19.03.2015

Nachbarinnen aus der Polenzstraße: Zschäpes Tarnung war perfekt.

Heute sagten zunächst zwei ehemalige Nachbarinnen der NSU-Wohnung in der Polenzstraße in Zwickau aus. Die erste Zeugin hatte 2006 bis 2008 dort gewohnt, Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt waren vor ihr ausgezogen. Ihre Vernehmung zeigte einmal mehr, dass die Tarnung Zschäpes perfekt funktioniert hatte. Die damals alleinerziehende Zeugin hatte sich offensichtlich eine Freundin gewünscht und immer wieder Annäherungsversuche unternommen, Zschäpe konnte und wollte ihr aber natürlich keine Einblicke in ihr Leben und die Wohnung geben und wehrte daher unter Verweis auf „ihren Freund“ ab. Die Zeugin war nun angesichts der Tatvorwürfe gegen ihre ehemalige Nachbarin bemüht, diese als unschuldiges Opfer ihres Freundes (Uwe Mundlos) darzustellen. Und so interpretierte sie vermeintliche Blicke, Gesten und Andeutungen der ihr als Lisa Dienelt bekannten Zschäpe: Lisa habe ihr ihre Telefonnummer nicht gegeben, weil ihr Freund nicht gestört werden wollte, Lisa habe ihr angedeutet, dass sie mit ihrem Freund und dessen Bruder (Uwe Böhnhardt) gemeinsamen Sex habe, obwohl sie das nicht wolle. All diese Schlüsse waren jedoch nicht auf wirkliche Beobachtungen gestützt und lösten sich auf Nachfragen des Vorsitzenden in vage Vermutungen auf. Weiterlesen

18.03.2015

U.a. zum Angeklagten Carsten Schultze

Der Verhandlungstag begann mit dem Gutachten des Psychiaters Prof. Leygraf. Er sollte sich dazu äußern, ob für Carsten Schultze, der zur Tatzeit 19 oder 20 Jahre alt war, noch Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Der Gutachter hatte sich bereits in seinem schriftlichen Vorgutachten hierfür ausgesprochen und bestätigte dies heute im Wesentlichen: das Coming Out von Schultze und sein Rückzug aus der Nazi-Szene zeigten, dass er sich nach den ihm vorgeworfenen Taten erheblich weiter entwickelt habe; dies wiederum spreche dafür, dass er zum Tatzeitpunk noch eher einem Jugendlichen gleichgestanden habe. Der Vorsitzende fragte nach, wies insbesondere darauf hin, dass der Ausstieg Schultzes und die ihm vorgeworfenen Taten zeitlich sehr nah beieinanderlagen.

Aus strafrechtlicher Sicht wäre dennoch die Anwendung von Jugendstrafrecht wenig überraschend – gleichzeitig aber in der konkreten Umsetzung auf einen heute Mitte-Dreißigjährigen nicht einfach: das Gericht wird insoweit den Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts, aber auch die Schwere und den politischen Charakter der Tat, die Schultze eingestanden hat, berücksichtigen müssen. Weiterlesen

12.03.2015

Erneut zur Keupstraße, und zur ideologischen Entwicklung von Uwe Mundlos

Heute sagte ein weiterer Geschädigter der Nagelbombe von 09.06.2004 in der Kölner Keupstraße aus. Er arbeitete in dem Friseursalon, vor dem das Fahrrad mit der Bombe abgestellt wurde, und erlitt durch die Explosion diverse Wunden am Kopf, am Arm und am Bein sowie eine Schädigung des Gehörs – schwerere Verletzungen blieben ihm erspart, weil jemand zwischen ihm und der Bombe stand. Er leidet bis heute an psychischen Folgen, wird immer wieder an die Bombenexplosion erinnert, wenn z.B. eine Tür laut zuknallt. Auch er machte deutlich, dass er von den deutschen Behörden keinerlei Unterstützung erhielt, um mit den Folgen des Attentates zurechtzukommen.

Es folgte ein Zeuge, der mit Uwe Mundlos zur Schule ging, mit ihm gut befreundet war und Mundlos‘ Entwicklung hin zum offenen Nazi miterlebte: Der hörte statt früher Udo Lindenberg nun die „Böhsen Onkelz“ und anderen Rechtsrock, etwa den „Kanakensong“ (Textauszug: „Steckt sie in den Kerker oder steckt sie ins KZ, von mir aus in die Wüste, aber schickt sie endlich weg. Tötet ihre Kinder, schändet ihre Frauen, vernichtet ihre Rasse und lehrt sie so das Grauen“), kleidete sich szenetypisch mit Bomberjacke und Springerstiefeln, später in Kleidung, die den Zeugen an eine SS-Uniform erinnerte. Ab der 7./8. Klasse begann er, sich offen positiv Weiterlesen

