäpes Beteiligung am NSU-Bekennervideo

Die Hauptverhandlung begann heute, ohne dass der Antrag der Angeklagten Zschäpe, ihre Verteidigerin Sturm zu entpflichten (vgl. den Bericht vom 10.06.2015), auch nur erwähnt wurde. Allerdings war zu bemerken, dass Zschäpe gegenüber Sturm, aber auch gegenüber den beiden anderen Verteidigern Stahl und Heer demonstrative Ablehnung zeigte. Rechtsanwältin Sturm hatte vergangene Woche dem Gericht mitgeteilt, die von Zschäpe gegen sie erhobenen Vorwürfe seien falsch. Stahl und Heer nahmen ebenfalls in eigenen Schriftsätzen Stellung: die Angaben Zschäpes träfen nicht zu. Zschäpe hat sich beim Gericht bis Mittwoch eine Fristverlängerung zur Stellungnahme erbeten. Sie wolle sich noch anwaltlichen Rat einholen. Eine Entscheidung über den Antrag Zschäpes, in dem bisher lediglich die Entpflichtung von RAin Sturm beantragt und kein möglicher neuer Verteidiger genannt wurde, wird also frühestens nächste Woche fallen. Weiterlesen

10.06.2015

Zschäpe will neue Pflichtverteidiger II – Rechtsanwältin Sturm soll gehen

Nach längeren Verzögerungen und Unterbrechungen gab der Vorsitzende heute bekannt, dass Zschäpe beantragt hatte, ihre Verteidigerin Rechtsanwältin Sturm zu entbinden – die Gründe hierfür sind bisher nicht bekannt. Die Sitzung wurde daraufhin für heute beendet.
Bereits letzten Sommer, am 16.7.2014, hatte Zschäpe erklärt, kein Vertrauen mehr zu ihren Verteidigern zu haben. Ihr Antrag, alle drei Pflichtverteidiger zu entpflichten, wurde damals eine Woche später mit der knappen Begründung zurückgewiesen, sie habe keine ausreichenden Gründe vorgetragen.

Es ist klar, dass eine solche Entpflichtung nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht kommt, denn ein Austausch aller drei Verteidiger würde zwangsläufig dazu führen, dass die Beweisaufnahme wiederholt werden muss. Die Strafprozessführung sieht eine Entpflichtung nur dann vor, wenn Gründe genannt werden, die belegen, dass eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses vorliegt, die befürchten lässt, dass die Verteidigung nicht mehr sachgerecht geführt werden kann. Weiterlesen

09.06.2015

Zu den Waffen des Trios, zu den Raubüberfällen und noch einmal vom V-Mann Degner

Heute berichteten zunächst zwei Sachverständige zu den Waffen des Trios, vor allem zu Munitionsteilen, die in der NSU-Wohnung in der Frühlingsstraße in Zwickau gefunden wurden. Es ergab sich, dass die Munitionsteile – alle vom Kaliber 6.35mm Browning – aus vier verschiedenen Waffen stammten, von denen nur eine gefunden wurde. Der NSU hatte also wahrscheinlich noch weitere Waffen. Einige der Hülsen stammten aus der Tatwaffe des Überfalls auf einen Edeka-Markt in Chemnitz im Dezember 1998, dem wohl ersten der Überfälle des NSU – dort hatten sie auf einen Jugendlichen, der ihnen hinterhergelaufen war, scharf geschossen.

Im Weiteren sagten Zeuginnen und Zeugen zu weiteren Überfällen des NSU aus. Den Beginn machte ein Kriminalbeamter von der Kripo Chemnitz, der zu mehreren Überfällen in Chemnitz ermittelt hatte und den Gang der damaligen Ermittlungen darstellte. Es folgten zwei Zeuginnen des Überfalles auf eine Postfiliale in Chemnitz im November 2000.

Mehrere Nebenklage-VertreterInnen beantragten, einen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Thüringen als Zeugen zu laden, der den V-Mann Marcel Degner, Chef von „Blood and Honour“ Weiterlesen

20.05.2015

Lügen und Verharmlosen XIV – Ein kurzer Auftritt von Marcel Degner

Erster und einziger Zeuge heute war erneut Marcel Degner alias „Riese“, ehemaliger Chef von „Blood and Honour“ Thüringen und zeitweise einer der drei Deutschland-Chefs (zu seiner ersten Befragung s. den Bericht vom 11.03.2015). Er behauptete erneut, er sei nie V-Mann des Verfassungsschutzes gewesen – auch nachdem ihm vorgehaltene wurde, dass ein VS-Mitarbeiter ihn als V-Mann bezeichnet hatte (vgl. Bericht vom 22.04.2015) und auch entsprechende Deckblattmeldungen vorliegen.

Nach dieser dreisten Lüge stellten die VertreterInnen der Nebenklage keine weiteren Fragen, sondern beantragten, zunächst einen weiteren VS-Mitarbeiter als Zeugen zu hören, der Degner damals „geführt“ hat, um sodann Degner mit dessen Aussagen konfrontieren zu können. Dieser Antrag wird zum nächsten Verhandlungstag schriftlich gestellt werden, danach wird das Gericht entscheiden.

Degner scheint sich sicher zu sein, mit seiner Lüge durchzukommen, weil die Akten mit den ausführlichen Berichten des V-Mannes „Hagel“, so nach Auskunft des Thüringer VS-Mitarbeiters sein Deckname, geschreddert wurden. Dem Gericht liegen daher nur wenige Deckblattmeldungen vor. Die Auskunft des VS-Mitarbeiters zu Degner war zwar eindeutig dazu, dass dieser V-Mann war, ergab aber kaum inhaltliche Anknüpfungspunkte. Daher ist nun sein ehemaliger V-Mann-Führer zu hören, der nähere Details mitteilen kann. Weiterlesen

19.05.2015

Zur Lieferkette der Mordwaffe, einem „geständigen“ Lügner und „Missverständnissen“ der Verteidigung Zschäpe

Der halbe Tag war heute von Unterbrechungen geprägt, weil die Verteidigung Zschäpe erreichen wollte, dass der Sachverständige Psychiater Saß ihre Mandantin nur noch eingeschränkt beobachten darf. Im Ergebnis sitzt Saß nun 50 cm weiter von Zschäpe entfernt. Allerdings offenbarte sich, wie wenig sich die Verteidigung bisher für alltägliche Bedürfnisse ihrer Mandantin eingesetzt hat: auf die Angabe der Verteidigung, Zschäpe dürfe ihren Laptop mit der Ermittlungsakte während Unterbrechungen nicht in die Vorführzelle im Gericht mitnehmen, entgegnete der Vorsitzende lediglich, das sei selbstverständlich möglich, wenn es bisher verweigert worden sei, müsse das auf einem Missverständnis beruhen. Offensichtlich wurde diese tatsächliche Beschränkung Zschäpes bis zum heutigen 205. Verhandlungstag nie von der Verteidigung angesprochen.

Nach der Mittagspause konnte dann endlich der erste Zeuge, ein Polizeibeamter aus dem Berner Oberland, gehört werden. Er war auf Antrag der Verteidigung Wohlleben geladen und berichtete über ein Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen des Waffengeschäftes, von dem die Mordwaffe Ceska stammt. Laut Anklage ging die Ceska vom ersten Käufer an den Schweizer Hans-Ulrich Müller, über diesen nach Thüringen und über weitere Personen an die Weiterlesen

13.05.2015

Wiederum zu den Raubüberfällen, und zur „Brauchtumspflege“ in der NS-Szene

Die erste Zeugin heute war eine sehr mutige Angestellte einer Sparkasse in Zwickau, die am 23.09.2003 von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos überfallen wurde. Obwohl einer der beiden ihr seine Pistole ins Gesicht schlug, seinen Komplizen laut fragte „soll ich sie erschießen?“, verschaffte sie den beiden keinen Zugang zum Tresor. Ihre Kollegin bestätigte den Ablauf, auch sie wurde von den Tätern gewaltsam zur Herausgabe von Geld aufgefordert, konnte aber nach kurzer Zeit fliehen.