11.03.2015

Schreddern, leugnen, vergessen – V-Männer liefern keine Information. Und: zur Normalität der Weißen Bruderschaft Erzgebirge

Der erste Zeuge heute war Marcel Degner, Mitbegründer und Chef der „Blood & Honour“-Sektion Thüringen, später „B&H“-Chef für „Mitteldeutschland“, zudem nach Ermittlungen des Untersuchungsausschusses des Bundestages unter dem Codenamen „Hagel“ von 1997 bis 2001 V-Mann des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutzes (TLfV). Er brachte – wie fast alle bislang gehörten „Vertrauens“-Männer – keinerlei brauchbaren Informationen. Wie alle anderen Nazizeugen und auch etliche V-Männer hatte Degner natürlich fast keine Erinnerung, insbesondere an Erlebnisse, die die Angeklagten belasten könnten. Ja, er er bestritt sogar, überhaupt V-Mann gewesen zu sein. Allerdings hatte der Mitarbeiter des TLfV Wiessner in seiner Vernehmung am 11.11.2014 mitgeteilt, er habe zwar keine Aussagegenehmigung zur Identität des V-Mannes „Hagel“, dann aber doch ausgesagt, dass dies Degner war.

Außerdem fand sich eine Tatsachenschilderung Degners eins zu eins in einem Treffbericht von „Hagel“ wieder: er hatte bei dem Chemnitzer Thomas Starke nachgefragt habe, ob die drei Geflüchteten – Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos – Geld bräuchten, Starke hatte geantwortet, nein, die würden „jobben“. Genauso findet sich die Begegnung in einem der zwei erhaltenen Treffberichte von „Hagel“. Die übrigen Treffberichte wurden seinerzeit geschreddert, was es Weiterlesen

05.03.2015

Lügen und Verharmlosen Deluxe – Hendrik Lasch und sein „rechtskonservativer“ Freund Mundlos

Heute wurde zunächst ein Psychiater vernommen, der ein Gutachten zu einem der jungen Männer erstellt hatte, der durch die Nagelbombe in der Keupstraße schwer verletzt wurde (zu dessen Aussage s. den Bericht vom 20.01.2015). Seine Schilderung machte noch einmal in bedrückender Form deutlich, wie schwer – neben den körperlichen Verletzungen – die psychischen Folgen des Attentats waren: Noch zum Zeitpunkt der Begutachtung 2012 fand sich bei diesem Verletzten das Vollbild einer post-traumatischen Belastungsstörung mit Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit, immer wiederkehrenden Alpträumen, flashbacks, noch 2012 lösten alltägliche Szenen wie Fahrräder mit Taschen erhebliche Ängste und Vermeidungsverhalten aus.

Es folgte Hendrik Lasch, ebenfalls aus der Nazi-Szene in Chemnitz und seit Mitte der 1990er v.a. mit Uwe Mundlos befreundet. Auch er war sichtlich bemüht, nichts Substantielles beizutragen, trieb dieses Spiel bis zur Grenze des Lächerlichen und weit darüber hinaus. Der Vorsitzende Richter Götzl sah sich zu vielen genervten Nachfragen veranlasst – aber erneut nicht dazu, Ordnungsmittel auch nur anzudrohen, und das trotz mehrerer Antworten Laschs, die eindeutige Aussageverweigerungen unter dem Deckmantel des Nicht-Erinnern-Könnens darstellten. Weiterlesen

04.03.2015

Zur Struktur und Ideologie der Szene in Jena

Nachdem Beate Zschäpe mitgeteilt hatte, dass sie wieder an der Verhandlung teilnehmen könne, wurde diese heute fortgesetzt. Peinlich und ärgerlich war allerdings, dass auf Nachfrage des Vorsitzenden die Verteidigung Zschäpe mitteilte, diese habe der Vernehmung einer Zeugin am vergangenen Dienstag auf Grund ihres Gesundheitszustandes nicht vollständig folgen können. Peinlich, weil die drei Verteidiger Zschäpes nicht selbständig in der Lage scheinen, sich um den Zustand ihrer Mandantin zu kümmern. Ärgerlich, weil diese Vernehmung nunmehr wiederholt werden muss. Ein einfacher Hinweis der ansonsten immer so sehr auf Verfahrensbeschleunigung pochenden Verteidigung hätte diesen doppelten Aufwand vermieden.

Der Vorsitzende war entsprechend genervt, hatte aber offensichtlich einen weiteren Krankheitstag Zschäpes befürchtet und deshalb den Verfassungsschützer Meyer-Plath bereits abgeladen. Dieser wird zu einem späteren Verhandlungstag erneut geladen werden. Einziger Zeuge heute war daher der jüngere Bruder von André Kapke, der einige Zeit ebenfalls in der Neonazi-Szene Jenas aktiv war. Weiterlesen

26.02.2015

Und täglich lügt der Nazi-Zeuge.

Heute sagte zunächst eine Jugendfreundin von Carsten Schultze aus der rechten Szene Jenas aus, die sich auch mit ihm zusammen aus der Szene zurückgezogen hatte. Sie war sichtlich bemüht, ihren alten und noch-Freund Schultze zu entlasten. Insbesondere versuchte sie ihn als jemand darzustellen, der keine eigenständige Rolle in der Szene spielte, sondern nur von anderen – vor allem André Kapke und Ralf Wohlleben – „geschickt“ wurde und reine Jugendarbeit machte. Wie auch Schultze selbst, versuchte die Zeugin den Eindruck zu erwecken, sie selbst und auch Schultze hätten damals gar keine politische Meinung gehabt, sondern seien nur wegen persönlicher Probleme in die Szene geraten.

Ihre Aussage war offensichtlich genau so extrem gefärbt wie die Selbstdarstellung Schultzes: Sicher stimmt es, wie die Zeugin sagte, dass Wohlleben und Kapke die führende Rolle in der Nazi-Szene Jenas spielten. Dass deswegen alle anderen reine MitläuferInnen ohne eigene Meinung gewesen seien, mag vielleicht für sie selbst gelten, die im Alter von 12 oder 13 Jahren Weiterlesen

25.02.2015

Chemnitzer Zeugen: Einige Details, viele Geschichten und weiter keine Entlastung für Wohlleben

Heute wurden zwei Zeugen aus dem Bereich Chemnitz befragt. Beide waren auf Antrag der Verteidigung Wohlleben geladen worden, die versucht, die Verantwortung für die Unterstützung des NSU von Wohlleben wegzuschieben und allein bei „Blood & Honour“ Sachsen festzumachen.

Dieser Plan ging auch bei diesen Zeugen nicht auf. Die beiden Zeugen waren aber auch ansonsten bemüht, nicht besonders viel Erkenntnisse zu liefern – wie viele Zeugen aus der Nazi-Szene vor ihnen bestätigten sie im wesentlichen nur das, was eh nachgewiesen ist, und erzählten ansonsten Märchen oder gaben vor, sich nicht zu erinnern.

Zunächst kam Gunter Fiedler, einer der „88er“ Skinheads aus Chemnitz. Er bestätigte, dass nach dem Untertauchen von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt sein Bruder und er eine Wohnung für diese besorgten. B&H-Chef Thomas Starke hatte sie angesprochen, die Drei bräuchten eine Unterkunft, sie seien auf der Flucht vor der Polizei. Die Fiedlers sprachen zunächst Mandy Struck an, die verwies auf ihren Freund Max-Florian B., wo die Drei tatsächlich unterkamen. Weiterlesen

24.02.2015

Zum Alltag in Zwickau

Der Sitzungstag heute endete wegen Erkrankung von Beate Zschäpe bereits mittags.
Es berichtete nur eine ehemalige Nachbarin des NSU aus der Zwickauer Polenzstraße über ihre Kontakte zu Beate Zschäpe, die sie als „Lise“ bzw. „Lisa“ kannte. Sie hatte nur Kontakt mit Zschäpe – von den beiden Männern kannte sie nur den einen als ihren Freund, der war aber auch häufig weg, „auf Montage“. Mehrmals standen Wohnmobile vor dem Haus, für den Urlaub, wie „Lisa“ sagte.

Zschäpe kam auch nach dem Umzug in die Frühlingsstraße hin und wieder zu Besuch. Die Zeugin empfand sie als angenehme Gesprächspartnerin, man habe sich gerne mit ihr unterhalten. Sie habe aber vor allem zugehört und wenig über sich selbst erzählt.
Bei einem der letzten Besuche habe es Streit mit einer anderen Nachbarin über Geld gegeben, Zschäpe sei sehr aggressiv geworden: „ich dachte, sie haut ihr gleich eine.“ Bei ihrem letzten Besuch, etwa vierzehn Tage vor der Explosion in der Frühlingsstraße, habe sie sehr gestresst gewirkt und deutlich mehr getrunken als sonst, habe aber gesagt, es sei alles in Ordnung.
Von dem deutschen Alltag, den Zschäpe mit anderen Nachbarinnen pflegte (vgl. die Berichte vom 03.02.2014 und vom 9.-11.12.2013), bekam diese Zeugin nach eigenen Angaben nichts mit, politische Ansichten seien gar nicht geäußert worden, „dann hätte ich ja mit ihr nicht mehr geredet.“

Die Verteidigung Zschäpe stellte der Zeugin eine Reihe von Fragen, ohne erkennbare Linie oder nennenswerte Ergebnisse.