Die beiden Täter entkamen mit einer Beute von knapp 500 €. Laut Anklage nutzten sie zur Flucht wieder Fahrräder und ein Wohnmobil – wie bei anderen Banküberfällen und auch den Morden.

Eine Polizeibeamtin berichtete zu den Ermittlungen nach dem 4.11.2011: In der NSU-Wohnung in der Frühlingsstraße wurden u.a. Waffen und Kleidungsstücke gefunden, die denen auf den Überwachungsvideos entsprachen, außerdem Schuhe passend zu einer Fußspur in der Filiale und eine Stadtkarte, auf der die Filiale markiert war. Das Wohnmobil war auf den Namen André Eminger gemietet worden, laut Anklage durch Eminger selbst. Weiterlesen

12.05.2015

Mehr zu den Raubtaten, und zur Ideologie von Mundlos und Zschäpe

Heute Vormittag sagte zunächst der Jugendfreund von Uwe Mundlos weiter aus – zu seiner bisherigen Aussage vgl. den Bericht vom 15.04.2015. Er berichtete viel zur Gewalttätigkeit der Nazi-Szene, u.a. über einen brutalen Angriff auf jemanden, der „nicht ins Bild passte“, und von einer Schlägerei, bei der Beate Zschäpe jemand mit einem Glas schlug. Bei Mundlos habe er diverse Waffen gesehen, u.a. eine Armbrust, Messer und wohl auch eine Gaspistole.
Aus seiner Aussage ergab sich auch, dass die Drei ihre Straftaten in Jena und die Reaktion staatlicher Stellen richtig einzuordnen wussten – Zschäpe schaute sich häufig um, ob die Polizei sie verfolge, schrieb sich die Kennzeichen von Zivilfahrzeugen der Polizei auf, Mundlos sprach ihm gegenüber davon, es werde gegen sie wegen Terrorismus ermittelt, gab ihm Anweisungen, im Falle konkreter Ermittlungen Beweismittel wie einen Computer verschwinden zu lassen.
Mundlos habe schon damals viele Kontakte nach Chemnitz gehabt, habe dort verschiedene Personen besucht und auch Gegenbesuche empfangen.

Der Zeuge gab sich sichtlich große Mühe, darzustellen, dass er sich nach etwa 18 Jahren nicht mehr an alle Details erinnern kann. Die Verteidigungen Zschäpe und Wohlleben bemühten sich sehr, dies als vermeintliche Widersprüchlichkeiten in seiner Aussage darzustellen, warfen dem Weiterlesen

11.05.2015

Zu den Raubtaten des NSU

Diese Woche befasst sich das Gericht vor allem mit einigen der insgesamt 15 Raubüberfälle des NSU. Heute wurden zunächst ZeugInnen zur ersten dieser Taten, einem Raub am 18.12.1998 in einem Edeka-Markt in Chemnitz, vernommen. Demnach entrissen die Täter der Hauptkassiererin die Tageseinnahmen und flüchteten zu Fuß. Sie wurden von einem Jugendlichen verfolgt, schossen dreimal auf ihn. Die verwendete Munition entspricht Munition, die 2011 in der NSU-Wohnung in der Frühlingsstraße in Zwickau gefunden wurde – die Waffe, mit der diese Munition verschossen wurde, wurde allerdings bislang nicht gefunden. Der Jugendliche, der die Täter verfolgte, wurde erst vor kurzem wieder ausfindig gemacht und wird sicher in einer der kommenden Wochen geladen werden.

Eine Zeugin beschrieb die Einschusslöcher in der Außenwand des Ladens, mindestens eines davon in etwa 1,60 Meter Höhe, also in etwa auf Kopfhöhe des Verfolgers. Der hemmungslose Schusswaffeneinsatz von Böhnhardt und Mundlos noch im ersten Jahr ihres Untertauchens und im Rahmen eines „nur“ der Geldbeschaffung dienenden Überfalles zeigt, dass die Untergetauchten von Anfang an die Tötung von Menschen in Kauf nahmen. Weiterlesen